Markus C. Kerber, Gastautor / 04.05.2019 / 14:00 / Foto: Yoky / 17 / Seite ausdrucken

Ein Parlament, das keines ist

Nun ist es wieder soweit. Mit steuerfinanzierter Parteireklame wird der öffentliche Raum verunziert. Auf großformatigen Stellschildern geben Parteipolitiker den Bundesbürgern Sinnsprüche für den Wahlkampf zum sogenannten Europaparlament. Fast hat man den Eindruck, als ob die zunehmenden Zweifel der deutschen Bevölkerung an der Selbstherrlichkeit der Brüsseler Integratoren von den Staatsparteien gar nicht wahrgenommen werden. Allen voran CDU/CSU, Grüne und SPD, die das Europathema mit ihrem jeweiligen parteipolitischen Akzent konturieren. 

Bei den Grünen ist Europa der Kontinent, auf dem die Klimarettung anfängt. Die CDU geriert sich zusammen mit ihrem Spitzenkandidaten aus Bayern so, als ob sie Europa überhaupt erfunden hätte. Allein Europa sei die Zukunft Deutschlands. Die agonisierende SPD mit der Bundesjustizministerin als Spitzenkandidatin gibt Europa den üblichen solidarischen Anstrich. Daneben nimmt sich der Aufruf der PDS nach einem sozialen Europa fast wie fader Nachahmerwettbewerb aus. Und die Europaskeptiker in der AfD haben ihre bekundeten Zweifel am EU-Projekt auf das simple Postulat „Diesel retten!“ reduziert.

Es ist nicht verwunderlich, dass in dieser geistigen Wüste inhaltsleerer Fanfarensstöße die institutionelle Kernfrage übersehen wird. Daher sei an Charles de Gaulle erinnert, der in einer Phase der Europaeuphorie danach fragte: „Quelles institutions pour quelle Europe?“ ("Welche Institutionen für welches Europa?")

Genau dieser institutionelle Kontext scheint aber problematisierungsbedürftig. Denn das Europäische Parlament, für dessen Wahl die Parteien in allen EU-Ländern Listen aufgestellt haben, die die Bürger gefälligst anzukreuzen haben, ist im eigentlichen Sinne kein Parlament. Es hat – Gott sei Dank – kein Budgetrecht, kann keine Steuern zu erheben und ist nicht einmal befugt, eigene Initiativen, insbesondere im legislativen Bereich, zu ergreifen. Zwar ist es nach der Inkraftsetzung des Lissabon-Vertrages 2009 zur Co-Gesetzgebungsgewalt der Europäischen Union avanciert. Doch ändert dies nichts an der überlegenen Machtstellung von Rat und Europäischer Kommission.

Aus dem EU-Parlament kann keine Regierung legitimiert werden

Das Besondere am Europäischen Parlament indessen ist, dass es den Minimalia demokratischer Repräsentationen mitnichten genügt. Der für Demokratien elementare Grundsatz: „One man, one vote!“ wird dadurch verletzt, dass das Großherzogtum Luxemburg einen Abgeordneten in das Europäische Parlament mit nur 1/12 so viel Wählern wie in der Bundesrepublik Deutschland zu entsenden vermag. Die Stimmenmacht in den einzelnen Ländern der EU spricht also dem demokratischen Prinzip Hohn.

Zu recht hat daher das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Lissabon- Urteil vom 9.6.2009 darauf hingewiesen, dass aus einem solchen Parlament eine Regierung nicht legitimiert werden könnte, weil sie dem demokratischen Prinzip nicht genügen würde. Obschon die Gefahr einer durch das europäische Parlament konstituierten „Bundesregierung für ganz Europa“ sich nicht akut stellt, richtet das Europäische Parlament auch dadurch genug Schaden an, dass es sich nahezu als Vorzimmer der Europäischen Kommission versteht.

Hier ist der Platz für künstliche Schaukämpfe mit den Damen und Herren Kommissaren. Hier profilieren sich die Berufseuropäer mit ihren Schlachtrufen nach immer mehr Europa aber auch die notorischen Europafeinde, die die Integration in toto ablehnen, allerdings die üppigen Alimenten und Privilegien als Europarlamentarier gerne in Anspruch nehmen. Apropos Finanzen: Es gibt kein Parlament auf der Welt, das so viel kostet wie das Europäische Parlament. Allein das Budget für Kommunikation beträgt jährlich eine Milliarde Euro. Fast tausend Menschen sind damit beschäftigt, für das Parlament zu werben, und 5 Milliarden kostet der Betrieb einer Institution, die nicht nur deshalb teuer ist, weil sie permanent zwischen Brüssel und Straßburg mit Sack und Pack pendelt. 

