Thilo Schneider / 07.04.2024 / 14:00 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Pellworm – die Insel im Nichts

Ich war auf Pellworm im Urlaub und habe sehr viel gesehen und gleichzeitig nicht viel. Es gibt dort viel Watt, beinahe identische Nachnamen, und man überlebt nur mit viel alkoholhaltigen Heißgetränken.

Also das war so: Wir haben eine Verwandte, die, weiß der Himmel warum, in den nördlichsten Norden Deutschlands gezogen ist, weg von Mittelgebirgen, weg von Wäldern und weg von den Eltern. Und zwar nach Pellworm. Und wir dachten, wir besuchen sie mal über Ostern, da Mallorca um die Zeit furchtbar überlaufen ist, ich in der Türkei mutmaßlich noch am Flughafen verhaftet werde und wir dieses Jahr schon Ägypten nebst Bodenpersonalstreik hatten. Was mich, nebenbei, 1.100 Euro gekostet hat. Da ich über Wien fliegen musste. Die TUI hat das nicht so sehr interessiert, die haben lächelnd mein Geld genommen und sich für „nicht zuständig“ erklärt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jo. Pellworm. Was gibt es über Pellworm als Osterinsel zu sagen? Es blühen Osterglocken. Jede Menge Osterglocken. Am Straßenrand. In den Gärten. Pellworm ist Osterglockencountry. Sehr hübsch.

„Atlantis der Nordsee“

Pellworm ist eine Insel mit etwa 1.234 Einwohnern und einer Ausdehnung von etwa sechs Kilometern Breite und etwa sieben Kilometern Länge. Oder umgekehrt. Es ist egal. Dreht man Karten von Pellworm auf den Kopf, dann nimmt die Insel die Umrisse eines Totenschädels an. Das mag daran liegen, dass Pellworm im Mittelalter etwa dreimal so groß war und irgendwie „Mittelerde“ oder so hieß und eine Hauptstadt namens „Rungholt“ oder „Rungenholt“ hatte. Eines Tages haben sich ein paar Pellwormer oder Pellwürmer auf den Deich gestellt und Richtung Meer „Trutz, blanke Hans“ gebrüllt. Das fand Gott nicht so witzig, und er hat die Insel mit einer Sturmflut überschwemmt und Rungholt zu Watt gemacht. So zumindest die Sage.

Die Stadt, das „Atlantis der Nordsee“, wurde mittlerweile gefunden, aber es ist irgendwie nicht mehr so viel los wie früher. Falls da überhaupt je was los war. Es gibt da ein paar Pfeilerreste, ein paar irdene Tonscherben und ein paar Brunneneinfassungen, die man bei Ebbe besichtigen könnte, wenn einen jemand hinbringen würde. Aber zumindest zu Ostern und bei typischem Pellwormer Wetter ist das so beliebt wir das Treten in einen Seeigel.

Danach buddelten die Einwohner aus dem Rest der Insel eine neue Insel, nur um 1634 bei einer weiteren Sturmflut noch einmal überschwemmt zu werden. Vorher hieß die Insel „Strand“, jetzt gibt es dafür zwei Inseln namens „Pellworm“ und „Nordstrand“. Etwas mehr als 50 Prozent hat der liebe Herrgott nebst Schafen, Gänsen, Katzen und Einwohnern versenkt, aber die Friesen sind stur und eben auf den übrigen Eilanden geblieben.

Watt, Watt und nochmal Watt

Der Geschichte nach vertrieben sie sich die Zeit damit, falsche Leuchtfeuer anzuzünden und aufgelaufene Schiffe dann auszuplündern. Das machen sie heute nur noch mit Inseltouristen, und wir hatten es ja auch nicht besser verdient, ganz ehrlich. Ich habe ägyptische Basarhändler kennengelernt, die beim Ausrauben wenigstens freundlich waren. Das ist der Nordfriesen Sache aber nicht so sehr, wenn ein Tourist möchte, dass er in ganzen Sätzen angesprochen wird, muss er oben Geld reinwerfen.

