Georg Etscheit / 25.10.2020 / 16:00 / Foto: Pixabay / 31 / Seite ausdrucken

Radfahren ganz unideologisch

Welch unglückliches Volk! Aus allem machen die Deutschen eine Ideologie, selbst aus dem Radeln. Seit innerstädtische Pedalritter im Combat-Dress mit Helm und Warnweste zu Helden der Klimakrise avanciert sind, seit handyfonierende Latte-Mamis mit Lastenfahrrad als Avantgarde der „Großen Transformation“ gelten und zweirädrig sich fortbewegende Hundehalter, ihre keuchenden Vierbeiner im Schlepptau, fossilen Automobilisten zeigen, wo der Hammer hängt, seit dieser Zeit hat Radeln seine Unschuld verloren.

Das ist schade, denn für mich verkörpert das Radfahren, neben der ganz normalen Fußläufigkeit, die simpelste, sanfteste, gesündeste und ökologischste Form der Fortbewegung überhaupt. Jedenfalls dann, wenn man damit anderen Menschen, die sich auf andere Weise fortbewegen, nicht den Krieg erklärt. Aber leider hat der eigentlich sympathische Boom der rein mit Körperkraft getriebenen Mobilität auf zwei, maximal drei Rädern den Charakter einer Machtübernahme angenommen. 

Befeuert durch Corona wurden in vielen Großstädten überfallartig neue Fahrradwege markiert und massenweise Parkplätze dauerhaft zu Freischankflächen oder Fahrradstellplätzen umgewandelt (ich schrieb bereits darüber).  Viele Menschen, die sich vor dem Virus fürchten, ob dies gerechtfertigt erscheint oder nicht, sind aufs Rad umgestiegen mit dem sie pandemisch unbeschadet zur Arbeit kommen und sich zudem die lästige Maskierung in öffentlichen Verkehrsmitteln ersparen.

Diese Entwicklung bescherte der Zweirad-Industrie einen markanten Umsatzsprung um 34 Prozent auf 4,23 Milliarden Euro, ein Anstieg, der aber den Einbruch in der Automobilindustrie wohl nicht wird kompensieren können. Dazu ist ein Fahrrad, wie die vielen herren-, damen- und kinderlosen Schrotträder am Straßenrand zeigen, doch eben kein Hightech-Produkt mit entsprechender Wertschöpfung. Wenn man einmal absieht von den ebenfalls mächtig boomenden E-Bikes, die streng genommen jedoch keine Fahrräder mehr sind, sondern Motorräder und behördlicherseits auch so behandelt werden sollten, inklusive Zulassung, Kennzeichen, Helmpflicht, Bußgeldkatalog und Verbot der Nutzung nicht eigens ausgewiesener Waldwege und Gebirgssteige. Dank Hilfsmotor kommen nämlich immer mehr Freizeit-Velozipedisten selbst im Hochgebirge Wanderern und Kletterern in die Quere, was schon zu Handgreiflichkeiten geführt haben soll. Doch das ist eine andere Geschichte. 

Straßen als Radfahrern allein zustehendes Terrain

Die jahrelange Propagierung des Radverkehrs bei gleichzeitiger Verteufelung des Automobils in satt ergrünten Großstädten wie München hat unter anderem dazu geführt, dass Radfahrer unterdessen mit einem robusten Selbstvertrauen gesegnet sind und Automobilisten, die ihren Weg kreuzen, schon mal mit unflätigen Beschimpfungen überziehen. Dabei sehen sie nicht nur Straßen mit oder ohne Radstreifen als ihnen allein zustehendes Terrain an, sondern auch Bürgersteige, auf denen sich Eltern mit klobigen Cargo-Bike (Lukas und Lena inside), durchaus legal, zwischen Fußgängern mit und ohne Hund, Kinderwägen, Rollatoren, Skateboards und modischen Scootern mit und ohne Elektromotor den ihnen angeblich zustehenden Raum verschaffen, und jeder beherzte Tritt in die Pedale ein Statement für eine bessere Welt ist, das im Zweifelsfall auch verbal mit der gebotenen moralischen Rigorosität kommuniziert wird. 

