Gastautor / 08.04.2018 / 15:00 / Foto: Superbass / 11 / Seite ausdrucken

Blinde Retter der Religionsfreiheit

Von Klemens Ludwig.

Verfolgt man die Debatte, die Innenminister Horst Seehofer mit seiner Aussage „Der Islam gehört kulturgeschichtlich nicht zu Deutschland" ausgelöst hat, drängt sich der Eindruck auf, als sei damit den Muslimen das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Religionsfreiheit entzogen worden. Selbst viele Kirchenvertreter argumentieren in eine solche Richtung. Bereits vor Seehofer klagte der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, „wer die grundgesetzlich garantierte Glaubens- und Religionsfreiheit infrage stellt, muss sich selbst fragen, ob er mit seinen angstschürenden Forderungen den Boden des Grundgesetzes nicht längst verlassen hat“.

Geht es bei der Frage nach der Zugehörigkeit des Islam tatsächlich um die Glaubensfreiheit, drängt sich eine andere Frage auf: Warum bekräftigt niemand der verantwortlichen Politiker und Meinungsführer, dass der Buddhismus zu Deutschland gehört? Oder der Hinduismus? Oder Jehovas Zeugen, die Mormonen, die Scientologen...?

Das Grundrecht der Religionsfreiheit kann nicht von der Größe der Glaubensgemeinschaft abhängen, das widerspräche dessen Geist fundamental. Da aber die Angehörigen all dieser Religionen ihren Glauben praktizieren dürfen, obwohl niemand ihre Zugehörigkeit zu Deutschland hervorhebt, geht es bei der Islam-Debatte offensichtlich um etwas anderes: um die Demonstration gesellschaftlicher Macht. Zahlreiche Vertreter, nicht nur der radikalen Muslim-Verbände, machen keinen Hehl daraus, dass sie eine „islam-gemäße Gesellschaft“ anstreben. Der Zentralrat der Muslime – ein wichtiger Partner der Bundesregierung – unterstützt Frauen bis vor das Verfassungsgericht, um das Kopftuch für Staatsdienerinnen in öffentlichen Räumen wie Schulen und Gerichten durchzusetzen. Mehrere Bundesländer haben mit Islam-Verbänden Staatsverträge geschlossen, die ihnen das Recht auf Erteilung von Religionsunterricht zugestehen. Auch auf die Besetzung der Lehrstühle der islamischen Fakultäten haben die Muslim-Verbände entscheidenden Einfluss, was wenig Raum für eine liberale Auslegung des Islam lässt, wie die Entwicklung an der Universität Münster gezeigt hat. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen, doch das ist nicht das eigentliche Thema.

Vergessene Sätze

Deutlich wird dadurch, dass mit dem Anspruch „Der Islam gehört zu Deutschland“ Politik im Sinne der Muslim-Verbände betrieben wird.

Dass selbst viele Kirchenvertreter dabei mitziehen, ist umso erschreckender, wenn man an die Quelle dieser kontroversen These zurück geht. Immer wieder wird der damalige Bundespräsident Christian Wulff genannt, der dies am 3. Oktober 2010 bei einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit postuliert hatte. Es war nicht ganz neu. Bereits vier Jahre zuvor hatte Innenminister Wolfgang Schäuble im Rahmen der Islamkonferenz ähnliches gesagt. Doch es lohnt sich, bei Wulff zu bleiben. Der hat nämlich nur wenige Tage später, am 19. Oktober 2010, bei einem Staatsbesuch in der Türkei in Anlehnung an seine erste These noch etwas ganz anderes gesagt: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei“. Dies geschah nicht irgendwo, sondern an einem symbolträchtigen Ort, dem türkischen Parlament, wo Christian Wulff als erstes deutsches Staatsoberhaupt eine Rede gehalten hat. Wulff ging noch weiter, traf dabei keinesfalls die Stimmung der anwesenden Zuhörer: „In Deutschland können Muslime ihre Religion in würdigem Rahmen ausüben. Dies verdeutlicht die steigende Zahl von Moscheen. Die Türkei, auf deren Territorium das Christentum eine lange Tradition hat, muss Ähnliches auch für die rund 100.000 Christen im Land leisten. Ich freue mich über Stimmen in der Türkei, die die Öffnung von mehr Kirchen für Gottesdienste fordern. Kirchenbau und Priesterausbildung müssen möglich sein. Ich weiß, dass das nicht die Meinung aller hier Anwesenden ist“, ergänzte Wulff.

