Pädagogisch betreutes Schimpfwörterlernen

In der Grundschule meines Juniors finden in der ersten Schulwoche im Neuen Jahr für alle Kinder Projekttage zum sozialen Lernen statt. Eine tolle Sache, weil es für die lieben Kleinen sicher sinnvoll ist, bereits früh zu lernen, dass sie ein Teil des sozialen Systems sind und sich als ein solcher auch entsprechend zu verhalten haben. Bedauerlich ist nur, dass dies heutzutage, in unserer fortschrittlichen und toleranten Welt, notwendig zu sein scheint. 

Bei uns gab es so etwas damals nicht. Also entweder waren wir alles unsoziale Subjekte und sind später auf die schiefe Bahn geraten, oder irgendetwas war damals anders. Möglicherweise haben wir im Elternhaus etwas Ähnliches wie Erziehung genossen und wurden bei grobem Fehlverhalten auch mal – pädagogisch nicht ganz so wertvoll – auf den rechten Weg zurück gebracht.

Auf alle Fälle hat die Schule nun auch eine Schulsozialarbeiterin – als ziemlich letzte Schule der Region. War offensichtlich bisher nicht nötig, aber es hat uns letztlich doch eingeholt. Die offizielle Verlautbarung ist, dass heutzutage jede Schule dafür eine Planstelle habe. Die weniger offizielle ist, dass die Integration von mehr oder weniger Integrationswilligen einfach zu viele Ressourcen schluckt, als dass dies durch den normalen Schulbetrieb noch zu leisten wäre.

Also wurden mit der Schulsozialarbeiterin die Inhalte der Schulprojekttage erarbeitet, bei denen in jeder Jahrgangsstufe andere Themen im Fokus stehen. Von „Gefühle wahrnehmen und Grenzen setzen“ für die Erstklässler über „Was bedeutet Freundschaft“ hin zu „Guter Umgang mit Konflikten“ und eine „rücksichtsvolle Feedbackkultur“ für die Drittklässler.

„Böse, böse“ und „nicht verwenden“

Da es immer sehr interessant zu erfahren ist, was die Sprösslinge erlebt haben, insbesondere, wenn Projekttage stattfinden, haben wir uns über Lerninhalte des Tages unterhalten. Auf meine Frage schaute mich ein peinlich berührtes Kindergesicht an, und es druckste herum: „wir haben ganz viele Schimpfwörter gelernt“.

Als es mir nach einiger Zeit wieder gelang, meine heruntergeklappte Kinnlade zu Sprechbewegungen zu motivieren, erhielt ich auf Nachfrage nähere Informationen zum Ablauf. Die Kinder haben Schimpfwörter auf Kärtchen schreiben sollen, die dann in der Klasse verlesen wurden. 

Weil einige Kinder wohl aus rückständigen Elternhäusern kommen und nicht alle Wörter kannten, folgte die Erklärrunde, in der sich die Klassenkameraden gegenseitig die Begriffe erläuterten. Am Ende wurden – und jetzt wird es pädagogisch wertvoll – die Kärtchen mit den Hinweisen „böse, böse“ und „nicht verwenden“ zerrissen. Alles unter der strengen Beaufsichtigung durch die Schulsozialarbeiterin.

Nun bin ich pädagogisch nicht ganz so bewandert, aber aus meiner Erfahrung verwenden Kinder im Streit immer die schlimmsten Beleidigungen, an die sie sich erinnern können. Egal, ob man ihnen vorher sagte, dass sie die niemals sagen dürfen, oder sie einen Zettel zerreißen sollten. Ob Zweifel am Nutzen der Aktion berechtigt sind, wird die (nähere) Zukunft weisen.

Man hätte auch Mathe lernen können

In den uns überholenden Ländern des Fernen Ostens haben die Kinder in dieser Zeit wahrscheinlich so etwas Unnötiges wie Mathe oder Naturwissenschaften gelernt. Was für eine Zeitverschwendung! Wo sie doch in der gleichen Zeit auch Schimpfwörter hätten lernen können.

Aber mein achtjähriger Sohn weiß jetzt wenigstens, was ein Hurensohn ist. Wurde auch mal Zeit. Wie wichtig dieses Wissen ist, habe ich einmal selbst erleben dürfen, als ich einem Disput zweier Libanesen lauschte. Nachdem der inhaltliche Teil abgewickelt war, wurde die Diskussion folgendermaßen beendet: „Du bist ein Hurensohn“! „Nein, du bist ein Hurensohn“! „Nein, du bist ein Hurensohn“. „Nein…du….Hurensohn“! Und so weiter. Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, dass die beiden Gehirnakrobaten Zwillinge waren. Insofern bin ich dankbar, dass es mit Hilfe der Projekttage meinen Söhnen erspart bleiben wird, sich derart gegenseitig zu betiteln. Sehr zur Freude meiner Frau.

