Hubert Geißler, Gastautor / 06.07.2023 / 14:00 / Foto: Heimat76 / 15 / Seite ausdrucken

Mit dem Regioexpress ins Herz der Finsternis

Seit neuestem kann man eine Reise ins Herz der Finsternis leicht mit dem Regionalzug unternehmen. Dieser brachte mich nach Sonneberg, dem Epizentrum des momentanen politischen Erdbebens in unserer Republik.

1899 veröffentlichte der polnisch-amerikanische Autor Joseph Conrad seine wohl berühmteste Novelle "Heart of Darkness", eine vehemente Anklage der kolonialen Ausbeutung im damaligen Kongo. Es wird eine Reise auf einem Flussdampfer in das Gebiet eines skrupellosen europäischen Autokraten beschrieben. Heutzutage kann man eine Reise ins Herz der Finsternis leicht mit dem Regionalzug unternehmen. Dieser brachte mich leider mit einer Stunde Verspätung wegen technischer Mängel am Fahrzeug mit einem Ersatzzug von Bamberg nach Sonneberg, dem Epizentrum des momentanen politischen Erdbebens in unserer Republik.

Ich wollte einfach aus Neugier dorthin, um mir eine konkrete Vorstellung des Ortes zu bilden, wo aus einem braunen Bodensatz das grüne Herz Deutschlands emporsprießen soll. Eine Erfahrung, die ich oft bei Reisen in unseren wilden Osten gemacht habe, war, dass trotz aller Sanierungs- und Aufbauarbeiten der Unterschied zum Westen sofort spürbar war. Nun liegt Sonneberg direkt an der bayerischen Grenze und Oberfranken, gehört auch verkehrstechnisch zur Metropolregion Nürnberg, und gerade der an Thüringen grenzende Norden ist nicht gerade das bajuwarische Boomgebiet, wie man es sich vorstellt. Die größte Brauereidichte der Republik mag über manches hinwegtrösten, die Landschaft ist vielleicht nicht spektakulär, aber sehr schön, und die Region ist durchaus lebenswert.

Sonneberg liegt sehr nah an Coburg, der Residenzstadt der Sachsen-Coburger, von denen über Queen Victorias Gatten Albert auch die Windsors abstammen. Charles, nunmehr König, zuvor Prinz, soll im dortigen Stadtschloss nicht selten mit verhängtem Nummernschild aufgetaucht sein, wie man mir bei einer Schlossführung versichert hat.

Ein einstiges Zentrum der Spielzeugindustrie

Sonneberg erstreckt sich nun von der Ebene direkt in die ersten steil aufsteigenden Hügel des Thüringer Waldes. Am Bahnhof fielen mir die vielen Güterwaggons auf, auf die Holz verladen wurde. Der Bahnhof selbst ist in etwas deplorablen Zustand, vergleicht man ihn mit den geschniegelten Bahnhöfen von Coburg und Lichtenfels. Im Vergleich zu Bahnhöfen im Ruhrgebiet, von denen ich hier keine Namen nennen möchte, steht er jedoch nicht negativ ab.

Die zentrale Straße, die Bahnhofstraße, führt bergauf. Die Stadtverwaltung befindet sich in einem repräsentativen, gut restaurierten Gebäude. Das Landratsamt, in das nun der gewählte Gottseibeiuns, Herr Sesselmann, einzieht, wirkt neu. Straßencafés gibt es, aber sie sind wenig belebt. Der rollende und ruhende Verkehr unterscheidet sich kaum vom Westen, auffällig waren nur die Billigklamottenhändler an der Straße. Immigranten sind zu sehen, mir schienen es jedoch eher wenige zu sein.

