Manfred Haferburg / 10.12.2022 / 10:00 / 103 / Seite ausdrucken

Wer ist schuld, wenn die Lichter ausgehen?

Robert Habeck hat gesagt: „Wir haben kein Strom-Problem“‘. Stimmt. Wir haben kein Strom-Problem, wir haben ein „Kein-Strom-Problem“. Das liegt an den Franzosen, sagen die deutschen Energiewender.

Seit zwei Wochen herrscht eine winterliche Dunkelflaute. Wind und Sonne tragen kaum zur Stromerzeugung in Deutschland bei. Am 8. Dezember um 18:00 Uhr erzeugten Wind und Sonne 2,94 Gigawatt (GW), bei einem Bedarf von 76,9 GW, das sind ganze 3,9 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland. Die restlichen mussten mittels Kohle, Gas und Kernkraft erzeugt werden. Das sind 96,1 Prozent. (Quelle: AGORA) Aber genau diese Kraftwerke sollen bis 2030 abgeschafft werden.

Die Versorgungslage mit Strom in Deutschland ist offenbar deutlich schlechter, als vom Bundeswirtschaftsministerium in seinem getürkten Stresstest ermittelt wurde, wie ein vertraulicher interner Vermerk aus dem baden-württembergischen Umweltministerium vom 2. Dezember zeigt, der an die „Bild“ durchgestochen wurde.

Dort heiße es, dass die französischen Kernkraftwerke, die normalerweise Deutschland mitversorgten, weniger Strom generierten als bisher angenommen. Laut dem Papier seien die AKW-Ausfälle in Frankreich das größte Problem für die Energieversorgung hierzulande. Sie brächten nur 33 von 61 möglichen Gigawatt Leistung. Der zweite Stresstest war aber von mindestens 40 Gigawatt in Frankreich ausgegangen.

Als Gipfel der kognitiven Dissonanz schließt das grüne Umweltministerium daraus: „Abschaltungen der Stromversorgung für 90 Minuten seien nicht auszuschließen“.

Aber es geht noch dissonanter. Ein weiterer Grund für Verschlechterungen ist laut grünem Umweltministerium Revision und Streckbetrieb des AKW Neckarwestheim. Streckbetrieb heißt nämlich, dass das Kraftwerk nicht mehr genug Brennstoff im Kern hat und jeden Tag ein bisschen weniger erzeugen kann. Das laut Bundeswirtschaftsminister Minister Robert Habeck verzichtbare AKW Neckarwestheim hatte im Jahr 2021 einen Anteil von 22,5 Prozent an der Versorgung in Baden-Württemberg. Am 15. April nächsten Jahres soll auch dieses Kraftwerk verschrottet werden.

Die grünen Propagandisten haben sich in ein Dilemma manövriert. Zum einen soll die französische Kernenergie schlechtgemacht werden, nach dem Motto: „Siehste, die haben auch Probleme mit ihren vielen Schrottreaktoren“. Und plötzlich merken sie: „Uups, wenn die Franzosen mit ihren Reaktoren Probleme haben, gehen bei uns die Lichter aus“. Jetzt ist guter Propagandarat teuer.

Wie kam es in Frankreich zu dem Reaktor-Engpass?

Meine Analyse der angespannten Lage im französischen Stromnetz ist nicht vollständig und beschreibt eher meine persönliche Sicht.

Bei EDF, Frankreichs staatlichem Stromkonzern, wird gegenwärtig fieberhaft an der Beseitigung des Rückstandes der Revisionsarbeiten in den Kernkraftwerken gearbeitet, der während der Lockdowns in den letzten zwei Corona-Jahren entstanden ist. Macron verfolgte praktisch die rigideste Corona-Politik Europas. Und er hatte genügend Ordnungskräfte, um sie auch durchzusetzen. Erst am 1. August 2022 wurden auf Druck des französischen Parlaments, in dem Macron keine Mehrheit mehr hat, fast alle Coronamaßnahmen aufgehoben. Man hatte auch in den Kernkraftwerken während Corona nur das Allernötigste gemacht, angeblich, um die kritische Infrastruktur nicht zu gefährden. Das war zwar Unfug – es gab nie eine Coronagefährdung der Kernkraftwerksmannschaften – doch die Folgen sind schwerwiegend.

