Peter Grimm / 26.02.2022 / 13:00 / Foto: Mil.ru / 189 / Seite ausdrucken

Warum der Zwang zu einem Anti-Putin-Bekenntnis?

Münchens Oberbürgermeister drohte dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker mit Entlassung, wenn dieser nicht öffentlich gegen Putin Stellung bezieht. Aber mit vom Staat erzwungenen Bekenntnissen wird vor allem jeder ehrliche Protest gegen den Überfall auf die Ukraine entwertet.

Viele Menschen in Deutschland demonstrieren und protestieren gerade gegen den von Wladimir Putin befohlenen Einmarsch in die Ukraine mit dem klar formulierten Ziel, das Land soweit zu unterwerfen, dass es gefügig der politischen Linie Moskaus folgt. Das führt auch zu vielen Solidaritätsbekundungen mit der angegriffenen Ukraine. Es sind meist ehrenwerte Bekenntnisse (beispielsweise hier), die von Bürgern aus freiem Willen abgegeben werden. 

Man muss damit natürlich nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen, aber schönreden lässt sich dieser Einmarsch in die Ukraine nun einmal auch von den bekannten Verteidigern der Putin-Politik kaum. Es ist sicher richtig, den Heiligenschein vollkommener Unschuld, der der angegriffenen ukrainischen Führung gerade von weiten Teilen der westlichen Publizistik ganz solidarisch zugeschrieben wird, infrage zu stellen – für einen solchen Kriegseinsatz lässt sich daraus nicht ansatzweise eine auch nur fadenscheinige Legitimität konstruieren.

Diese Einsicht haben hierzulande offenbar manche derjenigen gewonnen, die zu den notorischen Putinisten gezählt werden. Einige sonst moskauaffine Genossen der Linkspartei beispielsweise distanzieren sich vom aktuellen Kriegskurs des russischen Präsidenten. Von den meisten hiesigen Putin-Anhängern hört man hingegen momentan so gut wie nichts. Sie schweigen. Und dieses Schweigen ist durchaus ehrlich, denn sie sind sicher ratlos. Selbst wenn sie den russischen Präsidenten gern verteidigen würden, bei diesem Kriegskurs fällt ihnen dazu sicher nicht viel ein.

In einer freien Gesellschaft sollte man solche schweigsamen Putin-Anhänger auch in Zeiten dieses Krieges nun in Ruhe dem weiteren Nachdenken überlassen. Vielleicht gedeihen in diesem Nachdenken Zweifel am bisherigen Weltbild. Aber es ist einer freien Gesellschaft nicht würdig (und dem Gedeihen von Zweifeln zudem abträglich), wenn man einen Schweigenden zu einem öffentlichen Bekenntnis wider seine bisherigen Überzeugungen nötigt.

Auch ein begründeter Verdacht ist nur ein Verdacht

Das aber tut jetzt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, indem er den Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, schriftlich aufgefordert hat, sich von der russischen Invasion der Ukraine zu distanzieren, anderenfalls drohe ihm die Kündigung, meldet u.a. br.de. Wörtlich heißt es in dem Brief:

Gemeinsam mit den Orchestervertretern der Münchner Philharmoniker erwarte ich von Ihnen als Chefdirigent des Orchesters jetzt ein deutliches Zeichen der Distanzierung von den völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Ukraine, und damit ein klares Signal an die Stadtspitze, die Öffentlichkeit, die Musikerinnen und Musiker der Münchner Philharmoniker und ihr Publikum bis Montag, 28. Februar. Anderenfalls werden wir das Vertragsverhältnis als Chefdirigent beenden müssen.“ 

Das ist ein Ultimatum, in dem Gergiev zu einem Bekenntnis genötigt wird. Das wäre vielleicht noch in Ordnung, wenn man Gergiev konkrete positive Äußerungen zum Kriegskurs seines Präsidenten vorgeworfen hätte und nun deren Widerruf forderte. Aber diesen Vorwurf erhebt der SPD-Oberbürgermeister nicht. Er fordert den Widerruf schon prophylaktisch. 

Offenbar hat sich Gergiev bislang nicht öffentlich zum russischen Einmarsch in die Ukraine geäußert. Er wird einer solchen Haltung nur verdächtigt. Der Verdacht ist nicht unberechtigt, weil Gergiev in den vergangenen Jahren immer wieder als bekennender Putin-Anhänger auffiel. Dennoch ist es nur ein Verdacht. Zudem ist die Putin-Nähe des Dirigenten nicht neu, denn über die wurde schon gestritten, als man den Vertrag mit Gergiev unterschrieb. Und solange er jetzt nichts zu diesem Thema sagt, verstößt er auch gegen keine Regeln. Es darf in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft keinen Bekenntniszwang geben, schon gar nicht von einem staatlichen Funktionsträger ausgehend. Allenfalls darf der Staat seinen Beamten ein Bekenntnis zur Verfassungsordnung abverlangen. Aber gerade die steht weiteren Bekenntniszwängen entgegen.