Ja, was gibt es so auf Pellworm zu sehen? Watt, Watt und nochmal Watt. Viele Einheimische erkennt man daran, dass ihre Eltern erstaunlich wenig Fantasie hatten und der Vorname und der Nachname identisch sind, nur, dass am Nachnamen noch das Suffix –„son“ dranhängt, also ähnlich wie bei Asterix. Jonas Jonasson, Kevin Kevinson und so weiter. Was Buntheit und Vielfalt angeht, sind die Pellwormer absolutes Notstandsgebiet. Keine Regenbogenfahnen oder kurdische Kulturvereine. Nicht einmal einen Gebetsraum gibt es auf Pellworm, dafür aber auch kein Gymnasium.

Nach Pellworm kommt der mutige Reisende nur mit einer Fähre, die während der etwa 30-minütigen Überfahrt Wollmützen und alkoholhaltige Kaffee-, Tee- und Kakaogetränke verkauft, alles unabdingbare Waren, die verhindern, dass man zehn Minuten nach der Ankunft an Erfrierungen verendet. Auf der Titanic dürfte es wärmer gewesen sein.

Eine Insel im Nichts

Besonderen Spaß, Pellworm zu erkunden, macht es auf dem Fahrrad. Vor allem bei Nässe, Kälte und Regen. Wenn man Autofahrer ist und ökologisch ambitionierten Familien beim Zittern zusehen kann. Wir haben viel gelacht. Bei Sitzheizung und Wärmekissen.

Bei einer derart geringen Einwohnerzahl kennt natürlich jeder jeden, und dem sprachlich unkundigen Touristen ist es nicht immer verständlich, wenn sich die Einheimischen vor seinem Rücken zum Raub verabreden. Wenn Sie auf die Insel kommen: Nehmen Sie Bargeld mit. Viel Bargeld. Das Internet ist gelegentlich wackliger als ein Interview mit Kubicki, und die Pellwormer mögen es gar nicht, wenn ein Fremder ihre einheimischen Speisen zwar verzehrt, aber nicht bezahlen kann.

Da können Sie eine Ranch in Montana mit doppelt so vielen Rindern wie Einwohner auf doppelt so viel Fläche wie Pellworm haben – illiquide ist illiquide, und das wird nicht gerne gesehen. Pro Tag sollten Sie für zwei Personen etwa 150 Euro für Essen und Getränke rechnen, dafür bekommen Sie aber auch Fisch. Reichlich Fisch. Den die braven Pellwormer wohl tagsüber fischen und aufs Festland bringen, um ihn von da wieder zurückzubringen und sich ob des Preises auf den Satz „Kommt vom Festland“ herausreden.

Pellworm – eine Insel im Nichts. Im Nebel wie Avalon. Wenn Sie in der Nähe sind, dann fahren Sie mal rüber und schauen Sie sich die Gegend an. Die zehn Minuten hat man immer.

(Weitere windige Artikel des Autors unter www.politticker.de

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Leserpost

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Torsten Wilde / 07.04.2024

Lieber Herr Schneider, Sie hätten es ahnen können. Pellworm ist hier auf der Achse schon mal, ähm, unangenehm aufgefallen. “Energiewende auf Pellworm: außer Spesen nichts gewesen”

L. Bauer / 07.04.2024

Herrlich! War anscheinend ein Griff ins Klo der Osterausflug. Ich weiß jetzt dafür, wo ich nicht hin muss. Eine Frage noch. Wie geht es denn der Verwandten dort? Überlebt die das? Oder gibt es schon wieder Umzugspläne?

Isabella Martini / 07.04.2024

Ob die Pellwormer Sie nach dem Artikel nochmal rauf lassen auf die Insel? Im Gegensatz zum Autor empfinde ich die Wortkargheit der Insulaner oft als ausgesprochen angenehm. Dieses ständige nichtssagende “Rumgeschnacke” ist auch nicht so meins. Ich mag die nordfriesischen Inseln und finde die Gespräche mit Wattwürmern und das oft rauhe Klima ganz erholsam.

