Thilo Schneider / 18.07.2020 / 06:15 / Foto: Olaf Kosinsky / 97 / Seite ausdrucken

Eine Lanze für Ralf Stegner

Ich weiß, dieser kleine, sympathische Artikel wird unter vielen Achse-Lesern für Schnappatmung sorgen, aber ich muss es öffentlich gestehen: Ich bin absoluter Fanboy von Ralf Stegner. 

Früher, vor fast 30 Minuten, habe ich Ralf Stegner, SPD-Urgestein und promovierter Dr. Phil-Collins, für einen schlecht gelaunten Misanthropen gehalten, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Ralf Stegner ist ein schlecht gelaunter norddeutscher Misanthrop. Ganz im Ernst ist dieser Mann, ja, diese Legende, nicht mehr und nicht weniger als der Ralf Stegner der SPD, von seinen Gegnern (natürlich alles Faschisten, wie jedes Nicht-SPD-Grüne-Linke-Mitglied) liebevoll auch „Pöbel-Ralle“ genannt. 

Es gibt wohl kaum einen Mann, der so ernsthaft und kunstvoll die Balance zwischen Politik und Komik beherrscht wie Ralf Stegner. Selbst Martin Sonneborn schaut neidisch nach Bordesholm, wenn es um die Frage geht, wie man als Satiriker ernsthaft Politik betreiben kann. Oder als Politiker Satire.

Aber von vorn: Ralf Stegner hat über das Thema „Theatralische Politik made in USA. Das Präsidentenamt im Spannungsfeld von moderner Fernsehdemokratie und kommerzialisierter PR-Show“ im guten alten Jahr 1992 promoviert, als George Bush sen. noch Präsident war, aber Bill –  „ich habe einen Joint geraucht, aber nicht auf Lunge, kein Scheiß“ – Clinton sich anschickte, das Oval-Office zum Vulval-Office zu machen. Da schimmerte bereits der seltsam staubtrockene Humor von Ralf Stegner durch, den er im Laufe der kommenden Jahre dann mit einer Virtuosität perfektionierte, dass Jan Böhmermann eigentlich Angst um seinen Job bekommen müsste. Und Ralf Stegner spielt den „theatralischen Politiker“ grandios wie kein Zweiter! Nicht einmal Robert „Wuschel“ Habeck, kann da mithalten!

8:00 Uhr: „Guten Morgen aus Boredom-Holm"

Seit Ralf Stegner in der Kür zum Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl 2012 dem bis heute selbst in Schleswig-Holstein weitgehend unbenutzten Torsten Albig mit 96,7 Prozent unterlag (der wiederum nur eine Legislaturperiode als Ministerpräsident tanzte), twittert er frei von der Leber weg und erzählt von seinem beruflichen Alltag in Deutschlands feuchtestem Bundesland. 

Ein typischer Stegner-Tag auf Twitter sieht so aus:

8:00 Uhr: „Guten Morgen aus Boredom-Holm: Mein Musiktipp für heute *völlig unbekannter Spät-Sechziger-Jahre-Song von zu Recht vergessener Band*.“ Da fängt der Tag schon mit einem Lacher an. 

Danach folgt in der Regel eine kurze Terminübersicht wie „heute Abend Diskussion im SPD-Kreissägenverband Bad Segelberg über die Gefährdung des Wattwurms bei Ebbe.“ Das nenne ich vorbildlich, da weiß der Wähler, dass hier jemand für seine Diäten auch arbeitet. 

Anschließend irgendein hämischer Verweis auf die Dummheit einer anderen Partei und die im Gegensatz intelligenten Lösungen der SPD, gefühlt ungefähr so: „Die streng katholisch-konservative Union, deren Vorgänger die Nazis an die Macht gebracht hat, ringt immer noch um eine Frauenquote. Wir bei der SPD haben mit Saskia Esken und Waltraud-Borjan diese Quote bereits vor dem Frühstück schon übererfüllt!“ Das, meine Damen und Herren und Diverse, ist ganz großes Tennis! 

Ralf hat seinen Kaffee getrunken und hat jetzt Betriebstemperatur. Gegen 10:00 Uhr beginnt dann auch sein gnadenloser und unbarmherziger Kampf gegen Rechts. Erbost twittert er: „AfD will an Rechtsfahrgebot und Rechtsstaat festhalten. Schwarz-Grün in Hessen ignoriert das. HashtagNurdieSPD! HashtagkeinenManometernachRechts! HashtagNoAfD!“ 

Spricht da der innere BILD-Redakteur aus Ralf?

