Schwere Pilotenfehler bei Boeing

Der amerikanische Flugzeughersteller Boeing ist eigentlich eine Legende – die er gerade durch schwere Zwischenfälle selbst zerstört. Jetzt starben auch noch zwei "Whistleblower".

Boeing läutete vor zwei Generationen mit der 707 das Jet-Zeitalter ein, und die weite Welt wurde zum „Global Village“. Der Name der Firma stand für technischen Fortschritt und Sicherheit, bis vor einigen Jahren durch eine Reihe von Zwischenfällen das Image geschädigt wurde. Durch den Tod von zwei „Whistleblowern“, die vor Gericht gegen ihren früheren Arbeitgeber aussagen sollten, kam nun noch ein krimineller Verdacht ins Spiel. Wie kam es zum dramatischen Verfall dieses grandiosen Unternehmens?

Boeing hatte nach und nach seine US-Konkurrenten aufgekauft, und schließlich blieb nur noch Airbus als Widersacher. Die beiden liefern sich seither ein gnadenloses Rennen, welches primär durch den Fortschritt hinsichtlich Wirtschaftlichkeit entschieden wird. Dabei finden die Optimierungen eigentlich weniger beim Flugzeugbau statt als bei Triebwerken und der Automatisierung. Eventuelle Lorbeeren gehen also an Firmen wie Pratt & Whitney beziehungsweise General Electric für die Motoren, und an Honeywell für die Avionik.

Boeing selbst hatte nur wenige Lorbeeren verdient, insbesondere hatte man nicht einmal seine wichtigsten Hausaufgaben gemacht. 2015 kam Airbus mit der „320 neo“ auf den Markt, die mit ihren neuen Turbofan-Triebwerken konkurrenzlos sparsamer war als die Boeing 737. Man brauchte nun dringend auch so etwas, aber die neuen Turbofans waren zu groß und passten nicht unter die bodennahen Tragflächen der 737. Boeings Top Management, das diese Innovation verschlafen hatte, gab das Problem an die Ingenieure weiter: „Lasst Euch etwas einfallen“. 

Design von 1967

Und so wurden die neuen Turbofans irgendwie an die 737 gewürgt, deren Design damals bereits 50 Jahre alt war. Mit den neuen Triebwerken wurde das Flugzeug allerdings problematisch: beim Start drückt der Schub die Nase der neuen 737max gewaltig nach oben, und wenn ein Pilot, der die alte 737 gewohnt ist, nicht schnell reagiert, dann kann die Strömung abreißen und der Flieger stürzt ab.  

Um das zu kompensieren, installierte man eine Software im zentralen Computer, welche dafür sorgt, dass die Nase des Fliegers energisch nach unten gedrückt wird, sobald der Anstellwinkel zu groß wird. Schwächen in der Aerodynamik wurden also durch einen Computer-Trick korrigiert. Das war keine gute Lösung: Sollte die Automatik im falschen Moment eingreifen, würde sie das Flugzeug in den Boden steuern. Genau das passierte zweimal, und es kostete 350 Menschenleben. Am 29.10.2018 traf es einen Flug von Lion Air und am 10.3.2019 die Ethiopian Airlines

Bei der Zulassung der 737max durch die FAA „Aircraft Evaluation Group (AEG)“ hatte Boeing besagte Steuer-Automatik verheimlicht, mit der Folge, dass diese schließlich in den Flugzeughandbüchern und den Schulungsmaterialien für die Piloten nicht richtig beschrieben wurde. Die Anklage wegen dieses Betrugs kostete Boeing schließlich insgesamt 2,5 Milliarden Dollar an Kompensation für die Angehörigen und Bußgeld. Und im Wettrennen mit Airbus, bei dem man bis 2018 Kopf an Kopf lag, fiel man jetzt deutlich zurück.

Was hat man daraus gelernt?

CEO Dennis Muilenburg war zwar gefeuert worden, aber die Ethik hat sich deswegen nicht gebessert. Ursprünglich war die Maxime gewesen: „Wir bauen die besten und sichersten Flugzeuge der Welt, dann werden wir Erfolg haben“. Dieses Motto aber hatte sich gewandelt zu: „Wie kann man aus diesem erfolgreichen Unternehmen den maximalen Shareholder Value pressen.“ In kleinen Schritten wurde der Einfluss der Ingenieure durch die Finanzvorstände zurückgedrängt, die dann neue Prioritäten setzten. Da traten dann manchmal Qualität und Sicherheit in den Hintergrund, weil Kosten und Termintreue wichtiger waren. 