Ich bin selbst oft mit dem Fahrrad unterwegs, allerdings nur innerstädtisch. Vor kurzem habe ich sogar mein ÖPNV-Abo gekündigt, weil ich nur noch sporadisch in Bus, U- oder S-Bahn steige, nicht aus Furcht vor Ansteckung, sondern wegen Maskenpflicht, Überfüllung und Unpünktlichkeit. Außerdem macht es mir Spaß, gemächlich, auf dieses Wort lege ich besonderen Wert,  durch die Gegend zu strampeln. Und zwar im Alltagsgewand – bei passenden Gelegenheiten auch in Abendgarderobe – ohne doofen Helm und spezielle Schutzkleidung. Bei Regen bleibe ich einfach zu Hause oder ich fahre mit Regenschirm, den es gilt, mal in der einen, mal der anderen Hand zu balancieren, um noch schalten, bremsen und abzeigen zu können.

Das schönste am Radfahren ist die Möglichkeit des kalkulierten und glücklicherweise meist gar nicht oder, wenn doch, eher milde sanktionierten Gesetzesbruches. Einmal fuhr ich nachts in München über eine leere Straßenkreuzung und missachtete gleich drei rote Ampeln. Leider war dies einer zufällig am Straßenrand parkenden Polizeistreife nicht entgangen. Durch ein rückhaltloses Schuldeingeständnis gelang es mir, die Beamten auf einen einzigen Rotlichtverstoß herunterzuhandeln. Das Bußgeld war ebenso überschaubar wie dessen individualpräventive Wirkung. 

Mit zwanzig behelmten Radl-Rambos an der Ampel Schlange

Ich gebe unumwunden zu, dass ich als Radfahrer die Regeln der Straßenverkehrsordnung großzügig auslege. An roten Ampeln halte ich nur, wenn der Verkehr zu dicht ist oder ein Kind am Straßenrand wartet – man möchte ja kein schlechtes Vorbild sein, zumindest für die Jüngsten, die noch nicht wissen können, dass es völlig unsinnig wäre, an einer leeren Straße auf Grün zu warten, wenn einem im Fall des erwischt werdens kein Fahrverbot und Punkte in Flensburg drohen. 

Das Schöne am Radeln ist doch, dass man sich ganz zwanglos im Verkehr bewegen kann, so zwanglos, wie es etwa die ständig hupenden und gestikulierenden Autofahrer in Neapel tun. Man mäandert über Straßen und Plätze, kann, bei gebotener Rücksichtnahme, rote Ampeln passieren, auch mal kurz auch auf den Bürgersteig ausweichen oder gegen die Einbahnstraße fahren, durch Parks und Grünanlagen sowieso. Wobei ich noch einmal betonen möchte, dass ich eben nicht zu denen gehöre, die meinen, ihnen müsse aus ideologischen Motiven heraus der gesamte öffentliche Straßenraum exklusiv zur Verfügung stehen. Ich  nutze nur vorhandene Freiheitsgarde, wobei meine Freiheit da aufhört, wo andere in Ausübung ihrer Freiheit beschnitten, das heißt behindert oder gefährdet werden.

Die auch in München geplanten Fahrrad-Highways werde ich sicher nicht benutzen. Mit zwanzig behelmten Radl-Rambos an der Ampel Schlange stehen? Da kann ich gleich das Auto nehmen. Dass man als Radfahrer immer weiß, wohin mit seinem Gefährt, ist angesichts der von Klima bewegten Autohassern verursachten, sich ständig und absichtsvoll verschärfenden Parkplatznot vielleicht der größte Vorteil zweirädriger Mobilität. Wobei ich keine eigenen Stellplätze für meinen Drahtesel brauche. Eine Hausmauer, ein Baum oder ein Schaufenster, an die man das Rad lehnen, ein Straßenschild, an die man es festketten kann, finden sich überall. Und irgendwo müssen Autos ja auch stehen. 

