Peter Grimm / 07.07.2023 / 16:00 / Foto: Fabian Nicolay / 39 / Seite ausdrucken

Reißt die CDU die „Brandmauer“ ein? 

Die Partei diskutiert darüber, aber dabei geht es nicht um die Abgrenzung nach rechts, sondern darum, die nach links weiter aufzuweichen. Konkret geht es um die engere Zusammenarbeit mit den SED-Erben.

Die „Brandmauer nach rechts“, also das politische Kontaktverbot zu Menschen, die etwas mit der AfD zu tun haben, ist derzeit in aller Munde. Weil die AfD gerade dank der Politik der anderen Parteien von Umfragehöchststand zu Umfragehöchststand getragen wird, wollen ebendiese Parteien erklärtermaßen, dass die Brandmauer hält. Für die praktische Politik könnte sie manch ein Politiker demnächst vielleicht als äußerst hinderlich empfinden, nämlich dann, wenn aus den Umfrageergebnissen Wahlergebnisse werden sollten. In mehreren Ost-Bundesländern könnten bald nur noch Allparteienbündnisse inklusive der Linken in der Lage sein, eine Regierung ohne AfD-Zustimmung zu bilden. Insofern steht natürlich insbesondere die CDU unter Generalverdacht, dass die „Brandmauer nach rechts“ in ihrem Beritt zu bröckeln beginnen könnte, auch wenn der Parteivorsitzende Friedrich Merz Stein und Bein schwört, dass das niemals geschehen werde. Aber welchen langfristigen Wert haben schon Parteivorsitzenden-Schwüre?

Nach der Wiedervereinigung war für die demokratischen Parteien eigentlich klar, dass man in Fortsetzung der Gepflogenheiten in der alten Bundesrepublik weder mit Rechtsaußen- noch mit Linksaußenparteien paktiert. Insofern gab es, in heutiger Metaphorik formuliert, seinerzeit zwei Brandmauern. Die eine nach rechts zu Parteien wie den Republikanern und selbstverständlich noch extremeren Parteien und die andere nach links zu den noch relativ frisch gewendeten umbenannten SED-Erben, deren Partei immerhin die letzte deutsche Diktatur auf dem Kerbholz hatte. Logischerweise betraf die Abgrenzung nach rechts vor allem CDU und CSU, die nach links SPD und Grüne. Nur die FDP musste sich kaum Gedanken um die Stabilität irgendeiner Brandmauer machen.

Eine Brandmauer bröckelte recht schnell, die zu den SED-Erben, die damals als PDS firmierten. Viele Bewohner der Ost-Bundesländer, die unter den Folgen des Umbruchs und der Krise litten oder zumindest verunsichert waren, wählten aus Protest die PDS. Sie hatten das Gefühl, damit würden sie die Bundesregierung und die etablierten Parteien am stärksten piesacken und erreichen, dass mehr auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen würde. Das brachte in Landtagswahlen Wahlergebnisse, bei denen eine Regierungsbildung gegen die SED-Erben quasi eine Allparteien-Kooperation erfordert hätte. Schnell bekam die Brandmauer nach links ihre ersten entscheidenden Risse.

Bereits nach der Landtagswahl im Jahr 1994 entschied sich der Sozialdemokrat Reinhard Höppner, mit den Grünen als Koalitionspartner eine Minderheitsregierung zu bilden, die sich von der PDS tolerieren lässt. Eine Koalition mit den SED-Erben war nur vier Jahre nach der Wiedervereinigung noch keine der Öffentlichkeit vermittelbare Option. Aber klar war, dass es auch die nach einer kurzen Schamfrist geben würde. Eigentlich wäre auch eine Große Koalition möglich gewesen, aber eben nicht unter einem SPD-Ministerpräsidenten, weil die CDU einen minimalen Vorsprung hatte. Doch die Genossen in Sachsen-Anhalt wollten lieber an die Spitze und waren dafür zum Abtragen der Brandmauer nach links bereit.

