Peter Grimm / 15.11.2023 / 13:00 / Foto: Pixabay.de / 17 / Seite ausdrucken

Genossen in Auflösung

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik löst sich eine Bundestagsfraktion in einer laufenden Legislaturperiode auf, doch es fehlt dabei zum Glück jeglicher Glanz eines historischen Ereignisses. Eine Diktatur-Partei, die einst mit dem Profit aus ihrer menschenverachtenden Herrschaft in die Demokratie starten durfte, unbeschwert von juristischen Konsequenzen, zerlegt sich nun nach Jahrzehnten endlich selbst. Anlass für einen kleinen Rückblick.

Die Bundestagsfraktion der Linken hat am Dienstag ihre Auflösung zum 6. Dezember beschlossen. Ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Statt einer Fraktion soll es nun zwei Gruppen geben, die der Linken und die der künftigen Wagenknecht-Partei. Doch die Gruppenbildung braucht etwas Zeit und bis sie von der Bundestagsverwaltung anerkannt wird, sind die Genossen nicht mehr als ein Haufen Einzelabgeordneter. Ist das nun nicht die rechte Zeit für einen Nachruf auf ein Ende dieser Periode, in der die SED-Erben immer tiefer in das bundesrepublikanische Polit-Establishment vordrangen? In jedem Fall ist es ein geeigneter Anlass für einen Rückblick und die Frage: Wie konnte es eine Diktatur-Partei, die für unzählige Verbrechen, für Tote, politische Haft, zerstörte Biographien und ein abgewirtschaftetes Gemeinwesen verantwortlich war, schaffen, von weiten Teilen von Politik und Medien als „demokratische Partei“ akzeptiert zu werden?

Die SED war verantwortlich für die zweite deutsche Diktatur und hatte es in treuer Umsetzung kommunistischer Ideologie geschafft, das Gemeinwesen DDR in den Ruin zu wirtschaften. Und das nicht nur metaphorisch, denn am Ende der SED-Herrschaft hatte ihr Staat eine große Vielfalt an Ruinen zu bieten, nebst vollkommen abgewirtschafteter Infrastruktur und kaum wettbewerbsfähiger Wirtschaft. Eigentlich hätte eine Partei mit einem solchen Schuldkonto nach der Überwindung ihrer Diktatur verboten gehört. Aber die Genossen schafften es, einem solchen Verbot zu entgehen. Sicher, ein paar Vermögenswerte mussten abgegeben werden, viele Gelder der Partei verschwanden – in welchen Taschen auch immer, doch so mancher Besitz, auch zahlreiche Immobilien, konnte die umbenannte SED legal behalten. Zudem konnte sie auch nach dem Abschied von der Staatsmacht mit einem funktionierenden Parteiapparat arbeiten. Da waren im Osten anfangs alle Mitbewerber zunächst schlechter gerüstet.

Im wiedervereinigten Deutschland war die nun PDS genannte SED erst nur in den Landesparlamenten im Osten präsent und im Bundestag. 1990 konnte sie dort in Gruppenstärke einziehen, weil zu dieser Wahl die Sonderregel galt, dass Ost-Parteien nur die Fünf-Prozent-Hürde in der Ex-DDR schaffen mussten, um in den Bundestag einzuziehen. 1994 kam die PDS als Gruppe ins Bonner Parlament, weil sie drei Direktmandate in ihren Ost-Hochburgen gewann. 1994 fiel auch die damalige Brandmauer der SPD gegen die SED-Erben, allen Protesten von SED-Opfern zum Trotz. In Sachsen-Anhalt ließ sich eine rot-grüne Minderheitsregierung von der PDS ins Amt wählen. Wenige Jahre später besetzten die Diktatur-Genossen in Mecklenburg-Vorpommern schon neue Regierungsämter.

Zu den „demokratischen Parteien“ gezählt

Einen Dämpfer auf Bundesebene gab es 2002, als die Partei nur zwei Direktmandate erringen konnte und deshalb auch nur mit zwei Abgeordneten im Reichstag saß. Dafür hatte die Partei aber in selbigem Jahr Regierungsämter in der deutschen Hauptstadt unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit bekommen. Und der PDS-Star Gregor Gysi war in jener Zeit in deutschen Talk-Shows beinahe so präsent wie Karl Lauterbach in den Corona-Jahren.

Bald bekam die umbenannte SED mit dem SPD-Abweichler Oskar Lafontaine und seiner Gefolgschaft zahlreichen West-Zuwachs. Viele der neuen Genossen waren zuvor schon verdiente Kader in den linken Kleinparteien und -gruppen der alten Bundesrepublik gewesen. Und nun spülte es einige von ihnen, dank der funktionierenden Parteiorganisation, auch in West-Landtage und in den Bundestag. Die als Die Linke firmierende Partei konnte in den kommenden Wahlen in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen.

