Gunnar Heinsohn / 02.10.2020 / 06:24 / Foto: Mike Shaheen / 52 / Seite ausdrucken

Kein neuer Bürgerkrieg in USA

Voraussagen über einen neuen amerikanischen Bürgerkrieg liest man in fast allen Medien des Westens, aber auch Russlands oder Chinas. In den USA äußert sich selbst Thomas Friedman (*1953), herausragender Kolumnist der New York Times, regelrecht verzweifelt. Bereits am 18. August 2020 will er das „Ende unserer Demokratie“ und einen anschließendem „civil war“ nicht mehr ausschließen.

Noch deutlicher wird er am 25. September bei CNN, also vier Tage vor der Biden-Trump-Präsidentschafts-Debatte: „Wie Sie wissen, begann ich meine Karriere als Journalist, der über den zweiten Bürgerkrieg [1975–1990] in der Geschichte des Libanon berichtete, und ich habe Angst davor, meine Karriere als Journalist zu beenden, der über einen möglichen zweiten Bürgerkrieg in der amerikanischen Geschichte berichtet.“

Beim Erstellen wirklich aussagekräftiger Vergleiche über 160 Jahre hinweg tut man gut daran, historische Situationen mit einer ganzen Reihe ähnlicher Bedingungen heranzuziehen. Das ist in diesem Falle schwierig, weil zu den treibenden Faktoren für die amerikanischen Kämpfe zwischen 1861 und 1865 keine Einigkeit besteht. Ein moralisches Ringen zwischen Sklaverei-Überwindern und Sklavenhaltern bestimmt das herrschende Narrativ. Vieles spricht allerdings dafür, dass es beim Verzicht des Südens auf Sezession keine politische Mehrheit für einen Krieg gegeben hätte. Überdies gibt es damals Befürworter für das Freikaufen von Sklaven, also für eine Entschädigung ihrer Eigentümer. Ohne Alternativen stand die Emanzipationsbewegung also nicht da. Unstrittig ist immerhin, dass es beiden Seiten an Kampfgeist und tapferen jungen Männern nicht mangelte.

Bereits vor Kriegsausbruch kommt es zu Gewaltakten. Zum Helden und Märtyrer des Nordens wird der Südstaatler John Brown (1800–1859). Unter seinen zwanzig Kindern hat er elf Söhne. Sechs der sieben, die das Erwachsenenalter erreichen, helfen dem Vater beim Töten von Pflanzern in Kansas. Dafür wird er zwei Jahre vor Ausbruch der Kampfhandlungen als Mörder hingerichtet. Seine Ehrung durch „Glory, Glory, Hallelujah“ wird zu einer zweiten Nationalhymne. Bis heute erklingt dieser nobelste Schlachtengesang der Republik auch als Trauermarsch. Man hörte ihn bei den Beerdigungen von John F. Kennedey oder Ronald Reagan. Selbst zur Beisetzung des Briten Winston Churchill spielte man das Lied des Sklavenbefreiers.

Ein essenzieller Unterschied

Im September 2020 stehen ungeachtet all der Unruhen, Plünderungen und Branstiftungen immer noch 55 Prozent der erwachsenen Amerikaner hinter „Black Lives Matter/BLM“. Bei den „Whites“ sind es jedoch nur 45 Prozent. Hier zeigt sich eine veritable Spaltung in der stärksten Ethnie. Längst kommt es auch zu blutigen Konflikten zwischen BLM-Aktivisten und ihren Gegnern. Eine interaktive Karte von „Wellesley Research Guides“ aktualisiert regelmäßig die Opferzahlen.

Parallelen zwischen damals und heute lassen sich also durchaus finden. Ausgeblendet bleibt allerdings ein essenzieller Unterschied. Heute verfügen die USA über einen Kriegsindex von 1. Auf 1.000 Männer im Alter von 55 bis 59 Jahren, die bald eine Position freimachen, folgen ebenfalls 1.000 Jünglinge, die den Lebenskampf aufnehmen müssen. Überdies gelten unter den 17–24-jährigen Amerikanern nur noch 29 Prozeit als körperlich und kognitiv wehrfähig. Von rund 34 Millionen Menschen (aller genders) in dieser Altergruppe müssten bei einer Bewerbung fürs Militär rund 24 Millionen abgelehnt werden. Noch die heftigste kriegstreibende Terminologie kontrastiert also mit einer prekären militärischen Demografie.

