Warum wird dieser Unsinn in der Presse trotz ihrer totalen methodischen und wissenschaftlichen Unzulänglichkeit verbreitet? Weil mit dem Thema Corona und der Panikschürung immer noch Aufmerksamkeit erzeugt und Umsätze gesteigert werden können.
Seit einigen Tagen geistern Nachrichten wie diese durch die Presse: „Mutiertes Corona-Virus aus China soll Gehirn angreifen”. Einige Leser geraten in Panik, Experten üben scharfe Kritik an den wissenschaflichen gesehen sinnlosen, aber in Wirklichkeit auch harmlosen Experimenten. Was geht da vor sich?
Man bezieht sich auf eine pseudowissenschaftliche Untersuchung aus Peking und Nanjing. Dort haben Wissenschaftler im Labor Mutanten eines das Schuppentier infizierenden Mitgliedes der Familie der Coronaviren isoliert, des Virus GX_P2V. Dabei handelt es sich um spontane Mutationen des Virus, die bei seiner Passagierung im Labor entstanden sind. Eine der Mutanten enthält eine kleine Verkürzung seiner Erbmasse um 104 Nukleotide, das sind etwa 0,3 Prozent der Genomlänge. Außerdem hat diese Mutante auch veränderte Aminosäuren im Spike-Protein, die wahrscheinlich die Bindung an den ACE2-Rezeptor verstärkt.
Diese Mutante haben die Forscher isoliert und damit einige transgene Mäuse infiziert. Diese Mäuse enthalten durch Zufallsintegration in ihrem Genom das Gen für den humanen ACE2 Rezeptor, an den viele Coronaviren binden, auch SARS-CoV-2. Das Gen für den Rezeptor wird mit Hilfe des CAG-Promotors in den Körperzellen der Maus exprimiert. Dies ist ein künstlicher Promotor, der dafür sorgt, dass das ACE2-Protein in den Zellen des Mauskörpers, in denen der Genomabschnitt, in den das Gen integriert wurde, abgelesen wird, in sehr großer Menge produziert wird. Bei transgenen Tieren wird das Gen irgendwo im Genom exprimiert. Die Technologie ist in der Maus seit Mitte der 1990er Jahre veraltet, da es seitdem homologe Rekombination mit der Möglichkeit gibt, an einem genau definierten Ort im Genom eine gewünschte Veränderung vorzunehmen. Dennoch setzten die Chinesen sie ein. Insgesamt ist das Niveau der Forschung in China noch gering, auch wenn es inzwischen auch gute Arbeiten aus China gibt.
Die Ergebnisse des Experiments sind schnell zusammengefasst: Die nasal mit einer relativ hohen Virusdosis infizierten transgenen Mäuse starben alle, und es konnte im Gehirn und der Lunge eine hohe Viruslast nachgewiesen werden. Allerdings wurden als Kontrollen nur mit inaktiviertem Virus oder pseudo-infizierte Mäuse verwendet, jedoch keine nicht transgenen Tiere, bei denen man sicherlich keinen Effekt gesehen hätte. Interessanterweise hatten die Tiere kaum eine Entzündungsreaktion, sondern starben wohl an der Infektion des Gehirns. Die Forscher konnten aber nicht zeigen, wie die Mäuse genau gestorben sind, da sie zwar eine Infiltration des Gehirns mit Lymphozyten, nicht aber eine eigentlich für eine Enzephalitis typische Entzündungsreaktion beobachten konnten.
Das Sterben der Mäuse
Dennoch folgern sie, dass die von ihnen gefundene, aber nicht erzeugte Virusmutante für den Menschen tödlich sein könnte, weil die Maus für das human ACE-Protein transgen ist. Das ist falsch. Zunächst einmal kann der Stamm GX_P2V Menschen gar nicht infizieren, und dass er es durch den Verlust von 0,3 Prozent seines Genoms und einiger spontaner Punktmutationen könnte, ist extrem unwahrscheinlich. Vielmehr sind die Tiere an der Infektion gestorben, weil das ACE2-Transgen durch Zufall so in das Genom integriert wurde, dass es in der Lunge und im Gehirn exprimiert wird. Außerdem ist die Expression viel zu hoch, weil der CAG-Promotor verwendet wurde, den man normalerweise zur Überexpression eines Proteins in der Zellkultur von Säugetierzellen verwendet. Dieser Promotor ist nicht geeignet, das physiologische Geschehen im Menschen in der Maus zu modellieren. Was wir hier sehen, das Sterben der Mäuse, ist ein Artefakt, das sich aus der schlechten Qualität des transgenen Mausmodells ergibt. Es ist kein Ergebnis, das irgendeine Bedeutung für den Menschen hat.
