Leopold Vogt, Gastautor / 11.07.2020 / 06:15 / Foto: Pixabay / 51 / Seite ausdrucken

Schlachthöfe: Von wegen “früher war alles besser”

Es ist eine weit verbreitete Ansicht, dass “früher alles besser war”. Besonders in der sehr emotional geführten Debatte um die Erzeugung unseres Essens wird dieses Motiv ständig bemüht, so wird auch jetzt ein Zurück zu den alten, dezentralen Schlachthäusern propagiert. Denn die Realität sieht momentan anders aus: Ein großer Teil des konsumierten Fleisches stammt aus zentralen, großen Einrichtungen, die täglich tausende Tiere verarbeiten, Tönnies zum Beispiel produziert nach eigenen Angaben 850 Tonnen Schweinefleisch pro Tag und erreicht damit 27 Prozent Marktanteil.

Doch warum sind einzelne Schlachthöfe so groß, warum scheint die Branche so zentralisiert ausgerichtet? Die Antwort mag erstaunen: weil es zivilisatorisch sinnvoll bis notwendig schien, das Schlachtgeschehen in Städten zu zentralisieren – aus gutem Grund. 

Ein offensichtlicher Grund, warum dies sinnvoll ist, liegt in der höheren Effizienz von großen Schlachthöfen: Sie benötigen weniger Arbeitszeit pro Tier, so benötigen die Chicagoer Schlachthöfe nur 15 Minuten, von der Schlachtung eines Rindes bis zu seiner Zerlegung. Auch können große Unternehmen alle Teile der Tiere besser vertreiben, so dass weniger vom Tier ungenutzt bleibt. Kleine Produzenten und Metzger können zwar meist die beliebten Stücke gut verkaufen, für die weniger populären finden sich dagegen schon erheblich schwieriger Abnehmer

Doch auch aus hygienischen Gründen wurde die Schlachtung zentralisiert. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein wurde in München noch teils in Hinterhöfen geschlachtet, dabei wurde das Vieh durch die Gassen der Stadt getrieben, die dadurch genauso verschmutzt wurden wie durch die fragwürdige Entsorgung der Schlachtabfälle.

1866 wurde der Schlacht- und Viehhof München gebaut

Erst durch die Bestrebungen Max von Pettenkofers nach einer verheerenden Choleraepidemie 1866 wurde der Schlacht- und Viehhof München gebaut und die Hinterhofschlachtung eingehegt. Während bei dezentraler Schlachtung Hygiene schwierig zu kontrollieren ist, ist das bei zentralen Einrichtungen recht simpel und vollständig möglich, so sind im Schlacht- und Viehhof München eine Abteilung Amtlicher Tierarzt vorhanden, vor 1996 auch eine Direktion des städtischen Veterinärwesens, wodurch die Bedingungen gut kontrollierbar waren – jedes Tier wird hierzu vor und nach dem Schlachten begutachtet und für den menschlichen Genuss als tauglich oder untauglich befunden, zum Beispiel wegen Parasitenbefall oder Seuchen.

Auch hierdurch kann höchste Qualität und Lebensmittelsicherheit gewährleistet werden. Bei kleineren Schlachthöfen ist zwar auch zwingend die Fleischbeschau notwendig, die weiteren Kontrollen sind dagegen wahrscheinlich schwieriger durchzuführen. Zentralisierung macht Großschlachthöfe dagegen zu gut überwachbaren Einrichtungen, da ihre Struktur eine beinahe lückenlose Anwesenheit von Kontrolleuren ermöglicht. 

Und auch dem Tierschutz eröffnet ein zentralisiertes Schlachtgeschehen bessere Möglichkeiten: Die dauernd anwesenden Kontrolleure achten auch auf die Behandlung der Schlachttiere. Genauso lässt sich aber eben auch eine gute fachliche Praxis und Professionalität garantieren, auch im Schlachthof. 

Ein Betrieb, der am Tag tausende Tiere verarbeitet, hat sowohl mehr Erfahrung als auch bessere Technik im Umgang mit den Tieren. Beides trägt zu tierfreundlicher Behandlung bei. Auch wenn manche eine Vorstellung pflegen mögen, nach der der Dorfmetzger die Tiere auf der Weide zu Tode streichelte: Mangelnde Praxis und Professionalität, gepaart mit fehlendem Equipment, führen nicht selten zu fragwürdigen Zuständen in kleinen Schlachthäusern (natürlich nicht überall).