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Günther Kühnle / 25.10.2020

Ich komme aus einer niedlichen und ziemlich versifften süddeutschen Stadt mit 300.000 Einwohnern. Nahezu alle Fahrradkilometer sind in einem Zustand wie in der DDR die Straßen. Schlaglöcher finden sich mehr als korrekte Meter, und die Neigung der Löcher beginnt allmählich verantwortungslose Tiefen anzunehmen. Ein schnellradweg zwischen einer weltweit bekannten Studentenstadt und meiner 300000 Einwohner Stadt ist geplant. Kosten bei 1 bis 2 Millionen. Auf nahezu allen Fahrradwegen in der Stadt gewinnen die Schlaglöcher an Tiefe um Tiefe. Aber an der repräsentativen Universität hat man von einer dreispurigen Straße jeweils eine Spur rot angepinselt und mit Fahrrad Symbolen bemalt. Über eine Million Euro Kosten. Die Schlaglöcher werden tiefer und tiefer, den SPD-Stadtrat drauf angesprochen, fragte er mich: wo habe es den Schlaglöcher? Darauf habe ich nichts mehr gesagt. Überall dort hat es Schlaglöcher, wo rot grünes Wähler Klientel und seine Majestät NICHT Fahrrad FÄHRT, Unglaublich! Ich bin am überlegen, ob ich nachts überhaupt noch Fahrrad fahren werde, weil ich dadurch Schlaglöcher nicht mehr sehe.  Selbst auf großen Fahrradwegen ist das so. Oder ob ich mein Motorrad abgeben soll, weil es allmählich wirklich lebensgefährlich wird. Wobei: mehrere Brücken sind marode, vielleicht bricht der Verkehr bald ganz zusammen. Mit der Industrie. “Wegen Corona.”,werden sie sagen. “Dann können wir vor Merkel den Kniefall üben und ihr die Hand küssen. Danke Angela, dass du uns gerettet hast.”

F. Dittert / 25.10.2020

Sehr schöner Artikel, Herr Etscheit. Sollten Sie die Kommentare lesen, so werden Sie merken, dass Sie durchaus auch bei den Lesern der Achse einen wunden Punkt getroffen haben. Ich persönlich halte es wie Sie: „Kein Einhalten von Regeln um der Regel Willen“ oder anders ausgedrückt: „Leben und Leben lassen“.

Dr. Karl Wolf / 25.10.2020

Radfahrer sind die neuen Helden der Medien, sie stilisieren sich gerne als rücksichtsvolle,  Umwelt schonende Opfer des Strassenverkehrs. Leider hält dieses Narrativ der Realität des täglichen Alltags häufig nicht stand. Zwar ist der Ersatz des Autos durchs Fahrrad grundsätzlich zu begrüßen, doch mit diesem Ersatz ist leider keine Änderung von Mentalität und Verhalten der jeweiligen Benutzer verbunden, Radfahrer – vor allem jüngere - zeigen genauso wie Auto- und Motorradfahrer zunehmend Aggressivität und das Fehlen sozialer Empathie. Insbesondere die schwächste Gruppe des Straßenverkehrs, die Fußgänger, bekommen auf Geh- und gemeinsam genutzten Wegen die Rücksichtslosigkeit radelnder Soziopathen zu spüren, Menschen mit Kindern, Kinderwagen und/oder Hund, Alte und Behinderte werden in höchstem Tempo überholt, häufig ohne jede Warnung und Sicherheitsabstand. Bei engen Begegnungen wird nicht etwa Schritt gefahren oder geschoben, es wird mit vollem Risiko vorbeigebrettert, Verantwortungsgefühl fehlt völlig, Ermahnungen werden mit Spott oder Beleidigung beantwortet. Auch in Wäldern und Wiesen bleibt man als Wanderer zunehmend von Radfahrern – vornehmlich in Form von Mountainbikern - nicht verschont. Das Problem rücksichtsloser Radfahrer hat sich durch die massenhafte Verbreitung der Ebikes weiter verstärkt. Verantwortungslose Radfahrer sind wie ihre Auto und Motorrad fahrenden Pendants Ausdruck und Folge gesellschaftlicher Verrohung, des Fehlens sozialer Empathie einer egoistischen Spaßgesellschaft. Die wirklichen Opfer des Strassenverkehrs sind die Fußgänger, die über keinerlei politische und mediale Lobby verfügen.

Elias Schwarz / 25.10.2020

Da wollen wir genau dorthin, woher Länder wie China, Vietnam u.ä. rauswollen. Viel Spaß.

