Thilo Schneider / 08.08.2018 / 14:30 / Foto: Pixabay / 14 / Seite ausdrucken

Wenn die Elfe Gummi gibt

Früher, in der guten alten Zeit, in der der Mensch noch im Einklang mit der Natur lebte und sich als Teil der Schöpfung verstand, da lebte es sich irgendwie – leichter. Wenn die Kühe BSE bekamen oder das Wetter zu sonnig oder zu regnerisch war, dann war das nicht die Schuld des Westens, sondern einer Hexe, die sich dann relativ leicht enttarnen ließ. So zum Beispiel bei der „Wasserprobe“: Man warf die Hexe ins Wasser und weil Wasser unreine Körper abstößt, war klar, dass, wenn die betreffende Person nicht unterging, sie schuldig war und verbrannt werden musste. Schade. Ging sie hingegen unter, war sie zwar unschuldig, aber ertrunken. Auch doof.

Irgendwann kamen dann ein paar – heute würde man sagen: „Experten“ – auf die Idee, dass diese Art der Schuldigensuche nicht so richtig effektiv und fair ist, lachten die durchaus engagierten und beruflich hochqualifizierten Hexenjäger aus und mit der letzten Hexenverbrennung 1793 starb dieser liebenswerte Brauch aus. Zumindest dachte ich Naivling so. Wenngleich es auf den Dörfern oder in Städten gelegentlich noch einzelne charmante Ausrutscher gab, so war sich die moderne Gesellschaft doch einig, dass sich die heutigen Dämonen nicht mehr Belzebub und Baal, sondern „Klimawandel“ und „Rechtspopulismus“ nennen. Der hochmoderne und beruflich hochqualifizierte Hexenjäger klagt heute per Internet und Fernsehen an und der Angeklagte wird an den medialen Pranger gestellt, allerdings ist es da egal, ob er untergeht oder nicht, schuldig ist er in jedem Fall.

Der gute alte Naturglaube wurde in Teeniezeitschriften oder politische Splitterparteien zurückgedrängt, bis – ja bis es auf der A2 zwischen Lehrte und Braunschweig zu häufigen Unfällen kam. Nun würde jetzt ein kalter Rationalist, der wie ich so gar keine Bindung mehr an die spirituellen Heilkräfte unserer Urmutter Gaia hat, vermuten, dass hier vielleicht die Autobahn blöd gebaut ist, oder der Straßenbelag schlecht ist, die Fahrzeuge zu schnell oder zu langsam fahren oder die Sonne gleißt. Also, wäre so meine Idee…

Nachdem ich aber auch in einem Land lebe, in dem es eine Teilmenge an mündigen Wählern und Bürgern gibt, die Hitze nicht auf Sonne, sondern eine Fingerhutmenge CO2 schiebt, hätte mich die Meldung, dass die „niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr“ wirklich so gar keine Unfallursachen außer Betracht lässt, nicht verblüffen sollen. Die Behörde ist nämlich mit einer – allerdings selbsternannten – „Elfenbeauftragten“ (die im ersten Leben eine schlichte Friseurin war) losgezogen und hat erforscht, was das energetische Problem an den Unfallschwerpunkten sein könnte.

Je „verhaltensorigineller“, desto mehr mediale Präsenz

Gut, wir haben Sommerloch, da schwimmt auch jedes Jahr ein Krokodil im Baggersee herum oder wird jeder Özil rassistisch angegangen. Das Problem im Jahr 2018 ist jedoch, dass derartige Ideen nicht mehr einfach als „absurd“ weggelacht werden. Nein, jeder offensichtlich Behämmerte hat das Recht, in seinem Wahn wertschätzend und respektvoll ernst genommen zu werden. Ob es nun eine ehemalige Gehirnfritteuse oder eine ehemalige Managerin der Band „Ton, Steine, Scherben“ oder ein Vogelschisser ist. Die eine sieht eben Elfen, die andere „Facharbeiter“ und „Familien mit Kindern“ und „Rechtspopulisten“, wo keine sind. Es ist egal. Und niemand – wirklich niemand – hält diese Gehirnakrobaten auf, nimmt sie vielleicht sogar fürsorglich an der Hand und übergibt sie pflegenden Händen. Nein, im Gegenteil, je „verhaltensorigineller“, desto mehr mediale Präsenz und desto mehr ebenfalls Durchgeknallte, die ein „ja, klingt für mich logisch und schlüssig“ vor sich hin hauchen. 

