Ostern in Messolongi

Lord Byron war ein berühmter Mann – nicht nur wegen seiner literarischen Werke, sondern auch wegen seiner finanziellen Unterstützung im Krieg der Griechen gegen die Türken.

„Während ich dieses schreibe, erfahre ich daß mein Vetter, Lord Byron, zu Missolungi gestorben ist. So hat dieses große Herz aufgehört zu schlagen! Es war groß und ein Herz, kein kleines Eyerstöckchen von Gefühlen. Ja dieser Mann war groß, er hat im Schmerze neue Welten entdeckt, er hat den miserabelen Menschen und ihren noch miserableren Göttern prometheisch getrozt, der Ruhm seines Namens drang bis zu den Eisbergen Thules und bis in die brennenden Sandwüsten des Morgenlandes.“ Geschrieben hat das kein Vetter von George Gordon Noel, sechster Lord Byron, sondern ein ihm im Geiste verwandter Dichter namens Heinrich Heine, und erklärt werden muss wohl auch, was das erwähnte Missolungi ist: Eine von drei Lagunen umschlossene Kleinstadt am Golf von Patras im Westen Griechenlands. Der Ortsname wurde immer wieder auf recht verschiedene Weise übertragen – schon deshalb, weil das Neugriechische lange Zeit in zwei verschiedenen Formen existierte. Inzwischen scheint man sich auf Mesolongi geeinigt zu haben. An dem Bus, mit dem ich vor Jahren von Athen in die Lagunenstadt fuhr, stand freilich Messolongi, und daher soll es hier dabei bleiben.

Mitteilenswerter ist ohnehin, weshalb Heine den verstorbenen Dichter so überschwänglich pries. Das tat übrigens auch Goethe, obwohl Byron ihn vertraulich einen alten Fuchs nannte, „der nicht aus seinem Bau herauskommen will und von dort moralische Predigten vorträgt.“ Rief allein das dichterische Werk des Lords beider Bewunderung hervor? Dieses hervorragende Werk der englischen Spätromantik, das vornehmlich Schicksale rastloser, leidenschaftlicher, verletzlicher Helden in Reimen schilderte? Hinreißende Verse, verführerisch, nachdem die von der französischen Revolution geweckten Hoffnungen enttäuscht worden waren? Byron war damals der bestbezahlte Dichter Europas, und noch bis zum Ersten Weltkrieg stand zumindest eine Auswahl seiner Werke in jedem gutbürgerlichen Bücherschrank. War es der unbekümmerte Lebenswandel des schönen Dandys und Verführers, bei dessen Anblick junge Frauen zuweilen ohnmächtig wurden, der beiden Geschlechtern zugetan war und dem man allerlei Verruchtes nachsagte, zum Beispiel ein Verhältnis mit seiner Halbschwester? Ein Lebenswandel, der Literaturwissenschaftler und Biografen bis heute nicht ruhen lässt? Oder war es der poetische Sportsmann Byron, der gewandte Cricketspieler, der Alpenwanderer, der ausdauernde Schwimmer, der die Dardanellen überquerte oder nach durchzechter Nacht in Venedig seinen Frackmantel abwarf und im Canale Grande zum Palazzo Mocenigo schwamm? Das alles übrigens trotz eines Klumpfußes, von dem er sagte, es sei lediglich eine falsch behandelte Verstauchung. Seine Mutter nannte ihn deshalb einen „verdammten lahmen Balg“, und es ist schon möglich, dass die Missbildung Narben in seinem Wesen und in seinem Werk hinterließ.

Achtundzwanzigjährig, musste Europas bestbezahlter Dichter allerdings trotz sportlicher Leistungen und poetischer Vorzüge England verlassen. Seine Zuneigung zu beiden Geschlechtern ließ die Standesgenossen nicht ruhen, seine Ehe war gescheitert. Er lebte nun ein gutes halbes Dutzend Jahre in Italien: teils mit der verheirateten Contessa Guiccioli, der einzigen aufrichtigen oder jedenfalls länger währenden seiner Beziehungen, teils mit den Gattinnen von Metzgern, Bäckern und Tuchhändlern. Wer will, mag Byrons Leben dort mit dem eines lüsternen Fuchses vergleichen, der hin und wieder den Kopf aus dem Bau steckt, um „von dort moralische Predigten“ vorzutragen. Einige davon finden sich in seinem erfolgreichsten Werk, im „Don Juan“. Da schrieb er einen Entschluss nieder, der ihn wahrhaftig über die meisten Dichter seiner Zeit erheben konnte: „...

