Thilo Schneider / 22.03.2020 / 16:00 / Foto: Timo Raab / 14 / Seite ausdrucken

Ich kriege Spam, also bin ich

Nachdem persönliche Kontakte derzeit ja möglichst zu meiden sind, sitze ich zwangsläufig im Büro statt im Kaffeehaus und nutze die Gelegenheit, meine Junk-Mails zumindest einmal grob durchzulesen, es könnte ja sein, dass mir ein wichtiger Autorenvertrag verloren gegangen ist oder Christian Lindner einen Dummy sucht, der vor die Kameras tritt und „Ich übernehme hierfür die volle Verantwortung“ sagt. Man weiß es ja nicht, wenn man nicht ordentlich nachguckt.

Sagen wir es so: Wenn Spam-Mails den Effekt haben sollen, den Kunden für ein Produkt zu interessieren, dann haben die Deutschen schmerzhafte Mangelerscheinungen, die sie sehr gerne beheben möchten. Was dem gemeinen Volk fehlt, wären, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge: Solarbeleuchtungen für den Garten (sinnvoll, wenn man einen Garten und keinen Baumarkt hat), alternativ Stirnlampen (klar, wer bei den Solarbeleuchtungen nicht zuschlägt), Fernrohre (für das Schlafzimmer der Nachbarin, wenn man schon im Stockdunklen im Garten herumsteht und keine Stirnlampe hat), Enzymstäbchen (die helfen – wie auch immer – bei Verstopfung. Also, nicht der eigenen, sondern von Rohren der Zu- und Abwasserversorgung), dann hat der deutsche Spanner mit dem verstopften Abfluss in der Regel unschöne Zahnverfärbungen (klar, dass der im Dunklen steht), dafür aber keine rauschfreien Kopfhörer und keine Sonnenbrille (beides braucht er ja, wenn er jenen Garten mit den Solarlampen mit Bewegungsmelder glockenhell erleuchtet hat). 

Der deutsche Einfamiliengartenbesitzer benötigt ferner ein „Schufa-freies Darlehen von 5.000 Euro ohne Bonitätsnachweis“ (von der russischen Mafia), damit er sich den „Messerschärfer mit dem doppelten Schaft für die Küche“ (und die Geldeintreiber der Mafia) oder einen „hautfreundlichen Brausekopf für die Dusche“ (sofern ihm die Russenmafia diesen lässt) kaufen kann. Er handelt mit Bitcoins wie ein Großer, weil „diese Sendung, die Sie zum Millionär gemacht hätte, nicht ausgestrahlt werden durfte“, die er allerdings ohne seine „nützliche Lupenbrille“ (der Blindfuchs) sowieso nicht hätte sehen können. Besonders pfiffig finde ich in diesem zusammenhanglosen Sammelsurium den „Rasenmäher zu einem Sensationspreis mit gratis-Rasensamen und Nährlösung“. Erst mähst Du das Zeug weg, dann züchtest Du es gleich nach. Oder reißt den Stellplatz weg und sorgst erst für eine Wiese, die Du dann mähen kannst. Bevor die Mafia kommt. Oder Diesel-Rasenmäher verboten werden.

Außerdem gibt es für den deutschen Automobilisten Autofahrerhandschuhe (gibt es die überhaupt noch?), Radarwarngeräte (wichtig, wenn man sich strafbar machen will), eine Autofahrerbrille („Sie werden überrascht sein“ – und nicht nur ich, da bin ich sicher. Vor allem, wenn ich dank dem Ding auf der Gegenfahrbahn unterwegs bin) und endlich zwei neue Mittel gegen tatsächlich „krumme Zehen“ und „Haarausfall ab 30“, was mir etwas geschmeichelt hat, da ich damals nur T2 gemustert wurde und trotz Fünfzig-Plus immer noch ein volles Haupthaar mein eigen nenne. Zumindest, bis mich die Russenmafia skalpiert.  

Noch ein Mittel gegen intensives Schnarchen

In meiner Stadt warten unzählige „einsame Hausfrauen“ auf einen – nennen wir ihn „besinnlichen“ – Besuch, wovon wir beide allerdings wenig haben werden, wenn ich nicht vorher „neueste Generika aus den USA“ einwerfe. Ferner wird das mit den einsamen Hausfrauen, deren Männer Spam-Mails lesen, auch dann nichts, wenn ich, siehe oben, „verfärbte Zähne“ oder wegen der Nichtbenutzung des „hautfreundlichen Brausekopfs“ stattdessen einen „Bappkopp“ habe.  