Amerikas Kriegsindex vor 160 Jahren kennen wir nicht. Das liegt daran, dass zwar die Entwicklung der Gesamtbevölkerung, nicht jedoch die Stärke der einzelnen Jahrgänge zuverlässig ermittelbar ist. Doch man kann sich helfen durch Vergleich mit Ländern der Gegenwart, deren Gesamtbevölkerungen sich ähnlich entwickeln wie damals die amerikanische. Ihre Jahrgangsgrößen kann man für die Zeit ab 1950 bei der UNO mit ein paar Mausklicks abrufen.

Wir wählen die 65-jährige Geschichte des Irak von 1950 bis 2015 und vergleichen sie mit der amerikanischen Geschichte von 1800 bis 1965. Die USA steigen in dieser Zeitspanne von 5,3 auf 35,2, der Irak von 5 auf 35 Millionen Einwohner. Im Bürgerkrieg erleiden die USA rund 630.000 Tote. Der Irak erreicht 1970 einen Kriegsindex von 3,5 und steht 2015 bei 5,8. Zwischen 1961 und 2015 liegen die Verluste in einer ganzen Serie von Kriegen bei gut 700.000. 

Kein Personal für Sieg oder Heldentod

Bei einer glatten 1:1-Übertragung hätte Amerika 1820 einen Kriegsindex von 3,5 und 1865 von 5,8 erreicht. Man darf allerdings davon ausgehen, dass aufgrund der jugendlichen Einwanderung die seinerzeitige amerikanische Gebärfrequenz höher liegt als im modernen Irak (pro Frauenleben 7 bis 5 ab 1950). Gleichwohl ist John Browns zwanzigköpfiger Nachwuchs auch damals die Ausnahme gewesen. Der Irak macht diese Differenz partiell wett durch bessere medizinische Versorgung, also durch geringere Kindersterblichkeit. 

Ein runder Index von 6 während die US-Bürgerkriegs dürfte als passable Annäherung herangezogen werden. Auf beiden Seiten können Familien also mehrere Söhne verlieren, ohne ihre Linien auszulöschen. Entsprechend haben die Söhne nur geringe Chancen, der Familienerbe zu werden. Aus diesen jungen Männern mit einer ungewissen Zukunft rekrutiert der Heroismus sein Personal für Sieg oder Heldentod.

Mit einem Kriegsindex von 1 heute gegen 6 damals sollte sich auseinandersetzen, wer in Amerika großes internes Blutvergießen befürchtet oder gar erhofft. Der Autor ist bereit, sich mit der Prognose zu blamieren, dass selbst unter den 330 Millionen Amerikanern der Gegenwart – ungeachtet aller noch anstehenden Schießereien – nicht einmal annähernd die Opferzahl erreicht wird, die damals unter 35 Millionen anfällt.

Thomas Friedman möchte man zurufen, dass – angesichts immer brutalerer Anlässe – ein neuer Bürgerkrieg im Libanon wohl noch häufiger beschworen wird als für Amerika. In dem kleinen Land am östlichen Mittelmeer stand der Kriegsindex bei Beginn der Kampfhandlungen 1975 bei 5,1. Heute sind es 1,8 und für 2030 werden nur noch 1,1 errechnet. Auf der Hut soll man bleiben, aber den Pessimismus dabei nicht übertreiben. Man mag sich nicht vorstellen, dass Friedman nur auf neue Weise Stimmung gegen Trump machen wollte, den er – nach seinem Truppenabzug aus Nahost und Afghanistan – ja nicht gut als äußeren Kriegstreiber hinstellen konnte.

 

Gunnar Heinsohn (*1943) hat von 2011 bis zum Frühjahr 2020 Kriegsdemographie am NATO Defense College (NDC) in Rom geleht. 2019 publizierte er bei Orell & Füsseli (Zürich) die Neuausgabe von Söhne und Weltmacht.

