Roger Letsch / 15.07.2020 / 06:00 / Foto: Pixabay / 136 / Seite ausdrucken

Niemals mehr ohne: Maskenpflicht und Schaumweinsteuer

Seien wir ehrlich. Die Verhaltensänderungen, die uns seit Mitte März anerzogen wurden, stecken schon recht tief in den meisten von uns drin. Abstandsregel, Maskenpflicht, Einschränkungen von Bewegungsfreiheit und Aktivitäten, sogar die Angewohnheit, sich über aktuelle Verschärfungen oder Lockerungen wie über das Wetter von morgen zu informieren, sind in Fleisch und Blut übergegangen. Viele haben sich sogar daran gewöhnt, dass die Regeln zeitlich und örtlich höchst unterschiedlich sein, hier dem Laissez-faire, dort aber einer Bußgeldverordnung unterliegen können. Hieß die sinnvolle Losung noch im April „Flatten the curve“, um unser Gesundheitssystem nicht zum Kollaps zu bringen, stellt der Wirtschaftsminister nun in Aussicht, dass erst unter 100 Neuansteckungen pro Tag mit weiteren Lockerungen – etwa dem Ende der Maskenpflicht – zu rechnen sei, ganz gleich, wie flach die Kurve oder wie robust unser Gesundheitssystem auch sein mag.

Ich versuche seit Wochen, dem prasselnden Corona-Regen widersprüchlicher Meldungen, Warnungen und Küchenweisheiten aus dem Weg zu gehen, allenfalls deren Echos erreichen mich. Etwa dieses, dass dank der Fehlerquote der Tests unter ein paar tausend Getesteten fast sicher immer 100 (scheinbar) Corona-positiv sein werden. Oder dass die Bundesregierung erwägt, Ausreiseverbote über sogenannte „Hot-Spots“ zu verhängen und auch jene Meldung, dass die Zahl der Antikörper bei Genesenen offenbar rasch wieder abnimmt und man zum Schluss kommen kann, dass ein Impfschutz, wenn er denn endlich verfügbar sein sollte, nur sehr kurze Zeit wirken wird.

Das Dilemma, in dem wir stecken, ist offensichtlich. Da ist einerseits eine Krankheit, die nicht von uns lassen will – oder wir nicht von ihr. Dazu gesellt sich eine gigantische Liste an staatlichen Maßnahmen, die ständig auf dem Prüfstand der Verhältnismäßigkeit stehen sollten, es aber nur selten tun. Schließlich drittens die Tatsache, dass unsere am Boden liegende Wirtschaft sich kurzfristig weder die Krankheit noch die staatlichen Gegenmaßnahmen mehr wird leisten können.

Aus der virologischen Debatte halte ich mich heraus, mir geht es heute um einen anderen, nicht ganz unwichtigen Aspekt, der das Miteinander in dieser Krise betrifft, ganz gleich, was der Einzelne für die Ursachen derselben halten mag.

Von Nachlässigen und Maskenverweigerern

Das Versprechen Altmaiers (<100 Fälle/Tag) als „Möhre an der Angel“ nehmend, die fast schon in Reichweite scheint, strengt sich der deutsche Esel noch mal so richtig an. Der Eifer, mit dem einige unserer Mitmenschen die Einhaltung selbst der unsinnigsten Regeln zur staatsbürgerlichen Pflicht erklären und sich lautstark mit nachlässigen Maskenträgern, Abstandignorierern und Händeschüttlern auseinandersetzen, ist befremdlich. Wenn man jetzt nur nicht nachlasse, alles brav exekutiere, was an Regularien heruntergereicht wird und natürlich auch die Corona-App installiere, dann, ja dann sei es nur noch eine Frage von Monaten oder Wochen, bis wir wieder zurückkehren können in die Zeit der Sozialkontakte, des Feierns, der unbeschwerten Strandurlaube, der Rock-Konzerte und des Stadionerlebnisses aus Bier, Bratwurst und Brüllgesängen.