Auch französische sozialistische  Politiker verstehen offenbar nicht, dass Energiepolitik nicht in Wahlperioden, sondern in Dekaden gedacht werden muss. Schon vor 15 Jahren, in der Zeit des sozialistischen Präsidenten Françoise Hollande, begann eine halbherzig kernenergiefeindliche Politik, die die Hälfte der französischen Reaktoren abschalten und durch die in Frankreich tief verhassten eolienne, Windräder, ersetzen wollte. EDF wurde zum Stiefkind. Sarkozy und Macron setzten diese Politik fort, bis die Gelbwesten und eine Wahlniederlage im letzten Jahr Macron eines Besseren belehrten. Das Unterressourcen von EDF hörte daraufhin auf und Macron verkündete den Neubau von sechs großen Kernkraftwerken. Die wird es aber frühestens in zehn Jahren geben. Dann ist Macron längst Geschichte.

Inzwischen stellten sich die Folgen dieser unüberlegten Politik ein. EDF wurde vom stolzen Flaggschiff zum Sorgenkind. Bei der neuesten Baureihe der Reaktoren traten an 12 Anlagen Spannungskorrosionsrisse an Primärkreislaufanschlüssen auf. Normalerweise wäre das kein großes Problem – die Fehlstellen muss man ausschleifen und neu verschweißen. Aber in dieser massierten Form und im Zeittakt mit der Instandhaltungsbugwelle aus Coronazeiten wurde es schwierig. Beispielsweise fehlten plötzlich hinreichend qualifizierte Schweißer. Dann kam noch ein Streik hinzu. Die Gewerkschaft CGT erreichte einen Inflationsausgleich für das Kraftwerkspersonal durch Lohnsteigerungen, aber der Streik kostete wertvolle Zeit. Jetzt wurden Schweißer aus den USA und Kanada eingeflogen. Trotzdem wird es noch dauern, bis alle Kraftwerke wieder laufen.

Der aktuelle Stand in Frankreichs Kernkraftwerken

Achtzehn der 56 französischen Atomreaktoren waren am Donnerstagabend, dem 8. Dezember, noch für Wartungs- oder Reparaturarbeiten abgeschaltet. Die 38 Reaktoren, die am Donnerstag in Betrieb waren, liefern 62,6 Prozent der installierten französischen Atomkapazität, d.h. 38,4 Gigawatt (GW) von 61,4 GW. Das bedeutet, dass 37,4 Prozent der Leistung nicht verfügbar waren. Vor einem Monat hatte EDF noch angekündigt, mit 72,9 Prozent verfügbarer Leistung beim Wiederanfahren der Reaktoren besser dazustehen.

Doch wie schon bei anderen Reaktoren in diesem Herbst, wurde kürzlich das Wiederanfahren mehrerer Blöcke verschoben, manchmal sogar um einige Tage. Der Reaktor Nummer 3 des Kraftwerks Dampierre wurde erst am Freitagmorgen, dem 9. Dezember, statt am vergangenen Montag wieder angefahren. Ein weiterer Reaktor, Bugey 3, soll am Samstagmorgen, dem 10. Dezember, wieder hochgefahren werden, wodurch die Zahl der nicht verfügbaren Reaktoren auf 16 sinken und die Zahl der Reaktoren, die am Montag in Betrieb sein werden, auf 40 steigen wird.

Wie knapp wird es im französischen Netz?

Im französischen Strommix kommen 71 Prozent aus Kernenergie. Kohlekraftwerke hat Frankreich kaum, sie liefern nur zwei Prozent. Erdgas bringt es auf sieben Prozent, Wasserkraft auf zehn Prozent, Sonne auf zwei Prozent, Wind auf vier Prozent und Biomasse auf ein Prozent. Es fehlt also rund ein Viertel der installierten Leistung. Zum Vergleich: In Deutschland fehlen bei der derzeitigen Dunkelflaute 90 Prozent der installierten erneuerbaren Leistung.

