Warum die Leute heute immer „sehr-sehr“ sagen

Heute sagt man in jedem zweiten Satz „sehr-sehr“ „ganz-ganz“. Etwa so: „Gestern war es sehr-sehr heiß.“ Oder „Gestern hat es ganz-ganz viel geregnet.“ Warum machen die Leute das? 

Begann das Ganze vielleicht mit H.P. Baxxters Hyper-Hyper? Das war 1994. Baxxter gehörte zur Dance- und EDM-Band Scooter und forderte in seinem Sprechgesang das Publikum auf, angesichts der unglaublichen Energie von Scooter ins Schwitzen zu geraten und die Arme in den Himmel zu heben. Mehr bedeutete das Hyper damals nicht. Im alltäglichen Sprechverhalten in den 1990er Jahren war etwas anderes in Mode: Man hängte an jeden Satz zwanghaft ein „...sag ich mal“ an: „Gestern war es sehr heiß, sag ich mal.“ Man sagte alles bloß mal probeweise und relativierte damit, was man sagte. 

Das ist heute anders. Man ist nicht mehr bereit, der Gesagte schnell wieder zurückzunehmen. Man zeigt im Gegenteil, dass man alles für äußerst wichtig hält. Neulich sagte eine Köchin in einer Fernseh-Kochsendung, ihre Erbsensuppe, in die sie gerade ein Paprika-Gewürz kippte, werde „wunder-wunderbar". So wird vieles allein durch Sprache hochbedeutsam. Man kann dieses Sprechverhalten für kindisch halten. Oder für den Erzählstil einer Märchentante, die das dumme Kind zum Staunen bringen möchte. Aber vielleicht steckt in diesem kindischen Getue ein gesellschaftlicher Trend: der naive Glaube, dass es in der realen Welt wirklich gewaltige Superlative gibt. 

Superlative als absolute Macht wurden früher von Gott und Teufel verkörpert. Auch das ist heute anders. Heute steuern nicht mehr Gott und Teufel die Superlative. Heute glaubt man an die Allmacht des Menschen selbst. Dabei kann in diesem Glauben der Mensch sowohl Teufel als auch Gott sein. Zum Beispiel bei dem, was man heute „Klimakatastrophenkommunikation“ nennt. 

Als Teufelmensch hat er die unglaubliche Super-Energie, die Erderhitzung zu verursachen, so stark, dass „der Planet brennt“. Jeder Waldbrand, in Australien von Blitzen, in Griechenland von Brandstiftern verursacht, wird im Fernsehen zum Höllenfeuer der „Klimakatastrophe“. Nach dem Glauben an den Teufelmenschen ist die Erderwärmung keine Folge veränderter Sonnenwind-Strahlung oder der Verschiebung der Erdachse. Nein, das ist „menschengemacht“. Aber nicht vom Menschen als Brandstifter, sondern vom Teufelmenschen, der das Auto samt CO2 erfand. Der Teufelmensch beging auch die alte Erbsünde des Fleischlichen, durch das Essen von Hamburgern und deshalb das Züchten von Rindern, die via Flatulenz gigantische Mengen Methangas in den Äther sandten. Das stinkt höllisch zum Himmel.

Aber als Gottmensch ist der Mensch dann doch in der Lage, den menschengemachten Schrecken mittels einer ganz-ganz gewaltigen Menschen-Energie wieder aufzuheben, zum Beispiel indem alle Deutschen Vegetarier werden, Fahrrad fahren und statt in den Urlaub einfach zu fliegen, sich in überlastete Züge quetschen, mehrfaches Umsteigen und damit auch endlose Fahrzeiten in Kauf nehmen. Denn: „Wir haben nur einen Planeten!“ Und: „Beim Klimaschutz [...] geht es um die Existenz der Menschheit!“ (Ingrid Felipe. DB Netz AG. In Cicero, 11.2023: 24) Darunter tut man es nicht. 

Der Mensch als Teufel zündet also die Erde an. Der Mensch als Gott rettet die gesamte Menschheit. Und wer diesen wunder-wunderbaren Glauben nicht ganz-ganz ernst nimmt, der ist sehr-sehr böse.

