Silvia Meixner / 04.09.2010 / 18:33 / 0 / Seite ausdrucken

Mit der Heidekönigin im Theater

Ich stelle mir das so vor: Die Jenny Elvers-Elbertzhagen macht vor Beginn der Premiere ihr Handy aus, wenn die Besucher darum gebeten werden (die Jenny hat einfach weiter telefoniert). Der Michael, dessen Mutter offenbar auch vergessen hat, ihm gute Manieren beizubringen, spuckt den Kaugummi vor der Vorstellung artig aus (der Michael hat einfach schmatzend weitergekaut, die ganze Vorstellung lang). Ich wüsste gern, was Jenny E.-E., früher Heidekönigin, heute Theaterschauspielerin (dazwischen, als die Welt noch keine größeren Sorgen hatte und so etwas in der damaligen Spaßgesellschaft noch glatt als Beruf durchging, Boulevard-Luder) täte, wenn man während ihrer Vorstellung telefonierte.

Nein, es ist kein Vergnügen, im Theater hinter Deutschlands B-Prominenz zu sitzen.

Sonderbare Menschen, bei der Premiere der neuen Show “Yma” im Friedrichstadt-Palast in Berlin. Ich wunderte mich, warum Ivana Trump neuerdings (leider schlecht) singt, bis mein Begleiter mich darauf hinwies, dass es gar nicht Ivana war, sondern eine Sängerin, die nur so aussah. Ich hatte gedacht, Donald hätte seiner Ex-Frau die Unterhaltszahlungen gekürzt oder gar gestrichen. Ivana tat mir leid. Ich fand, das hat sie nicht verdient, in ihrem Alter, auch noch tingeln zu müssen. Für kurze Zeit war meine Show-Welt ziemlich ins Wanken geraten.

Der Friedrichstadtpalast ist jene ehemalige heilige DDR-Bühne, deren Architektur auch heute noch gleich beim Betreten Beklemmungen hervorruft. Es ist, als hätte sich eine 29-Raum-Sozialbau-Wohnung für ein Betriebsjubiläum herausgeputzt. Drinnen gab’s ein buntes Potpourri aus Nummern aller Art, von langweilig bis hervorragend. Die Trampolinkünstler (umjubelt), der Verbiegekünstler (atemlos bestaunt), die schwebende Menschen (bewundert)- eine Augenweide. Das Ballett: Wie Bonbons, die zum Taifun werden und am Ende im versenkbaren Swimmingpool baden gehen. Wunderbar, man möchte am liebsten auch hineinspringen. Die Dialoge: Eine Katastrophe. Wozu braucht eine Revue Dialoge, und dann auch noch schlechte? Was denkt sich ein Sänger, der verkündet: “Ich bin pro-sexuell, ich pro-biere alles aus!”? Und was denken sich die drei Zuschauer, die das lustig finden und demonstrativ laut lachen? Dann lieber nur tanzen, singen, schweben.

Für die Frauen, deren Augen in Revuen ja traditionell benachteiligt werden, gibt’s diesmal durchtrainierte Männer, die, nur mit einem Höschen bekleidet, auf der Bühne tanzend duschen. Hat den Vorteil, dass sie keine Kostüme von Michael Michalsky (der Mann, der für Tchibo designte und seitdem in gewissen Kreisen als prominent gehandelt wird) anziehen müssen. Eine Revue muss Farbenpracht und Opulenz servieren, bei den Kostümen muss den Zuschauern der Atem stehen bleiben. Es ist wie Oper: Bitte von allem, Farbrausch, Stoffrausch, Kopfweh soll man kriegen vor lauter Pracht. Der Designer Michalsky kann sich leider nicht entscheiden, ob er Christina Aguilera kopieren will oder 80er-Jahre-Kopien mit Missoni mischen soll. Irgendwie wirken die Kostüme wie ein braver Abklatsch der Triumph-Underwear-Kataloge. Gähn. Vielleicht hat der Mann ja einfach nur zu viel Kaugummi gegessen.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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