Wenn, ja wenn da nicht diese Verweigerer, diese renitenten Narren wären, wegen denen wir alle in Geiselhaft stecken, wegen derer Renegatentum wir umso länger auf die befreienden Kanzlerinnenworte warten müssen: „Liebe hier Lebenden, ihr dürft wieder Spaß haben tun!“

Am eifrigsten dabei sind unsere haltungsverbessernden Medien, die mit reichlich Empörung von „Ausbrüchen“ berichten, die natürlich immer auf das glücksschädigende Verhalten einzelner (oder besser: bestimmter) Personen zurückzuführen sind, die sich angeblich am Kollektiv versündigen, weil sie auf dessen Regeln pfeifen. Ob die Regeln aber sinnvoll sind oder gar wirken – diesen Beweis bleibt man schuldig. Ebenso den, dass BLM-Demos keine Verbreitungsherde erzeugen, Trump-Rallyes und Fleischverarbeitung aber schon.

Die Macht der Gewöhnung

Das Tragen der Masken ist lästig. Wer etwas anderes behauptet, leidet mittlerweile unter dem Stockholm-Syndrom. Da hilft es auch nichts, auf Chirurgen zu verweisen, weil diese die Dinger jeden Tag bei jeder Operation tragen. In ihrer Freizeit tragen auch Chirurgen üblicherweise keine Masken, schon gar nicht, wenn sie ein Buch, ein paar Schuhe oder Kartoffeln kaufen gehen. Dem Umsatz des Einzelhandels oder der zwischenmenschlichen Kommunikation tun die Masken jedenfalls nicht gut. Ich würde auch gern mal wissen, wie sich taubstumme Menschen derzeit mit ihren hörenden Mitmenschen verständigen, wenn sie deren Lippen nicht lesen können. Die Kritik verstummt und die Welt mir ihr.

Stellen wir uns einen Moment vor, durch die ständigen (freiwilligen) erzieherischen Einwirkungen einiger unserer blockwartigen Mitmenschen hätte sich die „Alltagsmaske“ – welch ein gruseliger Euphemismus – so durchgesetzt, dass es niemanden mehr gäbe, der sie infrage stellte. Tun wir so, als wäre es nun die natürlichste Sache der Welt, die Dinger überall zu tragen. Jeder würde glauben, ja wissen, dass die Maske Schutz biete und könnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie es war, als die unwissende Menschheit auf dieses simple kleine Ding, das so viel Gutes bewirke, verzichtet hatte. Warum sollte man die Maskenpflicht dann überhaupt jemals aufheben?

Wenn sich eine Regel erst mal so verfestigt hat, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung sie nicht mehr infrage stellt und vielmehr alle Abweichler, die gegen die Regel verstoßen, selbst maßregelt – wozu sie abschaffen? Wenn die Maske heute schützt, dann tut sie das doch auch morgen und übermorgen und übernächstes Jahr vor der überübernächsten Welle. Vielleicht macht man irgendwann eine großzügige Geste, indem man die absolute Freiwilligkeit nutzt, um die Pflicht abzuschaffen? Das sicherste Gefängnis ist schließlich jenes, das man nicht abschließen muss, weil der Gefangene die Welt außerhalb als Gefängnis definiert.

Wenn die Einhaltung der Regel den Staat zudem nichts kostet, weil die Untertanen in einer perversen Anwendung des Krabbenkorbeffektes den Ursprung der Regel nicht mehr hinterfragen und sich gegenseitig am Entkommen hindern, wozu überhaupt etwas ändern? Ob SchaumweinsteuerKirchenfinanzierung, Soli-Zuschlag oder „Demokratieabgabe“ alias GEZ – nichts geht von allein, wenn es als gegeben oder geboten gilt oder ihm per Nudging erfolgreich eine gefälschte höhere Weihe verliehen wurde. Die Regel ist noch da, aber man hat vergessen, wem sie zu verdanken ist und wozu sie ursprünglich diente.