Der Kampf gegen die Türken

Ich lehre, wenn ich kann, auch noch die Steine, sich gegen die Tyrannen dieser Erde zu empören.“ Wer dergleichen schreibt und so etwas wie Selbstachtung besitzt, kann es nicht bei der Zugehörigkeit zu einer moralisierenden Elite – oder vielmehr zu jenen, die sich dafür halten – belassen. Ihm genügt es auch nicht mehr, sich am gefahrlosen Zeichensetzen, am Zeigen von Gesicht und dem wohlfeilen Vorweisen einer Haltung zu beteiligen. Er muss früher oder später wirklich tätig werden und die einträgliche Gemeinschaft der Gleichgestimmten verlassen. Im Falle des Poeten Byron war dies der Mai 1823, in dem ihn in Genua eine Botschaft des Griechischen Komitees, auch Philhellenisches Komitee genannt, aus London erreichte.

Unter den Philhellenen waren Angehörige aller europäischen Nationen, aber auch Amerikaner. Sie gehörten zumeist gehobenen Schichten der Gesellschaft an und unterstützten, oft aus einer Schwärmerei für die Antike heraus, den Freiheitskampf der Griechen gegen die seit mehr als vier Jahrhunderten bestehende türkische Fremdherrschaft – manche mit der Feder wie Percy Bysshe Shelley: „Wir sind alle Griechen. Unsere Gesetze, unsere Literatur, unsere Religion, unsere Kunst haben ihre Wurzeln in Griechenland.“ Viele opferten ihr Vermögen und einige sogar ihr Leben. Ihre Anzahl wuchs seit den Ereignissen, die als Massaker von Chios in die Geschichte eingingen: Im April 1822 landeten, namentlich als Vergeltung für eine Erhebung auf der von osmanischen Türken besetzten Peloponnes sowie für einen Aufstand auf Chios, türkische Soldaten auf der Insel. Unterstützt von den Besatzungen türkischer Festungen, gelang es ihnen sehr schnell, die Aufständischen zum Rückzug über das Meer zu zwingen.

Dort, wo die Rebellen Chios verlassen hatten, wurde der Landstrich geplündert und gebrandschatzt. Die Einwohner wurden niedergemetzelt, ihre Ohren, teils auch ihre Köpfe sandten die Sieger dem Sultan in Konstantinopel, der sie vor dem Serail zur Schau stellen ließ. Damit nicht genug, suchte verstärktes Militär nun die gesamte Insel heim. Die zu Tausenden in Klöster geflohene Bevölkerung wurde gnadenlos getötet, allein im Kloster Agios Minos, das die Belagerer niederbrannten, starben dreitausend Griechen. Jenen, die sich irgendwo versteckten, wurde ein umfassender Straferlass angekündigt, doch die Türken brachten auch sie um.

Vom Leben gezeichnet

Adelbert von Chamisso, noch ungewiss über die Zahl der Opfer, dichtete damals: „Da, wo Chios einst gewesen, / Herrschet Stille sonder Gleichen; / Auf der Trümmerstatt verwesen / Zwanzig Tausend Christen-Leichen.“ Es dauerte einige Zeit, bis der osmanische Blutrausch besänftigt war, bis die zahllosen Ermordungen von Gefangenen und Geiseln endeten und man sich darauf besann, dass es mehr Gewinn brachte, die Menschen auf den Sklavenmärkten von Konstantinopel, Smyrna oder Nordafrika zu verkaufen. Nach den maßvollsten Schätzungen von Historikern mussten etwa fünfundvierzigtausend Chioten, überwiegend Frauen und Kinder, diesen Weg gehen, fünfundzwanzigtausend waren ermordet worden. Ihr geistliches Oberhaupt, den greisen Patriarchen Gregor V., hatten muslimische Fanatiker schon am Beginn des griechischen Aufstandes gehenkt und zwei Tage lang den Vögeln zum Fraß überlassen, bevor sie seinen Leichnam durch die Straßen Konstantinopels schleiften und schließlich in den Bosporus warfen.

