Thilo Sarrazin / 04.06.2019 / 06:25 / Foto: achgut.com / 116 / Seite ausdrucken

Wenn ich SPD-Parteivorsitzender wäre…

Eine Volkspartei muss „Vollsortimenter“ sein. Sie kann sich nicht auf bestimmte Politikfelder konzentrieren und andere brachliegen lassen. Darum muss sie Personal, Wissen und Expertise auf allen Feldern der Politik vorhalten, auch dort, wo es, wie z. B. bei Wirtschaft und Finanzen, nicht von Herzen kommt und vielleicht auch große Teile der eigenen Klientel nicht interessiert.

Ein Volkspartei muss sich an der Welt orientieren, wie sie ist, und nicht an Wunschgebilden. So wäre es interessant gewesen, von Kevin Kühnert zu erfahren, wie er sich die Beseitigung der Wohnungslücke in Berlin vorstellt, oder welche Vorschläge er hat, um die deutsche Autoproduktion CO2-frei umzustellen. Stattdessen hat er die SPD mit der Forderung nach Verstaatlichung von Wohnungskonzernen und von BMW lächerlich gemacht. Damit tingelte er im Vorfeld der Europa-Wahl durch alle Talkshows, und die Ordnungsrufe aus der Parteispitze blieben milde. Inkompetenz kann man wirksamer nicht anschaulich machen.

Eine Volkspartei muss Antworten haben auf die Fragen, die die Menschen am meisten bewegen. Das ist in Deutschland der Umgang mit Migration und der Umgang mit dem Klimawandel. Auf beiden Gebieten ist bei der SPD Fehlanzeige:

Die SPD müsste konkret vorführen, wie denn die überaus ehrgeizigen CO2-Ziele erreicht und gleichzeitig Arbeitsplätze in der Chemie, der Autoindustrie, dem Maschinenbau et cetera gesichert werden können. Stattdessen kommt die SPD-Umweltministerin mit einem idiotischen Klimaschutzgesetz, in dem Sektorziele vorgegeben werden sollen, ohne dass jemand die Sektoren sinnvoll miteinander abgleichen kann und ohne dass jemand eine Idee hat, wie man Sektorziele durchsetzen soll und in einer Marktwirtschaft durchsetzen kann.

Beispiel Verkehr: Der Fernpendler aus dem Hunsrück nach Frankfurt fährt mit seinem alten Diesel (Verbrauch 6 Liter auf 100 Kilometer) jeden Tag 40 Kilometer hin und zurück nach Frankfurt, zusammen 80 Kilometer. Nur mit dem Auto geht das in angemessener Zeit. Soll er künftig nur noch die halbe Strecke fahren, soll er umziehen, spendiert ihm der Staat ein Elektro-Auto? Das betrifft so oder in ähnlicher Form Millionen Arbeitnehmer. Wo bleiben die Ideen und die Antworten der Politik? Aus dem SPD-geführten Bundesumweltministerium kommen sie offenbar nicht.

Eine völlige Leerstelle

Eine völlige Leerstelle ist die Migration. Nicht einmal die vollziehbaren Abschiebungen werden bundesweit bewältigt. Hier versagen Union und SPD gleichermaßen. Millionen Wähler sind zur AfD oder in die Stimmenthaltung abgewandert und können erst wiedergewonnen werden, wenn die Politik der Volksparteien konkrete Ideen zum künftigen Umgang mit dem Thema entwickelt.

Nur ein Beispiel aus Absurdistan: Der Berliner Innensenator Geisel (SPD) hat gerade zugestanden, dass alle Betroffenen, die in Berliner Unterkünften auf Abschiebung warten, über den konkretenTermin vorgewarnt werden müssen (damit sie rechtzeitig untertauchen können). In Berlin leben gegenwärtig 56.000 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber. 12.200 von ihnen sind ausreisepflichtig, und im letzten Jahr gab es 1.182 Abschiebungen. Wer diese heutige Nachricht im Berliner Tagesspiegel las, muss am Verstand oder an der Ernsthaftigkeit der zuständigen Politiker zweifeln.

Gerade die typische Klientel der SPD ist jene Gruppe, die unter ungesteuerter oder fehlgesteuerter Migration am meisten leidet. Diese Gruppe wird von der Führung und vom Funktionärskörper weitgehend ausgeblendet. Die SPD lässt ihre ehemaligen Stammwähler dort alleine, wo sie am nötigsten gebraucht würde.

Kein Stammwähler braucht dagegen eine „Respektrente“. Die SPD erfindet soziale Bedürfnisse, die kaum jemanden interessieren. Sie entfremdet sich durch falsch verstandene Umverteilung von den mit Abgaben hoch belasteten Facharbeitern, und bei allen wirklich wichtigen Zukunftsfragen verweigert sie konsequent die Antwort. Wie will man da für Wähler attraktiv werden?

An den Lebensproblemen der breiten Schichten vorbei

Attraktiv wird man, indem man dort an Konzepten und Lösungen arbeitet, wo Millionen Ängste und existenzielle Interessen haben. Stattdessen behandelt man Themen, die allenfalls kosmopolitische Eliten interessieren und am Bewusstsein und den Lebensproblemen der breiten Schichten weitgehend vorbei gehen.