Einschub: Stegners völlig sinn- und anlasslose Tiraden gegen die AfD sind mittlerweile über die Landkreisgrenzen hinaus legendär. Ich sehe vor meinem geistigen Auge Ralf Stegner in der Bäckerei stehen und brüllen: „Acht Brötchen bitte, aber keine aus einem Teig, dessen Lieferant ein AfD-Wähler ist! Von Faschisten kaufe ich keinen Brötchenteig! Wehret den Anfängen.“ Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Bordesholmer ihren Ralf kennen und dann „Keine Sorge, Herr Stegner, der Teig kommt von einem grünen Biobauernhof aus der flachen und freudlosen Landschaft Schleswig-Holsteins!“ sagen. Ich schätze, die Medizin wird das dereinst als „Stegner-Tourette“ zum eigenen Krankheitsbild erklären. 

Danach schleswigt das Bordesholmer Elektroenergiebündel etwas herum, bis es sich um die Mittagszeit der internationalen Politik zuwendet, in etwa so: „Wir brauchen endlich Frieden und Freiheit in Israel. Trump ignoriert berechtigte palästinensische Forderung nach einem Staat ohne Israel. Ich warne vor Gleichgültigkeit!“ So in etwa könnte er schreiben, oder auch: „Trump mag lieber Rhabarber- als Apfelkuchen. Der unamerikanischste Präsident, den es je gab!“ Leider verhallen seine Warnungen und Aussagen ungehört in Washington, deswegen geht’s ja abends um die Wattwürmer. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, wenn ihm nicht wieder irgendein Albig ein Bein stellt. Stegner kann Kanzler! Vielleicht. Schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden.  

Kurz darauf kommt in der Regel eine Binse, so in die Richtung: „Der Wohlstand der westlichen Staaten muss sich endlich den internationalen Bedingungen anpassen. Wir von der SPD arbeiten daran. HashtagGerechtigkeit, HashtagSPDDE“, was jetzt nichts mit Stottern oder zittrigen Fingern zu tun hat, sondern die Twitter-Abkürzung für den Vorstand der SPD-Deutschland ist, damit die auch das Hoch im Norden gebührend wahrnehmen und abfeiern können.

Gegen Nachmittag flacht dann Ralfs Erregungskurve etwas ab und die wahre Bestimmung Stegners tritt zutage. Jetzt geht es um aktuelle Meldungen, da schreibt Stegner dann beispielsweise das: „Spanische Behörden auf Mallorca greifen gegen rücksichtslose auch deutsche Touristen durch und stoppen den Ballermann Coronawahnsinn!“ Ja, Sie haben richtig gelesen: „Ballermann Coronawahnsinn“. Spricht da der innere BILD-Redakteur aus Ralf? Hoffentlich nicht!

Abends, kurz vor der Wattwurmsitzung

Es wird auch jetzt etwas sachlicher: Ralf tritt mit Verve für eine Quotenregelung im Bundestag ein, weil er der Meinung ist, Frauen seien dort unterrepräsentiert. Gleichzeitig verkündet er seine An- und Abgeordnetenkandidatur. Es braucht einfach mehr Männer, die für Frauenrechte kämpfen, dazu braucht es einen Mann mit Nordeiern. Auf die Idee, zugunsten einer Frau auf eine Kandidatur zu verzichten, kommt Ralf Stegner natürlich nicht. Man(n) kann es ja aber auch übertreiben mit der Quote, nicht wahr? 

Gegen Abend ist es endlich Zeit, auch einmal etwas über den Menschen „Ralf Stegner“ zu erfahren: Ralf verlinkt zu Interviews, Presseartikeln und wer ihn wo und wann zu was befragen oder filmen wird oder bereits hat. Oder in welcher Talkshow oder an welchem Straßenstand oder Imbiss der normale Wähler wie Du und der andere SPD-Begeisterte ihn treffen können. „Ein Ralf zum Anfassen“, sozusagen.

Abends, kurz vor der Wattwurmsitzung, gibt es dann noch einen Retweet oder Sportkommentar zum HSV, der SPD oder einem anderen Verein der unteren Ligen, bevor sich Ralf, der Sozialdemokrat, zuerst in die Diskussion und dann ins Bett stürzt. Was besser ist, als sich in ein Schwert zu stürzen.

Ich gebe zu, ich lese Ralf Stegner gerne und kommentiere auch oft genug. Ich mag ihn. Wirklich. Weil er leidensfähig ist und auch freche Tweets nicht einfach blockt. Er könnte es sich leicht machen. Tut er aber nicht. Und das rechne ich ihm sehr hoch an. Da ist er ganz Nordeiche, die sich nicht am Reiben einer Textremistensau wie mir stört. Und damit beweist er sehr viel mehr Standvermögen als seine Chefin Saskia. Zwei freche Tweets bei dem fleischgewordenen Gegenargument zur Frauenquote – und Du bist geblockt. 