Byron erfuhr vieles davon und mag das Schreiben des Philhellenischen Komitees, das ihn zum Mitglied ernannte, ersehnt haben. Als junger Mann hatte er einige Zeit in Athen gelebt, das Land bereist, seinen Namen in die Tempelmauer von Sounion geritzt, sich in Teresa Makri, die vierzehnjährige „Maid von Athen“ verliebt und sich nach orientalischem Brauch mit einem Dolch die Brust zerschnitten, um ihr seine Liebe zu beweisen. „Mein Leben, ich liebe dich", setzte er in griechischer Sprache unter jeden der Verse für Teresa, jubelte belebt von der Schönheit des Landes: „Wer nichts bedenkt als sein Geschick, dem ist der Untergang gewiss." Aber da waren das von türkischen Eroberern geschundene Volk und das abscheuliche Bild der Hunde, die im Garten des Sultans einen Leichnam fraßen. Nun sah er sich selbst: Fünfunddreißig Lebensjahre, Rotwein zum Frühstück, Gin mit Wasser während der Arbeit und die Sucht nach Vergnügungen waren nicht spurlos geblieben, das Gesicht, der Körper von Zügellosigkeit aufgeschwemmt und verfettet, gebeugte Haltung, eine Stirnglatze – schon lange kämmte er sich die Haare über die kahlen Schläfen. Er schrieb noch immer am „Don Juan“, aber manchmal tat er es lustlos, angewidert vom eigenen Dasein. Seine Tochter Allegra war im vergangenen Jahr gestorben, auch sein einziger Dichterfreund Percy Bysshe Shelley lebte seither nicht mehr: Er hatte den Leichnam des Ertrunkenen selbst verbrannt. Anspruch und Haltung stimmten schon lange nicht mehr überein, hatten es eigentlich nie getan. Er brauchte ein aufwühlendes Erlebnis, empfand das Verlangen, ein Held zu sein wie jene, die er beschrieb.

Byron entfaltete sogleich eine Tatkraft, die niemand ihm zugetraut hatte, sandte auf seine Kosten Schießpulver und Medikamente nach Griechenland, entwarf im Gegensatz zum bisher weitgehend untätigen Komitee einen exakten Beschaffungsplan für das Rebellenheer. Nach weiteren Vorbereitungen – er rühmte sich bald, er habe den Aufstand mit einer Summe unterstützt, die Bonapartes Aufwendungen am Beginn des Feldzuges in Italien überstieg – traf er im August 1823 in Argostoli ein. Die Hauptstadt der Insel Kefalonia, der größten und vom britischen Protektorat geschützten Ionischen Insel, sah einen entschlossenen, sichtlich abgemagerten Dichter in bescheidener Kleidung und ohne die Hunde und Affen, die ihn zuvor oft begleiteten. Den vergoldeten Helm in antiker Manier, den er für seinen Einzug in Griechenland hatte anfertigen lassen, hatte er zum Glück in Genua zurückgelassen. In Argostoli musste Gouverneur Charles Napier ihn freilich darüber belehren, auf was er sich einließ: Die Anführer der Freiheitskämpfer waren trotz gelegentlicher Siege – so hatten sie gerade den Belagerungsring der Türken vor Messolongi aufgelöst – untereinander gänzlich zerstritten. Ihr Gefolge bestand zum Teil aus völlig undisziplinierten Gesetzlosen, Räubern und Banditen, die allein die Gier nach Rache und Beute zusammenhielt.

Grenzenlose Großzügigkeit

Die Türken kontrollierten weiterhin alle Seewege und die wichtigsten Häfen. Die griechische Flotte vereinte selten mehr als ein halbes Dutzend kampffähiger Schiffe, und die provisorische Regierung war überdies nicht in der Lage, ihre Seeleute zu bezahlen. Zwei europäische Divisionen, meinte Napier, seien notwendig, wenn die Erhebung Erfolg haben sollte. Und setzte dabei sicherlich voraus, dass diese Divisionen nicht von einem Dichter geführt würden. Byron entschied sich schließlich für den Fürsten Alexandros Mavrokordatos, derzeit Generalgouverneur von Messolongi, ein ehrenhafter, gebildeter Mann ohne Autorität unter den Kämpfern, die sich in der Lagunenstadt gesammelt hatten: Freiwillige aus Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Irland, Italien, Schweden, der Schweiz, Russland und Ungarn sowie von ihrer provisorischen Regierung gerufene Griechen und malerisch gekleidete Halsabschneider wie die kampferprobten Sulioten – christliche Albaner, aus ihrem Land geflohene Todfeinde der Osmanen. Sie alle warteten auf den reichen Lord: Mavrokordatos erbat sogleich 4.000 Pfund, hunderte Sulioten verlangten einen höheren Sold. Doch Byrons Großzügigkeit war grenzenlos. Er war entschlossen, sein gesamtes Vermögen für die griechische Sache zu opfern und bezahlte allles.