Unter dem Schleier vollständiger Intransparenz

Der ehemalige französische Spitzenbeamte Jacques Lovergne (der über 30 Jahre für sein Land in Brüssel tätig war) hat noch zu Lebzeiten in einem unter Pseudonym veröffentlichten Buch (Didier Modi, Der europäische Albtraum, Ein Projekt wird seziert). ein erschütterndes Sittengemälde dieses sogenannten Parlaments gezeichnet. Dass  Versager wie Elmar Brok und Martin Schulz nach ihrem Scheitern im Berufsleben im Europäischen Parlament glänzend Karriere machten, belegt die Auffassung Lovergnes vom Europäischen Parlament als einem Sammelbecken gescheiterter, nichtsdestoweniger selbstgefälliger Existenzen, die für sich gleichwohl in Anspruch nehmen, das Gesicht Europas zu sein.

Hinzu kommt, dass die vielen überflüssigen und schädlichen Gesetzgebungsinitiativen aus der Europäischen Kommission durch das Europäische Parlament zumindest einen Anstrich von demokratischer Legitimität bekommen haben. Dies ist erstaunlich, denn die Beratung der meisten Vorhaben findet stets unter dem Schleier vollständiger Intransparenz statt. 

Demgegenüber hat das Europäische Parlament noch nie eine Gesetzesinitiative der Europäischen Kommission als mit dem Subsidiaritätsgrundsatz unvereinbar zurückgewiesen. Es ist ein Schrittmacher des „Mehr Europa!“ und sieht sich in keiner Weise im Wettbewerb mit den anderen Institutionen. Eine Gegenmacht zur Brüsseler Autokratie ist das Europäische Parlament mitnichten. Der Europäische Gerichtshof, einer der Motoren europäischer Integration, weist dem Parlament im Brüsseler Gewaltenkonglomerat einen klaren Platz zu. Es ginge nämlich darum, dass sich die Institutionen Rat, Kommission und Parlament verständnisvoll und kooperierend zeigen mögen. Von Institutionenwettbewerb, der Voraussetzung für ein System der Gewaltenteilung, gibt es in Brüssel nicht einmal Spurenelemente. 

Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Das Europäische Parlament wird seiner Funktion als Parlament nicht gerecht und kann ihr im gegenwärtigen institutionellen Kontext auch nicht gerecht werden. Es kostet den Steuerzahler Milliarden und hindert die Europäische Kommission nicht daran, überflüssige und zentralisierungsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Als Plattform  für notorische Europaeiferer hat es schon lange ausgedient. Daher könnte die Devise lauten: Schafft das Europa-Parlament ab!

Foto: Yoky CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4361537">via Wikimedia Commons

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Karla Kuhn / 04.05.2019

So eine ABARTIGE Wahlwerbung wie bei der Europawahl, völlig nichtssagend, teilweise doof bis zum geht nicht mehr, habe ich noch nie erlebt. Es gibt ein linkes Wahlplakat das suggeriert, daß durch Waffenlieferungsstopp, die Menschen in ihren Ländern sicher wären ( also nicht mehr flüchten müßten. so ähnlich)  Was für ein Quatsch, wir liefern Waffen auch auch Saudi Arabien aber kein einziger Saudi würde je flüchten. Die Saudis verwenden ihre Waffen auch u.a um gegen den Jemen Krieg zu führen aber dann hätte das Wahlplakat völlig anders gestaltet werden müssen.  Damit wird wahrscheinlich nicht ein Wähler hinter den Ofen hervorgelockt. Ich persönlich habe ein feste Meinung, die kann mir keiner zerstören !  Ich bin nicht gegen Europa /was eh Quatsch ist, da ich in Deutschland wohne, ich bin nicht gegen EINE EU aber ich bin GEGEN diese EU und will, daß diese EU grundlegend   reformiert wird !!

O. Weierstrass / 04.05.2019

Operettenparlament!

