Peter Grimm / 06.09.2022 / 14:00 / Foto: Achgut.com / 48 / Seite ausdrucken

„Heißer Herbst“ am Leipziger Demonstrations-Montag?

Viel wurde erwartet und befürchtet von den getrennt-gemeinsamen links-rechts-Demonstrationen auf dem Augustusplatz in Leipzig. Der „heiße Herbst“ vor dem kalten Krisen-Winter wurde ausgerufen. Der kommt wahrscheinlich auch, aber nicht so. Dieser Montag war vielfach eine kuriose Mischung aus alten Demonstrationsritualen und der Suche nach neuen Textbausteinen.

Was wurde im Vorfeld nicht alles spekuliert über die links-rechte Doppeldemonstration auf dem Augustusplatz in Leipzig. Die Linke hatte an diesem historischen Ort eine Montagsdemonstration zur Eröffnung eines „heißen Herbstes gegen soziale Kälte“ angemeldet. Den ohnehin zu erwartenden Protest gegen eine Energie-, Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Verdunklung, Heizungsobergrenzen, Versorgungslücken, Inflation, Rezession, Enteignung und Verarmung wollten die selbst in eine Wählerschwund-Krise geratenen SED-Nachfolger für sich nutzen. Während fast alle Politiker und Medien vor staatsgefährdender Vereinnahmung regierungskritischer  Demonstrationen von Rechten und Rechtspopulisten warnten, wollten die Linken den Unzufriedenen mit ihren linkspopulistischen Textbausteinen gern eine weniger verteufelte weltanschauliche Heimstatt anbieten.

Die Geschehnisse im Vorfeld dieser Demonstration hätten in normalen Zeiten nur zu einer mittelmäßigen Polit-Posse getaugt, die kaum mehr ernst genommen worden wäre. Die linken Demo-Veranstalter hatten ihre durchaus populäre Genossin Sahra Wagenknecht erst ein- und dann wieder ausgeladen. Vielleicht hatten sie Sorge, dass eine Rede von Wagenknecht denen der ungeliebten Nachbardemonstranten zu ähnlich geraten könnte. Denn dass mit den „Freien Sachsen“ eine rechte Kleinpartei eine Demonstration zur Unterstützung der Linken-Demonstration anmelden könnte, hätte sich kein Politiker-Komiker besser ausdenken können. Um dann mit einem noch prominenteren Redner aufwarten zu können, schickten die Linken dann bekanntlich ihre rhetorische Allzweckwaffe Gregor Gysi auf den Platz.

Auch andere Gruppierungen riefen zum Erscheinen auf dem Augustusplatz auf, manche zunächst auch zu Demonstrationen an anderen Orten der Stadt, doch das spielte keine Rolle mehr. Die Medien nahmen überregional Notiz von der Links-Rechts-Demonstrationspaarung und es begannen Spekulationen, was alles passieren könnte.
Am Montagabend strömten dann Tausende auf den geteilten Augustusplatz. Stadtunkundigen muss man die Situation kurz erklären. Mitten über den großen Platz führen Straßenbahnschienen. Auf der nördlichen Seite erhebt sich das Opernhaus, auf der südlichen das Gewandhaus, Heimstatt des berühmten Gewandhausorchesters, dazwischen ist viel Platz. Links und rechts der Straßenbahnschienen waren jeweils Demonstrationsflächen mit niedrigen Sperrgittern abgeteilt worden. Vor der Oper versammelten sich die Linken und die, die ihrer Einladung folgten, vor dem Gewandhaus die Freien Sachsen und andere Gruppen. Auf deren Seite trat als Redner beispielsweise der Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer auf, ein Mann, der sich schon in verschiedenen Ideologien eingerichtet hatte, sich aber offenbar immer treu darin blieb, ein ideologisches Weltbild zu pflegen. Insofern für den Ideologenwettstreit an diesem Abend eine Idealbesetzung.