Ein anderes Problem, für das Andrea Nahles nichts kann, besteht natürlich auch. Wer eine Partei führt, muss zwar weder ein Charmebolzen sein noch sonderlich gut aussehen. Beides hat im Fall von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder der Partei aber auch nicht geschadet. Gerade wer aus einer Minderheitenposition kommt, ist auf ein gewisses Charisma des Spitzenpersonals besonders angewiesen. Was das bewirken kann, zeigen gegenwärtig die Grünen.

Das alles würde ich ändern, wenn ich SPD-Parteivorsitzender wäre. Ich wüsste also, was zu tun wäre. Nur an Jugend, Schönheit und Charisma müsste ich noch arbeiten.

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tho Pesch Markus / 04.06.2019

Soweit überwiegend richtig. Allerdings sollte hinsichtlich Klimawandel erstmal versucht werden, die menschengemachte Komponente zu beweisen (nicht möglich da irrelevant). Es sollte naturwissenschaftlich eindeutig die Panikmache und die damit verbundene Geldvernichtung für jeden klargemacht werden. Für das bisschen Klimawandel, was es immer gibt, sollten dann die Gelder eingesetzt werden, die man bisher für Windmühlen, Batterien ö.ä. rausgeschmissen hat. Auch Sarazzin fällt hier in die Falle des nicht wirklich wichtigen “Klimawandels”.

Ilona G. Grimm / 04.06.2019

Lassen Sie es gut sein, Herr Sarrazin; im SPD-Milieu hört eh niemand auf Sie, wie die Reaktion auf Ihre Bücher beweist. Wer vor lauter ideologischer/gutmenschenlnder Verblendung die rauhe Wirklichkeit nicht sieht (oder sehen will), hat verdient, in Bedeutungslosigkeit zu versinken. Warum gehen Sie nicht zur AfD? Sie könnten Herrn Gauland ersetzen, vor dem ich mich seit dem „Vogelschiss“ ein wenig fürchte. In Sachen Charisma können Sie es locker mit ihm aufnehmen und ein paar Jahre jünger sind Sie auch. Was sonst evtl. noch fehlt, kann Frau Weidel ausgleichen.

Frank Torzinski / 04.06.2019

Herr Sarrazin, was haben der 6 Liter Diesel und das CO2 mit dem Klima zu tun? Die Klimaangst wird von den Medien geschürt und von den Politikern übernommen und weiter getrieben. Sie sind doch sonst so tiefschürfend wissenschaftlich und hier übernehmen Sie Fakepositionen? Da bin ich glatt enttäuscht. Und nein, zu irgendeiner Blockpartei holt mich niemand mehr zurück. Die sind unwählbar und bleiben es.

Nico Schmidt / 04.06.2019

Sehr geehrter Herr Sarrazin, wenn Sie den Vorsitz in der SPD übernehmen, wähle ich SPD. Versprochen. MFG Nico Schmidt

Thomas Müller / 04.06.2019

[Fortsetzung der Überschrift] ... dann wäre es eine ernsthafte Überlegung, der SPD wieder die Stimme zu geben. PS Ihre spröde Art macht sie für mich sogar sympathischer, weil ich diesen Soja-Latte-Lifestyle-Bienchen-FDP-Poptrash mittlerweile verachte!

Gerhard Döring / 04.06.2019

Und wenn Sie es dann alles gerichtet haben müssen die Medien aber entscheiden wie weit diese mit den genannten unliebsamen Themen einverstanden sind.Dann geht alles von vorn los,wollen Sie das?Nein,die SPD hat versagt!Und nun nochmal:Hard Times Come Again

Bernd Ackermann / 04.06.2019

Nicht nur die Themen und Lösungen müssten bei der SPD erneuert werden, auch das Personal muss man komplett austauschen. Wie will man denn mit Maßanzug-Maas, Kommunisten-Kühnert oder der Berliner Staatssekretärin für Astrologie und außerirdische Befindlichkeiten einen Blumentopf gewinnen? Aber wenn ich es mir recht überlege….selbst dann würde ich die Partei nicht wieder wählen. Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me.

Frank Stricker / 04.06.2019

Lieber Herr Sarrazin , an Charisma mangelt es ihnen sicherlich nicht , das war wohl einer der seltenen Momente von Ironie bei ihnen !  Doch Sie würden ihre Kräfte und ihren Intellekt für die falsche Partei opfern. Die SPD ist bereits soweit von der Realität abgedriftet , da hilft auch kein Beten mehr. Wie erschreckend dünn auch die Personaldecke bei der SPD ist , zeigt die Berufung von Schäfer-Gümbel in den vorläufigen Vorstand. Im Fußball nennt man solche Personen “Ergänzungsspieler”. Die kommen dann zum Einsatz , wenn die Stammspieler verletzt sind , oder einfach keine Lust haben. SPD und CDU umklammern sich wie zwei Ertrinkende und ziehen sich selbst in den Abgrund. Zusammen kommt die GroKo gerade mal noch auf 38% . Das mag in Nordkorea oder Simbawe funktionieren , aber nicht in einer Demokratie.

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