Über den Verhandlungen mit den Sendboten aller beteiligten Anführer, über Plänen zur Eroberung der Festung Nafpaktos – besser bekannt unter dem italienischen Namen Lepanto – vergingen Monate. Schreiben nach London waren sechs bis sieben Wochen unterwegs, Schecks konnte Byron nur auf der benachbarten Insel Zakynthos einlösen. Am schwierigsten waren jedoch die Zusammenkünfte mit Unterhändlern aller Art, bei denen es im Grunde nur um Geld ging. Dazu Byrons Tagebuch: „Ich bin nicht gekommen, um mich einer Partei, sondern einer Nation anzuschließen und will mit ehrlichen Männern verhandeln, nicht mit Spekulanten oder Betrügern, wie sich die Griechen täglich gegenseitig nennen. Ich muss umsichtig sein.“ Zeit verrann, die er zum größten Teil in Metaxata verbrachte, einem kleinen Dorf auf Kefalonia.

Wer heute seinen Spuren dorthin folgt, wird an zwei ältere, sehr britisch wirkende Damen verwiesen: sorgfältig frisiert, dezent geschminkt und gekleidet und mit einem Wortschatz, wie man ihn nur noch in alten Ausgaben vom Thieme-Preusser findet. Sie leben in einem Haus, das auf den Grundmauern des von Byron bewohnten Hauses errichtet wurde – ein Erdbeben hatte es zerstört. Von dort erfasst der Blick eine strahlend weiße Kirche, von Zypressen und Palmen bestandene Hügel, sorgsam bestellte winzige Felder und schließlich das ewige Meer, auf dem schon so viele – auch Byrons Don Juan – Schiffbruch erlitten. Bei Tee und Biskuits erzählen die Damen dann ein paar der vielen Legenden über den Lord, die man in diesem Landstrich so liebt, und auf dem Marktplatz lächelt ein kühn blickender Byron aus Bronze darüber. Wenn man hinausgeht, führt der Weg vorbei an einer Gedenktafel, die auf den vier Monate währenden Aufenthalt des Dichters hinweist. Unter dem Text steht: GREECE REMEMBERS.

Es ist zu spät

Obwohl man ihm Geleitschutz zugesagt hat, entkommt Byron nur knapp einem türkischen Kriegsschiff und erreicht am 5. Januar 1824 Messolongi. Es gibt dort nicht viel zu sehen: Ein bewegtes Meer, der Inselkranz mit Pfahlbauten und den Befestigungen der Aufständischen, ostwärts ein halbes Dutzend Berge ohne Gipfel, flach auch der Ort und darüber ein Licht, das dem Betrachter Sicht und Atem nimmt. Lord Byron kommt in der roten Uniform eines britischen Offiziers mit golddurchwirkten Epauletten, aber der zeitgenösische Maler Theodoros Vryzakis, dessen Gemälde einen geradezu messianischen Empfang in Messolongi darstellt, sieht es anders. Da trägt der Dichter einen togaähnlichen Überwurf, der seinem Berufsstand eher entspricht und geht mit freundschaftlicher Geste auf Mavrokordatos zu. Ringsum jubelnde griechische Soldaten in den kennzeichnenden weißen Faltenröcken, mehrere Priester, ein Bischof, der die Beteiligten segnet, kniende Sulioten, Frauen und Kinder in bunter Tracht und im Hintergrund ein zerstörtes Minarett. (Vryzakis war nicht zugegen gewesen, die Szene wirkt gestelllt, aber dem Maler bedeutete sie sicherlich sehr viel: Zwei Jahre vor Byrons Ankunft hatten Türken seinen Vater gehenkt.)