Insel im geteilten Platz

Es hatte den Anschein, dass einem Großteil der tausenden Menschen auf dem abendlichen Augustusplatz die ideologischen Weltbilder herzlich egal waren. Sie trieben tatsächlich die düsteren Zukunftsaussichten, die Inflation und die anrollende Krise auf die Straße. Viele waren sichtbar unschlüssig, welcher der beiden Demonstrationen sie sich nun mehr zuwenden sollten. Sie waren zwar gegen den Energie-Kurs der Bundesregierung, aber sie mochten sich auch nicht zu einer der Demo-Veranstalter-Gruppen bekennen. Auch wenn sie vielleicht der einen oder der anderen Seite etwas mehr zuneigten bzw. eine vielleicht stärker ablehnten als die andere.

Insofern war der Platz auf der Haltestelleninsel zeitweise der interessanteste. Es gab interessante Gespräche, die Kakophonie aus den Redefetzen beider Seiten hatte einen speziellen Unterhaltungswert, und der weiterlaufende Straßenbahnverkehr spülte auch immer wieder neue Unbeteiligte in diese Demonstration-Aufführung, und manche blieben eine Weile als interessierte Zuschauer. Vielleicht wäre es interessanter, die Menschen auf dem Augustusplatz nicht nach rechten und linken Demonstranten zu unterscheiden, sondern nach Zuschauern und Demonstranten.

Zur journalistischen Beobachtung soll man ja überall reinschauen, aber inhaltlich passt der Platz auf dieser Insel am besten. Von Nord und Süd kamen erwartbare verbale Angriffe auf die gegenwärtige Bundesregierung. Im Norden wurden mehr und sozialere Hilfsprogramme mit mehr Umverteilung gefordert, im Süden stärker das Ende der Russland-Sanktionen. Das kommt bei Linken auch gut an, aber die versuchten, das Thema – wenn möglich – zu umschiffen. Dafür war es allen Rednern vor der Oper wichtig, sich von der rechten Demo-Konkurrenz immer wieder zu distanzieren.

Es war nicht ganz klar auszumachen, welche Seite mehr Demonstranten und Zuschauer angezogen hatte. Jede Seite sprach von einigen Tausend, den jeweils eigenen Angaben vom Demo-Abend hätten die Linken etwas mehr Zulauf gehabt. Doch eben nur etwas mehr. Die Kleinpartei Freie Sachsen und andere Gruppierungen zogen immerhin Tausende an. Hinter der Linken steht allerdings ein wohlorganisierter und gut ausgestatteter Parteiapparat nebst Vorfeldorganisationen, dennoch kamen nicht signifikant mehr Menschen zu ihnen.

Pendler zwischen Demo-Welten

Es gab zudem etliche Zuschauer oder Demonstranten, die zwischen beiden Seiten pendelten. Es gab so einige, die erst zu den Freien Sachsen gingen und später, als diese planmäßig ihren Demonstrationszug über den Ring und durch die Innenstadt begannen, zu den Linken gingen, um Gregor Gysi zu lauschen, der erst zu reden begann, als die rechte Konkurrenz vom Platz verschwunden war.

Diese Abläufe klappten. Die Demonstrationszüge durch die Stadt begegneten sich nicht, und auf dem Platz herrschte so etwas wie friedliche Koexistenz. Gewalttätige Angriffe gab es allerdings einige. Selbstverständlich waren die maskierten schwarzgekleideten Kämpfer der Antifa auch da, und deren Sinn stand selbstverständlich nicht danach, mit den Genossen friedlich durch die Stadt zu ziehen, sondern sie wollten eher gegen die anderen Demonstranten in den Kampf ziehen. Hier gab es eine Reihe von Angriffen und Störversuchen, allerdings gemessen an manchen Befürchtungen blieb auch das vergleichsweise harmlos. Das hört sich für Betroffene eines solchen Angriffs vielleicht zynisch an, aber verglichen mit anderen Demonstrationen, bei denen rechts und links aufeinanderstoßen, wirkte es beinahe wie die Pflege vertrauter Rituale.