Die Forscher behaupten außerdem, die Mutationen im Spike-Protein des Virus hätten dessen Virulenz gesteigert. Das ist sicherlich auch falsch. Denn die Virulenz ergibt sich nicht aus der Bindung eines Virus an den Rezeptor der Wirtszelle, die durch das Spike-Protein vermittelt wird. Eine Mutation im Spike-Protein kann zwar die Infektiosität des Virus steigern und auch die Verbreitung des Virus im Körper beschleunigen. Doch die Virluenz hängt davon ab, welche Zellen das Virus infiziert und ob das Immunsystem schnell genug die infizierten Zellen eliminieren kann, bevor so viele Zellen vom Virus infiziert sind, das deren Abtötung durch das Immunsystem den infizierten Organismus zerstört, wie es etwa beim Ebola- oder Marburg-Virus geschieht, wo so schnell so viele Endothelzellen der Blutgefäße infiziert werden, dass es bei der sich gegen diese Zellen richtenden Immunreaktion zum inneren Verbluten kommt. Das Spike-Protein vermittelt die Virulenz jedoch nicht oder nur indirekt. Insgesamt verstehen wir heute sehr schlecht, welche Proteine des Virus wie die Virulenz verursachen. Die Kollegen aus Peking haben den Unterschied zwischen Virulenz und Infektiosität nicht verstanden; diese Begriffe gehören zum Basiswissen der Virologie.
Was lernen wir daraus?
Die Arbeit ist nicht nur schlecht gemacht, sondern wissenschaftlich vollkommen sinnlos, weil es uninteressant ist, wie sich ein Virus, das den Menschen nicht infizieren kann, in einem falsch gemachten Mausmodell des Menschen verhält. Wäre das Virus humanpathogen und wollte man es in der Maus untersuchen, müsste man eine Knock-In-Mutante verwenden, bei der am genomische Ort (Locus) des Maus-ACE2 dieser durch den humanen Rezeptor ersetzt ist, aber physiologisch über den Mauspromotor exprimiert wird. In so einem adäquateren Modell hätte man den geschilderten Effekt mit Sicherheit nicht gesehen.
Für die Beurteilung des Papers ist es auch wichtig, zu verstehen, dass es sich hierbei nicht um gain-of-function-Forschung handelt. Diese hat die Aufgabe, Viren mit einer Infektiosität und Virulenz zu generieren, die höher ist als beim Wildtyp. Und tatsächlich war SARS-CoV-2 das Ergebnis von gain-of-function Forschung: Das Virus war zwar nicht virulenter als andere Corona-Viren, aber deutlich infektiöser. Dies wurde durch die gentechnische Modifikation des Spike-Proteins im Labor erreicht.
Willkommen im postfaktischen Zeitalter
Was kann man daraus lernen? Erstens ist ein Großteil der biologischen Forschung, die heute gemacht wird, von schlechter Qualität. Das gilt auch für die hier besprochene Arbeit. Zweitens ist gain-of-function-Forschung gefährlich, aber nicht wegen dieser Arbeit. Vielmehr ist diese Art der Forschung sinnlos und gefährlich, weil sie auf die Generierung von biologischen Waffen abzielt. Viren sind aber anders als Bakterien als biologische Waffen ungeeignet, weil man nach der Anwendung einer solchen Waffe die Ausbreitung des Virus über das Territorium des Gegners hinaus nicht kontrollieren kann. Bei Bakterien ist es hingegen möglich, feindliche Soldaten zu infizieren, beispielsweise mit Anthrax-Bakterien, ohne dass die eigenen Soldaten betroffen sind (wenn der Abstand groß genug ist). Selbstverständlich sind beide Arten der Kriegsführung geächtet.
Gefährlich ist gain-of-function-Forschung an Viren, weil ein Virus, dessen Virulenz gesteigert ist, bei der Freisetzung in der Tat, anders als SARS-CoV-2, viele Menschen töten könnte. Daher sollte solche Forschung geächtet werden.
Zurück zu der Arbeit. Warum wird sie in der Presse trotz ihrer totalen methodischen und wissenschaftlichen Unzulänglichkeit verbreitet? Weil mit dem Thema Corona und der Panikschürung immer noch Aufmerksamkeit erzeugt und Umsätze gesteigert werden können. Die Kollegen aus den Wissenschaftsredaktionen machen sich nicht die Mühe, die Originalarbeiten wirklich zu bewerten. Willkommen im postfaktischen Zeitalter der real existierenden Postmoderne.
Dr. Jochen Ziegler ist das Pseudonym eines Arztes und Biochemikers. Er arbeitet als Berater für private Anbieter des Gesundheitssystems und lebt mit seiner Familie in Hamburg.