Parteiendiktatur statt Regierungsbildung  

Seit dem 26. September 2021 wissen die Wähler, dass es statt der erwarteten schwarz-grünen Regierung eine Ampel-Koalition geben wird. Seitdem haben sie die Bekundungen des Willens zur Macht durch FDP und Grüne – vermittelt über Instagram – zur Kenntnis genommen und warten geduldig die Regierungsbildung ab. Die zukünftigen Koalitionäre haben vereinbart, dass nichts „nach draußen dringen“ solle. Damit ist wohl gemeint, dass der Kompetenz- und Personalschacher den Augen der Öffentlichkeit gänzlich entzogen bleiben soll.

Allein die Einmischung des Auslandes bei der Besetzung des Finanzministeriums durch den Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sowie lautstarke Plädoyers wenig kompetenter Altersklassenpolitiker wie Gesine Schwan gegen den FDP-Vorsitzenden sorgten für Diskussion und Heiterkeit. Im Übrigen verläuft die Veranstaltung Regierungsbildung hinter verschlossenen Türen unter Beteiligung von 22 Arbeitsgruppen mit insgesamt 300 Teilnehmern, festgelegt von unbekannten Parteifunktionären. 

Wer so intransparent und unter Ausschluss der Öffentlichkeit bemüht ist, sich die Karten zu legen, um eine Bundesregierung bilden, hat eine Vorstellung von Regieren, die mit Entscheidungen nichts zu tun hat. Stattdessen deutet sich bereits in dieser „Regierungsbildung“ der modus vivendi der Koalitionäre an: Government by discussion. Dabei geht es mitnichten um die Diskussion über die kompetentesten Bewerber für Ministerämter oder gar – wie manche grüne Wähler noch naiv meinen – um „Durchbrüche“ in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik, sondern ausschließlich um die Befriedigung personalpolitischer Ambitionen und jene Quadratur des Kreises, die im Parteienstaat Monate in Anspruch nimmt und derweil das Land lähmt. 

Sich wegen der Kompromisse beim Lachen verbiegen

Ist dann das Mahl gerichtet, wird es von den eigentlichen Machthabern, also den Generalsekretären der Parteien, dem deutschen Volk als eine köstliche Delikatesse präsentiert werden. Wahrscheinlich werden alle – auch diejenigen, die sich wegen der Kompromisse beim Lachen verbiegen – Beifall klatschen und die „ausgewogene Regierungsmannschaft-“ als das Dream-Team der nächsten 4 Jahre lobpreisen, eventuell sogar als alternativlos charakterisieren. Damit sollen jene Kritiker mundtot gemacht werden, die letztens in der Afghanistan-Krise auf die Defizite des Bundesaußenministers und den Totalausfall der Bundesverteidigungsministerin hingewiesen haben.

Doch wer glaubt, dass danach regiert wird, täuscht sich. Es wird so weitergehen wie bereits bei der monatelangen Regierungsbildung. Die Generalsekretäre der Parteien werden das Sagen haben. Zwischen ihnen werden Streitfragen besprochen werden. Auf sie – und nicht die Minister – kommt es an. Das sind institutionelle Zustände, wie wir sie aus der DDR kennen, wo die eigentliche Macht vom ZK bzw. dem Politbüro ausging und die Minister der Regierung sich willig den Instruktionen der Parteigranden unterwarfen. In jenem Staat, der sich Bundesrepublik Deutschland nennt, geht es im Unterschied zur DDR immerhin um eine Mehrparteiendiktatur, verfassungsrechtlich abgesegnet durch das Parteienprivileg medial abgesichert durch die GEZ-Medien. So haben Parteiinteressen Vorrang vor demokratischer Staatlichkeit, ganz zu schweigen vom Gemeinwohl und der Wohlfahrt aller.