„Bundesbürger verdienen durch diese "Kapital-Gesetzeslücke" bereits Millionen Euro von zu Hause aus – aber ist das legal?“ fragt mich ein Absender und ich vermute, dass diese Bundesbürger bereits vor der E-Mail Millionen verdienten und es außerdem nicht legal ist und sie bereits im Knast oder auf Palau sitzen. Ich will nicht ins Gefängnis. Auch nicht nach Palau. Denn der Arm der Russenmafia reicht auch bis dorthin, kennt man ja. Außerdem werde ich viel schneller Millionär, wenn ich Mister Ahndahan Bakhdibutr, harmloser Sachbearbeiter in der First Park Bank of Almanistan meine Kontodaten schicke, denn er hat hier ein herrenloses Konto von Ivan-Igor Jasilljewitsch-Müller. Dieser „angesehene Geschäftsmann“ (nein, der war wirklich Geschäftsmann, keine Mafia) saß in dem Flugzeug, das ein paar nervöse iranische Soldaten hektisch abgeschossen haben, weswegen er pulverisiert wurde (stand da wirklich!). Auf jeden Fall hat der bedauernswerte Multitrilliardär leider keine Erben (ich vermute, er kam vor lauter Arbeit nicht zur Zeugung) und jetzt liegen hier Zwölfunddreiundneunzig Fantastilliarden US-Dollar in kleinen Scheinen in Almanistan herum. Bakhdibutr, der Fuchs, will die natürlich außer Landes bringen und will deswegen die Blüten in ein paar leere MG-Kästen füllen und mir per Diplomatengepäck schicken, damit ich die dann auf mein Konto einzahlen kann. Er nimmt für sich lediglich 30 Prozent Provision, dafür schicke ich ihm vorab die Kontokarte, damit er sieht, dass es das Konto gibt und dann seinen Teil abheben kann. Ein, meiner Ansicht nach, sehr fairer Deal für einen einzigen Gang auf die Bank.

Und falls ich mich je fragte, „wie lang ist es?“, dann „messe alles mit elektrischem Maßband, blitzschnell“, schlägt mir eine andere Mail vor, die ich sicherheitshalber gelöscht habe, bevor sie der Schatz in die Finger kriegt. Zu guter Letzt könnte ich jetzt noch ein Mittel gegen intensives Schnarchen bestellen, denn das macht er gerne, der Deutsche. Lange, laut und intensiv schlafen und schnarchen. Erschöpft von der ganzen verdammten Gartenarbeit ruht er sich aus und fährt morgen „zum Schnäppchenpreis zu den schönsten baufälligen Hotels weltweit“. Ich sollte da wirklich gelegentlich mal einen Link anklicken. Und mich aus den Newslettern, die ich nie abonniert habe, austragen. Und somit meine E-Mail-Adresse validieren. Damit ich auch weiterhin wunderschöne Angebote aus der Welt des grassierenden Schwachsinns bekomme. 

(weiterer Spam des Autors findet sich auch auf www.politticker.de

Foto: Timo Raab

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netiquette:

Otto Nagel / 22.03.2020

Und diesmal überall die “Russenmafia” , Herr Schneider ?  Wo ist sie nur, jedesmal wenn ich übern Görli oder Cotti laufe, suche ich sie verzweifelt. Einen Russen als Freund und Nachbar zu haben erhöht in diesen Zeiten die Lebe nserwartung ! Und verzweifelt suche ich den Hinweis auf die AfD !  Sie waren schon mal besser !

Bernd Klingemann / 22.03.2020

You made my day, Mr. Schneider!

Emmanuel Precht / 22.03.2020

Ich bekomme immer nur Informationen darüber, dass mein nicht vorhandenes PayPal Konto eingeschränkt wurde. Finde ich total gut! Ich brauche nur auf den angegebenen Link zu klicken, dann erfahre ich warum. Wohlan…

Heiko Engel / 22.03.2020

Und, Herr Schneider ? Wie entwickelt sich Ihr Austritt aus der FDP ? Der Zeitpunkt könnte besser nicht gewählt werden. Die Post arbeitet auch weiterhin.

J.G.R. Benthien / 22.03.2020

Sie haben die Pillen für Peniswachstum, grössere Brüste, volleres Haupthaar sowie die Gewinnbenachrichtigungen in Lotterien, die Sie nicht kennen, vergessen. Ausserdem die Hotel-Flatrate-Coupons, Tank-Gutscheine, etc. Der Abschaum da draussen ist grenzenlos, wirklich.

H. Schmidt / 22.03.2020

“...meine Junk-Mails zumindest einmal grob durchzulesen, es könnte ja sein, dass mir ein wichtiger Autorenvertrag verloren gegangen ...” Das ist ein Fehler! SPAM-Mails sollte man wenn sie in den Posteingang kommen ungelesen löschen. Vielleicht sollte man auch den Mail-Anbieter wechseln wenn ständig SPAM-Mails auflaufen. Wer bei freenet, GMX, Web.de, und selbst Outlook oder Gmail Zuhause ist, darf sich über solche Mails nicht wundern. Anbieter wie Posteo, Mailbox.org, Tutanota oder Protonmail filtern sowas sehr gut aus. Ganz selten rutscht da mal was durch (bei mir noch nie). Kostet halt 1.-€ pro Monat, aber wir habens doch, oder?

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