Der kommende Montag ist in Frankreich der erste Tag im Herbst/Winter, an dem der Betreiber der Hoch- und Höchstspannungsleitungen, RTE, eine orangefarbene „Ecowatt“-Warnung ausgeben könnte. Orange ist die erste Stufe, die bedeutet, dass die Versorgung „angespannt“ sein wird. Dieses Signal dient dazu, die Franzosen – Unternehmen und Haushalte – aufzufordern, ihren Stromverbrauch freiwillig durch umweltbewusstes Verhalten zu senken, um gezielte Entlastungen oder Abschaltungen zu vermeiden. Sie sollten vor allem ihre Heizung drosseln oder ihren Verbrauch (Waschmaschinen usw.) außerhalb der Spitzenlastzeiten am Morgen (8.00–13.00 Uhr) und am Abend gegen 19.00 Uhr verlagern.

Die Entscheidung, ein orangefarbenes Ecowatt-Signal auszulösen, würde drei Tage vorher, also am Freitag, getroffen, da sie von der Temperatur und der erwarteten Windstärke abhängt, die eine genaue Vorhersage der Leistung ermöglicht, die die auch in Frankreich vorhandenen Windkraftanlagen liefern werden. So war bereits am 4. April dieses Jahres, an einem sehr kalten Tag, ein orangefarbenes Warnsignal ausgelöst worden.

Werden die Franzosen den Einsparkurs mitmachen?

Anders als in Deutschland hadern die Bürger in Frankreich nicht mit der erratischen Energiepolitik ihrer Regierung. Außerdem sind viele Franzosen Patrioten. Sie erkennen die Notwendigkeit des Stromsparens in der gegenwärtigen Situation und werden die aufgerufenen Maßnahmen nicht willentlich sabotieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Bevölkerung bei Aufruf ein paar Prozent einsparen wird. Schon heute sind die Infrarotstrahler ausgeschaltet, die das Sitzen auf den Terrassen der französischen Cafés auch bei Kälte angenehm machten.

Aber eines ist ziemlich sicher. Frankreich wird in diesem Winter Deutschland nur wenig mit Atomstrom aushelfen können. Dies kann besonders in Süddeutschland zu „stundenhaften Strom-Mangellagen“ (Habeck) führen. Vielleicht hätte sich Bundeswirtschaftsminister Habeck mit dem Umweltministerium in Baden-Württemberg abstimmen sollen, bevor er am 8. Dezember verkündete: „Die Verfügbarkeit von Energie für die elektrische Stromerzeugung ist für diesen Winter gesichert“. Blackout-Szenarien seien nicht zu befürchten. Deutschland sei sogar in der Lage, Frankreich mit Strom auszuhelfen. Am besten, Habeck teilt dies mal den Beamten vom Umweltministerium im grünen Ländle mit.

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Josef Gärtner / 10.12.2022

Man kennt derartige Bilder ja auch vom Bahnhof. Deutschland sitzt am Boden und ruft flehentlich mit ausgestreckter Hand: “Hast Du mal ein Gigawatt Strom für mich?” Wie Scholz schon sagte, Zeitenwende eben.

Lutz Liebezeit / 10.12.2022

830 Millionen Tonnen CO2 - in Detuschland sagt man: sorry.

Lutz Liebezeit / 10.12.2022

Wir haben natürlich ein Strom-Problem. Das Internet muß stabil versorgt (s.u.). Die Windmühlen sind eigentlich nur ein Zugeständnis an ein Internet, dessen Strombedarf exponentiell wächst. Man muß sich das Zugeständnis vor Augen führen, die Internetparteien haben einen unglaublichen Landschaftsverbrauch und bauen ohne Rücksicht auf Verluste. Exponentielles Wachstum und Windmühlen stoßen natürlich beizeiten an eine physikalische Grenze, und die ist erreicht. Die Grenzen der Stomversorgung sind die Windräder, die eigentlich nur laufen, weil die Betreiber die Fördergelder kassieren. Der Spiegel schrieb darüber, 25.000 werden bis 2025 abgeschaltet, weil die Fördergelder auslaufen. Wir hätten genug Strom für alle Haushalte und die Industrie, würde das Internet abgeschaltet. Nach dem Gesetz der Marktwirtschaft wird das knappe Gut natürlich teurer. Aber die Altparteien sind geradezu versessen auf die Digitalisiserung und manche Partei reitet nur auf diesem Pferd ins Parlament, weil man damit am wenigsten falsch machen kann. Und dann sind da noch die 830.000 Tonnen CO2, welche das deutsche Internet emitiert. Jetzt versuchen die tatsächlich, alles andere mit Strafzöllen zu regulieren, nur um das Internet betreiben zu können. Die Scholzens und Habecks und Linderners wissen um die Gefahren von CO2 und die Menge, weil sie ja selber die Verträge unterschrieben haben!