Geht man nun bergauf, verwandelt sich die Stadt in ein Idyll von Fachwerkhäusern, Villen und Gründerzeitbauten, das von einstigem Wohlstand kündet. Sonneberg war im 19.Jahrhundert ein Zentrum der Spielzeugindustrie weltweit. Das Deutsche Spielzeugmuseum in einem der repräsentativsten Gebäude der Stadt ist eine wahre Augenweide. Für die höheren Stadtteile spricht auch, dass sie quasi unmittelbar in den Thüringer Wald übergehen, ein Freizeitwert, der diese Wohnlagen woanders unbezahlbar machen würde. Eines der ersten Dinge, die ich in einer fremden Stadt tue, ist immer das Überprüfen der Immobilienangebote bei den Banken. In Sonneberg und Umgebung gibt es durchaus Häuser mit Grundstücken ab 60.000 Euro aufwärts, mit 150.000 Euro spielt man schon in der mittleren Liga. Ein Inserat fiel mir auf, das eine 150-qm-Wohnung für 600 Euro anbot – undenkbar in meinem Wohnort. Wie gesagt, das doch industriell und gewerblich gut aufgestellte Coburg ist mit der Bahn in 20 Minuten erreichbar, mit dem Auto vermutlich noch schneller.

Forderungen, nicht mehr in Sonneberg einzukaufen

Die Arbeitslosenzahlen im Kreis Coburg, an dem sich die Stadt geographisch und auch sprachlich orientiert, sind extrem niedrig. In Sonneberg sind sie nicht dramatisch höher. Man kann also nicht von einer für manche Teile Mitteldeutschlands bedenklichen Situation sprechen. Der Kreis ist wirtschaftlich eher an Bayern angeschlossen, anders als nun doch eher notleidende Gebiete im ländlichen Osten.

Warum also dieses Wahlergebnis? Einige Gespräche waren mir möglich. Auffällig war die massivere Ablehnung der CDU. „Rechts blinken und links abbiegen“ war ein häufig gehörtes Statement, und der Impuls, dass sich etwas ändern müsse, war deutlich spürbar. Persönlich hatte kaum jemand etwas gegen den CDU-Kandidaten, er sei einfach „in der falschen Partei“. Inwieweit hier die Vorgänge um die letzte Thüringer Landtagswahl eine Rolle spielen, sei dahingestellt.

Über die Forderungen in den Medien, nun nicht mehr in Sonneberg einzukaufen oder zum Beispiel die Landkreispartnerschaft mit dem Kreis Bitburg in der Eifel zu beenden, herrschte helle Empörung. Man fühlt sich diskriminiert, andererseits auch in seiner Skepsis gegenüber dem Staat bestätigt.

Was lässt sich aus Sonneberg schließen? Offensichtlich hat gerade die CDU das Vertrauen möglicherweise der Ostdeutschen generell verloren. Die Brandmauerpolitik scheint kontraproduktiv. Kritik an anderen Parteien habe ich so deutlich nicht gehört, vielleicht weil sie auch bei der Stichwahl keine Rolle gespielt haben, obwohl doch ein Bündnis aller sich als Demokraten Verstehenden eingefordert wurde. Dieses Framing könnte weiterhin eine verstärkte Trotzreaktion der AfD-Wähler hervorrufen. Natürlich kann Herr Sesselmann als gewählter kommunaler Beamter keine entscheidenden Kursänderungen politisch vornehmen. Ich denke, das muss er auch nicht, schon unauffälliges Arbeiten dürfte zur Entdämonisierung der AfD beitragen.

Zum Schluss ein kurzer Disclaimer: Meine persönlichen Erfahrungen mit den östlichen Bundesländern beschränken sich auf Reisen. AfD-Mitglied bin ich nicht. Ich verstehe mich hier eher als ein Besucher mit einem Blick von außen.

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte.

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George Samsonis / 06.07.2023

@Boris Kotchoubey fragt: “Wie könnten Sie sie erkennen, diese Polen, Tschechen, Slowaken, Ukrainer?” Spätestens auch an der Sprache ;-)).

H. Nietzsche / 06.07.2023

Schade. Bis zum Disclaimer lesenswert. Aber dann eben doch die ängstliche Vor-Entschuldigung: Nein, keine AfD, keine Ostverwandtschaft, nur Gaffer-Tourismus, alles harmlos.