Vielleicht haben sich manche deutsche Politiker in den letzten Jahren an einen obrigkeitsstaatlichen Stil und das Regieren mit vorgeblich prophylaktischen Maßnahmen so sehr gewöhnt, dass sie an einen Grundsatz erinnert werden müssen: Wer im Staatsamt einem künstlerischen Vertragspartner mit Kündigung droht, falls der eine gewünschte politische Erklärung nicht abgibt, hat das Spielfeld einer freien Gesellschaft verlassen. Das gilt auch, wenn sich die Nachbarn unserer Nachbarn im Krieg befinden. Erst wenn sich jemand beispielsweise kriegstreiberisch äußern würde, könnte man gegebenenfalls mit Maßnahmen reagieren.

Jede Antwort wird vom Zwang vergiftet

Leider hat sich im politisch-medialen Komplex die Überzeugung verbreitet, dass es auf solche Kleinigkeiten nicht ankommt, wenn man gerade für das Gute streitet.

Man mag diesen Fall angesichts des Ukraine-Krieges für eine Petitesse halten. Das stimmt grundsätzlich auch, aber es ist wichtig, sie zu erwähnen. Denn gerade wenn es um einen Konflikt mit einem Despoten geht, sollte man unbedingt an den Regeln der Freiheit festhalten. 

Zudem sollte sich der Oberbürgermeister fragen, wie denn Gergiev jemals glaubwürdig auf solch ein Ultimatum reagieren soll. Jede Antwort ist vom Zwang vergiftet. Distanziert er sich von Putin, kann man denken, dass dies ja nicht freiwillig geschah. Tut er es nicht, kann jeder spekulieren, ob er das nun aus Trotz, aus Überzeugung oder wegen einiger Befürchtungen hinsichtlich der Reaktion des Herrn im Kreml nicht tut. 

Wie schon gesagt: Vollkommen unabhängig vom Chefdirigenten und Putin-Freund bekommt jede öffentliche Bekundung gegen Putins Krieg in der Ukraine durch solche Vorstöße den Makel angeheftet, vielleicht nicht ganz freiwillig abgelegt worden zu sein. Damit trägt Münchens OB zu deren Entwertung bei.

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Leserpost

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Adam von Schluchz / 26.02.2022

Die Niederlande liefern Flugabwehrraketen, die Tschechen Maschinengewehre und Munition. Die BRD liefert 5000 Schutzhelme, aber keine Waffen. Der Wiener Bürgermeister liefert 2 LKW mit FFP-2 Masken. Und in München will man jemanden auf Anti Putin Linie bringen. Preisfrage: Welche dieser Maßnahmen ist Sinnvoll und hilft der Ukraine?

Erwin Engelbogen / 26.02.2022

Ich bin kein Putin Fan. Aber solche Reaktionen sind wieder einmal ein Indiz das Deutschland bereits eine funktionale Diktatur ist, in der Meinung, Recht und Wahrheiten die Eliten vorgeben.

Maria Berger / 26.02.2022

Ist Herr Reiter eigentlich geimpft? Hoffentlich geboostert? Ich habe da so meine Zweifel, weil, er hatte ja letzthin Corona. Ist er also als möglicher Ungeimpfter überhaut moralisch befähigt, andere zu nötigen? Oder gerade deshalb ;)? Schätze letzeres, Doppelmoral, Heuchelei und Totalitarismus, der neue Dreiklang - auch in Bayern.

Daniel Oehler / 26.02.2022

Auch das Festspielhaus der Provinzstadt Baden-Baden will Herrn Gergijew zu einer Stellungnahme gegen Herrn Putin zwingen. Pikant daran ist, das Herr Gergijew einer der wenigen Musiker waren, die dem “Festspielhaus” in der Provinz in Krisenzeiten 1998 die Treue gehalten haben, als der zum Kulturpalazzo umgebaute alte Bahnhof von Baden-Baden kurz nach der Eröffnung vor dem Ende stand. Politiker und Kultur-Entscheider, die sich auf Künstler stürzen, sind Barbaren und Kulturbanausen, die kein zivilisierter Mensch braucht. In Russland wird kein auch nur halbwegs seriöser Politiker so tief sinken, auf ukrainische Komponisten und ihre Werke herabzusehen.

