Peter Grimm / 29.08.2023 / 13:02 / Foto: Imago / 126 / Seite ausdrucken

Söder spielt den Aiwanger-Richter: „Kein Freispruch“

Irgendwo zwischen Richter und Oberlehrer pendelte der selbstgerechte Söder-Auftritt. Ein Signal war klar: Söder will keinen Koalitionsbruch vollstrecken, aber seinen Vize maximal demütigen und beschädigen. Denn das Verfahren vor dem bayerischen Regenten wird weiter andauern und den für Söder gefährlichen Aiwanger im Wahlkampf maximal behindern.

Gestern hieß es, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hätte seinen Vize Hubert Aiwanger einbestellt, damit dieser Auskunft gebe über seine Verfehlungen vor 35 Jahren, als man ein ekelhaftes Flugblatt in Nazi-Jargon in seiner Schultasche fand. Anberaumt war dazu eine Sitzung des Koaltiionsausschusses. Die Verfehlungen des 17-jährigen Hubert sollten nun entscheidend sein für den Verbleib des gereiften Aiwanger im Regierungsamt, hieß es. Wer glaubt, das sei nicht schon absurd genug, zumindest wenn sich der Mann danach nichts hat zuschulden kommen lassen, den belehrte Markus Söder bei seinem Presseauftritt nach der Sitzung eines Besseren. Fragen waren nicht gestattet, die Kollegen durften nur einer Rede lauschen, die wie eine Urteilsverkündung beim königlich-bayerischen Amtsgericht klang. Oder auch so, als musste der Minister Aiwanger wieder den Schüler Hubert spielen, während sein Ministerpräsident die Rolle des Schuldirektors spielen durfte, der darüber entscheidet, ob der Delinquent seine Anstalt verlassen muss.  

Irgendwo zwischen Gericht und Schule pendelte der selbstgerechte Söder-Auftritt. Ein Signal war klar: Söder will keinen Koalitionsbruch vollstrecken, aber seinen Vize maximal demütigen und beschädigen. Denn das Verfahren vor dem bayerischen Regenten wird weiter andauern und den für Söder gefährlichen Aiwanger im Wahlkampf maximal behindern. Es gab „keinen Freispruch“ für den Freie-Wähler-Chef, wie Möchtegern-Richter Söder wörtlich sagte. 

Ganz nach Richter-Art – bzw. was der Regent dafür hält – wog er die Beweise ab. Die Belege der Süddeutschen Zeitung reichten nicht für ein Urteil, befand er, ohne das näher zu begründen. Was insofern wünschenswert gewesen wäre, weil sie ihm ja offenbar gereicht haben, um seinen Stellvetreter wie einen Angeklagten zu behandeln. Aber, so Söder weiter, was Aiwanger im heutigen Gespräch gesagt habe, reiche ihm auch nicht. Mehr darüber sagt er auch nicht, sondern wechselt von der Rolle des Richters in die des strafenden Oberlehrers. Der angeklagte Schüler Hubert soll jetzt schriftlich 25 Fragen beantworten, gab ihm Oberlehrer Söder auf. Er erwarte eine „rasche Beantwortung“. 

Die anwesenden Jouralisten erfahren nichts darüber, wie der Delinquent reagiert habe. Vielleicht mit einem schneidigen „Jawoll, mein Ministerpräsident“? Nein, bei dem Thema sollte man wohl lieber nicht ins humorige Fach wechseln. Söder teilte ja pflichtschuldig mit, dass sich Aiwanger klar von diesem ekelhaften und widerwärtigen Flugblatt distanziert habe. Das war allerdings nicht sonderlich neu, denn seit dieses Schüler-Werk seines Bruders (mutmaßlich) Thema ist, hat Hubert Aiwanger immer wieder betont, wie abscheulich er dessen Inhalt findet. Dafür, dass das keine bloße Floskel ist, spricht, dass in den 35 Jahren seither offenbar nichts von ihm zu vernehmen war, was als antisemitisch oder Nazi-Jargon angreifbar gewesen wäre.