Hans-Peter Dollhopf / 25.10.2020

Die Natur mit ihren blutigen Zähnen und Klauen kennt viele Wege, solch Tand von Menschenheit wie einen Fahrradreifen zu perforieren , doch die spezifische Glasscherben-pro-Fläche-Kennzahl deines “Großraumes” ist gleichzeitig ebenso Indiz für seine gesamtgesellschaftliche Verwahrlosung, wie für die Wahrscheinlichkeit, mit dem Radl nicht von A nach B zu gelangen, selbst wenn B nur ein schönes Zufallserlebnis am Wochenende bedeutet hätte und nicht die Firma, sowie Frust-Faktor. Spätestens ab dem wöchentlichen Versagen der Schwalbe-Mäntel war ich dann aus dem Rennen. Kevlar, Alien-Technologie, spirituelle Selbstheilung des Velocipeds? Ja bin ich denn Krösus. I’m walking. Unmaskiert.

Werner Arning / 25.10.2020

Mit dem Fahrrad kann man die Welt entdecken. Ganz gemütlich. Hinter jeder Kurve, in jedem nächsten Dorf wartet das Unbekannte, gibt es etwas zu entdecken. Nette Begegnungen inklusive. Denn (Wander-)Fahrradfahrer sind in der Regel nette Leute. Biergärten bieten sich zu häufigem Ausruhen an. Je nach durchradelter Region genießt man Unterschiedliches. In Städten geht es dann schon hektischer zu. Neulich war ich in Münster. Da wird man als Fußgänger oder Autofahrer seines Lebens nicht mehr froh. Das regiert der Radfahrer. Und das äußerst selbstbewusst. Liegt natürlich am Rückenwind, dem ihm (die grüne) Politik gewährt. Da fährt man in vollem Brustton der linksgrünen Überzeugung Rad. Und verhält sich dementsprechend geringschätzig gegenüber dem dieses nicht bewundernden Zeitgenossen. Dabei gehörte das Radfahren früher zum Alltäglichen im Münsterland, selbstverständlich für Alt und Jung. Mit Ideologie hatte es damals zum Glück noch nichts zu tun. Es ging um Fortbewegung und nicht ums Klima. Um die Fletze machte man kein Geschrei. Jetzt freue ich mich allerdings auf ein E-Bike. Will mir demnächst eines anschaffen. Man kommt weiter damit.

Henri Brunner / 25.10.2020

Auch ich muss als teilzeit/sommer-Radfahrer feststellen: das grösste Problem sind die Radfahrer! Rechtsvortritt? Nie gehört! Aber auch Radfahrer kommen mal von rechts. Von der ganzen restlichen Blage, welche weder Vorsicht noch Rücksicht kennt, will ich gar nicht reden. Einziger Trost: auch hier spielt die gnadenlose Auslese der Natur: wer zu dumm ist, landet irgendwann unter einem Auto oder LKW - und das ist gut so, denn es hebt mittels dieser Auslese auch den durchschnittlichen IQ. Zwar langsam, dafür definitiv.

Karla Kuhn / 25.10.2020

Ach was bin ich für ein glücklicher Mensch mit meinem uralt Fahrrad ohne E Motor, 3 Gängen und einer hervorragendem Übersetzung. Nicht mal ein “Dress besitze ich, fahre in schnöden Jeans mit einer Jacke. Und wie ein Wunder komme ich trotzdem von A nach B. Ich fahre vorausschauend, weil heute auf viele andere Radler kein Verlaß mehr ist, die glauben nähmlich, wenn sie auf einem überfüllten Radweg noch durchbrettern, kommen sie eher ans Ziel. Lustigerweise treffen wir uns immer an den roten Ampekn wieder . Radeln ist für mich sportliche Betätigung und Notwendigkeit in einem. Was andere anziehen dazu und ob E Bike, ist mir völlig schnuppe. Ich habe aber auch noch nicht die Erfahrung gemacht, daß hier bei uns viele Radeler besonders modebewußt sind. Viele benutzen auch alte Räder, um sie dann an der S Bahn abzustelllen, was mit neuen,  modernen Rädern wegen Diebstahl fahrlässig wäre.

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