Der Koalitionsreigen begann

Vier Jahre später wurde dann auch koaliert, allerdings nicht in Sachsen-Anhalt, sondern in Mecklenburg-Vorpommern. Harald Ringstorff erwählte sich die SED-Erben 1998 zum Koalitionspartner, obwohl er rein rechnerisch eine Große Koalition auch als SPD-Ministerpräsident hätte führen können. Doch die Genossen der PDS erschienen ihm vielleicht gefügiger und/oder standen ihm einfach näher. Eigentlich war ab da von der Brandmauer nach links kaum noch etwas übrig. Die SPD erklärte zwar – um antikommunistische Wähler nicht vollends zu verprellen – vor Bundestagswahlen noch längere Zeit regelmäßig, mit der PDS und später zur Linken umbenannten SED auf Bundesebene nicht zusammenarbeiten zu wollen, aber nach inzwischen vielen Koalitionen auf Landesebene – in Thüringen gar als Juniorpartner eines Ministerpräsidenten der Linken – gilt dieses Versprechen höchstens noch bis zur nächsten günstigen Koalitions-Möglichkeit.

Die Brandmauer nach links ist gefallen. Also ein Brandmäuerchen gibts da ja noch. Die CDU, die mit Appellen torpediert wird, die Brandmauer nach rechts zu halten, soll ja – nach Beschlusslage der Partei – weder mit Rechts- noch mit Linksaußenparteien koalieren. Aber in Thüringen ist sie Steigbügelhalter und Mehrheitsbeschaffer der rotrotgrünen Minderheitsregierung. Im Februar 2020 hatten die Christdemokraten bekanntlich den Liberalen Thomas Kemmerich zusammen mit FDP und AfD zum Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen gewählt. Da wirkte es fast, als könne die Brandmauer einstürzen, doch eine Anweisung der Bundeskanzlerin, diese Wahl rückgängig zu machen, sorgte bekanntlich dafür, dass erst Kurzzeitministerpräsident Kemmerich zum Rücktritt genötigt wurde und anschließend die CDU dafür sorgte, die rot-rot-grüne Minderheitsregierung ins Amt zu wählen. Den Wählern, die nun wieder die von ihnen mehrheitlich abgewählte Regierung amtieren sahen, wurden Neuwahlen nach einem Jahr versprochen. Die gab es bekanntlich nicht. Das Vertrauen in eine funktionierende Demokratie hat das nicht gerade gestärkt.

Was in Thüringen noch ein Ausnahmefall war, nämlich dass es keine Mehrheit ohne AfD oder Linke gibt, könnte in den ostdeutschen Bundesländern, in denen im nächsten Jahr gewählt wird, zum Regelfall werden. Und das überall mit einer AfD, die auf dem ersten Platz einläuft, was aber die Brandmauer wiederum stützt. Denn es ist leichter, entgegen bisheriger Beteuerungen selbige einzureißen, wenn man selbst führend ist, als wenn die bisher Aussätzigen als stärkste Partei auch noch den Ministerpräsidentenposten beanspruchen.

Was also tun? Der ehemalige Thüringer CDU-Landesvorsitzender Mike Mohring hat jetzt öffentlich für Gespräche seiner Partei mit der Linken nach der Landtagswahl im kommenden Jahr geworben. In der Partei von Ministerpräsident Bodo Ramelow würden Leute arbeiten, die „ihre Sache mit Sinn und Verstand machen“, habe Mohring dem Portal „The Pioneer“ gesagt, wie welt.de berichtet. Nach der Wahl müsse die Union daher im Zweifel auch mit der Linkspartei sprechen. „Die alten Bonner Koalitionsmodelle sind perdu“, soll er gesagt haben. Das stimmt ja auch. Nur was glaubt er, den Wählern zu signalisieren, wenn die CDU ihr Brandmäuerchen nach links einreißt, um das nach rechts zu halten? Im Prinzip gibt die CDU damit ihren Führungsanspruch für das Land auf, um vielleicht den Ministerpräsidenten als Primus unter den Wahlverlierern einer Allparteienkoaltion gegen die AfD stellen zu können. 

