Eugen Sorg, Gastautor / 20.03.2021 / 10:00 / Foto: ZooFari / 64 / Seite ausdrucken

Weiß sein, heißt schuldig sein

Vor einem Vierteljahrhundert druckte The Observer, die Zeitung der renommierten Notre-Dame-Universität in Indiana, den offenen Brief einer jungen afroamerikanischen Geschichts-Studentin ab. Diese setzte darin den Entdecker „Columbus“ mit „Hitler“ gleich, bezeichnete die weißen Siedler Amerikas als „teuflische Barbaren“ und beschuldigte „die weiße Rasse“ in toto als „größten Mörder, Vergewaltiger, Plünderer und Dieb der modernen Welt.“

Und bis heute, schrieb sie weiter, würden „die Nachkommen dieser Primitivlinge Drogen und Gewehre in die Schwarze Gemeinschaft pumpen, Schwarze Menschen in den Schmutz urbaner Ghettos verbannen und fortfahren, als Blutsauger in unserer Community zu agieren.“ 

Außer in linksradikalen Universitätsmilieus oder im Umkreis der Sekte „Nation of Islam“ des schwarz-rassistischen Antisemiten und Gaddafi-Anhängers Louis Farrakhan wäre die Position der Studentin zum Zeitpunkt der Publikation von den meisten Amerikanern als überspannt, extremistisch, unwahr abgelehnt worden. Fünfundzwanzig Jahre später zeigt sich ein völlig verändertes Bild.

Unter der Firmierung critical race theory (Kritische Rassen-Theorie) hat sich die Auffassung der Notre-Dame-Studentin bei den politischen, akademischen, kulturellen und technologischen Eliten durchgesetzt und einen hysterisch eifernden Aktivismus gegen den angeblich „strukturellen“ oder „systemischen“ Rassismus des Landes entfacht. 

Wie in der paranoiden McCarthy-Ära 

Denkmäler werden zerstört, Filmklassiker wie „Vom Winde verweht“ aus dem Verkehr gezogen, Bibliotheken gesäubert, auch wenn es sich bei den entsorgten Büchern um Weltliteratur handelt, verfasst von Autoren wie Homer, Shakespeare, F. Scott Fitzgerald, Mark Twain, William Golding. Wie in der paranoiden McCarthy-Ära, als unter jedem Bett ein Kommunist vermutet wurde, lauert heute der Rassismus überall. In Coca-Cola, im Würfelspiel Monopoly, in der Mathematik, die mit ihrer Forderung nach Präzision und Gesetzmäßigkeit als typisch weiß oder westlich, also rassistisch denunziert wird. Und vor allem steckt er in den Köpfen und Herzen der Weißen. 

Schulen, Universitäten, staatliche Behörden, Großkonzerne bieten ihre Angestellten zu Diversitäts-Workshops und Sensibilisierungs-Seminaren auf. Die (weißen) Teilnehmer werden angeleitet, ihre weißen Privilegien, ihre weiße Vorherrschaft, ihren weißen Rassismus anzuerkennen, um in weiteren Schritten ihre weiße Identität aufzugeben, „abolish whiteness", und schließlich die Solidarität mit ihren weißen Rassengenossen aufzukünden. Sollte ein Teilnehmer den Mut haben, sich dieser Nacherziehung zur Selbstauflösung zu verweigern, so liefert er erst recht den Beweis für die Persistenz des weißen Herrschaftswahns. Er riskiert soziale Ächtung und beruflichen Ruin. Weiß-Sein heißt schuldig sein.      

Das intellektuelle Zentralkomitee der nationalen Transformation ist die New York Times. Im vorletzten Jahr lancierte sie das „1619 Project“, ein Unterfangen, das die Geschichte des Landes neu schreiben will. Nicht die welterschütternde Unabhängigkeitserklärung von 1776, „alle Menschen sind gleich geschaffen“, markiere die Geburt der Nation, so die These von Nikole Hannah-Jones, der Initiantin des Times-„Project“, sondern die Ankunft des ersten Sklavenschiffes aus Afrika im Jahre 1619 an der Küste von Virginia. Dieses Ereignis sei der „wahre Gründungsakt“ Amerikas, der, „getrieben von anti-schwarzem Rassismus“ ein bis heute wirksames „brutales System der Sklaverei schuf, wie es die Welt noch nie gesehen hatte“. 

