Peter Grimm / 18.02.2020 / 11:29 / Foto: DIE LINKE / 31 / Seite ausdrucken

Nötigung à la Ramelow

Was für ein genialer politischer Schachzug ist Bodo Ramelow gelungen! Es sieht nach aufopferungsvoller staatsmännischer Verantwortung aus und ist doch vor allem eine clevere Variante, um die CDU zum Bruch ihres Kooperationsverbots mit der Linkspartei zu nötigen. Allerdings hat die CDU genug Vorlagen geliefert. Die halfen Ramelow, sie in diese Bredouille zu bringen, weil ihr selbst der klare politische Kompass zu fehlen scheint. Dabei gäbe es einige Punkte, mit der die CDU wiederum das rot-rot-grüne Bündnis in Zugzwang setzen könnte.

Der neueste Ramelow-Plan erntete in den ersten Morgenstunden des heutigen Dienstags viele positive Reaktionen. Auf den ersten Blick ist es ja auch ein Angebot, das die CDU eigentlich nicht ablehnen kann, zu dem sie „Ja“ sagen muss. Zwar würde sie mit einem Eingehen auf den Vorschlag der Thüringer Linken das Tabu brechen, nach dem es keine Zusammenarbeit mit den SED-Erben geben dürfe, doch wird dieser immerhin damit versüßt, dass die CDU-Abgeordneten ihre Wahlstimmen – trotz aller Vorab-Absprachen mit den Linken – formal einer Parteifreundin geben würden. Die darf dann eine quasi größtkoalitionäre Not-Regierung repräsentieren, in der die Rotrotgrünen das Sagen haben. Der Linke Benjamin Immanuel Hoff bliebe Chef der Staatskanzlei, wie unter Ramelow, ebenso Heike Taubert von der SPD Finanzministerin und Dieter Lauinger von den Grünen Justizminister. Übergangsweise darf die rotrotgrüne Politik dann von einer CDU-Ministerpräsidentin repräsentiert werden. Walter Ulbrichts Motto: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“, hätte der Genosse Ramelow bestens umgesetzt. Dem Zuspruch für die CDU dürfte das kaum helfen. Dummerweise haben ausgerechnet CDU-Vertreter Ramelow zu dieser Idee inspiriert, indem etliche CDU-Vertreter in zahlreichen Interviews nach einem anderen Regierungskandidaten als ihm selbst verlangten, in der Hoffnung, so der Kooperationsfrage mit den Linken entgehen zu können oder diese wenigstens hinreichend zu verwässern.

Doch nicht nur deshalb ist das ein vergiftetes Angebot. Wie an dieser Stelle schon beschrieben, würden allzu schnelle Neuwahlen den Freistaat Thüringen möglicherweise in jene „Staatskrise“ steuern, die Bodo Ramelow bis gestern noch ebenso verhindern wollte wie baldige Neuwahlen. Es sei denn, die Parteien der im Herbst abgewählten Ramelow-Regierung würden ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Wahlrecht akzeptieren, sprich das von ihnen im letzten Jahr beschlossene Parité-Gesetz zusammen mit der Opposition abschaffen.

Schwerwiegender als kurzzeitige Regierungsamtsabstinenz

Nach diesem Gesetz schreibt der Staat den Parteien vor, dass sie Kandidatenplätze im Wechsel mit jeweils einem Mann und einer Frau besetzen müssen. Listen, die den Vorgaben nicht entsprechen, sind ungültig. Einen solch dramatischen Eingriff in das Prinzip der freien Wahl gab es in der Bundesrepublik vor dem Entstehen rotrotgrüner Landesregierungen noch nicht. Aus einem Parlament, in dem jeder Bürger und jede Partei die gleichen Chancen bei freien Wahlen haben, würde ein Ständeparlament, das fragmentiert gewählt wird. Wenn den Parteien eine Frauen-Quote vorgeschrieben wird, warum sollten die Parteien dann nicht auch gezwungen werden, Kandidaten aus anderen angeblich oder tatsächlich im Parlament unterrepräsentierten Personengruppen aufzustellen? Der von Wladimir Putin geprägte Begriff „gelenkte Demokratie“ wäre durchaus passend. Neuwahlen in Thüringen müssten aber nach diesem umstrittenen und höchstwahrscheinlich verfassungswidrigen Wahlgesetz durchgeführt werden, das später womöglich vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig kassiert wird. Die Legitimität von Landtag und Landesregierung wäre dahin.

Das wäre natürlich ein Hebel, den die CDU ansetzen könnte, um einen einigermaßen gesichtswahrenden Deal mit der Linken hinzubekommen. Sie könnte fordern, dass die Rotrotgrünen wieder zum alten Wahlrecht zurückkehren, nachdem die Parteien frei entscheiden, wen sie ins Rennen schicken und damit wenigstens auf eine ihrer vormundschaftlichen Regeln zu verzichten.

