Wolfgang Röhl / 04.02.2018 / 06:15 / Foto: Kyle Flood / 19 / Seite ausdrucken

Mehr Respekt für Kevin Kühnert!

Was unter Sexismus fällt, weiß mittlerweile wohl jeder. Nämlich Sprüche wie „Sie könnten glatt ein Dirndl ausfüllen“ oder noch ärgere Übergriffe. Eine amerikanische Professorin hatte die Wortschöpfung, angelehnt an den Begriff Rassismus, anno 1965 geprägt. Damals gingen in den Ami-Unis die Ismen ab wie Nachbars Katze. Inzwischen haben wir neben vielen anderen den Lookismus dazu gekriegt (die Ungerechtigkeit, dass schöne Menschen es oftmals leichter im Leben haben als hässliche) sowie den Ableismus beziehungsweise Disablismus oder Handicapismus respektive Mentalismus (Ablehnung und/oder Ausgrenzung von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen).

Kaum bekannt war bis jetzt der von einem Gerontologen eingeführte Begriff Ageismus, die Benachteiligung von Menschen oder Gruppen wegen ihres Lebensalters. Ursprünglich wurde darunter nur die Diskriminierung alter Menschen verstanden. Doch im Zuge der erweiterten Teilhabe am Leid der Welt, die nach 1968 – dem Geburtsjahr des Ageismus – zumindest gedanklich in westlichen Gesellschaften Einzug hielt, kam auch die Missachtung von Angehörigen der mittleren Generation aufs Tapet.

Wikipedia bringt es auf den Punkt:

„Typisch für die Diskriminierung von Erwachsenen der Jahrgänge, deren Angehörige in der Regel als ‚erwerbsfähig’ gelten, ist der Umstand, dass ihnen sowohl vorgehalten wird, ‚zu jung“ als auch ‚zu alt’ zu sein.“

Je nun. Unsere Altvorderen pflegten in solchen Fällen zu sinnieren: Das Leben ist eines der schwersten / drei Tage vor dem Ersten.

Und es war Ende Gelände

Damit nicht genug: Auch sehr junge Zeitgenossen können altersmäßig benachteiligt sein. Kinder und Jugendliche leiden nämlich unter dem allgegenwärtigen Adultismus, welchem „verborgene Hierarchien“ (Wikipedia) innewohnen. Heißt, Kinder und Erwachsene verhandeln nicht wirklich auf Augenhöhe. Oft wird erzieherseitig ex cathedra verkündet: Mehr als 30 Euro Taschengeld sind nicht drin, mein Lütter. Und Ende Gelände.

Jüngere Erwachsene wiederum werden nicht selten als Grünschnäbel oder Anfänger missachtet, sobald sie sich zivilgesellschaftlich einbringen wollen. Das kann durchaus subtil geschehen. Eine 52-jährige deutsche Qualitätsmoderatorin befragte in der ARD den 31-jährigen Ösi-Kanzler Sebastian Kurz zu seinem Studentenausweis. Die linke Scherzpostille „Titanic“ verzwergte den Erfolgspolitiker gar zu einem „Baby-Hitler“. Mehr Erniedrigung geht kaum. Hat der Rechtspopulist nicht Anspruch auf einen respektvollen Titel, Alpen-Adolf oder so? Ach, Adultismus hat viele Facetten.

Betroffen von der Jugenddiskriminierung ist auch ein SPD-Hoffnungsträger namens Kevin Kühnert. Der Jusochef und „GroKo-Rebell“ („Bild“) schaut zwar etwas milchbubig aus, ist aber so jung nicht mehr. Er gilt „in seiner Partei als Mann der Zukunft“, glaubt der Branchendienst „Meedia“. Und dennoch: „Viele Medien behandeln Kühnert wie eine halbe Portion – Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems.“