Sepp Kneip / 04.05.2019

Für was soll denn bei einem Europa-Wahlkampf überhaupt geworben werden? „Europa, die beste Idee, Die Europa je hatte“? Ein tautologischer, nichtssagender Spruch. Was soll denn diese beste Idee sein? Die Idee eines Coudenhove-Kalergi, der die Abschaffung der europäischen Völkervielfalt predigte? Der die Völker Europas durch eine eurasisch-negroide Zukunftsrasse, äußerlich der altägyptischen ähnlich, ersetzen will? Der das vorkaute, was seine rot/grünen Nacheiferer nachplappern: „Europa bekommt ein neues Gesicht, ob es den Alteingesessenen passt oder nicht.“ Oder ein Frans Timmermans, der den Kommissionsvorsitz anstrebt und der die europäischen Nationen „ausradieren“ will, ist es das, was den Etablierten vorschwebt? Es gibt sogar so radikale Umvolker, die Leute, die sich dieser Umvolkung widersetzen, „killen“ wollen (Thomas Barnett). Soll die EU der Transmissionsriemen sein, mit dem Europa „umgevolkt“ wird und das EU-Parlament das demokratische Mäntelchen sein? Wenn unsere Politiker der Altparteien ehrlich wären, müssten sie genau das den Bürgern im Wahlkampf sagen, weil sie genau diesen Wahnsinn vertreten. Werden sie aber nicht. Dafür werden es andere sagen. Parteien, die diesem „einzigartigen Experiment“, wie es einer seiner Protagonisten ausdrückte, kritisch gegenüberstehen und es ablehnen. Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern. Sie werden für ein Europa werben, das nicht diktatorisch die Mitgliedsländer gängelt, sondern in subsidiärer Weise nur die Aufgaben übernimmt, die die einzelnen Länder überfordern. Die EU in der heutigen Verfassung und Konstitution wird nicht überleben. Erst gar nicht, wenn man die Einstimmigkeit aufhebt. Schon die Auswahl der Teilnehmer des Duells der Spitzenkandidaten in den Staatsmedien wirft ein schales Licht auf das, was auf den Wähler zukommt. Es wird wieder nur einseitig informiert werden, da EU-kritische Stimmen, auch wenn sie einer reformierten EU offen gegenüberstehen, nicht erwünscht sind.

Gottfried Meier / 04.05.2019

Und da wundern wir uns, warum die Briten aus der EU raus wollen.

Isabel Kocsis / 04.05.2019

Der AFD werden Sie mit Ihrer Darstellung nicht gerecht. Ihre Plakate werden zudem schneller heruntergerissen als aufgehängt, so dass die Vielfalt der Forderungen und Vorstellungen gar nicht klar wird. Die AFD geht mit dem Ziel nach Europa, genau solche institutionellen Irrbildungen wie das europäische Scheinparlament zu reformieren und so das nicht geht, sie aufzulösen. Man möchte zu stärkerer Souveränität der Einzelstaaten zurück. Den Binnenmarkt beibehalten, aber den südlichen Staaten den dringenden Bedarf nach Abwertung ihrer Währung zurückgeben. Wie immer setzen die Gegner der AFD wirklich alle Kräfte einschließlich der Gewalt daran um zu verhindern, dass das europäische Programm der AFD zum Wähler durchdringt.

Bettina Reese / 04.05.2019

Dumm u dreist bzw.selbstgefällig ist die gefährlichste Kombination menschlicher Eigenschaften. Die Europa Verfechter sind aber nicht so dumm, nicht zu wissen , für welchen Zweck sie dieses teure Gebilde weiter aufrecht erhalten u vergrößern wollen. Sie können sich damit bequem ihrer nationalen Verantwortung und Konkurrenz entziehen. Politik wird von oben nach unten gemacht , Global Player haben ihre ausgesuchten Ansprechpartner u das System generiert so viel Geld, um Gesinnungsgenossen Stellen zu verschaffen u Interessengruppen zu bilden, die alle konkurrierenden Institutionen infiltrieren. Ich frage mich , was schädlicher ist, bei dieser sogenannten Parlamentswahl mitzumachen oder nicht mitzumachen.

Petra Wilhelmi / 04.05.2019

Leider haben wir das europäische Parlament. Es hat zwar wirklich nichts zu sagen, aber es ist eben da. Ich habe noch nie bei EU-Wahlen meine Stimme abgegeben, weil ... siehe oben. Dieses Mal werde ich aber meine Einstellung dazu ändern. Es wird Zeit, dass in diesem EU-Parlament - auch wenn es keins ist - eine Gegenstimme etabliert wird und ich hoffe, eine mächtige Gegenstimme. Ich will nicht mehr Friede, Freude, Eierkuchen, da es nur für die Oberschicht und für die Politbonzen die Eierkuchen gibt und der Friede innerhalb der EU-Staaten zerbröckelt und wir Normalos die Folgen zu tragen haben. Ich werde deshalb das 1. Mal zur EU-Wahl gehen und die bürgerliche Alternative wählen. Ich wähle sie auch deshalb, weil ich es satt habe, mir von den Altparteien erzählen zu lassen, was ich denken und tun soll.

U. Unger / 04.05.2019

Herr Kerber, eine kluge Analyse. Zusammenfassung dessen, was uns hier, woanders weniger, zum Nachdenken veranlasst. Besonders gelungen die Abhandlung meiner persönlichen Lieblinge. Ihren Schluss unterschreibe ich bereitwillig. Die EU ist mir gefühlstechnisch nur vermittelbar, falls flächendeckende Volksabstimmungen eingeführt werden. One man, one vote! Auch die Briten, wären nahezu automatisch zurückgewonnen, da der Brexit auf diesen fundamentalen Kritikpunkten basiert.

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