Das würde den Parteien der Linkskoalition womöglich schwerer fallen als eine mehrwöchige Regierungsamts-Abstinenz des Genossen Ramelow. Zumal er in den Medien weiterhin als gefühlter Landesvater präsent bliebe, denn charismatische Auftritte von Frau Lieberknecht muss er nicht fürchten.

Vollkommen offen ist, ob Absprachen zu Neuwahlen eingehalten werden könnten, denn dass die – jenseits aller Parteieinigungen – wirklich eine Zweidrittelmehrheit fänden, ist lange nicht ausgemacht. Aber auch da könnte die Lieberknecht-Wahl helfen. Als gewählte Ministerpräsidentin kann sie die Vertrauensfrage stellen und nach einer Niederlage mit einfacher Mehrheit Neuwahlen ansetzen.

Grundsätzlich ist es immer richtig, die Bürger bzw. Wähler entscheiden zu lassen. Nur bei der gegenwärtigen Gemengelage und ohne veränderte inhaltlich-politische Angebote sollte man sich nicht wundern, wenn die Dilemmata für viele Demokraten am Ende nur noch größer werden. Es gehört keine prophetische Gabe dazu, um zu erahnen, dass die großen Gewinner einer Neuwahl Linke und AfD sein werden.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Rainer Hinz / 18.02.2020

Wo bitte ist denn da der Unterschied? Eine Ministerpräsidentin von der CDU; gewählt mit den Stimmen der Linken (SED-Nachfolgepartei), welche gnädigerweise zugesteuert werden. Oder ein FDP-Ministerpräsident gewählt von der AFD. Die Wahl mit den Linken wäre ein Tabu-Bruch sondergleichen, .......viele wählen CDU um Links zu verhindern. Das Votum der Bürger wäre auf den Kopf gestellt, die haben bürgerlich konservativ gewählt und sollen eine linke Regierung bekommen?

CZECH ALEX / 18.02.2020

Die Geburtsstunde der “sozialistischen Demokratie”. Später heißt es dann, “nun ist sie mal da die sozialistische Demokratie”.

Ulrich Gartner / 18.02.2020

Dass CDU-Apparatschik Lieberknecht dieses vergiftete Angebot der Linken umstandslos angenommen hat, spricht auch schon wieder Bände.

Sepp Kneip / 18.02.2020

Die CDU hat sich mit Merkels Diktat in ein derartiges Dilemma manövriert, aus dem sie nicht wieder unbeschadet herauskommt. Was sie auch macht, sie ist zwischen links und rechts gefangen. Im Endeffekt wird sie natürlich nach links tendieren. Eine DDR- und SED-belastete Partei ist ihr lieber, als eine Partei, die zwar zur Nazi-Partei gemacht wurde, aber nicht ist. Sie ist weder NS- noch SED-vorbelastet. Wenn allein rechts vom linken Spektrum zu sein schon naziverdächtig ist, haben wir mit der Linken doch die Mauerschützen in etlichen Regierungen. Hätte die CDU Kämmerich mitgetragen, wäre sie jetzt alle Sorgen los und wäre Mitgestalterin einer bürgerlichen Politik. Aber halt. Eine Sorge hätte sie doch, sie wäre genau so Zielscheibe der linksradikalen Antfa wie AfD und FDP. Man würde von dem Kind, was man selbst mit großgezogen hat, attackiert. Vor diesem Hintergrund rückt man lieber noch weiter nach links. Die Zöglinge fressen ihre Ernährer und Merkel freut sich. Arme CDU.

Detlef Rogge / 18.02.2020

“Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann…”

Dov Nesher / 18.02.2020

Die Merkel-CDU hat sich ohne Not in eine No-Win Situation manövriert. Um zu sehen, dass es derzeit ohne eine extremistische Partei in Thüringen nicht geht bedarf es keiner höheren Mathematik. Die strenge Auslegung des Unvereinbarkeitsbeschlusses kann für die CDU nur eins bedeuten: Neuwahlen. Durch das Ablehnen von Neuwahlen hat die CDU jetzt keine glaubwürdige Option mehr. Ob Neuwahlen für Thüringen das beste wäre steht auf einem anderen Blatt…

Michael Müller / 18.02.2020

Neuwahlen - auch wenn sie unter dem Deckmantel einer Pseudo-Vernunft stattfinden - wären undemokratisch. Ganz einfach. Fällt das eigentlich gar niemand mehr auf? Es wurde gewählt und Thüringen hat die Volksvertreter, die eine Regierung bilden können. Alles andere muß ausgehandelt werden. Neuwahlen würden die Demokratie endgültig ad absurdum führen. So wie in England würde dann die Frage auftauchen, wann denn eine Wahl okay ist oder wann nicht.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com