Indessen könnte die Entwicklung der Pandemie den Ampel-Politikern einen Strich durch die Rechnung machen. Denn Dezisionen – nicht nur Arbeitsgruppen und Diskussionen – werden angesichts der Infektionszahlen höchstwahrscheinlich „alternativlos“ werden. Dann sind die Partei-Koalitionäre unvermutet gefordert, über ihre Tabus nachzudenken und unangenehme Entscheidungen zu treffen und diese der Bevölkerung zu erklären. Schaffen die Parteipolitiker dies nicht, wird ein solches Unterlassen an der demokratischen Legitimität des Parteienstaates weiter nagen. 

Bundestagsabgeordnete als Illusionsvermittler

Derweil findet das Schattenboxen im Bundestag bereits wieder statt: allerdings zwischen künftiger Opposition und künftiger Regierung, obschon SPD/CSU/CDU-Minister weiterhin geschäftsführend regieren. Die Bürger sollen den Eindruck haben, dass im Bundestag über wichtige Entscheidungen debattiert wird. Insofern haben nahezu alle Bundestagsabgeordnete, besonders die führenden Epigonen, eins gemeinsam: Sie sind Illusionsvermittler, die die Deutschen glauben machen sollen, die Beschäftigungsgesellschaft mit 736 Parlamentariern (davon 128 Ausgleichs- und Überhangmandate) – ein parlamentarisches Trauerspiel, das sich Bundestag nennt – habe irgendeinen Einfluss auf die deutsche Politik. 

Wir werden sehen, ob angesichts der Pandemie-Entwicklung Institutionen, die das Grundgesetz nicht vorsieht, wie die im Bundeskanzleramt versammelten Länder-Ministerpräsidenten, die unter Führung des Bundeskanzleramtes jene Entscheidungen treffen, die normalerweise im Bundestag diskutiert werden müssen, fortleben und sich verstetigen. Die noch verbleibenden, nicht mal mehr 4 Jahre könnten in der institutionellen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu jenem Kipp-Punkt führen, ab dem es endgültig mit der Republik bergab geht. 

 

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, Gründer von www.europolis-online.org

Foto: Markus C. Kerber

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Leserpost

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Jürgen Fischer / 18.11.2021

Tja, solange die Möchtegern-Koalitionäre noch herumeiern, ist Frau Angela Merkel mitsamt ihrer Entourage weiterhin geschäftsführend im Amt und darf uns terrorisieren. Darf sie das? Eigentlich nicht, aber wen interessiert heute noch das Grundgesetz, das in Buchhandlungen inzwischen vermutlich bei den Märchenbüchern steht? Erheiternd finde ich einen Eintrag in Scholzens wikipedia-Artikel: »Scholz kritisiert darin (...) die sozialliberale Koalition, die den „nackten Machterhalt über jede Form der inhaltlichen Auseinandersetzung“ stelle.« Ahja, das haben wir heute ja auch noch? wieder?, und ein gewisser Herr Scholz ist einer der beteiligten Akteure. Wie war das nochmal mit der Zeitschleife?

Moritz Cremer / 18.11.2021

Leider ist der Kipp-Punkt bereits seit 11 Jahren überschritten…

George Samsonis / 18.11.2021

Der Kipppunkt ist schon seit langem überschritten. Die Anfänge dieses Kippens liegen schon im Jahr 1968 und im Januar 1980 bzw. März 1983. Seit 16 Jahren - genau genommen eigentlich schon seit 31 Jahren - hat sich die Bewegung zum Schwellenland von der Ersten in die Zweite Welt stark beschleunigt. Dieses ließ sich aber mit sehr, sehr viel Geld kaschieren und die Bevölkerung sedieren. Geld frisst Hirn. Heute in der Corona-, “Klima-”, Energie-, Migrations-, Bildungs-, Etc.-Lage zeigt sich, dass das Hirn, welches jetzt dringend gebraucht würde, bei großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr vorhanden ist und durch sog. “Wokeness” ersetzt wird. Bei der Entwicklung des Landes wird es in ferner Zukunft fraglich sein, ob der Klassenerhalt in der Zweiten Welt noch zu schaffen sein wird. P.S. Einen Dank an Frau Annette Heinisch für Ihre Trilogie der vergangenen Tage, insbesondere den dritten Teil.