Einer der wenigen türkischen Offiziellen, der Wulff unterstützte, war der damalige Staatspräsident Abdullah Gül. Er gab zu Protokoll: „So wie es muslimische deutsche Staatsbürger gibt, gibt es auch christliche und jüdische Bürger in der Türkei. Ich bin auch deren Präsident“. Es ist bezeichnend, dass Gül 2014 von seinem einstigen Ziehvater Erdogan abserviert worden ist, weil er zu liberal war. Die ohnehin prekäre Lage der Christen hat sich seitdem noch weiter verschlechtert.

Noch bezeichnender aber ist, dass Wulffs Zitat in der öffentlichen Debatte keinerlei Rolle mehr spielt. Weder die Kanzlerin, die immer wieder betont, dass der Islam zu Deutschland gehöre, noch der amtierende Bundespräsident Steinmeier, der sofort in die Chor der Seehofer-Kritiker eingestimmt ist, noch Kardinal Woelki, der allenfalls im Angesicht des IS-Terrors die Christenverfolgung thematisiert, teilen die Sorge von Christian Wulff um die letzten Christen in der Türkei – eine merkwürdig einseitige Sicht, die auch nicht damit erklärt werden kann, dass jeder zunächst einmal vor der eigenen Türe zu kehren habe.

Desinteresse an den Überlebenschancen der Christen

Niemand wird heute ernsthaft die Universalität der Menschenrechte infrage stellen. Die Globalisierung – nicht nur wirtschaftlicher Art – ist in aller Munde. Wenn es aber um die Rechte und die Überlebenschancen der letzten Christen in einer Region geht, die zum Teil seit 2.000 Jahren ihre Heimat ist, dann fühlt sich kaum jemand dafür verantwortlich.

Die Debatte um die Präsenz des Islam in Europa muss die Debatte um die Präsenz des Christentums und anderer Religionen in der islamischen Welt einschließen. Es kann nicht akzeptiert werden, dass Vertreter türkisch-islamischer Verbände in Deutschland, die von der Türkei unterstützt werden, deren Imame vom türkischen Religionsministerium entsandt werden, in deren Moscheen und Versammlungshäusern die türkische Nationalfahne hängt und die den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan wie einen Helden feiern, behaupten, die Diskriminierung und Verfolgung der Christen in der Türkei ginge sie nichts an; darüber würden sie nicht diskutieren.

Was aber ist die Konsequenz aus der weit verbreiteten Intoleranz innerhalb der islamischen Welt? Gewiss nicht, es ihr gleich zu tun. Es gibt keine Alternative zu Toleranz und Gleichheit. Rechte für die religiösen Minderheiten im Islam zu fordern, bedeutet jedoch nicht, in Aufrechnung und Rechthaberei zu verfallen. Wie die islamische Welt darauf reagieren würde, ist spekulativ, da es dazu bisher noch nicht gekommen ist. Sollten die Regierungen der muslimischen Länder Religionsfreiheit weiterhin als Einbahnstraße betrachten, darf zumindest die Einschränkung von Privilegien kein Tabu sein. Warum wird der Türkei zugestanden, immer neue Imame nach Deutschland zu schicken, während die dortigen Christen noch nicht einmal Kirchen, geschweige denn theologische Seminare errichten dürfen? Werden die doppelten Standards nicht länger akzeptiert, könnte eine Nivellierung nach oben die Folge sein, denn die Türkei legt großen Wert darauf, den Einfluss auf die in Deutschland lebenden Landsleute nicht zu verlieren.

Im bilateralen christlich-muslimischen Kontakt wird derzeit ein vor-aufklärerisches Prinzip praktiziert: Menschenrechte und Religionsfreiheit besitzen keine universelle Gültigkeit, sondern hängen von der Großzügigkeit des Souveräns ab. Das ist im Zeitalter der Globalisierung ein unakzeptabler Anachronismus. Dass dieser vor allem von denen propagiert wird, die innerhalb der eigenen Grenzen Gleichheit, Vielfalt und bedingungslose Toleranz fordern, trägt Züge einer Real-Satire, doch die Ironie bleibt angesichts der trostlosen Situation der Christen in der islamischen Welt im Halse stecken.

