Peter Grimm / 03.09.2020 / 11:00 / Foto: Sam Shere / 101 / Seite ausdrucken

Kommt jetzt die Gas-Wende?

Der Nachweis, dass der russische Oppositionelle Alexej Nawalny mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok ermordet werden sollte, schlägt natürlich hierzulande hohe Wellen. Zum einen erinnert es an den Fall des russischen Ex-Geheimdienst-Offiziers Sergej Skripal, der 2018 in England mit Hilfe von Nowitschok umgebracht werden sollte, zum anderen ist Nawalny im Westen einer der bekanntesten russischen Oppositionellen und derzeit in Deutschland in Behandlung. Dennoch ließ es aufmerken, wie schnell und wie deutlich Kanzlerin Angela Merkel öffentlich auf die Nachricht reagiert hat, dass in einem Bundeswehr-Labor Nowitschok als Ursache für Nawalnys Vergiftung ermittelt wurde.

Es ist kaum zu erwarten, dass die Öffentlichkeit in nächster Zeit wirklich über die genauen Abläufe und die Verantwortlichen für den Mordanschlag auf Nawalny Aufklärung bekommt. Die Meinungsbildung wird sich an dem orientieren müssen, was sich plausibel zusammenspekulieren lässt. Kaum jemand bestreitet, dass Zugang zu einem chemischen Kampfstoff wie Nowitschok auch in Russland niemand hat, der nicht bestens in den Strukturen von Militär und Sicherheitsapparat vernetzt ist. Da dieser Mordanschlag auch in Russland selbst geschah, scheiden auch solche entlastenden Erklärungsversuche aus, die es kurz nach dem Skripal-Anschlag gab, wonach das Nowitschok hätte auch aus nichtrussischen Quellen stammen können. Also liegt es nahe, den Verantwortlichen am obersten Ende einer russischen Befehlskette zu vermuten – im Kreml.

Letztlich ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob nun Putin die Mord-Order gegeben hat, ob Männer aus seinem Apparat ohne seine Anweisung bzw. sein Wissen die Tötung des Missliebigen veranlassten oder ob es im russischen Machapparat auch Zirkel gibt, die mächtig genug sind, einen solchen Mordanschlag auch ohne bzw. gegen Putins Willen durchzuführen. Natürlich müssen Journalisten jede dieser Möglichkeiten beleuchten und können dann im Wesentlichen nur noch nach Plausibilität und gegebenenfalls Weltanschauung spekulieren. Für die einen ist der alte Geheimdienstler Putin, der sich nun schon zwanzig Jahre an der Spitze der Macht hält, ohnehin der Inbegriff finsterster Machenschaften, während andere nicht glauben wollen, dass der zwar skrupellose aber doch auch rational handelnde Präsident nicht erst einen fehlgeschlagenen Mord und hernach das Ausfliegen des Opfers nach Deutschland zugelassen hätte.

Neues Spekulations-Spielfeld

In Moskau muss man zwangsläufig auf eine Mauer des Schweigens stoßen, denn auch wenn die Mordorder nicht von ganz oben gekommen sein sollte, kann der Mann an der Spitze des Systems, Putin, niemals zugeben, dass in seinem Staate jemand außerhalb seines Apparats in der Lage ist, die chemischen Kampfstoffe des Landes zum tödlichen Einsatz zu bringen. Insofern ist dieser Mordanschlag auf Nawalny in jedem Falle logisch mit dem System Putin verbunden.

An dieser Stelle können wir dieses Feld des gepflegten Spekulierens getrost verlassen, denn es wird ohnehin längst schon von vielen anderen Kollegen beackert.

Einen Ausblick in die weiteren praktisch-politischen Reaktionen Deutschlands zu wagen, ist derzeit zwar nicht minder spekulativ, aber man bekommt wenigstens in absehbarer Zeit ein Ergebnis präsentiert, aus dem sich ersehen lässt, wie richtig oder wie falsch man lag.

Allenthalben wird jetzt auch von deutschen Politikern gefordert, die Vollendung der Gas-Pipeline Nordstream-2 auf Eis zu legen. Das Projekt, bisher vor allem von der US-Regierung unter Donald Trump bekämpft, galt der Kanzlerin bislang als nahezu sakrosankt. Mochte man sich zu verbaler Verurteilung Moskauer Politik genötigt gesehen haben, mochte man die Annexion der Krim mit etlichen Sanktionen beantwortet haben – die Gaspipeline sollte immer unangetastet bleiben. Da schien kein politischer Preis zu hoch. Selbst als US-Präsident Donald Trump klar ein Ende des Projekts forderte und auch über kooperierende Unternehmen im Westen Sanktionen verhängte, zeigte sich die Bundesregierung konsequent. Wer freiwillig auf den Einsatz seiner Kohle verzichtet, braucht halt das Gas umso dringender.