Tatsächlich sind wohl nahezu alle fünftausend Einwohner der Stadt und nicht weniger Kämpfer vereint, als sie da „Lordou Vyronos“ empfangen. Er ist ergriffen. Nichts deutet auf die kommenden Wochen endloser Auseinandersetzungen und entmutigenden Wartens hin. Schon im Februar kommt es zum Bruch mit den wohl sechshundert – jedenfalls stehen so viele auf der Gehaltsliste – Sulioten, als ein Viertel davon zu Offizieren befördert werden will. Eine von der britischen Regierung zugesagte Anleihe lässt ebenso auf sich warten wie die vom Philhellenischen Komitee versprochenen Kanonen und Gewehre. Die Bevölkerung, die Wunder erhofft haben mag, ist enttäuscht, irrwitzige Gerüchte gehen um: Byron sei ein Türke und werde die Stadt an die Osmanen verraten. Zudem verderben endlos erscheinende Regenfälle und der tobende Schirokko die Stimmung, in den Entwässerungsgräben steht das Wasser, die Straßen sind zu Sümpfen geworden.

Als die erste Aprilwoche endet, kehrt Byron durchnässt und unterkühlt von einem Ausritt zurück. Er fühlt sich künftig nicht mehr wohl, verbringt die kommenden Tage auf dem Sofa. Sein Leibarzt verordnet zunächst Rizinusöl und heiße Bäder, später Fieberrinde und Opium. Als der Patient fiebert, wird ein zweiter Arzt hinzugezogen, man einigt sich auf eine Behandlung mit Senfpflaster und Antimonpulver, weil Byron sich einem Aderlass ebenso wie dem Ansetzen von Blutegeln widersetzt. In der Nacht zum Karfreitag beginnnt er zu delirieren, spricht italienisch und englisch vor sich hin, kann sich nicht mehr wehren, als man ihn zur Ader lässt. Die Ärzte – nunmehr drei, nachdem Mavrokardato seinen Leibarzt schickt – sind Militärärzte, sicherlich fähige Chirurgen, aber darüber hinaus enden ihre Kenntnisse anscheinend beim Gebrauch der Lanzette. Am Karfreitag ruft Byron in einem klaren Augenblick nach William Fletcher, dem Diener, der seit acht Jahren an seiner Seite ist. Eine Viertelstunde lang flüstert er ihm Namen und hastig hervorgestoßene Satzfetzen ins Ohr. „Nun habe ich dir alles gesagt.“, sagt er erleichtert und lehnt sich zurück. Fletcher erwidert ihm traurig, dass er kein Wort verstanden hat. Es ist zu spät.

Lord Byrons Tod

Ostersonntag, 18. April 1824: Draußen ruft das Volk den Namen Christi und die Kunde von der Auferstehung, kalí anastási, gesegnete Auferstehung. Heiligenbannner, Osterfeuer, eine Prozesssion zieht lärmend zur Kirche des heiligen Spyridon, der vor einem Jahrhundert Korfu vor den Türken gerettet hat, Soldaten feuern in die Luft, bald werden alle bei Lammbraten und Schläuchen mit geharztem Wein sitzen. Byron hingegen wird zur Ader gelassen, danach setzt man ihm ein Dutzend Blutegel an die Schläfen. Bald liegt er blutüberströmt da, weil auch der Ätzstein den Blutfluss kaum noch stillt. Einer der letzten verständlichen Sätze des Fiebernden ist: „Io lascio qualche cosa di caro nel mondo.“ („Ich hinterlasse der Welt etwas Wertvolles.“) George Gordon Noel, sechster Lord Byron, stirbt am Ostermontag, am 19. April 1824.

Inzwischen wurde erkannt: Es war wohl eine bakterielle oder durch Viren hervorgerufene Hirnhautentzündung im Verein mit der damals in Griechenland verbreiteten Falciparum-Malaria, stellte ein Ärzteteam der Universität Edinburgh in unseren Tagen fest. Dass Byron unter wiederkehrendem Malariafieber litt, hatte sich schon während eines Ausfluges von Metaxata nach Ithaka gezeigt. Somit wäre hier nur noch die rätselhaft erscheinende Äußerung des Sterbenden aufzuklären, er hinterlasse der Welt etwas Wertvolles. Das trifft durchaus zu, auch wenn man es nicht auf Byrons Werk bezieht. Durch seinen Einsatz für das Philhellenische Komitee hatte Lord Byron nämlich ganz erheblichen Anteil daran, dass die Anleihe für den Freiheitskampf der Griechen – 800.000 Pfund – von der britischen Regierung gewährt wurde.