Es kam immer wieder zu kleinen und größeren Problemen. Mitarbeiter aus der Fertigung schlugen Alarm, wenn unter Zeitdruck Teile in die Flugzeuge eingebaut wurden, die den Spezifikationen nicht entsprachen. Zeitintensive Qualitätskontrollen wurden abgekürzt in der Zuversicht, es wird schon nichts passieren. Und das ist nun ein Motto, das in der Fliegerei den nächsten Unfall garantiert.

Und der kam am 5. Januar 2024, als sich bei einer B737max nach dem Start ein „Door Plug“ selbstständig machte und der Fahrtwind von einigen hundert Stundenkilometern das Innere der Kabine verwüstete. Airlines wollen den Abstand zwischen den Sitzreihen ja selbst bestimmen, um so mehr oder weniger Passagiere unterbringen zu können.

Dementsprechend muss eine bestimmte Zahl an Notausgängen an bestimmten Positionen verfügbar sein. Der Flugzeugrumpf ist so gebaut, dass für alle möglichen Konfigurationen ein passendes Loch in der Wand vorhanden ist. Für eine konkrete Konfiguration werden dann die unnötigen Löcher mit „Propfen“ geschlossen. Die sind ähnlich groß wie die Tür des echten Notausgangs, haben aber natürlich keinen Bedienungshebel und öffnen sich nach außen. Damit sie dem Überdruck in der Kabine widerstehen können, sind sie mit einer Reihe von kräftigen Bolzen am Rumpf befestigt. In der Unglücksmaschine hatte man einige dieser Bolzen vergessen. 

Der Tod zweier Whistleblower

Dieser Unfall war spektakulär, hat aber gottseidank keine Menschenleben gekostet. Es sollte nicht dabei bleiben. Im März 2014 wurde der ehemalige Boeing-Mitarbeiter und Whistleblower John Mitchell Barnett tot in seinem Auto aufgefunden. Er hatte eine Schusswunde am Kopf, möglicherweise war es Selbstmord. In der Vergangenheit hatte er der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA kritische Berichte über Sicherheits- und Qualitätsaspekte bei der Produktion des Boeing 787 Dreamliners zukommen lassen. Zum Zeitpunkt seines Todes führte er einen Prozess gegen Boeing

Ein zweiter Whistleblower, Joshua Dean, ehemaliger Mitarbeiter des wichtigen Boeing-Zulieferers Spirit AeroSystems, ist nach einer mysteriösen Krankheit Ende April 2024 im Alter von 45 Jahren plötzlich verstorben. Er war in der Qualitätskontrolle der 737max tätig und hatte öffentlich über Fehler bei der Fertigung berichtet, nachdem man ihm im Hause Boeing keine Aufmerksamkeit schenkte.

Können all diese Desaster die Konsequenz des gnadenlosen Strebens nach Shareholder Value sein? Hat die Dominanz der finanziellen Aspekte alle technischen Bedenken an die Wand gedrückt? Die Fluggesellschaft Emirates, mit immerhin 133 Exemplaren der B777 in ihrer Flotte, hat zur Bedingung gemacht, dass der nächste CEO bei Boeing ein Ingenieur sein muss, damit man weiter im Geschäft bleibt. Da kann man nur zustimmen, denn ein Ingenieur kann sich leichter in die Logik des Finanzwesen einfinden als ein Chief Financial Officer in die Geheimnisse des Flugzeugbaus.

 

Dr. Hans Hofmann-Reinecke studierte Physik in München und arbeitete danach 15 Jahre in kernphysikalischer Forschung. In den 1980er Jahren war er für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien als Safeguards Inspektor tätig. Er lebt heute in Kapstadt. Dieser Artikel erscheint auch  im Blog des Autors Think-Again. Der Bestseller Grün und Dumm, und andere seiner Bücher, sind beAmazon erhältlich.

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Leserpost

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Dr. med. Jesko Matthes / 06.05.2024

Erinnert stark an die NASA und das Space Shuttle, vor und nach dem 28.01.1986 und erneut vor und nach dem 01.02.2003. Jedesmal hieß es, der Erfolg musste ja her; aber um den Preis des Scheiterns? Und dann, die Ingenieure müssten nun endlich gehört werden. Dann kam das Ende des von vornherein überzogenen, durch Modernisierungen am Ende hoffnungslos verbastelten Systems. Kein gutes Omen für Boeing, wenn sie da auch so modernisieren.