 

Dieter Prokop ist Professor em. für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Er schrieb mehrere Bücher über Europa. Sein neuestes Buch zur Europawahl heißt „Europas Wahl zwischen Rhetorik und Realität“.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Manfred Pelowski / 19.11.2023

Ist doch leider Alltag. Wird nicht alles, was nicht der vollkommenen Normalität entspricht, sofort gesteigert, dass es einen Hund jammert? Der GRÖßTE anzunehmende Unfall ist nicht ein GAU. Nein, ohne SUPER tut´s keiner mehr. Ein besonders warmes Jahr, ist kein besonders warmes Jahr, sondern das wärmste seit EXAKT 125000 Jahrern. Und eine Erwärmung der Erdatmosphäre um einige Zehntel °C sind nicht das, sondern der Weg zur “Selbstverbrennung”  (Prof. Schellnhuber). Einzig ist nicht genug, da geht noch mehr: das einzigste… Optimal? Ja früher vielleicht, heute spricht der Mann (meinetwegen auch die Frau) von Welt vom optimalsten… Aufregen über so viel Gedankenlosigkeit und Dummheit, ne, schon lange nicht mehr. Aber nicht registrieren schaffe ich einfach nicht.

M. Corvinus / 19.11.2023

Noch so ein Phänomen, das sich seit einigen Jahren breit gemacht hat: Dieses Zustimmung-heischende Kopfnicken, wie bei Japanern ...

Gabriele H. Schulze / 19.11.2023

Es gibt auch das einfache “sehr”. Im Sinne von “wir haben uns ganz doll lieb”, antwortet der Kellner auf’s “Danke” des Gastes nicht mehr “gern”, sondern “sehr gern”. Leicht melodiös gezwitschert, mit etlichen Ausrufezeichen.

Manni Meier / 19.11.2023

Darauf einen “Dreifach Wumms” Herr Professor Prokop! Den einfachen “Wumms” hatte unser Kanzler Olaf Scholz ja schon bei der Corona-Krise in Stellung gebracht und mit dem „Doppel Wumms“ will er die Energiekrise in Schach halten.

Dr. Ralph Buitoni / 19.11.2023

Babysprache - durch Schule, Medien, Frauen und staatsnahe Promis eingedingst….

Rainer Niersberger / 19.11.2023

Woher “er” nur kommt, dieser Infantilismus. Ganz sicher handelt es sich nicht um ein Produkt der toxischen Männlichkeit. Ansonsten verweise ich auf Meister Schopenhauer, der ohnehin nicht nur mit “Wille und Vorstellung” einige Treffer landete, angesichts seiner “Performance” auch kein Wunder. Die Ursachen der bemuehten Kindlichkeit sind die psychokognitive Unreife der formal “Erwachsenen”, aber natuerlich auch das Wissen, dass man bei und durch Verwendung der Kindsprache einen anderen Umgang, eine andere Reaktion erfaehrt. Nicht nur grosse Augen triggern, vor allem auch ältere, weisse Maenner, weil sie bestimmte Hirn areale aktivieren. Da kann man auch mal uebertreiben oder dabebenliegen. Das Hirn assoziiert automatisch passend. Kindsprache heisst Kind, heisst kindliches Gemuet, heisst Nachsicht und sie koennte sogar Wahrhaftigkeit ( ohne Arglist und Berechnung) vermitteln, denn “Kindermund tut bekanntlich Wahrheit kund”.  Zudem empfiehlt es sich, Kinder auch als Kinder anzusprechen, um sie “abzuholen”. Und fuer “Kinder” koennen Papi und Mammi bekanntlich alles. Die Rollen werden irgendwann natuerlich neu besetzt und dann heisst es “Mutti” .

Wilfried Cremer / 19.11.2023

Grüß Gott! Das passt. In Baden Baden haben Wichtigtuerei und Hetzerei im Radio vor 60 Jahren angefangen.

U. Unger / 19.11.2023

Geil, geil, geil! Sehen Sie, es geht noch deutlicher! Wokewoke. Wau wau.

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