Könnte es sein, dass nun aber auch die Kanzlerin mit ihrer schnellen und klaren Reaktion wieder einmal eine 180-Grad-Wende in ihrer Politik einleitet? So, wie sie es beispielsweise mit dem Atomausstieg tat? Machtpolitisch wäre das durchaus nachvollziehbar und in Zeiten des Corona-Ausnahmezustands mit seinem heruntergekühlten politischen Diskurs sogar leichter umzusetzen.

Ernüchternde Erkenntnis

Vielleicht ist ja der Berliner Regierungsspitze die ernüchternde Erkenntnis gekommen, dass es trotz deutscher Wünsche und Medienwahrnehmung recht wahrscheinlich ist, dass der nächste US-Präsident wieder Donald Trump heißt. Ein Präsident, der nicht nur entschieden gegen die russische Pipeline vorgeht, sondern Deutschland auch noch in eine ganz andere Bredouille bringen könnte, wenn es dabei bleiben würde, Putin zwar verbal zu attackieren, aber das Gasgeschäft dennoch mit ihm auszubauen.

Ein wiedergewählter Donald Trump wäre befreit von den Vorwürfen russischer Wahlkampfhilfe, die seine erste Amtszeit überschatteten. Und diese Freiheit könnte er über kurz oder lang dazu nutzen, einen großen Deal mit Putin zu suchen. Da beide Männer in solchen Fällen sicher nicht zu allzu großen Rücksichten auf kleinere Partner neigen, ist ein solches Szenario durchaus vorstellbar. Dumm nur, wenn man es geschafft hätte, zuvor gleich beide Partner dieses Deals nachhaltig zu verärgern. Das wäre nun die eine Spekulation, dass die Kanzlerin einer solchen Bredouille mit einer Gas-Wende aus dem Wege gehen könnte, indem sie sich den USA auch unter dem gegenwärtigen Präsidenten wieder annähert.

Es gäbe natürlich noch eine Variante, die ebenfalls für eine Gas-Wende spricht. Wenn Deutschland aus moralischen Gründen – die gelten hierzulande ja als beinahe sakrosankt – auf das russische Gas verzichten wollte, aber auch keine Kohle mehr einsetzen und dennoch das Klima „retten“ möchte, so müsste es diese Notlage ja irgendwie auflösen. Vielleicht mit einen Atom-Wiedereinstieg? Zugegeben, das klingt nach einem zu billigen Treppenwitz. Aber was hätten Sie jemandem gesagt, der vor ein bis zwei Jahren die heutige Realität zutreffend prognostiziert hätte? Außerdem sind es ja nur Spekulationen, und ich wollte nur auf einem anderen Spielfeld spekulieren, als es die meisten anderen Kollegen gerade tun.

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Lutz Herzer / 03.09.2020

Wenn die Gas-Wende tatsächlich kommt, weiß doch jeder halbwegs intelligente Mensch, welche Kreise am wahrscheinlichsten hinter den Vergiftungsaktionen stecken und weshalb auch Nawalny sie überlebt hat. Erklärungsversuche, in diesen Kreisen sei man zu so etwas nicht in der Lage, überzeugen nicht. Die sind zu allem in der Lage und schrecken vor nichts zurück. Und mit Despoten, die politische Gegner tatsächlich beseitigen, sind diese Leute ganz dick im Geschäft. Um welche Despoten es sich handeln könnte, brauche ich hoffentlich nicht zu erwähnen.

K. Schmidt / 03.09.2020

Man baut einfach bis zum St.Nimmerleinstag an der Pipeline und spart sich eine Entscheidung. Bis dann wird Energie rationiert. Firmen, die Energie bräuchten, gibt es in Deutschland sowieso bald nicht mehr. Der Bürger bleibt im Bett.