Vielleicht ist er also doch kein Misanthrop, sondern auf seine liebenswert-schrullig-verquere Art einfach nur cool. Ralf, go for it! Du bist in Ordnung! 

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Leserpost

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Ernst-Friedrich Behr / 18.07.2020

Ihr Artikel in allen Ehren, Herr Schneider. Aber die Einordnung Stegners als nordalbingischer Deutscher schmerzt mich als eingeborenen, niederdeutsch sozialisierten Schleswig-Holsteiner aus dem Herzogtum Schleswig (nördlich von Eider und Levensau, bitte, die Au heißt Levens-au, nicht Leven-sau)) doch ein wenig. Mentalitäten mit einem solch eklatanten Mangel an innerer Gelassenheit können nicht aus dem Norden Schleswig-Holsteins stammen. Auch wenn er dort jetzt seinen Wohnsitz hat, er, respektive seine Vorfahren, stammen aus der Gegend von Bad Kreuznach. Und das liegt nun doch etwas weiter weg vom Norden Schleswig-Holsteins und beherbergt etwas andere Mentalitäten. Ein Rätsel ist mir, wieso meine norddeutschen Landsleute so einen in höchste Parteiämter wählen. Aber die SPD war mir in gewisser Weise schon immer ein Rätsel, auch als sie noch nicht die Rest-SPD von heute war.

Frances Johnson / 18.07.2020

“dieser kleine, sympathische Artikel”...herrlich. Stegner, der Herbert Wehner von heute. Den verkniffenen Mund von der Eskan will sicher niemand wählen.

Günther Wirst / 18.07.2020

Bravo! Mehr Stegner braucht das Land. Mehr Stegner bedeutet nämlich gleichzeitig auch weniger SPD. Und das wäre für Deutschland durchaus eine Wohltat.

Jürgen Kunze / 18.07.2020

Nein nein, das Oval-Office ist nicht zum Vulval-Office gemacht worden, sondern zum Oral-Office, das ist etwas ganz anderes! Nur mal zur Klarstellung. - Was Stegner angeht, so kann man ihn als Schleswig-Holsteiner nicht nur mit Sarkasmus belegen, sondern sollte sich von ihm gänzlich abwenden. Im Amt hat er einen “Destruktivismus” verbreitet, über den er ja dann als Finanzminister selber zu stolpern gedachte. Durch ihn haben die Bediensteten in diesem Bundesland die schlechtesten Arbeitsbedingungen von ganz Deutschland. Meine seit Jahren gehegte Idee, endlich leistungspsychologische Tests für politisch Verantwortungsabwehrende einzuführen, schreit immer mehr nach Umsetzung. Selbst der von mir verehrte Professor Kirchhof diskutierte dies in einem Vortrag im Kieler Landtag. Allerdings hielt er sie für nicht günstig, sollen doch in einem Parlament der augenblickliche psychische Zustand eines Volkes und dessen Wille zum Ausdruck gebracht werden. Darum müssen auch drittklassige Gestalten der parlamentarischen Inklusion zur Verfügung stehen.

Walter Weimar / 18.07.2020

In diesem Land ist es erlaubt jedem Deppen ein Denkmal zu setzen. Sowas muß ein Land aushalten. Wenn allerdings nur noch Denkmäler umherstehen, sieht mal das Wesentliche bald nicht mehr.

August Klose / 18.07.2020

Ich habe beim Lesen vor Freude geweint.

Peter Holschke / 18.07.2020

Ralle ist in Ordnung? Gu, das sind Irre im Dienstsanzug meistens, solange man ihnen keine Exekutionsbefehle zur Unterschrift vorlegt, Solche Leute halten sich mit ihre eigenen Kampfparolen über Wasser und sind für eine Kommunikation ungeignet. Mit ehrlichen Arschlöcher dagegen kann umgehen,

Dr. Freund / 18.07.2020

Bösen Menschen mit aufgesetzter Freundlichkeit zu begegnen , überfordert leider fast alle Menschen. Das setzt einen gewissen Humor voraus, oft als schwarz bezeichnet. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, nichts ist schlimmer für diese Stegner-Kreaturen, denn sie ziehen Energie aus Streit, sie brauchen ihn , es ist ihre Droge. Liefern wir ihnen keinen Nachschub,behandeln wir sie wie dauerbekiffte, dumme Junkies.

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