Wolfgang Richter / 06.05.2024

“Bei der Zulassung der 737max durch die FAA „Aircraft Evaluation Group (AEG)“ hatte Boeing besagte Steuer-Automatik verheimlicht,” - Gibts bei der FAA keine entsprechenden Fachleute, denen aufgrund des veränderten “Designs” des Fliegers die damit sich verändernden Flugeigenschaften hätten auffallen müssen? Was entsprechende Fragen an den Hersteller hätte nach sich ziehen müssen? Eigentlich hätte diese Klitsche nach dem Großbetrug mit Todesfolge dicht gemacht werden müssen. Und Fluggesellschaften sollten sich eigentlich weigern, diese “Dinger” zu kaufen. Daß Piloten sie fliegen ? Wirtschaftlicher Zwang führt ja bekanntlich zur Freiwilligkeit -Denkmodell ala Lauterdingens- . Gut daß meine Zeit der Fernreisen vorbei ist, denn in diesen Boeing-Konstruktionsfehler mit Ansage würde ich nicht einsteigen. Dafür reicht mein Vertrauen in Computertechnologie halt nicht.

Wolfgang Richter / 06.05.2024

Bisher hieß es doch, daß mysteriöse Sterbefälle eine russische Spezialität seien. Es wohl doch eher eine Art “Pandemie2.

F.Lux / 06.05.2024

Eine bessere Bestätigung für meiner Entscheidung ,mein Leben auf Flugreisen, nur einer JunkersmaschineTyp 52 anzuvertrauen,hätten sie mir nicht geben können.Schon mein Großvater hat auf diesem Flugzeugtyp, den Widrigkeiten seiner Zeiten trotzen können.Sonst wär ich ja wohl nicht da.

M. Corvinus / 06.05.2024

“Insider sagen, dass der W124 (2,5 Millionen Exemplare zwischen 1984 und 1996) der letzte Mercedes gewesen sei, bei dem noch die Ingenieure das Sagen hatten und nicht die Controlling- und Marketingabteilung. Ein Beispiel: Bis zum 124er leistete sich der Hersteller noch den Luxus einer Öldruckanzeige im Cockpit, beim Nachfolger W210 (kein Mercedes hat einen schlimmeren Ruf) wurde dieses Bauteil eingespart.” —-  WELT vom 12.04.2018

Roland Völlmer / 06.05.2024

So passende Selbstmorde sind nichts Unübliches in den USA. Ist im Umfeld von Clintons passiert, und ein Hr. Eppstein hatte sich auch dazu entschließen müssen. Es gibt also nichts zu sehen hier. Gehen Sie weiter. Ach, und wenn es keine Konkurrenz gibt, wie bei der Rüstung, wird es alles viel günstiger. Und funktioniert auf allen Feldern. Und auch die amerikanische Autoindustrie ist ein voller Erfolg. Zuverlässigkeit besser als Japan und Deutschland zusammen. Mist, jetzt hat mich jemand geweckt.

T. Weidner / 06.05.2024

Starben die Whistleblower “einfach so” - oder wurden sie liquidiert? Bei den Summen, die hier auf dem Spiel stehen, lohnt sich doch der beste und teuerste “Problemlöser”...

S. Wietzke / 06.05.2024

Das Problem geht tiefer. Boing war über Jahrzehnte ein typisches Ingenieurunternehmen und wurde auch immer von Ingenieuren geführt. Mit der Übernahme von McDonnell Douglas 1997 begann das Desaster. Eigentlich hatte man die gekauft um sich mit der Verstärkung des Rüstungssektors ein zweites Standbein zu schaffen das die oft volatilen Märkte im Investitionsgütermarkt abfedern sollte. Das Management von MDC war allerdings völlig anders drauf. Das waren keine Techniker, sondern Leute deren Kompetenzen darin bestehen sich in schmierigen und korrupten Kreisen zu bewegen (Rüstungsaufträge). Diese auf Machttaktiken spezialisierten Typen haben dann in kürzester Zeit ihren Käufer übernommen und das alte Management bei Boing problemlos rausgedrängt und anschließend ihre üblichen Geschäftspraktiken auf das gesamte Unternehmen übertragen. Dessen Ziel nun nicht mehr war mit guten Produkten zu überzeugen, sondern möglichst rasch die Konten der Vorstände zu füllen. Oder wie sagte schon der helvetische Prokonsul in “Asterix bei den Schweitzern”: “Ich wurde für ein Jahr zum Stadthalter ernannt. Das bedeutet ich habe ein Jahr Zeit um reich zu werden.” Boing wird die Nummer allerdings trotzdem überleben. Notfalls durch überhöhte Rechnungen an das DoD. Denen konnte man ja schon immer einfache M6-Muttern für 5000$ das Stück unterjubeln. P.S.: Ein Luftfahrtingenieur hat im Internet übrigens angekündigt sich selbst eine Boing zusammenzubauen. Und zwar ausschließlich aus Teilen die die Flugzeuge dieses Herstellers während des Fluges verlieren. Einen erheblichen Teil hat er schon zusammen. Dazu gehören Triebwerke, Notrutschen, Türen und Teile der Außenverkleidung.

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