Irgendwo zwischen Richter und Oberlehrer pendelte der selbstgerechte Söder-Auftritt. Ein Signal war klar: Söder will keinen Koalitionsbruch vollstrecken, aber seinen Vize maximal demütigen und beschädigen. Denn das Verfahren vor dem bayerischen Regenten wird weiter andauern und den für Söder gefährlichen Aiwanger im Wahlkampf maximal behindern.
Gestern hieß es, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hätte seinen Vize Hubert Aiwanger einbestellt, damit dieser Auskunft gebe über seine Verfehlungen vor 35 Jahren, als man ein ekelhaftes Flugblatt in Nazi-Jargon in seiner Schultasche fand. Anberaumt war dazu eine Sitzung des Koaltiionsausschusses. Die Verfehlungen des 17-jährigen Hubert sollten nun entscheidend sein für den Verbleib des gereiften Aiwanger im Regierungsamt, hieß es. Wer glaubt, das sei nicht schon absurd genug, zumindest wenn sich der Mann danach nichts hat zuschulden kommen lassen, den belehrte Markus Söder bei seinem Presseauftritt nach der Sitzung eines Besseren. Fragen waren nicht gestattet, die Kollegen durften nur einer Rede lauschen, die wie eine Urteilsverkündung beim königlich-bayerischen Amtsgericht klang. Oder auch so, als musste der Minister Aiwanger wieder den Schüler Hubert spielen, während sein Ministerpräsident die Rolle des Schuldirektors spielen durfte, der darüber entscheidet, ob der Delinquent seine Anstalt verlassen muss.
Irgendwo zwischen Gericht und Schule pendelte der selbstgerechte Söder-Auftritt. Ein Signal war klar: Söder will keinen Koalitionsbruch vollstrecken, aber seinen Vize maximal demütigen und beschädigen. Denn das Verfahren vor dem bayerischen Regenten wird weiter andauern und den für Söder gefährlichen Aiwanger im Wahlkampf maximal behindern. Es gab „keinen Freispruch“ für den Freie-Wähler-Chef, wie Möchtegern-Richter Söder wörtlich sagte.
Ganz nach Richter-Art – bzw. was der Regent dafür hält – wog er die Beweise ab. Die Belege der Süddeutschen Zeitung reichten nicht für ein Urteil, befand er, ohne das näher zu begründen. Was insofern wünschenswert gewesen wäre, weil sie ihm ja offenbar gereicht haben, um seinen Stellvetreter wie einen Angeklagten zu behandeln. Aber, so Söder weiter, was Aiwanger im heutigen Gespräch gesagt habe, reiche ihm auch nicht. Mehr darüber sagt er auch nicht, sondern wechselt von der Rolle des Richters in die des strafenden Oberlehrers. Der angeklagte Schüler Hubert soll jetzt schriftlich 25 Fragen beantworten, gab ihm Oberlehrer Söder auf. Er erwarte eine „rasche Beantwortung“.
Die anwesenden Jouralisten erfahren nichts darüber, wie der Delinquent reagiert habe. Vielleicht mit einem schneidigen „Jawoll, mein Ministerpräsident“? Nein, bei dem Thema sollte man wohl lieber nicht ins humorige Fach wechseln. Söder teilte ja pflichtschuldig mit, dass sich Aiwanger klar von diesem ekelhaften und widerwärtigen Flugblatt distanziert habe. Das war allerdings nicht sonderlich neu, denn seit dieses Schüler-Werk seines Bruders (mutmaßlich) Thema ist, hat Hubert Aiwanger immer wieder betont, wie abscheulich er dessen Inhalt findet. Dafür, dass das keine bloße Floskel ist, spricht, dass in den 35 Jahren seither offenbar nichts von ihm zu vernehmen war, was als antisemitisch oder Nazi-Jargon angreifbar gewesen wäre.
Der Ball liegt bei Aiwanger
Aber für Richter und Oberlehrer Söder spielt das keine so große Rolle. Er beklagt lieber den Schaden, der für Bayern entstanden ist. Dennoch scheint es so, als könne er nicht ganz verhehlen, dass er die ihm gerade zugefallene Rolle genießt. Er kann zeigen, wie mächtig er ist und dass er nun seinen Vize in der Hand hat. Es ist offensichtlich, dass er Aiwangers Ruf als kleinen Hoffungsträger für unzufriedene Wähler, die weder Ampel-Parteien noch CSU wählen wollen, aber auch zur AfD-Protestwahl (noch) nicht bereit sind, zu zerstören.
Beinahe genüsslich weist er darauf hin, dass Koalitionen nicht nur an einzelnen Personen hängen würden, nachdem er die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern gepriesen hatte. Hat er Grund, zu glauben, diese billige Spaltpilz-Platzierung könnte verfangen?
Er probierts einfach. Vor wenig staatsmännischen und nur allzu durchsichtigen Rollenspielen hat er, wie man gerade sehen konnte, ja keine Scheu. Der Ball liege jetzt bei Aiwanger, hieß es von Söder zum Schluss und da hat er recht. Das tut es. Der muss jetzt entscheiden, wie weit er sich demütigen lässt und mitspielt. Oder einen Weg finden, ohne von sich aus auszusteigen, die Rollen zu verkehren. Versteht man das als ein solches Spiel, ist die Fortsetzung irgendwie schon spannend. Und am 8. Oktober darf auch das Publikum etwas dazu sagen.