A. Ostrovsky / 07.04.2024

Inseln sind meine Spezialität. Inseln im Nichts müssen aber hinter den Inseln aus dem Nichts zurückstehen.

Hans Hofmann-Reinecke / 07.04.2024

Hallo Herr Schneider,  Sie sprechen von Watt, Watt und nochmal Watt? Man könnte also sagen Kilowatt - Megawatt? Genau das brauchen wir doch an Land, wegen Energiewende. Das sollte der entsprechnde Minister sich mal anschauen. Bei der Ankunft müssen ihn die Pellwörmer dann ohne Behinderung von der Fähre lassen. Die Abreise allerdings müsst behindert / verhindert werden.

Birgit Hofmann / 07.04.2024

Tja, die Geschmäcker sind verschieden, ich kann weder mit Äypten noch Mallorca etwas anfangen. Ich habe mir die Nordsee als Wahlheimat ausgesucht, direkt hinnerm Deich. Wenn ich dann in meinem Strandkorb sitze, bei Mövengeschrei, Wellengeplätscher, den Kiebitzrufen , eine Nordseebrise mich umweht,  und gemütlich mein Buch lese, das ist für mich daß fast höchste Glück. Wattlaufen sowieso. Klar, die Winter hier oben sind , äh, schon recht herausfordernd,  und letzten Sommer hätte ich gerne etwas ’ Karibikflair ’ gehabt…, wer mit diesem Fleckchen Erde nichts anfangen kann, ist auch im Urlaub hier falsch, Entäuschung vorprogrammiert. Schafe und Kühe auf Grünen Wiesen oder Deich, Ebbe und Flut, rauhes Klima, der ewig starke Wind , ist nicht jedermanns Geschmack . Seltsamerweise sind die Küstenorte und Inseln jedes Jahr touristisch völlig ausgebucht, ebenso Weihnachten, Sylvester und Ostern, bei schönem Wetter gilt im riesigem Watt : rechts vor links…..als Einheimischer meidet man dann die Wochenenden . Aber Herr Schneider, Touris wie sie werden anner Nordseeküste stillheimlich ’ Wattschweine ’ genannt, ha, ha., ich weiss ja, sie haben Humor.

Bernd Büter / 07.04.2024

Dem Wollenden geschieht kein Unrecht (Verwaltungsgrundsatz) gilt auf Pellworm, für Grünenwähler und E-Auto-Schrottkäufer wie auch für Corona-Betrugsspritzen-Erbettler. Viel Dummheit-viel Geschäft-viel Kriminalität. Ist halt so.

Hjalmar Kreutzer / 07.04.2024

Letzte Worte eines Wattwanderers: „Meine Uhr ist stehen geblieben“. „Gar nichts erlebt. Auch schön.“(Von Eugen Egner, u.a.Titanic, dem Herrn Mozart untergejubelt). „Wenn einer von uns beiden stirbt, zieh‘ ich nach Hallig Gröde“. (Weil mir auf Hallig Hooge und Hallig Langeneß zu viele Touristen rumtrampeln). Schon auf Sylt und spätestens in Jütland hat sich das mit den Tiden und dem Schlick erledigt. Unsere Kleinfamilie, Vorschulkind, die beste Frau von allen und meine Wenigkeit, hatten uns 1990 in drei Wochen auf Pellworm saugut erholt, weil sich die Leute dort wohltuend verteilen und alle ihre Ruhe haben wollen. Das Kind hat in der wohltemperierten Schwimmhalle das Schwimmen erlernt, und anschließend gab es eine Treppe höher beim Jugoslawen lecker Essen. Ja, zugegeben, von Norden nach Süden nimmt in Deutschland eine gewisse Geschmeidigkeit und Grundhöflichkeit im mitmenschlichen Umgang miteinander zu. Aber wir genügten uns meist selbst.

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