Welch ein Irrsinn. Was wird wohl  die Folge sein, wenn die AfD ausgerechnet in den kommenden Krisenjahren die Rolle als einzige parlamentarische Opposition gegen eine schwer bewegliche Regierung aus vielen Parteien zugewiesen bekommt? Für wen wird sich dann die Unzufriedenheit von Bürgern in Wählerstimmen auszahlen? Und wenn Mohring nach Jahren in einem Thüringer Landtag mit einer rechnerischen AfD-Linke-Mehrheit so etwas sagt, dann ist das sicher mehr als ein spontaner Spruch eines Provinzpolitikers aus dem Osten, sondern etwas, worüber auch andere Vertreter des CDU-Führungspersonals intensiv diskutieren. Denn vor dem Problem, dass es keine Mehrheit ohne AfD oder Linke gibt, könnten neben den Thüringern nach den Wahlen im nächsten Jahr auch die Parteifreunde in Sachsen stehen.

Sind Linkspopulisten harmloser als Rechtspopulisten?

Man weiß nicht, wie viele CDU-Politiker angesichts dessen ähnliche Pläne favorisieren, wie Mohring. Dieser muss seine einseitige Offenheit weit über die Mitte hinaus irgendwie auch inhaltlich begründen. Warum sollen Linkspopulisten harmloser sein als Rechtspopulisten? Mohrings Antwort: Die Linkspartei sei im Osten nicht mit der AfD gleichzusetzen. „Ich bin kein Freund von Hufeisen. Bei der AfD sitzen Leute, die wegen Volksverhetzung angeklagt sind. Bei der Linken sitzen solche nicht“.

Ob der letzte Satz stimmt, weiß ich nicht. Gleichsetzen kann man die beiden Parteien aber in der Tat nicht. Die eine ist mit zehn Jahren noch recht jung, die andere kann schon auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückblicken, zu der eine lange Herrschaftsperiode in der bislang letzten deutschen Diktatur gehört. Auch wenn es allein schon aus Altersgründen unter den gegenwärtig aktiven Linkspartei-Politikern kaum noch Genossen geben dürfte, die in der SED wichtige Ämter bekleideten, so ist die Vergangenheit als Diktatur-Partei dennoch prägend. Es ist sicher in beiden Parteien kein Problem, schwer ideologieabhängige  Mitglieder und Funktionäre zu finden, mit denen man um keinen Preis etwas zu tun haben will. Aber es finden sich doch sicher auch in beiden Parteien Mitglieder, mit denen man über konkrete Probleme reden und gegebenenfalls bei deren Lösung kooperieren kann. Man muss ja nicht gleich koalieren oder sich verbrüdern.

Man kann sich Wahlergebnisse in einer Demokratie nicht backen und bei einer rechnerischen AfD-Linke-Mehrheit ist es logischerweise unmöglich, mit keinem von beiden zu kooperieren. Es gibt aber, wenn man als CDU nicht noch mehr Schlagseite nach Backbord bekommen will (um mal eine Formulierung beim Kollegen Claudio Casula zu leihen), immerhin die Möglichkeit einer echten Minderheitsregierung, die sich auf beiden Seiten, der dann eben eingerissenen Brandmauern, zu konkreten Fragen Mehrheiten sucht. Vielleicht auch einer Regierung, der nicht unbedingt ein ausgewiesener Parteisoldat vorsteht, und die deshalb breit anschlussfähig ist. Und auch ohne formelle Brandmauern kann man, so man will, hinreichend inhaltliche Distanz wahren.

Vor allem aber sollte die CDU doch endlich versuchen, mit klaren politischen Akzenten, mit einem Aus- und Aufbruch aus dem lähmenden Merkel-Kosmos, mit dem Verstehen dessen, was viele Protestwähler mit ihrer AfD-Stimme den Etablierten sagen wollen, aus der inhaltlichen Defensive zu kommen. Doch das fällt der Partei der früheren Kanzlerin der Alternativlosigkeit immer noch schwer. Dieser Aufbruch ist aber nötig. Sich nur an Brandmauern festzuhalten, ist kaum zukunftsträchtig. 