Peter Wachter / 06.07.2023

ALLES in Ordnung dagegen im Ahrtal, ALLES verkehrt gelaufen, außer die Hilfe praktisch und finanziell von den Falschen wurde verhindert, dafür wurden die, die ALLES verkehrt machten und nicht halfen, wieder gewählt, den anscheinend wollen die Westdeutschen auch mal drangsaliert werden von den Sozialisten/Kommunisten !?

Boris Kotchoubey / 06.07.2023

“Immigranten sind zu sehen, mir schienen es jedoch eher wenige zu sein.” - Wie könnten Sie sie erkennen, diese Polen, Tschechen, Slowaken, Ukrainer?

Christian Feider / 06.07.2023

ich war oft in Coburg und im angrenzenden Thüringen. Sehr schöne Gegend,Leute mit klarem Kopf und,solange nicht zum alten SED-Kader gehörig, konservativen Ansichten. Eine der Gegenden,die ich als “flüchtender BW-Wessi” ansteuern würde

Thomas Szabó / 06.07.2023

Sonneberg ist wie eine Spielzeugstadt aus dem Märchen. Sonneberg hat gewählt, damit es auch so bleibt.

Josef Gärtner / 06.07.2023

Ja Sonneberg. für die Mainstream-Medien und ich nenn sie mal Blockparteien (so von grün bis schwarz) das Epizentrum des Bösen. Und mqn überschlägt sich wieder bei der Verteufelung der AfD und dem “wie kann man nur!”. Aber es zieht nicht mehr, oh wunder!  Ist eben nicht mehr so einfach in einem Land, wo schon die eigene Großmutter als “gesichert rechtsextrem” einzustufen wäre, nur weil sie noch ein altes Familienbild von Vater, Mutter und Kind hat und gedankenlos weiterhin “Zigeunerschnitzel” sagt. Und “verfassungsfeindlich” ist man ja heutzutage schon, wenn man auf der “falschen” Demo einen Luftballon hält. Nein, da geht es ja gar nicht um die Abschaffung von Wahlen oder die Wieder-Einführung eines Deutschen Kaiserreichs durch die AfD. Die Meisten haben es begriffen. Also wer wirklich “undemokratisches” Agieren sehen will, der schaue lieber auf die Grünen! Was berichtete uns doch die BILD am 05.07 in der Rubrik “kurz - knapp”? Die Grüne Jugend München veranstaltete bei einem Rathausfest ein Dosenwerfen - mit Fotos von AfD-Politikern auf den Dosen. Darunter auch ein Foto der AfD-Bundestagsabgeordneten Corinna Miazga, die kürzlich mit 39 Jahren an Brustkrebs verstorben war. Hurra, immer drauf auf die (Nazi-) Schlampe, hieß es da wohl bestimmt. Also undemokratischer und menschenverachtender geht’s wohl kaum! Und das bei einer Partei, die gerne anderen und insbesonders der AfD “Hass und Hetze” unterstellt.

Oliver Groh / 06.07.2023

Ich habe mir mal auf der Web- Seite des thüringer Landtages ( die im übrigen sehr gut gestaltet ist und man schnell zu den Beiträgen scrollen kann ) die Redebeiträge der gestrigen Sitzung zum Thema Überprüfung von Herrn Sesselmann angesehen. Interessant waren die Vorwürfe von Frau Marx ( SPD ) - es gibt böse Chatverläufe und jemand hat Luftballons verschenkt -  und Innenminister Maier - jederzeit eintreten für die freiheitliche Grundordnung kann keiner, der in der AfD ist und deren Landesvorsitzenden kennt -. Da das prüfende Landesamt und der Verfassungsschutz ebenfalls von SPD - Genossen geführt wird, dürfte der neue Landrat von Sonneberg bald seinen Posten los sein. Die thüringer SPD hat auch seit der letzten Wahl etwas zu kompensieren. Durch den Verlust von 1/3 ihrer Wählerstimmen ( von 12 auf 8 % ) hat ja rot-rot-grün keine Mehrheit mehr. Herr Maier wird seinem großen Vorsitzenden Ramelow schon den Skalp   eines Landrates liefern.

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