Manche Menschen kreisen unentwegt um sich selbst. Man erzählt so einem Egomanen von einer glücklich überstandenen Operation, und er unterbricht im zweiten Satz, um zu berichten, wie schrecklich sein Schnupfen im letzten Winter war. Themenwechsel hilft nichts, denn er findet immer einen Anknüpfungspunkt zu seinem Haus, seinem Auto, seinem Hund, seiner Meinung und seinem Empfinden. Andere Menschen sind bestenfalls Stichwortgeber. Was sie erlebt haben oder was in ihnen vorgeht spielt keine Rolle, wenn er seinen Auftritt hat. Falls sie nicht reich oder berühmt sind, werden solche Charaktere mit der Zeit immer einsamer. Weil ihnen das Interesse an anderen fehlt, verlieren die anderen das Interesse an ihnen.
Diese im persönlichen Umgang so unangenehme Eigenschaft ist im öffentlichen Diskurs zum Normalfall geworden. Sobald auf der Welt etwas Schlimmes passiert, geht in Deutschland eine Debatte los, die sich in kürzester Zeit vom jeweiligen Ereignis völlig abkoppelt und sich nur noch um unsere nationale Befindlichkeit dreht.
Wenn in Japan die Erde bebt und ein Tsunami Zehntausende tötet, interessiert sich hierzulande kaum einer dafür, wie die Japaner mit einer so gewaltigen Katastrophe umgehen. In Windeseile wird das Desaster in eine deutsche Atomausstiegseuphorie umgemünzt.
Nach den Massenmorden in Oslo und Utoja spielte das Leid der Norweger und ihr bewundernswert besonnener Umgang mit dem Verbrechen nur eine Nebenrolle. Im Mittepunkt der aufgeregten Wortmeldungen stand der Groll, den ein Teil der Meinungsmacher gegen so genannte Islam-Kritiker empfindet.
Wenn in London die Häuser brennen drängen kurz darauf die deutschen Sozialpolitiker an die Mikrofone, um zu erklären, dass auch bei uns demnächst Revolten ausbrechen, wenn jugendlichen Migranten nicht endlich mehr finanzielle Hilfe zuteil wird.
Als vor einem Jahrzehnt England vom Rinderwahnsinn heimgesucht wurde, reagierten die Deutschen panischer als die Briten. Obwohl dort Zehntausende Tiere an der Seuche erkrankten und hier der große Ausbruch ausblieb.
Was auch immer passiert, wir wähnen uns besonders betroffen und nutzen es zum Anlass einer peinlichen Selbstbespiegelung. Wäre die Welt eine Party, hätten die anderen sich schon längst von uns weggedreht. Aber zum Glück schaut ja die Mehrheit Weltbevölkerung kein deutsches Fernsehen. Übrigens auch am Klimawandel leiden wir auffallend stärker als alle anderen Völker, obwohl ein bisschen mehr Sonne hierzulande nicht nur Nachteile hätte.
Erschienen in DIE WELT am 12.08.2011