Auf jeden Fall hat die eigentlich bedauernswerte Melanie gemeinsam mit einer weiteren spirituellen Freundin der Geister, der „Tierkommunikatorin Marion Lindhof“, die seit 25 Jahren mit und von ihrem Pferd erzählt, die A2 an fünf Stellen (an denen die Straßenbaumeisterei bei dieser Gelegenheit zusätzlich profane Wildfangzäune errichtet hat) „energetisch versiegelt“, und ich möchte tatsächlich nicht wirklich wissen, wie und womit die beiden beruflich hochqualifizierten Energietechnikerinnen das gemacht haben. Jedenfalls werden harmlose Autofahrer künftig nicht mehr von beleidigten Elfen und halbstarken Wildschweinen belästigt werden und wenn die Claudia-Elfe der Herzen das auch mit „Facharbeitern“ und „Familien mit Kindern“ hinbringen würde, dann würde ich auch nichts gesagt haben wollen.

Außerdem gibt es in Island, das um ein Haar an einem Staatsbankrott vorbeigeschlittert ist, ja auch einen Beauftragten für Trollfragen, und viele deutsche Behörden haben heute für phantastische Wesen auch Gender-Beauftragte eingestellt. Da haben Melanie und Marion auch das Recht, für „energetisches Versiegeln gegen Naturwesen“ wenigstens Anerkennung, wenn nicht gar einen kleinen Scheck für den Energieausgleich zu bekommen. Und bisher ist ja auch nicht bewiesen, dass es Hexen und Elfen NICHT gibt! Also dürfte ich mich eigentlich auch nicht wundern.   

Stattdessen sitze ich einfach nur auf meinem aus Atomen energetisch aufgeladenen Stuhl aus heiligem indischen Elefantendung (gabs bei Astro-TV für lächerliche 199 Euro), umschwirrt von Fliegen, Elfen und diesen niedlichen kleinen Einhornpegasi und frage mich, ob zuerst die Gesellschaft oder ich den Verstand verliere. Aber ich glaube, die Gesellschaft liegt vorne. 

PS: Inzwischen fiel das niedersächsische Verkehrsministerium den Trollen schwer in den Rücken, man hatte offenbar vergessen, es energetisch zu versiegeln.

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Bargel,Heiner / 08.08.2018

Da hat die niedersächsische Behörde den ersten zaghaften Versuch der Frauenförderung im Straßenbau unternommen und Sie ziehen so drüber her! Herr Schneider, so geht das nicht! :-))

M.Friedland / 08.08.2018

Finde ich eher harmlos. Diese kleine Krümmung der Rationalität richtet doch keinen Schaden an und ist offenbar auch sehr kostengünstig. Also..warum nicht. Im übrigen: Wissenschaft (jedenfalls in deren “harten” Versionen) verlangt Evidenz, also erstmal kucken, ob es was nützt.

Wilhelm Lohmar / 08.08.2018

Der Vorgang bietet ungeahnte Möglichkeiten für das deutsche Planungsrecht. Demnächst müssen die Verwaltungsgerichte bei Einsprüchen gegen eine Planfeststellung die Belastbarkeit des Gutachtens eines Rutengängers prüfen.

Reinhard Schilde / 08.08.2018

Unglaublich, was einem so im Sommerloch an Nachrichten geboten wird. Die Hitze fordert anscheinend erste Opfer. Werde mich, sobald es etwas etwas kühler geworden ist, auf meinen Nimbus 2000 setzen, die entsprechenden Flächen entlang der A2 abfliegen und kontrollieren, ob auch fachgerecht “energetisch versiegelt” wurde. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Versprochen.

Alexander Simler / 08.08.2018

In einem Land in dem Gender Studies inzwischen Teil der Hochschullandschaft geworden sind, fallen ja Elfenbeauftragte auch nicht mehr so auf. Dass die Medienwelt in diesem Fall gesunde Skepsis walten lässt erstaunt ja fast. Aber vielleicht ist das auch nur eine Frage der Zeit. Spätestens dann wenn Mystische- und Interdimensionale Kommunikation auf dem Lehrplan steht und die Grünen mit dem alljährlichen Windradbrand den Sommer einläuten.

B.Kröger / 08.08.2018

Wenn die Idee wenigstens noch originell gewesen wäre, aber auf Island die Ideen von Trollen und Feen klauen, reicht nun wirklich nicht, nicht mal im Sommerloch.

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