Petra Wilhelmi / 26.02.2022

Dann sollte sich eben Gergiev rausschmeißen lassen. Ich hasse es - und nicht nur jetzt beim Ukraine-Konflikt - wenn Menschen staatlicherseits zu irgendwelchen Bekundungen gezwungen werden. Gergiev kann es sich sicherlich leisten nicht mehr in Deutschland zu dirigieren. Viele andere Menschen können es eben nicht und werden, um nicht ökonomisch Schach-Matt gesetzt zu werden, zum Lügen animiert. Es ist schon schlimm genug, dass die Regierung einen stetig belügt und deren rechte Hand die Medien, aber dann noch Bürger, egal in welcher Stellung, mit hineinzuziehen, ist abartig. Es ist wie in der DDR. Damals Ende der 1960er Jahre mussten wir in der Schule für unser Klassenzimmer nach dem Beat-“Aufstand” eine Anti-Beatles-Wandzeitung gestalten. Und so setzte sich das im Leben immer weiter fort. Da gab es Solidaritätsbekundungen zu unterschreiben. Da durfte zu diesem und jenem nur die offizielle Meinung kundgetan werden. Da reichte es z.B. wenn man zu faul war irgendwelche politische Kapitel im Lehrbuch zu lesen, man ein bestimmtes gängiges Wort in die Diskussion warf und man war sofort jemand Fleißiges. Genau so ist es hier heutzutage. Das ekelt mich immer nur an und passiert mir nie wieder. Jeder kann eine Meinung zum Ukrainekonflikt haben. Jeder sieht das sicherlich ein bisschen anders. Und, was wir immer dabei bedenken sollten: Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.

Hans-Joachim Gerstorff / 26.02.2022

Diese Münchner Widerlichkeit hätte aus den Geschichten von Brecht „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ sein können. In der DDR gab es Drangsalierungen bei Nichtunterzeichnung von Pamphleten, aber die Androhung einer Kündigung bei Nichtabgabe einer persönlichen Erklärung ist mir nicht bekannt von dort. Mit dieser Schande muß auch die SPD leben.

Walter Neumann / 26.02.2022

Besonders schäbig hier der Münchner Merkur. Dessen Kulturchef hatte ja bereits die Berufung von Valery Gergiev zum Chef der Münchner Philharmoniker vor Jahren ausschließlich mit dem Argument kritisiert, das gehe nicht, der Mann sei ein “Putin-Freund”. Wie gesagt, keine künstlerische Kritik an der Berufung sondern ausschließlich politisch-korrekte Ideologie. Nun muss man wissen, das der Herausgeber des Merkur, Herr Ippen, ein notorischer Russen-Hasser ist, und seine Redakteure dazu verdonnert hat, permanent Anti-Russland zu kommentieren, schon lange vor dem aktuellen Angriff. Das führt dann zu so grotesken Kommentaren. Heute übrigens, angesichts der Drohung des Münchner OB, Gergiev rauszuwerfen, hat Ippens dümmlicher Schreiberling noch mal nachgelegt, und geschrieben, dieser Dirigent sei “ohnehin maßlos überschätzt.” Erinnert mich an Zeiten, die ich nur aus den Geschichtsbüchern kenne, Stichwort Hugenberg-Presse.

Daniel Oehler / 26.02.2022

Der Haltungs-Fanatismus läuft mal wieder Amok. Unsere Politiker und Medien zeigen mal wieder, wes Geistes Kinder sie sind. Und sie demonstrieren, dass sie absolut Null Ahnung von der Ukraine haben. Ukrainer und Russen sind kulturell und religiös enger verbunden als Deutsche und Österreicher. Der Osten der Ukraine ist russisch-orthodox geprägt. Der ukrainisch-nationalistische Westen ist NICHT römisch-katholisch, sondern griechisch-katholisch geprägt. Die Gottesdienste sind für Laien nicht von den orthodoxen Liturgien zu unterscheiden. Wesentlicher Unterschied ist, dass in griechisch-katholischen Kirchen für den Papst in Rom gebetet wird. Selbst der Ostertermin richtet sich nach dem julianischen Kalender wie bei den Orthodoxen, nicht nach dem gregorianischen wie bei den römisch-katholischen Kirchen. Und da glauben die Wahnsinnigen in Washington, Brüssel und Berlin alles Ernstes, sie könnten die Ukraine gegen Russland in Stellung bringen? Aber zum Musiker: Die Musik der Ukraine und Russlands ist engstens verbunden. Es ist völlig normal, dass in Deutschland russische Kirchenchöre ukrainische Dirigenten haben. Und da wollen deutsche Fanatiker einen russischen Musiker zu politischen Bekenntnissen gegen Russland und de facto zum Vorteil antirussischer Fanatiker in der Ukraine zwingen? Das zeigt, auf welches unterirdische Niveau Politik und Medien in Deutschland gesunken sind.

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