Das Trauerspiel um den neuen Berliner Großflughafen Schönefeld ist ein Lehrstück über den Unterschied zwischen politischem Willen und schnöder Realität. Die Geschichte des ehrgeizigen Großprojektes, dessen Eröffnung quasi stündlich weiter hinaus geschoben wird, zeigt ein Muster, das wir in Zukunft wohl noch öfter erleben werden. Es beginnt wie immer mit einem Kostenplan, der schon überholt ist, bevor der erste Spatenstich erfolgt. Man glaubt offenbar nur mit geschönten Zahlen die Zustimmung aller Beteiligten erreichen zu können. Der Nutzen des neuen Projektes, übersteige bei weitem die Kosten, heißt es stets. Der Bürger werde unter dem Strich überhaupt nicht belastet. In Berlin wurden zum Zweck der Kostenverschleierung beispielsweise die Lärmschutzmaßnahmen für Anwohner „vergessen“. Macht eine Milliarde. Jetzt tun alle ehrlich überrascht. Auch darüber, dass ein Flughafen ein funktionierendes Brandschutz-Konzept benötigt, herrscht aufrichtige Verblüffung.
Uns erinnert das auf fatale Weise an Angela Merkels Großprojekt „Energiewende“, nur befinden wir uns da noch in der Anfangsphase. Dieses Vorhaben, so wurde 2011 verkündet, bringt dem Lande großen Fortschritt und kostet den Bürger so gut wie nichts. Die deutschen Parlamentarier haben offensichtlich geglaubt, man könne die Energie-Infrastruktur eines Industrielandes einfach in die Tonne treten, ohne dass dies irgendwelche Kosten verursacht. Inzwischen, Schreck lass nach, plädieren die ersten Parlamentarier für Stromgeld-Zuschüsse für Menschen, die die Strompreise nicht mehr bezahlen können, die angeblich nicht steigen werden.
Unbekannt war offenbar auch die Tatsache, dass man für ein neues dezentrales und vom Wetter abhängiges Energiesystem auch ein neues Stromnetz und Speichermöglichkeiten braucht. Und dass man Ersatzkraftwerke benötigt, die Strom liefern, wenn Sonne und Wind nicht wollen. Das stand zwar alles in der Zeitung, aber die hat offenbar niemand gelesen. Jetzt schafft die Realität Fakten. Die Banken verkünden, dass sie Offshore-Windparks nach ihren Regeln gar nicht finanzieren dürfen, weil die Technik zu riskant und die Erfolgsaussichten zu unsicher sind. Doch auch konventionelle Ersatzkraftwerke will niemand mehr bauen: Die rechnen sich nicht, weil sie lediglich als Notreserve neben den erneuerbaren Energien bereitgehalten werden sollen. Vermutlich wird die Energiewende nach dem Modell „Schönefeld“ verlaufen: Erstmal verschieben, dann weitersehen.
Erschienen in DIE WELT am 29.06.2012