Und was für eines! „Kevin ganz groß“ betitelte „tageschau.de“ ein Porträt. Mit dem in Deutschland vielbelachten Vornamen spielte auch die Bild. Ein Gast in einer Maybritt Illner-Show duzte den „jungen Mann“. Man konnte den Eindruck gewinnen, argwöhnte Meedia, dass die Talkgäste „den 28-jährigen Berliner nicht ganz ernst nehmen.“ Eine RTL-Moderatorin frug den Kevin gar, ob er in der WG wohne, das sei „bei Studenten doch so üblich.“

Für die einstige Volkspartei noch viel Luft nach unten

Kühnert, wie wir Kevin ab sofort in Anbetracht seines Vollerwachsenseins nennen wollen, twitterte darauf unter dem Hashtag #diesejungenleute nicht unlustig: „Werde anfangen, solche überaus relevanten Fragen zu beantworten, sobald #Merkel und Co gefragt werden, ob sie beim Joghurt immer den Deckel ablecken.“ Der Hashtag ist inzwischen zu einem Kummerkasten avanciert, schier überquellend vor Beschwerden junger Ageing-Opfer.

Nun könnte man natürlich fragen, ob ein in der Failed City Berlin wohnender Studiosus der, nun ja, Politikwissenschaften studiert, bei politischen Debatten über die Zukunft eines Industrielandes so ganz und gar ernstgenommen werden muss. In besseren Talkrunden, die es schon mal gab, wurden zuweilen Charaktere wie Peter Scholl-Latour einvernommen, die eine gewisse Kenntnis von Lebenswirklichkeiten besaßen. Man wäre, wenn es um Kriege und Gedöns ging, jedenfalls nicht auf den Gedanken verfallen, jemanden in die Bütt zu bitten, dessen Auslandserfahrung sich im Wesentlichen auf Surfurlaube beschränkt.

Aber darum geht es nicht. Nicht im Fall Kühnert.

Dieser Mann (lassen Sie das junge jetzt mal weg) ist wichtig für Deutschland. Auch wenn die GroKo längst gebongt ist. Kühnert und Genossen seines Gesinnungsethikschlags arbeiten hart am Projekt 10 Prozent plus ein paar Zerquetschte für die SPD. Angesichts der Vorstellungen der Jusos, zum Beispiel in Sachen Migration, ist für die einstige Volkspartei noch viel Luft nach unten. Und für die AfD – vielleicht auch für die FDP, wenn sie sich geschickt anstellt – Luft nach oben.

Da den Linken in der SPD nach der Regierungsbildung mehr Einfluss auf die Partei winkt – sie müssen ja irgendwie für den Beschiss durch ihre Häuptlinge entschädigt werden –, darf man getrost annehmen: Selbst zarte, theoretisch vorstellbare Versuche der Union, bei der Massenmigration die Bremse mit dem kleinen Zeh zu kitzeln, wird die SPD zuverlässig obstruieren. Alle Menschen werden Brüder aka Härtefälle. Auch bislang noch unverbrüchliche SPD-Wähler werden das registrieren; nicht alle werden es gut finden. Wie schrieb der Historiker Michael Stürmer kürzlich in der Welt? „Es muss erst noch schlimmer kommen, bevor es besser wird.“

Schluss also mit dem verdammten Ageing! Mehr Respekt für Kühnert, Kevin Kühnert.

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Oliver Hoch / 04.02.2018

Kevin der Große ein Hoffnungsträger? Das ist wirklich Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems.

Manfred Schneider / 04.02.2018

Guten Morgen, Maestro Röhl, wie gewohnt, Top-Artikel! Allein die Tatsache, dass “Kevin, allein zu Haus” innerhalb von Tagen den Aufmerksamkeitsolymp der deutschen Presse-Fuzzis erklommen hat, spricht Bände! Es ist schon bezeichnend, wie dieser Politologie-Nachwuchsschwafler allen Ernstes von den üblichen Verdächtigen des Medienkartells als “promising young man” einer Partei verkauft wird, deren Vergangenheit in diesen Tagen so richtig begonnen begonnen hat!