Der nächste Tag wurde dann deutlich besser. Auffällig in der Klasse ist, dass zwei Kinder immer mit am Start sind, wenn es Auseinandersetzungen gibt. Nennen wir sie Heinz und Horst – um keine wie auch immer gearteten Ressentiments zu wecken. Als ich meinen Sohn heute nach dem Projekttag fragte, sagte er, dass Heinz weiterhin ungehemmt sein ganzes Arsenal an Schimpfwörtern abfeuere. Bei Horst hingegen habe der Kurs Wirkung gezeigt. Der schubst und haut jetzt direkt ohne Vorwarnung, verwendet aber immerhin keine bösen Wörter mehr. Na also, geht doch. 

Ich bin gespannt, was die Kinder am letzten Tag lernen. Möglicherweise üben sie dann eine Doppelstunde lang an einer Puppe, wie man Anderen richtig zwischen die Beine tritt – selbstverständlich nur, damit sie wissen, was sie nicht machen dürfen. Klingt logisch.

Foto: Fabian Nicolay

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Leserpost

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Franck Royale / 12.01.2020

Jetzt freuen Sie sich doch bitte auch einmal, Herr Heinlein: Ihr Sohn bekommt eine Sozialarbeiterin geschenkt! Ein großartiger Tag im Leben eines Kindes, der in Zukunft mindestens so gebührend gefeiert werden sollte wie die Ankunft des Weihnachtsmannes. Finden Sie nicht? Als Geschenke gibt es dann Schimpfwörterbücher, Eine-Welt-Helme und bunte Erste-Hilfe-Kästen. Wobei das rot-grüne Framing an dieser Stelle noch fehlt: “Sozialarbeiter” klingt irgendwie brutal nach letztem Jahrtausend, nach Schmutz und Dreck, nach Anstrengung - definitiv nichts für die künftigen, sich herauskristallisierenden Schneeflöckchen im deutschen Sonnenstaat. Wir brauchen irgendwas mit Mensch, wie wäre es mit “Menschmacherin”?

Hubert Bauer / 12.01.2020

Da muss ich an eine Szene aus Michel aus Lönneberga denken. In dieser Szene hat er seiner Schwester Wörter gesagt, die sie nie verwenden darf. Der Vater hat das mitbekommen und Michel eine Ohrfeige verpasst. Heute braucht man dafür studierte und hochbezahlte Sozialarbeiter.

Claudius Pappe / 12.01.2020

Ich bin in den 60 und 70 er zur Schule gegangen , da gab es keine Sozialpädagogen, auch nicht in der Schule. Das Gute in der Bonner Republik: Wir waren fast alle gleich, die Eltern hatten zu 80 % den gleichen ” sozialen ” Hintergrund. Aufbau war angesagt-nicht Gleichmachung. Auch Kinder von Zahnärzten, Industriearbeitern, Bauern und Beamten kamen gut miteinander aus. Es änderte sich erst in den 80 er. Vielleicht lag es auch daran, das alle deutsch sprachen, selbst Einwanderer aus dem Osten.

Konrad Kugler / 12.01.2020

Bei der allgemeinen Vertrottelung macht die gekonnte Beschreibung derselben wenigstens Freude.

Heike Olmes / 12.01.2020

Mein Sohn besucht die 9. Klasse eines Gymnasiums, dessen Schülerschaft zu 90% aus Kindern mit Migrationshintergrund besteht. Letztens drohte ein Lehrer: ” Wer noch einmal die Wörter “behindert” oder “schwul” im beleidigenden Zusammenhang benutzt, dessen Eltern werden einbestellt.“Antwort eines türkischstämmigen Mitschülers:” Mir doch egal. Mein Vater hasst Schwule sowieso.” So viel zum Thema “Gefühle wahrnehmen und Grenzen setzen.”

Daniel Gildenhorn / 12.01.2020

...warten Sie nur ab, was Ihr Sohn später aus der Sexualkunde mitbringt! Danach wird Ihr Unterkiefer nie wieder die gewohnte Position einnehmen können. Wobei, wenn Sie noch einige Jahre später fragen würden, was man denn so (immer noch) in Mathe hat, dann schließt sich Ihr Mund womöglich für immer.

B. Ollo / 12.01.2020

Herrlich! Der letzte Absatz. Herr Heinlein, das ist der linken Pädagogik erstes Semester. Das sind die Grundlagen. Später kommen dann Kurse, was man aber wiederum doch z.B. zu Polizisten auf Demos sagen darf, ohne dafür belangt werden zu können. Wie man richtig schottert und wie “aktiv” der passive Widerstand bei der Hausbesetzung sein darf. Vor G20 im Hamburg wurden dafür an Wochenenden ganze Schulen geöffnet, um Kurse anbieten zu können. Demnächst auch in Ihrer Stadt? Für Fortgeschrittene gibt es dann noch Kurse, welche Drogen man in welcher Menge in welchem Land mitführen darf, wann die Polizei Tatmittel beschlagnehmen darf, wie man allgemein diverse Gesetze umgehen kann, die für alle außer Linke gelten, welche Anwälte, z.B. der Roten Hilfe, jederzeit ansprechbar sind, usw. ...

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