Foto: Mike Shaheen CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

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Hans-Peter Dollhopf / 02.10.2020

Die westliche Welt ist zur Migration freigegeben, solange bis der Kriegsindex auf ihren Landflecken wieder im “schwarzen” Bereich liegt. Schweden zuckt kurz zuvor noch einmal bruttosozialdemokritisch auf und Frankreich bekümmert sich präsidentiell um innerstädtisches Ausland . . . die letzten tage europas

Martin Wessner / 02.10.2020

Was wir jetzt sehen, dass ist ein Vorgeplänkel der Machtübernahme der sogenannten “Minderheiten”, die in den USA die sogenannten “alten, weissen Männer” vorzeitig beerben wollen. Sie fühlen sich von der numerischen Masse her mittlerweile recht stark und wollen mal austesten, ob sie schon vor Weihnachten an die Geschenke rankommen, die ihnen in rund 20 Jahren, sowieso mühelos zufallen, nachdem ihnen die europäisch geprägte Babyboomergeneration am Gabentisch auf biologischen Wege Platz gemacht hat.

Margit Broetz / 02.10.2020

Unterwanderung, Zersetzung und Regime-Change Operationen durch üble Drahtzieher wie Soros gibt es eben nicht nur in der Arabellion, der Ukraine oder Jugoslawien, sondern nun auch im Mutterland dieser Subversion, wo die Strategie erfunden wurde. Ich halte die Rede von neuem Bürgerkrieg auch für übertrieben, aber auf einen größeren Knall muß man m.E. doch gefaßt sein. Derart zerrüttet wie heute waren die USA zumindest zu meinenLebzeiten nie, nicht mal in den Tagen der Proteste gegen den Vietnamkrieg. Ob aber der “Kriegsindex” oder die Zahl männlicher Überflüssiger das einzige oder wichtigste Kriterium ist erscheint mir zweifelhaft, es wird sicher Ausnahmen geben.

E Ekat / 02.10.2020

Wenn genügend Kräfte zusammenkommen, den Sozialismus in den USA zu etablieren, könnte es Bewaffnete geben, die sich dem nicht unterwerfen. Kräfte, die derzeit in BLM investierten gibt es weltweit. Nicht auch aus der BRD? Waffen gibt es in den USA in genügender Anzahl. Da muß man nur noch abwarten, ob und an was es sich entzünden wird.

N.Lehmann / 02.10.2020

Also 55% zu 45%, war das nun geknobelt oder geschätzt? Die Amerikaner mit dem Fernglas zu analysieren scheint mittlerweile ein Hobby für deren Kritiker.  Ich glaub nur noch an die Zustimmungs-werte für unsere Kaiserin und das sind satte 99,2 %! Das ist Deutschland!

Thomas Taterka / 02.10.2020

@Frances Johnson Howard Zinn zu lesen , ist absolut kein Fehler. Er war gewissermaßen Anwalt der kleinen Leute gegen zu viel Macht, u.a. der Konzerne. Aber ein militanter Schwachkopf war er nicht. Schönes Wochenende.

Daniel Zander / 02.10.2020

Sorry, aber diese ständige Verflachung und Vereinfachung von Kriegsursachen auf die Demographie hält keiner seriösen Überprüfung stand. Jeden Konflikt auf das Verhältnis der männlichen Jungmannschaft zu den Alten reduzieren zu wollen ist einfach nur platt. Die Aussagekraft solcher Zahlenspielereien tendiert gegen Null; sie simplifiziert und impliziert eine Monokausalität, bei der einem Historiker einfach die Haare zu Berge stehen. Da sind soziopolitische Analysen von Konflikten wesentlich aussagekräftiger, weil sie eine Reihe von Faktoren mit gewichten, die bei Herrn Heinsohn überhaupt keine Rolle zu spielen scheinen.

Andreas Auer / 02.10.2020

@Jörg Klöckner. Ich weiß, das es heute üblich ist, Werk und Person in einen Topf zu werfen. Ich mache mir diese Strategie jedoch nicht zu eigen und halte diese Diskussion über Julia Howe für off topic. Fakt ist der Text der Hymne, von der Sie sich auch mal den restlichen Text jenseits des Refrains anhören sollten. Und Fakt ist, das mit der Melodie heute die Battle Hymn assoziiert wird und nicht John Browns Body.

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