2021 ist sie zwar an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, aber durch vier Direktmandate – drei davon in Berlin – schaffte sie es wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag. Eine eigentlich gebotene Nachwahl, weil in der Hauptstadt bekanntlich keine rechtmäßige Wahl organisiert werden konnte, hätte da schon gefährlich werden können. Doch offenbar gelingt es den interessierten Parteien, diese Nachwahl solange zu verschleppen, bis sie ohnehin kaum noch sinnvoll ist. Also eigentlich hätte dennoch alles gut sein können. Gut, die Wähler wollen nicht mehr so recht, aber noch sind wenigstens Ämter und Mandate da. Und die Medien gehen auch schonend mit den Genossen von linksaußen um. Sollte jemand beispielsweise die SED-Nachfolger nicht zu den „demokratischen Parteien“ zählen, so wie es auch mit der AfD gemacht wird, dann wird diese Gleichsetzung von vielen etablierten Meinungsbildnern der publizistischen Klasse empört zurückgewiesen. Richtig daran ist natürlich, dass die AfD im Unterschied zur umbenannten SED bislang nicht selbst in einer Diktatur geherrscht hat.

Nun zerlegen sie sich also selbst

Niemand will heute noch daran erinnern, dass diese Partei ein paar Umbenennungen zuvor eigentlich hätte aufgelöst werden sollen. Die Genossen, die weiterhin für den Sozialismus oder Kommunismus hätten antreten wollen, wären gezwungen gewesen, sich eine neue Partei zu gründen, allerdings ohne Mittel und Apparat aus den Zeiten eigener Herrschaft. Dies zu verhindern, war ja der damalige SED-Chef Gregor Gysi im Dezember 1989 angetreten und hatte offen gesagt, dass die Partei vor allem deshalb nicht aufgelöst werden dürfe, um das Parteieigentum so weit es geht zu retten. Das ist gelungen und hat der Partei der vielen Namen bzw. einigen ihrer Genossen erfolgreiche Jahrzehnte beschert.

Inzwischen stellt die Partei in Thüringen einen Ministerpräsidenten, der seit einem Machtwort der damaligen Kanzlerin Angela Merkel von der CDU an der Macht gehalten wird. Bis heute, koste es, was es wolle. Und manch CDUler hatte noch vor wenigen Wochen darüber räsoniert, ob man nicht künftig auch mit Linken koalieren solle, um Regierungsmehrheiten unter Ausschluss der AfD zustande zu bringen.

Nun zerlegen sie sich also selbst. Die Bundestagsfraktion gibt es bald nicht mehr. Aber ist dieser Zerfall endgültig? Glaubt man der taz, sollen die Linken nicht alle Posten räumen müssen, die eigentlich Vertretern von Fraktionen vorbehalten sind. Zwar müssten die Ausschussvorsitzenden und -mitglieder der Partei gehen, aber Petra Pau könnte demnach Vizepräsidentin des Bundestags bleiben. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas habe dies angedeutet, heißt es in der taz. Auch Dietmar Bartsch und André Hahn könnten demnach weiter dem sogenannten Vertrauensgremium beziehungsweise dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) angehören, da sie ja vom gesamten Bundestag in diese Gremien gewählt worden seien. Allerdings als Vertreter einer Fraktion, die es bald nicht mehr gibt. Bleibt es dabei, dürfte das insbesondere die AfD erzürnen, denn dieser Fraktion wird bekanntlich der Vizepräsidentenposten seit eineinhalb Legislaturperioden vorenthalten.

Viel zu langes Gastspiel im deutschen Parlament

Das klingt alles etwas aberwitzig, aber irgendwie ist es ja den SED-Erben angemessen, wenn ihr viel zu langes Gastspiel im deutschen Parlament nun langsam mit einer demokratischen Farce enden sollte. Drei Posten würden von der Fraktion bleiben, die es nur noch einmal gegeben hat, weil die Linke vor zwei Jahren mehr als drei Direktmandate gewann und nur durch die verschleppte Nachwahl in Berlin noch nicht wieder verlor. Und während die Partei sich insgesamt spaltet, hat sie noch einen Landes-Ministerpräsidenten in Thüringen, den es nur dank der CDU gibt und der diesen Niedergang begleitet, ohne Chance auf eine Verlängerung seiner Amtszeit nach der Wahl im nächsten Jahr.

Man soll dieser Partei allerdings nicht vorzeitig das Totenglöckchen läuten. Vielleicht ist der Parteiapparat der SED-Erben noch einmal in der Lage, einen Wiederaufstieg zu organisieren. Viele Kommentatoren des gestrigen Fraktions-Auflösungsbeschlusses wiesen zwar darauf hin, das der Rest-Linken nach dem Wagenknecht-Abgang eine prominente Führungspersönlichkeit fehle, die das auch verkörpern kann. Sie kann ja wohl kaum noch einmal, wie in früheren Krisen, Gregor Gysi reaktivieren. Oder vielleicht doch? Oder versucht sich Bodo Ramelow als überregionaler Linken-Anführer, wenn er die Rolle als Thüringer Landesvater eh bald verliert? Das hätte doch was: Die Genossen, die sich einst als die Ost-Partei schlechthin präsentierten, versammeln sich zum Schluss unter der Führung eines Westdeutschen.

Genug der Spekulation. Bis ein endgültiger Nachruf auf die SED-Erben vonnöten ist, wird es wohl noch eine Weile dauern und die Genossen werden in dieser Zeit noch für die eine oder andere unterhaltsame Nachricht sorgen.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: Pixabay.de

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Ralf.Michael / 15.11.2023

Jetzt wäre es doch endlich an der Zeit, die verschwundenen SED-Milliarden ausfindig zu machen..oder ?

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