Bei der Abschaffung der Maskenpflicht wird es unseren Politikern mindestens am Mut fehlen, denn jeder positive Test danach gälte in unserer verdrehten neuen Weltordnung, in welcher einst mündige Bürger von Politikern die zuverlässige Ausschaltung des persönlichen Lebensrisikos erwarten, als gebrochenes Versprechen. Doch politischen ad-hoc-Entscheidungen liegt weder Zauberkraft noch Wahrheit inne. Wir verbeugen uns vor einer Illusion, so wie Dorothy vor dem Zauberer von Oz. Es braucht gelegentlich einen Toto, der an den Vorhängen zieht.

Am erzieherischen, angstmachenden modus operandi der Medien ist nichts mehr zu ändern, aber man kann sie ignorieren und sich weigern, wie gewünscht moralisch zu Fackel und Forke zu greifen, wenn jemand aus der Reihe tanzt. Schlucken Sie ihren Ärger vielleicht besser herunter, liebe Leser, wenn jemand mal keine Maske trägt oder im Supermarkt abstandwidrig unter ihrem Arm durchtaucht, um ein Stück Butter aus dem Kühlregal zu fischen. Und sollte jemand zu zetern beginnen und mit der Polizei drohen, sagen sie am besten einfach und höflich „shut up!“.

Lassen wir also einige Krabben aus dem Korb entkommen, selbst wenn wir selbst nicht zu den ersten Krabben gehören, die die zurückgewonnene Freiheit genießen. Wir brauchen die Querköpfe, Renitenten und Unangepassten, die uns an unsere Freiheit wie auch unsere Unterwürfigkeit erinnern und wie leicht es immer wieder ist, uns zu manipulieren und zu Konformismus zu erziehen. Egal zu welchem Zweck.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Pixabay

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Gudrun Dietzel / 15.07.2020

Ich habe soeben in einem mecklenburg-vorpommerschen Supermarkt, in dem mit mir nicht mehr als fünf Kunden und zwei Angestellte waren, meinen gesamten Einkauf (ca. 100 Euro) auf dem Band liegenlassen und bin gegangen. Als die Kassiererin an die Kasse gehetzt kam, fragte sie als erstes: Haben Sie eine Maske? Ich: Nein. Ich halte den Mindestabstand ein. Sie: Dann tut es mir leid, dann darf ich nicht… Ich : Kein Problem, räumen Sie das bitte alles allein weg. Ich kaufe hier nicht ein… Das mache ich jetzt überall so. Es reicht.

Dieter Blume / 15.07.2020

@Sirius Bellt: Wir beiden sind eindeutig moralisch höherwertig, weil wir gegen die Diskriminierung kämpfen. Sie kämpfen gegen die Diskriminierung der Taubstummen als Gehörlose und ich kämpfe gegen die Diskriminierung der Innuit als Eskimos (Rohfleischesser). In unregelmäßigen Abständen veranstalte ich deshalb ein Solidaritätsessen zugunsten der Innuit. Dazu besorge ich mir beim Metzger meines Vertrauens rohes Fleisch, eine Zwiebel und drei Brötchen. Wenn Mettbrötchen nicht helfen, was dann…

Dirk Jungnickel / 15.07.2020

Anfrage an den Sender Jerewan: Könnte es sein, dass - wenn die Vermummungspflicht in Absurdistan eines Tages total aufgehoben wird - Demonstrationen von Blockwarten und anderen Maskenträger stattfinden, die dagegen vorgehen ? Antwort des Senders Jerewan: Ja, das ist zu erwarten.