Hannah-Jones, hoch dekorierte Journalistin, ist jene Frau, die als junge Studentin vor fünfundzwanzig Jahren den offenen Brief an den Observer geschrieben hatte. Ihre Grundideen über die „weiße Rasse“ sind immer noch die selben, aber sie sind zum Mainstream geworden. Nur so ist erklärbar, dass ihre einseitigen, pauschalisierenden und fehlerhaften Aussagen über die amerikanische Sklaverei kaum kritisiert, sondern sogar mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurden.

Sklaven waren die globale Währung

Hannah-Jones’ Behauptung von der Einzigartigkeit des amerikanischen Sklavenwesens verschweigt die Tatsache, dass Sklaverei die längste Zeit der Menschheitsgeschichte eine quasi naturgegebene Einrichtung war und Sklaven wahrscheinlich die erste globale Währung bildeten. Die meisten Gesellschaften auf allen Kontinenten hielten Sklaven. Chinesen versklavten Türken, Koreaner, Perser, Indonesier – und heute Uiguren. Mayas und Azteken waren Sklavenhalter. Araber jagten Afrikaner, lange bevor die Europäer den schwarzen Kontinent heimsuchten.

Afrikanische Häuptlinge und Händler wurden reich durch den Verkauf ihrer afrikanischen Zeitgenossen. Irische Stämme versklavten andere weiße Stämme auf der britischen Insel, wurden später selber von den Wikingern versklavt, welche auch mit slawischen Unterworfenen handelten, die später ihrerseits die untergehenden Wikinger und die ehemaligen griechischen Sklavenhalter versklavten.

Und zur selben Zeit, als das erste Schiff mit afrikanischen Sklaven vor der Küste Virginias auftauchte, florierte der Sklavenmarkt im nordafrikanischen Algier mit frischer europäischer Menschenware. Über eine Million Spanier, Italiener, Engländer, Franzosen sollen die arabo-muslimischen Sklavenjäger zwischen 1530 und 1780 verschleppt und verkauft haben. Der Bekannteste von ihnen war der Schriftsteller Cervantes, Schöpfer des Weltromans Don Quijote, der fünf Jahre in Sklaverei lebte, bis er vom Orden der Trinitarier freigekauft wurde.    

Unsäglich brutal war das Leben für alle. Einer der frühesten bekannten Gesetzestexte, der rund viertausend Jahre alte Codex Hammurabi aus Babylon, schreibt fest, dass ungehörigen Sklaven die Ohren abgeschnitten und Fluchthelfer getötet werden sollen. Sklaverei war über Jahrtausende keine Frage der Moral und keine der Hautfarbe oder „Rasse“, sondern eine pragmatische Frage der Macht. Sklaven hielten sich jene, die stark genug waren, welche zu beschaffen. Und wer keine hielt, war nicht edel, sondern zu schwach dazu. 

Kategorischer Widerstand gegen diese Praxis erwachte erst sehr spät. 1775 wurde in Philadelphia die erste Anti-Sklaverei-Gesellschaft der Welt ins Leben gerufen. Die Gründer waren Mennoniten und Quäker, evangelikal-christliche Amerikaner, Angehörige jener nach den Worten von Hannah-Jones „weißen Rasse“, dem angeblich „größten Mörder, Vergewaltiger, Plünderer und Dieb der modernen Welt.“  

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche   

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Leserpost

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Lutz Herrmann / 20.03.2021

Sollen halt kein Geld mehr von weißen, blauäugigen Teufeln mehr annehmen oder zurück nach Zamunda übersiedeln. Immer dieses eierlose Geflenne. Ohne die Weißen hätte es Kunta Kinte doch nie auf die Sternenflottenakademie geschafft. Oder Obama ins White House.

Uwe Schäfer / 20.03.2021

Das Schlimme ist nicht, dass gestörte Verdreher der Wahrheit, das je nach Gusto tun. Das Schlimme ist, dass sich die Lügen aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen, in den Köpfen der meisten Leute als Wahrheit festsetzen. Da lobe ich mir alte Bücher, die man noch frei und oft günstig erwerben kann. Wenn man nicht zu faul ist kann man dort dann die sozusagen wahre Wahrheit finden.

Alexander Damaskinos / 20.03.2021

Das Problem sind nicht solche Spinner wie Hannah-Jones, sondern die Wähler der Parteien, die ihre Ideen umsetzen. In den USA haben sie doch eben erst Trump abgewählt. Da kann ich nur sagen:“Glückwunsch! Ihr habt es so bestellt. Kein Mitleid”.