Stefan Bley / 04.02.2018

Das Patronizing der „alten“ Politiker gegenüber der Generation Kevin ist durchaus nachvollziehbar.  Zwar haben die Silberrücken der Politik selbst auch nie richtig im Berufsleben gestanden, aber das hat Kevin, der vom Kreisssaal über den Hörsaal nun direkt in den Plenarsaal will ja auch nicht. Daher sind die 68er dem Kevin zumindest in Lebensleistung voraus und bilden sich ein, nur sie wüssten was gut ist für Kevin und die Seinesgleichen. Der daraus resultierende Reformstau ist leider dabei unser Land an den Abgrund zu bringen.

Klaus Klinner / 04.02.2018

Lieber Herr Röhl, sie haben auch schon wesentlich(!) bessere Beiträge verfasst. Unabhängig von der Person Kühnert, nicht immer muss man zu allem seinen Senf dazu geben, schon gar nicht, wenn nichts Stringendes dabei heraus kommt. Trotzdem einen schönen Sonntag.

Thomas Köhler / 04.02.2018

Werter Herr Röhl, hervorragende Idee, diese Leute, die uns täglich vorkauen wollen (und es wird täglich schlimmer!) in welchen Kategorien wir zu überlegen hätten, mit welchem Duktus wir zu denken haben, was es zu beachten gilt, was zu verdammen ist, einmal mehr von ihrer eigenen Medizin kosten zu lassen. Ganz einfach, indem man -, und das ist die große Stärker der Achse -, durch einfaches Beobachten und unverstelltes Überlegen (und natürlich, wie in diesem Fall, durch kreuzehrliche Recherche; Wikipedia ist nicht die schlechteste Quelle!) - Fragen aufwirft, die auf der Hand liegen. Und natürlich stets mit der festen Absicht, einfach mal wieder so nolens volens den Finger in die Wunde zu legen, weil es dort eben noch am meisten brennt. Es ist elegant, diese Leute einfach gegeneinander auszuspielen, ohne sich selbst groß die Finger dabei schmutzig machen zu müssen, Bravo. Die Achse ist ein Beispiel dafür, wie man alternative Meinungen, die dem Mainstream entgegenlaufen, an einem Punkt bündelt, und wie man gekonnt diese Meinungen aufbereitet. Danke. Ich überlege mir eine Patenschaft. VG.

Helmut Driesel / 04.02.2018

Historiker Stürmer ist überzeugt “die Berliner Republik wird auch nicht dem Weimar-Schicksal folgen”. Aber eines ist doch vergleichsweise beängstigend: Genau wie damals meiden alle wirklich guten Leute die wichtigen politischen Jobs. Das Feld ist frei für Taschenspieler, Aufschneider und Glücksritter. Und ein naseweiser Juso, der sich in 2018 noch als gefilterte Inkarnation des Rudi Dutschke gefällt, wird daran wohl nichts verändern. Ich habe das Gefühl, unser Untergang sind nicht die vielen Ausländer, sondern diese sorgenfrei aufgewachsene Generation der 18 bis 28 jährigen, die nun in die Institutionen strömt. Dabei gehöre ich noch zu denen, die sich eine Welt, in der jeder quasi überall zu Hause sein darf, vorstellen können. Damit das funktioniert, müssen aber die lokalen Regeln immer gelten und eingehalten werden, notfalls mit brachialem Zwang. In einem Land, wo nicht einmal Ärzte und Polizisten ihre Arbeit ernst nehmen, kann man das nicht wollen, auch nicht als Versuch.

Joe Haeusler / 04.02.2018

Unser Alpha-Kevin sollte sich neben Politschwallerei mit dem Insolvenzrecht auseinandersetzen. Da gibt es Bedarf - in Berlin, der BRD und seiner Partei.

Thomas Krohn / 04.02.2018

...“Alle Menschen werden Brüder aka Härtefälle. “... herrlich,danke für den Lacher am Sonntagmorgen.

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