Klemens Ludwig, war u.a. langjähriger Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker, ist Vorsitzender der Tibet Initiative Deutschland e.V. und Chefredakteur der Zeitschrift Brennpunkt Tibet.

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Mnfred Steffan / 08.04.2018

Dem Beitrag kann man nur zustimmen. Unsere Religionsfreiheit gilt zwar unabhängig davon, ob auch andere Länder, deren Bürger hierzulande die Religionsfreiheit genießen, diese achten. Aber jede Debatte, die die Situation in anderen Ländern ignoriert, ist unehrlich. Wer über die Religionsfreiheit türkischer Muslime in Deutschland redet, darf über die Religionsfreiheit von Christen in der Türkei nicht schweigen.

Hans-Peter Dollhopf / 08.04.2018

Die Scharia gehört zum Islam, exakt so wie die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zu den USA. Der Islam ist ohne Scharia nicht der Islam. Und sobald die Scharia zu unserer Bundesrepublik gehört, dann ist der Verfassungsschutz reif für sein letztes Gefecht.

Werner Arning / 08.04.2018

Deutsche Staats- und Kirchenvertreter scheinen den Schutz des weltweiten Christentums längst hinter sich gelassen zu haben. Sie scheinen längst einen Schritt weiter zu sein und dieser Schritt ist ein rein säkularer. Es geht ihnen wohl um die Demonstration säkularer, toleranter, vermeintlich weltoffener Werte. Dass es verfolgte Christen gibt, scheint ein bisschen zu stören. Man nimmt das nicht so ernst. In einem linksgrünen Weltbild verbleibt für eine Forderung nach Toleranz gegenüber einer christlichen Religionsausübung wahrscheinlich kein Raum. Alle Achtung vor Herrn Wulff. In der Regel fordert man nicht etwas, was einem nicht am Herzen liegt. Christentum jedenfalls scheint niemandem (außer Herrn Wulff) wirklich am Herzen zu liegen.

Leo Lepin / 08.04.2018

Man sollte außerdem hin und wieder klarstellen, dass unser Wohlstand, unsere Freiheit und Angenehmlichkeiten wie z.B. Zahnextrationen mit Betäubung, Antibiotika gegen Lungenentzündung Früchte der Aufklärung sind. Weder der Islam, noch das Christentum noch sonst eine Religion haben dazu geführt, sondern Wissenschaft, Vernunft und die Fähigkeit des Menschen zu denken. Aber das wird fast nie erwähnt. Stattdessen heisst es auf der einen Seite,  wir hätten dem Islam doch so viel zu verdanken, oder aber unsere Kultur sei christlich-jüdisch geprägt. Von Aufklärung kein Wort.

Dirk Jungnickel / 08.04.2018

Danke für diesen wichtigen Beitrag. Man kann die “weit verbreitete Intoleranz”  in der islamischen Welt nicht genug thematisieren. Auch wenn es Suren gibt, die so etwas wie Toleranz Ungläubigen gegenüber vermuten lassen: Toleranz als eine Haltung gegenseitigen Respekts ist ein FREMDWORT im Islam. Sie würde der islamischen Ideologie widersprechen. Noch eine Tatsache möge in diesem Zusammenhang angefügt werden: Das Elend der Kopten in Ägypten. Diskriminiert aber glaubensstark halten sie stand.  2015 wurden 20 koptische Wanderarbeiter bei Sirte bestialisch vor laufender Kamera von IS - Irren enthauptet. Europa, das sich gern auf seine christlichen Wurzeln beruft, hat weitgehend geschwiegen. Dabei handelt es sich um Brüder im Glauben, ja Nachfahren der Urchristen. Unsere Kirchen verhalten sich schäbig. Eine Selbstverständlichkeit wäre in jedem Gottesdienst eine Fürbitte speziell für die verfolgten Christen in der islamischen Welt.  Die Frage warum sie ausbleibt beantwortet sich angesichts des Fauxpas deutscher Bischöfe im vorigen Jahr auf dem Tempelberg von selbst.