Am Ende des Demonstrationsgeschehens versammelten sich beide Seiten wieder auf ihren jeweiligen Hälften des geteilten Platzes. Nur auf der Haltestelleninsel wurde es nun nicht mehr so voll. Die gute Übersicht, die man zuvor von dort auf die beiden Kundgebungen hatte, waren durch die neuen Verdunklungsverordnungen erheblich eingeschränkt. Oper und Gewandhaus, die nur noch dunkel an ihren Platzenden standen, wurden bis vor Kurzem noch angestrahlt, und auch die weitere Beleuchtung des Platzes schien reduziert. Für die Rückkehr des Lichts in den öffentlichen Raum hatte aber niemand demonstriert. 

Zum Abschluss gab es auf beiden Seiten noch große Worte. Eine Rednerstimme der Linken versprach, dass hier nun der „heiße Herbst“ eingeläutet würde und dieser Demo viele folgen würden. Auf der rechten Seite wollte ein Redner bis zur Revolution auf der Straße bleiben. 
Vielleicht gehören die inzwischen bereits schal klingenden Anlehnungen an die Montagsdemonstrationen im Revolutionsjahr 1989 auch schon zu einer eigenen Art der Demonstrations-Folklore. Die Linke hatte ja zur Montagsdemonstration gerufen und ließ anschließend treuherzig Stimmen verlauten, dass man sich aber nicht unzulässig am Erbe von 1989 vergreifen wolle. „Wir sind das Volk“ skandieren zu lassen, wie man es vor dem Gewandhaus hörte, haben die SED-Erben vermieden. 

Wann ist der „heiße Herbst“ da?

Die Demonstrationen auf dem geteilten Augustusplatz waren noch ein groteskes Schauspiel, mit vielen alten Versatzstücken. Es war nicht der Auftakt des „heißen Herbstes“, auch wenn es manche gern dazu gemacht hätten. Der „heiße Herbst“ kommt sicherlich, aber wahrscheinlich nicht so, wie ihn die politischen Möchtegern-Profiteure planen. Die Linken werden mit der Forderung nach immer mehr und wertloserer Hilfe und größerer Umverteilung nicht punkten können, denn das ist ja das Einzige, was auch dieser Regierung einfällt. Beide Seiten stützen zudem die Regierungserzählung, indem sie den Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen als Haupt-Krisenursache ausmachen und nicht sehen wollen, dass dies nur Verstärker einer Krise sind, die durch eine ideologische Energie- und Wirtschaftspolitik verursacht wurde. Es ist eben nicht so einfach, dass alles wieder gut wäre, würde Putin nur wieder Gas liefern. 

Wenn immer mehr krisengeplagte Bürger aufhören, sich mehr Hilfszahlungen und russisches Gas als politische Problemlösung verkaufen zu lassen, dann ist vielleicht der „heiße Herbst“ da. Vielleicht ist’s da aber auch schon Winter.

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Okko tom Brok / 06.09.2022

Überlassen wir doch die Labels („Heißer Herbst“ etc) späteren Historikern. Eines ist sicher: Viele Menschen werden unfassbar viel verlieren, und was das für Konsequenzen haben mag, kann niemand seriös vorhersagen.

Ulla Schneider / 06.09.2022

Herr Grimm, es ist noch nicht kalt! Die kommende Woche gehen die Temperaturen erst ‘runter. Niemand kann auf Heizung verzichten: Schimmel an den Wänden,in den Schränken und Kartoffeln, keine trockene Wäsche etc wenn es feucht wird. Hustende Kinder und “große” Kinder. Lungenentzündungen, Blasenentzündungen und wahrscheinlich auch TBC. Man schaue sich einfach mal “historische” Filmchen an oder lese darüber. Möglich auch, daß in Mehrfamilienhäusern Brände entstehen, weil man mit Tischheizungen herumprobiert, oder Tote durch Sauerstoffentzug/Kohlenmonoxid…..  Es wird nicht reichen . Die Menschen werden vor Angst ( da ist sie wieder) alles aus oder ’ runterschalten.  Erinnern kann sich kaum einer, die Großmütter und -Väter leben nicht und lesen kann auch keiner mehr.  - Hinterher heißt es, seht wir haben nicht 20- sondern 50 Prozent gespart ( typisch Deutsch, der Allesbesserkönner).  Klappe zu, Affe tot!