k.lütge / 15.07.2020

@K.Lehmann: das ist genau der Punkt. Ich beobachte das schon seit langem, dass völlig tendenziös oder zumindest höchst unpräzise berichtet wird. Das ging mit den Masken schon los, dass von Alltagsfetzen bis FFP3 unterschiedslos alles in einen Argumentationstopf geworfen wurde und auch “die Zahlen” völlig willkürlich und ohne Referenz berichtet werden. Wenn der Maskenzwang erst dann beendet wird, wenn das RKI 99 sagt, völlig egal, ob sich das in einem Cluster oder in der ganzen BuRep abspielt, werde ich das Ende grausligen Maßnahme vermutlich nicht mehr erleben. Btw bringen Alltagsmasken laut WHO nur dann etwas, wenn sie mindestens 3-lagig sind und vorschriftsmässig benutzt werden. Da die Infektionslage so niedrig ist, wie sie ist, muss der Umkehrschluss lauten, dass die Bevölkerung 3-lagige Masken vorschriftsmässig benutzen… Kann man täglich im ÖPNV besichtigen.

Peer Munk / 15.07.2020

Vielleicht werden in etlichen Jahren sich Leute mit Masken im Gesicht über vergilbte Fotografien beugen, die irgendwo aufgefunden wurden - auf denen sind Menschen zu sehen, die sich ohne Masken in Cafes tummeln, feiern, lachen, singen. Man wird sich wundern und wehmütig an früher denken und sich fragen “wie ist es möglich?” Ähnlich, wie man heute Fotos aus dem Afghanistan der 70er betrachtet, auf denen Frauen ohne Schleier zu sehen sind….

Sabine Heinrich / 15.07.2020

@ Karla Kuhn: Ich beziehe mich auf Ihren letzten Satz - und gebe Ihnen SO recht! Aber die meisten sind eben auch obrigkeitshörig und ängstlich - und dabei übersehen sie, dass sie - wenn sie vereint auftreten würden - eine Macht hätten, an der sich die Merkelmischp… - äh - die beste Regierung, die wir je hatten, die Zähne ausbeißen könnte. Es sei denn, sie würde ihre “schwarze Armee” (ANTIFA) einsetzen oder Polizisten, die sich lieber an älteren Frauen vergreifen wie vor ein paar Wochen an der Bürgerrechtlerin in Berlin, als den Horden der linken Gewalttäter Einhalt zu gebieten. Die Bauern zeigen, wie man es macht! Zusammenhalt, Solidarität, demonstratives gemeinsames Auftreten gegen irrwitzige politische Entscheidungen!  

Karina Gleiss / 15.07.2020

@Gudrun Dietzel: Interessant dürfte der Aspekt sein, was die Unvergleichliche mit ihrem Besuch beim neuen König Ludwig von Bayern eigentlich wirklich bezweckt hat. Lotet sie die Schwachstellen eines möglichen Konkurrenten aus, um ihn dann, zu gegebener Zeit, in der ihr eigenen Art von der Klippe zu stoßen? Wenn Söder nicht komplett durch seine sehr offenkundige Selbstüberschätzung geblendet wird, müsste er eigentlich wissen, was ihm blühen kann. Der Heimtücke dieses Weibs sind schon ganz andere Kaliber zum Opfer gefallen. Die kennt keine Verwandten, wenn es um die Verteidigung ihrer Macht geht. Und sonst auch nicht. Es könnte vielleicht noch lustig werden.

Michael Hinz / 15.07.2020

Heute die Bäckerei (Kette, nicht inhabergeführt) betreten - mit Maske, freundlich. Gleich eine Zurechtweisung gefangen, ob der falschen Eintrittstür (“beim nächsten Mal bitte die andere”). Namenliste kam vor dem Kaffee mit Kuchen. Ausgefüllt und nach draußen gesetzt. Der Kunde als ehrenamtlicher Mitarbeiter, ob an der Tankstelle oder jetzt schon als Strom- oder Gaszählerableser. Heute habe ich formlos gekündigt: Einmal um das Gebäude herum zur richtigen Tür, anstehen am Ende der Schlange, Maske aufsetzen, nur um Teller und Tasse ordentlich abzustellen? - Nö, erst wieder, wenn der Spuk aufgehört hat….

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