Byron erfuhr wenige Tage vor seinem Tod davon. Überdies erregte sein Schicksal – mehr als ein militärischer Sieg – bis hinein in die Politik Europas Mitgefühl für das Geschehen in Griechenland, denn er war ein berühmter Mann. Und schließlich bleibt da noch etwas, das die dänische Schriftstelllerin Karen (Tanja) Blixen in ihrer Erzählung „Wiedersehen“ beschrieb: Darin fragt Byron einen geisterhaften Puppenspieler, was denn von seinem Werk überdauern würde. Nichts, meint der Puppenspieler, die Bände werden irgendwann ungelesen verstauben. Aber ein Buch wird man dann immer noch lesen: Lord Byrons Leben.

 

P. Werner Lange, ursprünglich Seemann, ist ein deutscher Autor von Biografien, Reisebeschreibungen, erzählenden Sachbüchern und Hörspielen. Er lebt bei Berlin.

Foto: Joseph-Denis Odevaere via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Hans-Peter Dollhopf / 01.04.2024

Herr Lange! Ein herrlicher Text! Passend zu Vielem und sich selbst empfehlend auf der Schulter des Giganten!

Gerhard Schmidt / 01.04.2024

Erinnert stark an “Lawrence von Arabien”: Ein wenig größenwahnsinnig, ein bisschen kriegsgeil und mehr als ein bisschen schwul…

Rolf Mainz / 01.04.2024

Man erkundige sich z.B. auch auf Kreta, wie der dortigen Bevölkerung seinerzeit von den osmanischen Besatzern mitgespielt wurden. Vom erzwungener Verächtlichmachung der kretischen Nachnamen (durch obligatorisches Anhängen des bekannten “aki/s”, einer Verniedlichung, um die Namensträger/innen der Lächerlichkeit preiszugeben) über “nahegelegte” Konvertierung zur berüchtigten “Friedensreligion” bis hin zu brutalsten Strafmassnahmen gegen die kretische Zivilbevölkerung.

Boris Kotchoubey / 01.04.2024

Ach so komisch war der Lord. Statt dessen sollte er an jenen Ostertagen an den Deutschen des 21.Jh. Beispiel nehmen, an Osternmarschen mit Friedenstauben teilnehmen und die Griechen aufrufen, Friedensangebote an die türkische Besatzung zu unterbreiten. Die Griechen sollten mit den Türken zusammen einen Eierkuchen essen. Ein paar Tausend abgeschlachtete uk.. - Entschuldiging, griechische - Frauen und Kinder - sch…egal: Hauptsache, ich bin für alles Gute und gegen alles Böse, vor allem für den Frieden, also bin ich ein GUTER MENSCH, nicht wie dieser Kriegstreiber Mawro… wie hieß er denn? Und wenn seine Lordschaft damals nicht bloß an Friedensbewegung teilgenommen, sonder diese auch als britischer Hochadliger mitgestaltet hätte, dann könnte er vom osmanischen Geheimdienst zusätzlich einen säftigen Zuschuss zu seinem Kontostand in The Bank of England kriegen und den moralischen Gewinn durch einen finanziellen verstärken. So tun es heute die Klugen, Mylord!

A. Ostrovsky / 01.04.2024

Ist das nicht ein Schreibfehler? Muss es nicht Messalonghi heißen? Es heißt ja auch Langobardi, weil die den Barbershop noch nicht kannten. Ich sag mal so, es wird schon einen Sinn gehabt haben, wenn man damals den Dieben die Hand abgehackt hat. Was hätte man denn sonst machen sollen? Wer es besser weiß, solls erst mal besser machen. Meckern kann jeder. Überall Nörgler und Leugner, schrecklich!

Gerd Maar / 01.04.2024

Schön geschrieben, aber ein Fehler: Teresa Makri war erst zwölf Jahre alt als Byron sie ihrer Mutter abkaufen wollte. Heute würde er dafür als sexual predator gecancelt.

Franz Klar / 01.04.2024

“Inzwischen wurde erkannt: Es war wohl eine bakterielle oder durch Viren hervorgerufene Hirnhautentzündung im Verein mit der damals in Griechenland verbreiteten Falciparum-Malaria, stellte ein Ärzteteam der Universität Edinburgh in unseren Tagen fest” . In seinen Tagen gab es eben noch keine rettenden mRNA-Impfstoffe !

finn waidjuk / 01.04.2024

Die Griechen waren doch auch nur Türken, die sich für Italiener hielten.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com