marianne lawitzki / 08.04.2018

Es stellt sich mir seit langem die Frage, welche Motivation der nicht zu verkennenden Ignoranz bzw Entwertung des eigenen christlichen Kulturraums zugrunde liegt. Eine solche Selbstverleugnung kann vom Gegenueber m.E. nur als Demutsgeste interpretiert werden. Bei der Mentalität islamisch geprägter Herrschaftsstrukturen , ebenso bei den normalen Bevoelkerungkreisen mit gleicher Sozialisation bedarf es einer klaren Grenzziehung - jegliches Zurueckweichen ist eine Einladung zur weiteren Aggessionssteigerung.

Karla Kuhn / 08.04.2018

Abraham, Stammvater Israels ist sowohl für den Tanach, sowie für das Alte Testament eine ganz zentrale Person. Er gilt auch als Stammvater der Araber, von seinem Sohn Ismael soll der Prophet Mohammed abstammen. Judentum, Christentum und Islam berufen sich auf Abraham als ihren Stammvater. Es sind die drei abrahamischen Weltreligionen.  Im Prinzip, da alle drei Religionen einen Stamm vater haben , müssten sie sich doch alle miteinander prächtig verstehen. Das Gegenteil ist leider der Fall. Warum gerade in Deutschland, wo die überwiegende Zahl der Bevölkerung christlich ist, der Islam unbedingt nach !! Deutschland gehören soll, erschließt sich mir nicht. Weltweit ist das Christentum mit ca. 2,2 Milliarden Menschen, der Islam mit ca. 1,6 Milliarden Menschen, der Hunduismus mit ca.1 Milliarde Menschen, der Buddhismus mit ca. 500 Millionen Menschen und das Judentum mit ca. 14 Millionen Menschen vertreten. Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung, Stand 29.09.2016 Warum Buddhismus und Hinduismus nicht zu /nach Deutschland gehören, kann ich mir nur so erklären, weil es in beiden Religionen, die beide aus Indien stammen und beide ähnliche spirituelle Begriffe, bzw, Riten verwenden, Buddha im Buddhismus und verschiedene Götter im Hinduismus aber zu keinen Gott, bzw. Allah, was auch Gott heißt,  beten, sind beide Religionen für die christliche Welt vielleicht nicht so leicht zu praktizieren ??  Beide Religionen scheinen auch sehr friedliche zu sein. Ich habe noch nie in Deutschland gehört, daß Buddhisten oder Hinduisten Terroranschläge, Vergewaltigungen oder andere Verbrechen begangen haben. Wenn also vonseiten der Politik plötzlich verkündet würde, der Buddhismus oder/und der Hinduismus gehören nach/zu Deutschland, würde mich das nicht aufregen. Die wenigen Menschen, die ich kenne, die dieser Religion angehören, sind friedliche, hilfsbereite und höfliche Menschen.

Emmanuel Precht / 08.04.2018

Erdogans 5. Kolonne hatte heute hier im buntbesoffenen Marxloh wieder einen der üblichen Brautübergabetermine. Ein Meer von blutroten Halbmondflaggen inklusive Schüssen mit Handfeuerwaffen aus den Autos und Vollsperrung der Hauptstraße, bei dem die überforderte Staatsmacht, vertreten durch 4 Beamte, dem gesetzeswidrigen Treiben völlig hilflos zusah. Es wird darauf hinauslaufen, daß die Turk-Exklave von Duisburg bis Wiesbaden reichend, mit feierlicher Schlüsselübergabe vor dem Duisburger Rathaus, von der Bunt-Presse als Akt der Bereicherung gefeiert, stattfindet. Dieses Gebiet ist im Großen nicht mehr durch den Rechtsstaat kontrolliert, das wird schon längst in der Moschee geregelt. Allenfalls kommt es noch vereinzelt zur Verkehrsüberwachung, die “Strategie der Nadelstiche” wie es die Chefin der hiesigen Polizei mit stolz geschwollener Brust vor den unkritischen Presseheinis von WAZ und RP nennt und ganz genau so ist auch die Wirkung, sehr punktuell, kaum sichtbar. Wohlan…

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