E Ekat / 18.11.2021

alles die Folge einer uns übergestülpten Kommissars-EU, welche vorgibt, was von Parlamentariern nur noch durchgewinkt werden kann und sich dabei auf einen Eu-Gerichtshof stützt, welcher grundlos eine Allmacht für sich reklamiert. Ein Putsch, den die meisten nicht einmal regisitriert haben, obwohl sie bereits die Konsequenzen spüren müßten.

S.Wietzke / 18.11.2021

“sondern ausschließlich um die Befriedigung personalpolitischer Ambitionen” Das ist zwar richtig, aber das wird viel strategischer angegangen als der Autor vermutet. Tatsächlich macht nämlich die frei erfundene “Pandemie” den Beteiligten keinen Strich durch die Rechnung, sondern ermöglicht die dauerhafte Sicherung “persönlicher Ambitionen” durch Errichtung eines feudalfaschistoiden Elendsstaates. Und dieses Projekt wird ja gerade mit enormer Effizienz und Stringenz unter dem breiten Jubel der Bevölkerung umgesetzt. Es müssen daher auch keine “unangenehmen” Entscheidungen getroffen werden, sondern die Protagonisten geilen sich doch täglich an ihren sadistischen Unterdrückungsmaßnahmen auf. Und “erklären” muss man der Heloten-Truppe, formaly known as citizens, schon mal gar nichts. Dekretieren reicht da völlig aus. Daher ist der “Kipppunkt” auch längst überschritten (wahrscheinlich schon vor Jahrzehnten, hat nur wie immer, niemand gemerkt, aber so ist das halt bei Systemen mit langen Latenzzeiten). Die Abrichtung der Heloten kann als erfolgreich abgehackt werden und der weitere Weg in den Zivilisationsbruch ist damit auf einen deterministisch vorbestimmten Pfad eingeschwenkt.

Volker Kleinophorst / 18.11.2021

Parteiendiktatur? Welch neue Erkenntnis. Von 2004: Prof. Hans Herbert von Arnim, “Das System: Die Machenschaften der Macht”. Aus dem Klappentext: “Die Demokratie stirbt millimeterweise. Das hat seinen Grund in den Eigeninteressen der politischen Klasse: Sie soll alle Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren und das Grundgesetz wahren. In Wahrheit widmet sie alle Kraft dem eigenen Wohle, mehrt ihren eigenen Nutzen und schreckt selbst vor Verfassungsverstößen nicht zurück. Es geht um Machterhalt, materielle Absicherung und persönliche Vorteile. Längst klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine enorme Lücke.” Nochmal: von 2004.

Anke Müller / 18.11.2021

Davon ab: wundern würde mich gar nicht, wenn es im Anschluss hier dann plötzlich eine “Staatsratsvorsitzende” geben würde - und keinen Kanzler. Denn welche “im Bundesinteresse liegende Aufgaben” sollten sonst für eine vormalige Bundeskanzlerin mit einem 9-köpfigen teuren Stab nach 16jähriger Amtszeit übrig geblieben sein, die sie noch zu stemmen haben könnte? Ich kann in unserem bisherigen Staatswesen eine solche Aufgabe für abgetretene Bundeskanzler nicht erkennen und bitte deshalb darum, dass gerade diese Frau nichts “nacharbeitet”. Oder lassen wir zu, dass sie sich wie Napoleon zum Schluss noch selbst eine Krone aufsetzt?

Walter Weimar / 18.11.2021

Herr Kerber, Sie hinken einer illusiären Zukunft hinterher. Nicht Parlament, Das Politbüro ist die alte und neue Maxime! Sie werden sehen, in den nächsten vierzig Jahren braucht das Parlament, es wird bald wieder Volkskammer heißen, nur zehnmal zu tagen. Das spart nicht nur Reisekosten ...

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