Vom Versuch, eine Kuh zu verladen

Wenn die Metzgerei aus meinem Nachbardorf schon daran scheitert, eine Kuh zu verladen, sollte das zumindest Zweifel an deren Professionalität im Umgang mit den Tieren säen. Konkret wurde die Kuh vermutlich unsachgemäß verladen, durchbrach die Bahn ins Schlachthaus und rannte über drei Kilometer weiter in unsere Obstwiese, wo sie der Zaun aufhielt (das Grundstück ist nur von drei Seiten eingezäunt, sie war also sozusagen in eine Art Falle gelaufen). Eigentlich wäre es nun kein Hexenwerk mehr gewesen, das Tier einzutreiben, auch da schnell massenweise massive Gehegeelemente herangeschafft wurden. Nur müssen diese Elemente auch entsprechend aufgestellt werden, sodass das Tier in den Viehanhänger läuft – Stichwort Professionalität. Das geschah nicht, und die eigentlich arme Kuh lief außen an den Elementen vorbei und rannte weitere Kilometer. Bis kurz vor die Autobahn, wo die Polizei sie schließlich erschoss, bevor sie größere Unfälle verursachte. Der Körper wurde entsorgt, durch den stundenlangen extremen Stress war er nicht mehr verwendbar. Das ist nicht nur eine traurige Anekdote, die ich selbst als Kind erlebte, es ist auch ein Symptom fraglicher Praktiken.

In Großschlachthöfen sind solche Kalamitäten durch besseres Equipment einfacher zu vermeiden und dem Tierwohl kann besser Rechnung getragen werden. Eine der wenigen Ausnahmen sind hierbei lange Tiertransporte, die natürlich zu hinterfragen sind – das heißt aber noch nicht, dass örtliche Schlachter ihre Tiere nicht auch von weit her karren können.

Zentrale Schlachtstätten sind eine Errungenschaft der Moderne, die für besseres Essen und bessere Seuchenkontrolle sorgte. Sie sind aber auch ein Schritt hin zu einer vollständigeren Nutzung der Tiere mit weniger Arbeitsaufwand, was auch ärmeren Familien gute Ernährung mit Fleischanteil ermöglicht, bei ebenfalls erheblich mehr Lebensmittelsicherheit. Gleichzeitig können sie einen großen Beitrag zur Kontrolle der Tierhaltung auf den Betrieben leisten und durch bessere Technik und mehr Know-how und Professionalität die Schlachtung erheblich stressfreier gestalten.

Die Sehnsucht nach weichgezeichneten “guten alten Zeiten” scheint menschlich, sinnvoll ist sie nicht, weder ökologisch, noch gesundheitlich, noch für die Tiere.

 

Leopold Vogt, Jahrgang 2002, lebt in Bayern. Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Jugendblog Apollo-News.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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K.Lehmann / 11.07.2020

Zu Zeiten des Kalten Krieges wurde in Berlin(West) ein riesiger Schlachthof gebaut, der nur den Sinn hatte, viel Geld aus dem Subventiontöpfchenzu bekommen. Dazu wurden die armen Schweine (im wahrsten Sinne des Wortes) von westdeutschen Landen über die Autobahnen nach Berlin gekarrt, dort geschlachtet, nach der Schlachtung wieder auf dem gleichen Weg zurückbefördert. alles zum Wohle einer Geldbörse die ich nicht kenne und auch nicht kannte, aber nicht zum Wohle dieser armen Schweine.

P. F. Hilker / 11.07.2020

Genau so ist es Herr Vogt. Die Gründe, die Sie anführen, haben zu einer Zentralisierung geführt. Und das aus den von Ihnen genannten Gründen. Die Kommentatoren hier im Forum, die da meinen, sie wüssten es besser, haben keine Ahnung, keinen blassen Schimmer. Schon in den 60er Jahren wurde kleinen Schlachtereien die Schlachterlaubnis, hauptsächlich aus hygienischen Gründen, entzogen. Und dieser Trend hat sich bis zur heutigen Zeit immer weiter fortgesetzt. Die Behörden und damit der Staat, hat dafür selbst gesorgt. Aber es gibt auch in diesem Forum Leute, die meinen, sie müssten die Klappe aufmachen, nur um sich wichtig zu machen.

Frances Johnson / 11.07.2020

@ Dr. Hans Christ: Danke für Ihren sachkundigen Kommentar. Ich möchte nur hinzufügen, dass auch ein Turnierpferd sich weigern kann, sein Transportmittel zu betreten, und das ich so etwas diverse Male erlebt habe. Ein Ross beobachtete ich einstmals, wie es, zurück von einer Zahnbehandlung, vollkommen verschwitzt aus dem dem Transporter kam und sich sofort im Sand wälzte. Wie auch junge Hunde können viele Tiere Angst vor dem Transport haben, und die Verhikel mögen eine Art klaustrophobische Angst auslösen. Der Artikel oben ist so weit weg vom Tier, dass er nicht mehr in die heutige Zeit passt.