Markus Baumann / 20.03.2021

Beim Analysieren der Aussagen oder besser: den Glaubenssätzen all der anti-Bewegungen (anti-weiss, anti-nations, anti-borders, anti-capitalism, antis-system) fällt mir das vollständige Fehlen der Fähigkeit zum historischen Denken auf. Bestes Beispiel: die Reduzierung „Der Sklaverei“ auf ein „weisses Problem“. Weiss man um die Welt-Geschichte der Sklaverei, ist deren Reduzierung auf „ein weisses Problem“ eine Ungeheuerlichkeit, eine zum Zweck der Manipulation der unwissenden Masse gezielt eingesetzte Versimplifizierung, ja Fälschung der Wahrheit. Wo bleibt da der Aufschrei der Historiker, die Bescheid wissen und diese Manipulation entlarven könnten? Hinter all den Anti-Narrativen ist ein Abgrund von Unwissenheit sichtbar, dem noch die Unfähigkeit zur Reflexion der eigenen Position zugesellt ist. Wir leben in einem Zeitalter, wo säkulare Glaubenssysteme nach Gutdünken aus „Geschichts- und Wirtschaftswissen“ zusammengebastelt werden und via emotionaler Haltungsmoral verbreitet und verbindlich erklärt werden. Wer dem nicht folgt, gehört zu den weissen Idioten, den Nationalismus-Iditoten, den Grenz-Idioten, den Kapitalismus-Idioten, den System-Idioten - zusammengefasst: zu den rechtsextremen Nazi-Idioten. Als Historiker mit einer Ausbildung „der alten Schule“ bereitet mir die Entwicklung zur eifernden Glaubens-Gesellschaft auf der Grundlage von Nichtwissen grosse Sorge.

Andreas Rühl / 20.03.2021

Um es ganz deutlich zu sagen: Es gab ÜBERHAUPT keine einzige Kultur ohne Sklaven. Die erste und bislang letzte Kultur, die die Sklaverei abgeschafft hat, war die christlich europäische, also die der “weißen” Völker. Ohne die Kultur der “weißen” Völker würde bis zum heutigen Tage niemand etwas dabei finden, dass Menschen, die Schulden haben, in die “Schuldknechtschaft” müssen (was meint: Sklaverei. Auch viele Europäer traf dieses Schicksal, wie zum Beispiel einen französischen Arzt, der in die Karibik verkauft wurde und schließlich bei Blackbeard anheuerte und Pirat wurde). Oder dass die Bevölkerung einer Stadt oder eines Landes (Karthago! Israel!) versklavt wird, weil ein Krieg verloren wurde. Um es noch deutlicher zu sagen: Bis die Idee, dass es eine Welt ohne Sklaverei gäbe, gedacht werden konnte, gab es nicht nur Sklaven, sondern es waren sogar fast alle Menschen Sklaven. Die Freiheit war die seltene Ausnahme. Und sie ist es bis heute in gewisser Weise. Zu verdanken haben wir den Durchbruch der Idee, dass alle Menschen frei geboren sind und unveräußerliche Rechte haben, den Gründern der USA. Ich grübele seit einer Weile darüber nach, wie dieses “Missverständnis” entstehen konnte, diese komplette Verdrehung der Tatsachen. Ohne bösen Willen kommt man nicht zu diesen grotesken Ergebnissen der BLM “Bewegung”. Dummheit und Unwissenheit allein genügt nicht. Dahinter stecken finstere, ja kriminelle Motive, es geht um die Errichtung eines totalitären Regimes, es geht um die Wieder-Einführung der Sklaverei.

Andreas Bayer / 20.03.2021

Die Mathematik ist nicht nur weiß und westlich, sondern zu allem Überfluss auch noch toxisch männlich! Hier findet das ehemals schöne Geschlecht eine wunderbare Rechtfertigung für seine Angewohnheit, einen großen Bogen um die MINT- Fächer zu machen und doch lieber empörungs- und geschwätzigkeitsaffine Studiengänge zu besetzen. Gepaart mit entsprechenden Quotenregelungen wird uns das eine weibliche Elite bescheren, die zwar Kraftwerke weder ein - noch ausschalten kann, die dafür das Volk aber quartalsmäßig mit noch schöneren Bezeichnungen für piepl of Koller verwöhnen wird.

dr. michael kubina / 20.03.2021

” Mennoniten und Quäker, evangelikal-christliche Amerikaner” - sektiererische religiöse Eiferer, wie heute ... und unter ihnen, für diese Zeit, schon erstaunlich viele Frauen ...

Volker Kleinophorst / 20.03.2021

Und da sagt man, Scheiße läuft nicht bergauf. Wenn Geld schiebt, ist alles möglich.

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