Hannes Stein / 03.01.2012 / 23:06 / 0 / Seite ausdrucken

Muslimisches Amerika

Ein paar Fakten über amerikanische Muslime, die sowohl bei Freunden als auch bei Feinden des Islam fruchtbare Verwirrung stiften könnten.

 

1. In Amerika werden keine statistischen Daten über Religionszugehörigkeit erhoben, deswegen kann kein Mensch genau sagen, wie viele Muslime in Amerika leben. Vielleicht sind es nur zwei Millionen. Vielleicht sind es zehn Millionen. Klar ist aber, dass es sich um eine ethnisch bunt gemischte Truppe handelt (Bosnier, Kurden, Libanesen, Indonesier, Inder), und dass viele der amerikanischen Muslime schwarze Konvertiten sind.

2. Selbstverständlich haben die Muslime im Land des First Amendment das Recht, Gotteshäuser zu errichten, wo und wie immer es ihnen beliebt. (Ein Minarettverbot wäre in Amerika schlicht verfassungswidrig.) Die größte amerikanische Moschee steht in Dearborn, Michigan, aber es gibt islamische Gotteshäuser auch in Texas und Nebraska. In Kalifornien und New York sowieso. Alaska hat noch keine Moschee, aber dort wird gerade eine gebaut.

3. Das First Amendment schützt auch das Recht, von der Minbar aus Hasspredigten gegen Juden und Amerikaner zu verbreiten. Allerdings wünscht die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Muslime offenbar nichts anderes als ihre nichtmuslimischen Landsleute. Sie möchte durch harte Arbeit Geld verdienen, ein Haus kaufen, die Kinder aufs College schicken, sie möchte eine Krankenversicherung usw.

4. All jenen, die Angst vor der Einführung der Scharia haben, sei verraten: Es gibt sie in Amerika längst. Das angelsächsische Recht hat wenig Probleme damit, dass religiöse Gemeinschaften sich nach ihren eigenen Rechtssystemen untereinander einigen. Für die ultrafrommen Juden in Brooklyn, die lieber vor ihren eigenen „Beth Din“ ziehen, als dass sie die weltlichen Gerichte anrufen, gilt das längst – für die Muslime naturgemäß ebenso. Voraussetzung ist allerdings, dass die streitenden Parteien sich freiwillig der religiösen Autorität unterwerfen. In dem Augenblick, in dem eine Partei dazu gezwungen wird, ist das Ganze rechtswidrig. Außerdem ist fraglich, ob ein weltliches Gericht die Entscheidungen eines Scharia-Gerichts im Einzelfall durchsetzen würde. (Eine Analogie: Ich kann bei einem Freund Spielschulden haben, aber dieser Freund kann das Geld, das ich im Poker verloren habe, nicht vor Gericht einfordern.)

5. Einer der führenden islamischen Rechtsgelehrten in Amerika, Taha Jabir Al-Alwany, hat die Vereinigten Staaten von Amerika mit dem mittelalterlichen Spanien der goldenen Legende verglichen, in dem angeblich Juden, Christen und Rechtgläubige einträchtig nebeneinander lebten und voneinander lernten. Es gebe, sagte er, auf der Welt kein besseres Land für Muslime. 

6. Der „Krieg gegen den Terror“ (in Wahrheit: gegen jenen besonders radikalen Zweig der Muslimbruderschaft, der sich „Al Qaida“ nennt) ist nie ein Krieg gegen den Islam gewesen. Präsident George W. Bush hat unmittelbar nach dem 11. September eine Moschee in Washington, DC, besucht. Er hat für die Bibliothek des Weißen Hauses ein Exemplar des Koran gekauft. Präsident Obama bricht in dieser Hinsicht nicht mit der Politik seines Vorgängers, er setzt sie fort.

7. Man könnte sagen, dass Amerika das Jahrzehnt vor dem 11. September 2001 vor allem damit verbracht hat, das Leben von Muslimen zu retten. Unterziehen wir die militärischen Expeditionen jener Zeit einer Musterung: Da war der Irakkrieg des Jahres 1991, der geführt wurde, um ein islamisches Land – Kuwait – vor einem Tyrannen zu retten. Nach dem Ende des Waffengangs richteten die Amerikaner (übrigens auf Druck der „neocons“) zwei Flugverbotszonen ein, um die – muslimischen – Kurden und die Schiiten (ebenfalls Muslime) vor der Ausrottung durch Saddams Republikanische Garden zu bewahren. Der Einsatz in Somalia diente dazu,  Muslime vor dem Hungerstod zu bewahren, den General Aidid ihnen zugedacht hatte. Dann griffen die Amerikaner im ehemaligen Jugoslawien ein: auf Seiten der – mehrheitlich muslimischen – Bosnier und gegen die christlich-orthodoxen Serben. Wiederum gegen die Serben und auf Seiten der – muslimischen – Albaner kämpften die Amerikaner 1999 zum Ausgang des Jahrhunderts. Der Politiker, der unter Bill Clinton am häufigsten im Weißen Haus empfangen wurde, war Jassir Arafat.

8. Andererseits geriet Amerika gleich nach seiner Gründung in einen Konflikt mit muslimischen Piraten: die sogenannten Barbary Wars. (So kamen die „Shores of Tripoli“ in die Hymne der Marineinfanterie.) Dieser militärischen Auseinandersetzung ist übrigens zu verdanken, dass Amerika nicht nur eine Kriegsmarine, sondern auch eine Verfassung hat, wie man bei Michael Oren nachlesen kann. Nachdem der Schutz durch die Briten weggefallen war; nachdem immer mehr amerikanische Seeleute von den Muslimen in Nordafrika gekidnappt und versklavt worden waren; nachdem alle Versuche, den muslimischen Piraten durch Unterwürfigkeit beizukommen, fehlgeschlagen waren – kamen die rebellischen Kolonisten an der Ostküste Amerikas auf die Idee, dass man vielleicht doch gemeinsam ein paar bewaffnete Schiffe auf den Weg schicken sollte. Dazu musste man sich aber erst einmal auf ein paar Grundregeln einigen. So entstand, kurz gesagt, jenes großartige Dokument, das mit den Worten „We the people“ anfängt.

9. Seit den Fünfzigerjahren hat Amerika immer wieder versucht, mit der Muslimbruderschaft ins Gespräch zu kommen. So wurde Sayd Ramadan – der Vater von Tariq Ramadan – zusammen mit drei Dutzend islamischen Rechtsgelehrten von Präsident Eisenhower im Oval Office empfangen. Die CIA schätzte Sayd Ramadan realistisch als „Falangisten“ und „Faschisten“ ein, dem es nur darum gehe, an die Macht zu gelangen. Gleichwohl glaubte die amerikanische Regierung, mit diesen Herrschaften gemeinsame Interessen zu heben; schließlich stand man mitten im Kalten Krieg (den die Amerikaner damals verloren), da musste jeder Bündnispartner recht sein. Und die Muslimbruderschaft war zwar islamofaschistisch, aber immerhin nicht gottlos. Alle Versuche, sich mit den Muslimbrüdern ins Bett zu legen, nützten Amerika überhaupt nichts; profitiert hat am Ende immer nur die andere Seite.

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