Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass unsere Politiker auf den Straßen einen Zustand anstreben, den China in den 70er Jahren bereits erreicht hatte. Während China sich aber weiterentwickelte von einer Fahrradnation zu einem Autoland, entwickeln wir uns zurück. China hat dank Deng Xiaoping und Marktwirtschaft die Folgen des Großen Sprungs überstanden. Ob Deutschland die Große Transformation übersteht, ist dagegen noch nicht sicher.
Als eine frühere Schulfreundin von mir vor 15 Jahren schwanger wurde, fuhr sie mit dem Rad lieber in der 50-Zone auf der Straße zwischen den Autos als auf dem Radweg daneben. Auf dem Radweg hatte sie einfach zu viel Angst. Das fand ich damals sehr bezeichnend. Auch ich habe das Radfahren - als ich es noch regelmäßig tat - gehasst. Wegen der anderen Radfahrer. Gefühlt hielt sich nicht mal jeder Zweite an die einfachsten Verkehrsregeln. Man musste ständig mit der Dummheit der anderen rechnen und gut aufpassen. Das hat echt genervt. Vor einigen Jahren habe ich mal einen Fernsehbeitrag gesehen. Darin beklagten sich Polizeibeamte darüber, dass Radfahrer, die sich verkehrswidrig verhalten, teils extrem uneinsichtig seien. Die typische Aussage der Ertappten war wohl: "Aber ich fahre doch umweltfreundlich!" Damals hat mich das sehr amüsiert. Weil ich es so absurd und hirnrissig fand. Heute amüsiert mich so etwas nicht mehr. Damals zeichnete sich bereits ab, dass die jungen Leute anscheinend meinen, man könne ruhig gegen Regeln verstoßen, wenn es denn einer vermeintlich guten Sache dient. Mittlerweile ist diese Mentalität ja leider überaus weit verbreitet. Der Beitrag von damals zeigte bereits, wo die Reise einmal hingehen würde.
Ich komme aus einer niedlichen und ziemlich versifften süddeutschen Stadt mit 300.000 Einwohnern. Nahezu alle Fahrradkilometer sind in einem Zustand wie in der DDR die Straßen. Schlaglöcher finden sich mehr als korrekte Meter, und die Neigung der Löcher beginnt allmählich verantwortungslose Tiefen anzunehmen. Ein schnellradweg zwischen einer weltweit bekannten Studentenstadt und meiner 300000 Einwohner Stadt ist geplant. Kosten bei 1 bis 2 Millionen. Auf nahezu allen Fahrradwegen in der Stadt gewinnen die Schlaglöcher an Tiefe um Tiefe. Aber an der repräsentativen Universität hat man von einer dreispurigen Straße jeweils eine Spur rot angepinselt und mit Fahrrad Symbolen bemalt. Über eine Million Euro Kosten. Die Schlaglöcher werden tiefer und tiefer, den SPD-Stadtrat drauf angesprochen, fragte er mich: wo habe es den Schlaglöcher? Darauf habe ich nichts mehr gesagt. Überall dort hat es Schlaglöcher, wo rot grünes Wähler Klientel und seine Majestät NICHT Fahrrad FÄHRT, Unglaublich! Ich bin am überlegen, ob ich nachts überhaupt noch Fahrrad fahren werde, weil ich dadurch Schlaglöcher nicht mehr sehe. Selbst auf großen Fahrradwegen ist das so. Oder ob ich mein Motorrad abgeben soll, weil es allmählich wirklich lebensgefährlich wird. Wobei: mehrere Brücken sind marode, vielleicht bricht der Verkehr bald ganz zusammen. Mit der Industrie. "Wegen Corona.",werden sie sagen. "Dann können wir vor Merkel den Kniefall üben und ihr die Hand küssen. Danke Angela, dass du uns gerettet hast."
Sehr schöner Artikel, Herr Etscheit. Sollten Sie die Kommentare lesen, so werden Sie merken, dass Sie durchaus auch bei den Lesern der Achse einen wunden Punkt getroffen haben. Ich persönlich halte es wie Sie: „Kein Einhalten von Regeln um der Regel Willen“ oder anders ausgedrückt: „Leben und Leben lassen“.
Radfahrer sind die neuen Helden der Medien, sie stilisieren sich gerne als rücksichtsvolle, Umwelt schonende Opfer des Strassenverkehrs. Leider hält dieses Narrativ der Realität des täglichen Alltags häufig nicht stand. Zwar ist der Ersatz des Autos durchs Fahrrad grundsätzlich zu begrüßen, doch mit diesem Ersatz ist leider keine Änderung von Mentalität und Verhalten der jeweiligen Benutzer verbunden, Radfahrer – vor allem jüngere - zeigen genauso wie Auto- und Motorradfahrer zunehmend Aggressivität und das Fehlen sozialer Empathie. Insbesondere die schwächste Gruppe des Straßenverkehrs, die Fußgänger, bekommen auf Geh- und gemeinsam genutzten Wegen die Rücksichtslosigkeit radelnder Soziopathen zu spüren, Menschen mit Kindern, Kinderwagen und/oder Hund, Alte und Behinderte werden in höchstem Tempo überholt, häufig ohne jede Warnung und Sicherheitsabstand. Bei engen Begegnungen wird nicht etwa Schritt gefahren oder geschoben, es wird mit vollem Risiko vorbeigebrettert, Verantwortungsgefühl fehlt völlig, Ermahnungen werden mit Spott oder Beleidigung beantwortet. Auch in Wäldern und Wiesen bleibt man als Wanderer zunehmend von Radfahrern – vornehmlich in Form von Mountainbikern - nicht verschont. Das Problem rücksichtsloser Radfahrer hat sich durch die massenhafte Verbreitung der Ebikes weiter verstärkt. Verantwortungslose Radfahrer sind wie ihre Auto und Motorrad fahrenden Pendants Ausdruck und Folge gesellschaftlicher Verrohung, des Fehlens sozialer Empathie einer egoistischen Spaßgesellschaft. Die wirklichen Opfer des Strassenverkehrs sind die Fußgänger, die über keinerlei politische und mediale Lobby verfügen.
Da wollen wir genau dorthin, woher Länder wie China, Vietnam u.ä. rauswollen. Viel Spaß.
Die Natur mit ihren blutigen Zähnen und Klauen kennt viele Wege, solch Tand von Menschenheit wie einen Fahrradreifen zu perforieren , doch die spezifische Glasscherben-pro-Fläche-Kennzahl deines "Großraumes" ist gleichzeitig ebenso Indiz für seine gesamtgesellschaftliche Verwahrlosung, wie für die Wahrscheinlichkeit, mit dem Radl nicht von A nach B zu gelangen, selbst wenn B nur ein schönes Zufallserlebnis am Wochenende bedeutet hätte und nicht die Firma, sowie Frust-Faktor.Spätestens ab dem wöchentlichen Versagen der Schwalbe-Mäntel war ich dann aus dem Rennen. Kevlar, Alien-Technologie, spirituelle Selbstheilung des Velocipeds? Ja bin ich denn Krösus. I'm walking. Unmaskiert.
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