Oskar Kaufmann / 11.07.2020

Ich bin in den 70ern und 80ern auf dem Land in Franken aufgewachsen. Bei den Bauern gab es mindestens 2 mal im Jahr Hausschlachtung, bei Nicht-Landwirten 1 mal. Die Sau wurde per Bolzenschuß ins Jenseits befördert. Jeder Hof und auch die Häuser der Nicht-Landwirte hatten eine Schlachtküche mit großem, holzbefeuertem Kessel. Da wurden die Blut- und Leberwürste, Innereien, Speck usw. gekocht. Anschließend “Metzlsuppn” (Schlachtschüssel) mit Kesselsuppe, Kraut, Innereien, Speck, frisch gebratenen Batwürsten (fränkische, keine Nürnberger). Die Landmetzgereien haben ebenfalls noch selber im Betrieb geschlachtet. Doch dann kam die EU mit Hygienevorschriften, die für einfache Landmetzgereien nicht umsetzbar, weil viel zu teuer waren. Seitdem schlachten die verbliebenen Betriebe im Schlachthof der nächsten Stadt. Schade.

Frances Johnson / 11.07.2020

@ A.Lisboa: Der Vergleich mit den Großkrankenhäusern ist durchaus passend. Man kann auch noch Großschulen anführen. Natürlich ist es “the economy, stupid”.  Ich schließe mich den Lesern, die die Ausführungen kritisch sehen, an. Was gar nicht zur Sprache kommt im Stück, sind die abzulehnenden Tiertransporte über längere Strecken. Diese betrifft auch Schweinetransporte über Grenzen, die man z.B. nach Italien oder Spanien rollen sieht zur Herstellung und Räucherung von angeblich lokalem Schinken. Der einzige lokale Schinken ist Pata Negra vom Schwarzen Schwein. Vieles vom Rest ist lokale Räucherung und mehr nicht. Auch diese Passage kann ich nicht unterschreiben: “Ein Betrieb, der am Tag tausende Tiere verarbeitet, hat sowohl mehr Erfahrung als auch bessere Technik im Umgang mit den Tieren.” Je größer, desto anonymer, desto mehr wächst die Distanz zum Tier. Im Krankenhaus ist es nicht unähnlich. Technik mag sein. Aber zum guten Umgang mit Tieren gehört Kenntnis und Feingefühl. Es verkauft mir sicher niemand, dass angekarrte rumänische Hilfsarbeiter sich besonders dadurch auszeichnen, genauso wenig wie Spediteure. Hinterhofschlachtung (oder im Bad) gibt es nur noch in bestimmten Milieus. Ansonsten spricht nichts gegen Dezentralisierung. Dann hat man eben nicht mehr jeden Tag Wurst im Einkaufskorb.

Steffen Huebner / 11.07.2020

Ein Großschlachthof hat i.d.R. bessere Möglichkeiten, mit seinen modernen Anlagen eine hygienisch hochwertige und tierschonende Schlachtung durchzuführen. Wer schon mal das unqualifizierte “Gemetzel” bei Hausschlachtungen ansehen durfte, wie das Tier erst leiden muß oder die oft technischen Unzulänglichkeiten in Kleinstbetrieben, der weiß das. Im Fall Tönnis ist ungerecht, dass man vom jahrelangen Versagen der staatlichen Behörden ablenken will und es passt auch noch bequem zur politischen Kampagne Fleischverzicht. ABER: Es existieren klare Hygieneregeln und staatliche Behörden, die das überwachen sollen und die auch knallhart mit Auflagen, Bußgeld und Verboten durchgreifen könnten! Wenn diese Überwachung aber unwirksam ist, weil die ganze Hierarchie der behördlichen Abhängigkeiten und Rücksichtsnahmen destruktiv wirkt, was dann? Es zwingt auch niemand die ausländischen/ deutschen Werksarbeiter in Billigunterkünfte - die wollen nämlich ihren Verdienst nicht hier ausgeben, sondern zu Hause in der geliebten Heimat. Die wollen gar nicht hierher!  Es bleibt wie es ist: Man muß hier eindeutig von Staatsversagen sprechen, denn dort liegt letztlich die Verantwortung und die Macht - Sei der Schlachthof groß oder klein!

Arthur Sonnenschein / 11.07.2020

Sehr guter Beitrag. Es ist genau so einfach wie Sie es beschreiben. Erst die in grossem Stil durchgeführte Industrialisierung, Digitalisierung, Modernisierung und die damit verbundenen Produktivitätsfortschritte haben es ermöglicht die Massen auskömmlich zu unterhalten. Allein deshalb können die Menschen mit dummen Wohlfühl-Platitüden und ihrer Version von früher war alles besser Anderen auf den Zeiger gehen und so tun als wären es nicht Tönnies, Amazon, VW & Co und das Heer aus Unternehmern, Codern, Erfindern, Entwicklern und Ingeneuren, die die Selbstgerechten vor den Konsequenzen ihrer eigenen Wünsche abschirmen.

Michael Scheffler / 11.07.2020

Lieber Herr Kaufmann, früher ist nicht früher. Im Mittelalter wurde auch viel Fleisch gegssen. Bis ins 19. Jahrhudert dagegen war der Fleischverbrauch abgesunken. Hängt eventuell mit dem Einzug der ersten Phase des Kapitalismus und Bevölkerungswachstum zusammen.

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