Steffen Rascher / 03.09.2020

Im eigenen Land friedliche Demonstranten verprügeln, bis sie Krüppel sind, aber sich im Ausland als Humanistin aufspielen. Die Widersprüchlichkeiten der merkwürdigen Frau im Kanzleramt werden immer grotesker. Wenn sie ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen ist, muss ein anderer das Amt übernehmen, falls da noch jemand zu finden ist. Der Kahlschlag der letzten 15 Jahre bei den klugen Köpfen in der Union ist nicht mehr zu übersehen und die RRG Unterstützer von Frau Merkel sind nun mal nicht legitimiert, den Kanzler zu stellen. Die Union hat einen Fachkräftemangel, verursacht durch den unbedingten Machtanspruch einer letztlich überfordernden Frau unterstützt von “Volksvertretern” mit Versorgungsansprüchen und dem Irrtum, den Souverän angreifen zu dürfen um seine Befugnisse zu übernehmen.

Jan Kandziora / 03.09.2020

Konnte man bei den Skripals dank deren Aufenthalt im UK noch irgendwie eine Staatsaffäre draus machen, ist das bei Nawalny schwerlich möglich. Es sei denn, der Westen möchte ihn jetzt unbedingt noch als »ausländischen Agenten« brandmarken. Nawalny war auch für Putins Zirkel niemals gefährlich. Wenn der Mordauftrag tatsächlich von dort kam, dann doch nur, um ganz klar zu zeigen, wer in dieser Gasehe die Hosen vollpupt, und wer sie danach wieder waschen muss. Eine Frage stellt sich mir dabei nicht.

Harald Unger / 03.09.2020

Daß sich die Despotin in der Nawalny Sache auf diese Weise äußert, ist deshalb so unwirklich, als man von ihr niemals etwas vergleichbares hört, wenn die einzige innerdeutsche Opposition mit Anschlägen überzogen wird. - - - Sollte sie tatsächlich die ‘Gas Wende’ einleiten, könnten ihre Nachrichten darauf hindeuten, daß die geplante und so höhnisch wie großspurig angekündigte Corona Mail-In-Ballot Wahlfälschung der Democrats vereitelt wird. - - - Abgesehen davon, ist die ganze Geschichte von vorne bis hinten nicht stimmig. Übersetzt auf Merkel Verhältnisse kann das ‘eigentlich’ nur eins bedeuten. Die Nowitschok Vergiftung ist eine politische Schutzbehauptung der Despotin. Nawalny ist einem anderen Stoff zum Opfer gefallen.

Günter Schlag / 03.09.2020

Wenn’s nicht so abstrus wäre, könnte man auf den Gedanken kommen, die Amis könnten Nawalny das Gift eingeschenkt haben. Nutzen tut es ihnen jedenfalls.

Harald Hotz / 03.09.2020

Prinzipiell gibt es auch noch eine andere Möglichkeit. Es könnte auch der CIA gewesen sein, um Putin zu schaden und Northstream II zu Fall zu bringen. Warum sollte die russische Regierung so töricht sein, einen Regimegegner mit einem sovietischen Kampfstoff zu vergiften, wobei der Oppositionellle den Anschlag womöglich auch noch überlebt? Ihn dann auch noch ausreisen zu lassen, in ein Land, wo die Vergiftung mit Sicherheit diagnostiziert werden kann ... ? Gibt es da nicht viel elegantere Möglichkeiten wie Unfall oder Raubüberfall mit Todesfolge o.ä. ? Es könnte aber auch sein, daß der Kreml es genauso inszeniert, um es als unglaubwürdig erscheinen zu lassen oder um zur Abschreckung seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Westen und der Opposition zu dokumentieren. Wahrscheinlich werden wir es nie erfahren. Bleibt nur zu hoffen, daß Navalny wieder vollständig gesund wird!

Hjalmar Kreutzer / 03.09.2020

„...dass der zwar skrupellose aber doch auch rational handelnde Präsident nicht erst einen fehlgeschlagenen Mord und hernach das Ausfliegen des Opfers nach Deutschland zugelassen hätte.“ Eben. Cui bono? Ich bin auch optimistisch, dass außer den üblichen Schwurbelsätzen nichts weiter passieren wird, da „der Russe“ selbst in Zeiten stärkster politischer Konfrontation immer sein Gas und Öl den DDR-Freunden zugeteilt und der BRD sehr gern verkauft hat. Man muss schliesslich auch dem blöden Volk klar machen, dass Atom- und Kohleausstieg und Energiewende funktionieren, auch wenn man dafür teuer Gas bzw. Atom- und Kohlestrom im Ausland kaufen muss - die deutsche Energieversorgung ist ökologisch, moralisch und politisch sauber. Die Partei hat immer recht und Wort gehalten, Genossen!

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