Der Ball liegt bei Aiwanger

Aber für Richter und Oberlehrer Söder spielt das keine so große Rolle. Er beklagt lieber den Schaden, der für Bayern entstanden ist. Dennoch scheint es so, als könne er nicht ganz verhehlen, dass er die ihm gerade zugefallene Rolle genießt. Er kann zeigen, wie mächtig er ist und dass er nun seinen Vize in der Hand hat. Es ist offensichtlich, dass er Aiwangers Ruf als kleinen Hoffungsträger für unzufriedene Wähler, die weder Ampel-Parteien noch CSU wählen wollen, aber auch zur AfD-Protestwahl (noch) nicht bereit sind, zu zerstören. 

Beinahe genüsslich weist er darauf hin, dass Koalitionen nicht nur an einzelnen Personen hängen würden, nachdem er die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern gepriesen hatte. Hat er Grund, zu glauben, diese billige Spaltpilz-Platzierung könnte verfangen? 

Er probierts einfach. Vor wenig staatsmännischen und nur allzu durchsichtigen Rollenspielen hat er, wie man gerade sehen konnte, ja keine Scheu. Der Ball liege jetzt bei Aiwanger, hieß es von Söder zum Schluss und da hat er recht. Das tut es. Der muss jetzt entscheiden, wie weit er sich demütigen lässt und mitspielt. Oder einen Weg finden, ohne von sich aus auszusteigen, die Rollen zu verkehren. Versteht man das als ein solches Spiel, ist die Fortsetzung irgendwie schon spannend. Und am 8. Oktober darf auch das Publikum etwas dazu sagen.

Foto: Imago

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Ingbert Bauer / 29.08.2023

Ich glaube, dass diese Angelegenheit und ihre Handhabung Söder mehr schadet als Aiwanger. Dass diese Sache nämlich eine bloße “Schmutzelei” ist, dürften viele Wähler durchschauen. Außerdem wird der nur allzu berechtigte Verdacht befördert, dass Söder einen Wechsel zu den GRÜNEN als Koalitionspartner in Bayern und (sollte er Kanzler werden) eine Zusammenarbeit im Bund vorbereitet.

Nico Schmidt / 29.08.2023

Sehr geehrter Herr Grimm, ich stehe auf der Seite von Herrn Aiwanger. Hoffentlich kündigt Herr Aiwanger die Koalition mit der CSU auf. Wer nach 35 Jahren so ein Blatt für schwer genug befindet, Herrn Aiwanger abzusägen, hat wohl selbst nie etwas angestellt, was semi-gut im Nachhinein war. Wenn Herr Söder androht, gerecht in einer Sache zu entscheiden, ist der Punkt gekommen, wo alle Alarmanlagen auslösen sollen. Keiner schießt besser in den Rücken, als Herr Söder. MfG Nico Schmidt

Bertram Scharpf / 29.08.2023

Söder verfolgt zwei Ziele: Erstens, die Diskussion hinzuziehen bis zum Wahltag. Zweitens, seine Partei nach der Wahl in eine Koalition mit den Grünen zu zwingen. Womit auch die Frage nach dem Urheber geklärt wäre. Auf Bayerisch sagt man: Der schlechteste Mensch, seit die Schlechtigkeit erfunden worden ist.

Albert Martini / 29.08.2023

Also doch mittendrin statt nur dabei in der dreckigen kommunistischen Zersetzungskampagne, der Schmutzeler. Wenn die Wähler das wirklich honorieren, mutiert das Land in der Wahlnacht vom Gallischen Dorf zum Dorftrottel.

B. Ollo / 29.08.2023

Das ist dann wohl der Zeitpunkt, wo Söders Klassenkameraden und Kameradinnen aus der Deckung kommen können und die übelsten Söder-Schoten aus der seiner Sturm und Drangzeit öffentlich preisgeben können. Wie der Herr, so das Gescherr. Was das Rindviech darf, darf auch der Jupp und die Resi. Wer weiß, wie vielen Mädels der notleidende Söder in seinen Burschenjahren nachgestellt oder diese schwer belästigt hat. Wir dürfen gespannt sein.

Reinmar von Bielau / 29.08.2023

Der Söder isdoch ein echt linker Stinker. Ich hoffe, dass ihm das auf die Füße fällt.

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