Claudia Meier / 10.12.2022

Ich hoffe schon seit Monaten auf einen baldigen vierzwehntägigen Black Out ! Nur so werfen die deutschen Schalf- und Dumm-Michel wach, und die Irren Energiewender werden als das sichtbar was sie sind, als Irre. Dann ist kein Verstecken unter den Deckmäntelchen des nicht Wissen mehr möglich. Kollateralschäden wird es geben, die sind dabei wohl unvermeidlich. Doch wird es diese auch ohne Black Out geben, nur eben zögerlicherer, verschleierter und damit nur schwer dieser verfehlten Energiepolitik der letzten 11 Jahre zuordnenbar. Daher Licht aus, mit Wums, und nix und nirgends geht irgendwas mehr.

Ingo kleymann / 10.12.2022

Es geht immer weiter den Bach runter. In 3-4 jahren ist Deutschland dem finanziellen Bankrott nahe.

Ilona Grimm / 10.12.2022

@RMPetersen: Zitat - »Kein StS, Kein Minister wird glasklare Gegenäusserungen einfach wegwischen und das Gegenteil verkünden. Es liegt an den Referatsleitern und den Abteilungsleitern, Rückgrat zu zeigen und…«—Nun, Herr oder Frau RMPetersen, haben Sie noch nichts von Stephan Kohn gehört? Der Mann war Oberregierungsrat unter Bundesinnenminister Horst Seehofer und bewies nicht nur Verstand, sondern auch jede Menge Rückgrat, indem er eine Analyse des Referats KM4 („200507 Auswertungsbericht“) mit dem Fazit „gravierende Fehlleistungen des Krisenmanagements“, „Defizite im Regelungsrahmen“, „Corona-Krise erweist sich wohl als Fehlalarm“ erstellte und intern verteilte. UND DAFÜR PROMPT VON SEEHOFER GESCHASST WURDE. Seinen Beamtenstatus hat Stephan Kohn verloren – und seinen guten Ruf als pflichtbewusster Beamter ebenfalls. Wie es um seine Gesundheit bestellt ist, weiß ich nicht. Die Achse hat am 12.05.2020 das komplette Papier zum Download angeboten: „Dossier: Das Corona-Papier komplett zum Download“ - - PS: Ich fordere die vollständige Rehabilitierung von Stephan Kohn und Wiedereinsetzung in ein gleich- oder besser besoldetes Amt. Alle seine Befunden erwiesen sich als richtig.

Friedrich Richter / 10.12.2022

@A.Ostrovsky: Ich verstehe nicht - wobei hätten Sie denn gern auf Frankreich gezählt? Beim Meistern der deutschen Energiewende? Deutschland hat keinen Anspruch auf irgendeine europäische Hilfe bei der Umsetzung dieses “grossen Sprungs nach vorn”. Im Gegenteil - ich bin sehr dafür, dass sich die europäischen Staaten vor den Auswirkungen dieser autoaggressiven Politik schützen, denn in einer so vernetzten Welt ist das keine innere Angelegenheit Deutschlands. Ich bin in Frankreich mit meiner elektrischen Heizung, gelegentlich unterstützt durch einige gemütlich knisternde Holzscheite im Kaminofen, sehr zufrieden, und ich will nicht für Deutschland frieren.

J. Harms / 10.12.2022

@Wilfried Cremer… besser kann man es nicht ausdrücken! Beide Daumen hoch!

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