giesemann gerhard / 06.09.2022

Politiker haben es nicht leicht: Die Kanallje schreit nach warm, der Putin schert sich nicht darum. Wer will itzt noch Politicker sein? Politer hier, Politer da, ...  ich bin das Faktotum der ganzen Welt…. , der ganzen Welt, ... , ... .  Wie wär’s mal selber den Ashram ... . Zu bewegen? Verwöhntes Pack. Geht zum Figaro.

Angelika Meier / 06.09.2022

“als politische Problemlösung verkaufen zu lassen”: Ich glaube, es geht nicht um Problemlösung und auch nicht um Forderungen. Vermutlich hat jeder seine eigene Theorie, woran es liegt. Es geht (falls es überhaupt irgendeinen Sinn hat) darum, erst einmal deutlich seinen Unmut zu äußern. Wie sagte jemand so schön “Ich möchte, dass Ihr wütend werdet.” Wut ist der Anfang von allem in der Politik. Deshalb ist es mir auch egal, was jeweils gefordert wird und ich habe kein Problem mit den Gläubigen an die Flachen Erde. Solange sie bloß nicht an Tagesschau und Co glauben.

Michael Hoffmann / 06.09.2022

Es muß eine gesellschaftliche Situation eintreten, die so fundamental nach Veränderung schreit, daß irgendwelche politischen Verortungen völlig belanglos werden. Vorher ist das alles wie richtig bemerkt “Demonstrationsfolklore.”

Gerard Doering / 06.09.2022

Oder war das alles nur ein Test? Hat man gehofft die schlagen sich die Köpfe ein? Da wird man wohl beim nächsten Mal die Antifa mit ins Spiel holen, die sind doch besonders stark in Leipzig vertreten. Wenn wir wirklich menschenwürdig weiterleben wollen müssen wir zuerst den grünen Wahn aus den Köpfen vertreiben und mit all unserem restlichen Verstand uns mit wirklicher Diplomatie für den Frieden einsetzen, anders wird es sich niemals bessern. Dafür müssen die Grünen raus aus der Politik.

Steffen Huebner / 06.09.2022

Die frische, streitwillige Wagenknecht - stets politisch auf dem Laufenden - kann Gysi nicht ersetzen, dazu ist er zu opportunistisch, hat längst seinen persönlichen Frieden mit den Umständen geschlossen. Er singt immer noch die alten Texte von Gerechtigkeit & Benachteiligung, ist wenig aktuell politisch bezogen und wird m. M.  ziemlich überschätzt. Den Geruch der Arbeiterklasse hat er - soweit bekannt -  wohl nur während seiner Melker- Lehre etwas kennengelernt. Ansonsten eine typische Parteikarriere. Wurde als DDR- Anwalt von einigen Dissidenten kritisch bewertet. Angeblich doppeltes Spiel. Im Bundestag fühlt er sich augenscheinlich am wohlsten. Nach wenigen Wochen als Berliner Finanzsenator kam die Flugmeilen- Affäre wohl gerade recht, hatte man den Eindruck. Die Der “Heiße Herbst/ Winter” wird entweder aus der breiten Masse heraus kommen oder er kommt nicht. Würde mich bei der deutschen Trägheit auch nicht wundern.

Angelika Meier / 06.09.2022

Eine Sensation wäre es ja, wenn Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine in die AfD eintreten würden. Das ist nicht so absurd, wie es klingt. Es gibt nicht wenige Wähler, die von der Linkspartei zur AfD gewechselt sind. Vor allem im Osten.

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