Henryk M. Broder / 08.02.2014 / 11:39 / 9 / Seite ausdrucken

Tote Seelen im Schlaf der Selbstgerechten

Vorgestern brachte das ZDF einen Bericht über die Lage in der syrischen Stadt Homs und in Yarmouk, einem Vorort von Damaskus, die beide seit Monaten von der syrischen Armee belagert werden. Kranke und Verletzte werden nicht heraus-, Lebensmittel nicht reingelassen.
(http://www.zdf.de/ZDFmediathek/#/beitrag/video/2083372/ZDF-heute-Sendung-vom-06-Februar-2014, ab ca. 2.50)
Entsprechend ist die Lage. Um zu überleben, kochen die Menschen “Suppe” aus Gras und Baumrinde. Wenn irgendwann und irgendwo ein Vergleich mit den Juden im Warschauer Ghetto im Jahre 1943 angebracht und angemessen gewesen wäre, dann in diesem Fall. Oder andersrum: Verglichen mit Homs und Yarmouk ist Gaza ein club med.

Nun müssten, sollte man meinen, die deutschen Freunde der Palästinenser aufstehen und alle Glocken läuten, um die deutsche Öffentlichkeit auf die Not der Palästinenser in Syrien (und nebenbei auch im Libanon) aufmerksam zu machen. Nichts dergleichen geschieht. Keine Demos vor der syrischen Botschaft, keine Aufrufe, keine Pressekonferenzen. Norman Paech ist abgetaucht, Annette Groth und Inge Höger vom Frauendeck der Mavi Marmara sind immer noch von der israelischen Piratenaktion auf hoher See traumatisiert, die dicke Gabi plant schon die nächste Benefiz-Aktion zugunsten ihrer Verwandten in Rafah, Ruprecht Polenz hat sich in die Türkei abgesetzt und Frau Beck von den Grünen kümmert sich um die korrekte Kennzeichnung von Juden, äh Pardon, israelischen Produkten aus der Westbank.

Zu sagen, das ganze linksreaktionäre Gutmenschenpack bestehe zum großen Teil aus abgewrackten Antisemiten, wäre so neu wie die Behauptung, dass tote Fische stinken. Sie haben es zahllose Male bewiesen und sie beweisen es jedes Mal aufs Neue: Die Palästinenser gehen ihnen am Arsch vorbei, ebenso wie die Armenier in der Türkei, die Baha’i im Iran, die Kurden im Irak. Es sei denn, für die Not der Palästinenser sind die Juden mitverantwortlich. Dann geraten sie außer sich, demonstrieren, hyperventilieren und lassen den antisemitischen Schweinehund von der kurzen Leine. Tote Seelen, die für einen Moment zum Leben erwachen, um gleich danach wieder in den Schlaf der Selbstgerechten zu fallen.
Aber bei der nächsten Intifada werden sie wieder mit von der Partie sein. Solidarisch auf der Seite der unterdrückten Palästinenser. Von Berlin, Freiburg, Köln, Dortmund und Kassel aus.

Was für ein Gesindel.

Siehe auch:
Insgesamt sind nach Angaben der Opposition rund 2500 Menschen in Homs von der Aussenwelt und damit auch von Nahrungsmittellieferungen abgeschnitten. Die zu grossen Teilen von Rebellen besetzte Stadt wird von Regierungstruppen und regierungstreuen Milizen belagert.
http://www.basellandschaftlichezeitung.ch/ausland/folgen-fuer-konvoi-nach-bruch-von-feuerpause-in-homs-unklar-127649861

Wie die Lage in Homs selbst ist, hatte vor wenigen Tagen der niederländische Jesuitenpater Frans van der Lugt in einer Videobotschaft über Skype mitgeteilt: “Die Menschen werden wahnsinnig vor Hunger. Sie bekommen Panikattacken, Paranoia, psychotische Schübe.”
http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-krieg-zivilisten-duerfen-homs-verlassen-a-952183.html


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Urs Schmidlin / 08.02.2014

Nach verschiedenen Quellen soll es mehr als 40 von der syrischen Armee und der Hisbollah belagerte Orte geben. “Videointerviews aus Zabadani: 500 Tage der Belagerung” “Im folgenden Beitrag dokumentieren wir Stimmen aus Zabadani, einer Stadt in der Nähe von Damaskus. Aufgrund des vergleichweise milden Klimas und der Lage in den Bergen nahe des Libanon war Zabadani lange als überregionaler Tourismusmagnet berühmt. Seit Beginn der Revolution engagierten sich BürgerInnen und AktivistInnen in Zabadani gegen das Regime Bashar al-Assads, was zu täglichen Bombardements und Belagerung geführt hat. In den folgenden Interviews haben AktivistInnen Stimmen aus Zabadani über die aktuelle Situation vor Ort gesammelt. Wir haben die arabischen Beiträge hier ins Deutsche übertragen. Einige der Beiträge sind bereits im Liveblog zu Genf II veröffentlicht worden”. “Wir sind hier am zentralen Platz in Zabadani, dem Sahet Al Arab [Platz der Araber]. Hier befanden sich früher all die kleinen Läden und Händler, die ihre Waren verkauft haben. Es war hier voll mit Menschen, du brauchtest drei Stunden, um hier mit dem Auto überhaupt reinzukommen. Jetzt befinden wir uns 550 Tage unter Beschuss. Warum? Das weiß keiner. Die Kampfflugzeuge, die Panzer, die Granaten – Warum? Selbst wenn wir zu den Waffen greifen würden, dann wären das doch maximal Gewehre. Es gibt wirklich keine schlimmere Armee als die syrische. Das syrische Volk hat die Armee unterstützt und ernährt – nun zeigt sich: Sie ist die schlimmste Armee auf der ganzen Welt. Schaut euch um, die von der Bombardierung zerstörten Häuser, diese ganze Zerstörung! Wir werden belagert und die Stadt ist vollständig abgeriegelt. Wir haben nicht einen einzigen Bissen Brot, sie lassen uns überhaupt keine Lebensmittel in die Stadt rein bringen. Geographisch ist das so: Nach Zabadani gibt es nur eine Straße, die Armee des Regimes steht dort und verhindert die Einfuhr von allem. Und zu Genf II – Genf II ist wie jede andere Konferenz auch. Sie spielen mit uns. Wir, das syrische Volk , wir haben nichts mehr. Die internationale Gemeinschaft will uns nicht helfen. Wenn sie das gewollt hätten, dann hätten sie das von Beginn der Krise getan. Das sind doch alles Maskeraden, damit sie ihr Gesicht wahren können. Sie arbeiten mit dem Regime, mit der syrischen Armee zusammen an unserer Zerstörung.” usw. usw. Quelle (hier sind auch die Videos zu sehen): adoptrevolution - Videointerviews aus Zabadani: 500 Tage der Belagerung

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