Foto: Fabian Nicolay

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Elias Schwarz / 08.07.2023

Die Grünen werden wahrscheinlich im Osten kaum was holen, hoffentlich werden für immer verschwinden. Aber die CDU wird ihr Platz nehmen. Und dann auch mit 6% beginnen.

k.Behrens / 08.07.2023

leider passt das Stöcken nicht, denn ich finde die grandiosen Geschäftsideen eines “Marc Zuckerberg” und ebenso “Larry Fink” in 2023 und die damit verbundenen Interessen so genial und intelligent…da kommt eine AFD wohl kaum auf den Gedanken, diese Intelligenz abzuschlachten? Verzeihung, wir schreiben 2023!!! Ach, der geborene Deutsche möchte nicht mit Strom heizen? Ist ja interessant, insbesondere vor dem Hintergrund, warum Touristen samt Einheimischen in Hamburg mit Rucksack und Wanderschuhen grandios auf dem Weg zum höchsten Berg unterwegs sind. Allein die Herren in ihren kurzen Hosen scheinen irgendwie beruflich nicht ausgelastet? Also bitte, keine Beschwerden oder soll man den ungebildeten Herren samt Weibern noch “Freude schöner Götterfunken” musikalisch nahe bringen? Derzeit wird die “Elbphilharmonie” nicht gerade überrannt und damit sollte klar sein, deutsche Touristen in Hamburg? Dass Herr und Frau Kopftuch eher die “blaue Moschee” bevorzugen, so what? In jedem Fall sah ich noch nie eine “Türkin samt Kopftuch” in einem Hamburger Konzertsaal, das liegt nicht an den Kosten für eine Karte!

B. Gersfeldt / 07.07.2023

Die CDU ist eine Blockpartei und Teil der Nationalen Front. Sie verfolgt schon länger gemeinsam mit allen anderen Blockparteien und auch der SED (siehe Thüringen-Wahl) zusammen das gleiche Ziel. Warum sollte sie das nicht auch ganz offiziell tun?

Karl Emagne / 07.07.2023

Wer hat uns verraten? Christdemokraten! Beziehungsweise ihre Vorläufer, die Zentrumspartei, welche der Ermächtigung der Nazis zustimmte. Diesmal sollen wir an Pseudolinke verkauft werden, denen es allein um ihre und die Bereicherung einer globalistischen Elite geht.

Gerhard Schmidt / 07.07.2023

“Wer sein Haus behalten will, muss AfD wählen” - Das könnte besitzende Alt-CDU-Wähler vielleicht überzeugen…

Stefan Eckert / 07.07.2023

Mit Merz und seiner Anbiederung an die Grünen wird das nichts. Mohring kam heute noch dazu. Die CDU sollte sich auf ihre früheren Werte besinnen und mit der AfD zusammenarbeiten. Denn sonst wird ihr das gleiche Schicksal wie den Christdemokraten in Italien bevorstehen. Die AfD steht für die früheren Werte der Union.

Gus Schiller / 07.07.2023

Als vor gut 40 Jahren die Grünen in der deutschen Politik auftauchten wurde auch geschrien “Mit den Schmuddels werden wir nie zusammen arbeiten”. Heute dominieren sie die Politik, obwohl sie nur knapp 15% der Wählerstimmen bekamen. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand.

Matthias Haus / 07.07.2023

  Es ist köstlich was der AFD inhaltlich alles nachgetragen wird. Frage an die CDU. Man möchte also lieber mit Linken Verbrechern koalieren, die historisch gesehen eigene Landsleute an der Grenze kaltblütig ermordet haben ??? Alles schon vergessen Merz und Co . Dagegen ist die AFD eine lupenreine Demokratie.

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