Während der Debatte 1996 um D. Goldhagens umstrittenes Buch »Hitlers willigeVollstrecker, äusserte der Historiker Arnulf Baring in seinem Schlusswort an einer Podiumsdiskussion mit Giordano, Mommsen, Mende, Goldhagen , Hildebrandt und Knopp, einen bemerkenswerten Satz, den ich im konkreten Zusammenhang als Abwehrmechanismus einerseits und treffende Beschreibung einer deutschen Eigenart andererseits, verstanden habe: »Es gibt bei uns eine Feigheit vor herrschenden Zeittendenzen, die ich auch heute bemerke.«
Nach wie vor bezweifle ich, daß wir Deutschen berufen, geschweige denn verpflichtet sind, anderen ihre Völkermorde vorzuhalten. Noch weniger, diese zu “benoten”. Und im Fall der Türkei noch weniger, als die deutsche Militär-Eisenbahnverwaltung in der Türkei an den Deportationen 1915 nicht ganz unbeteiligt war. Um nicht mißverstanden zu werden: Ich teile die offizielle türkische Darstellung durchaus nicht. Aber wer im Glashaus sitzt…
Die Moscheen wollen jetzt Kohle von der Bundesregierung, weil die Spenden während des Ramadans durch die coronabedingte Sperrung der Moscheen ausbleiben. Kein Wort davon, das ja DITIB mal Kohle locker machen könnte. Oder der Sultan vom Groß-Osmanischen Reich, Erdolf (Kohle genug hat er ja inzwischen ...)
Das “Setzen von Zeichen” ist in Deutschland zu einem regelrechten Wahn geworden. Jeder A… meint, ein “Zeichen” für oder gegen etwas setzen zu müssen. Realitätssinn und Vernunft bleiben außen vor. Besonders auf solche Verbrechen, die Jahrzehnte zurück liegen und von den Nazis (den tatsächlichen, damals herrschenden) begangen wurden, werden immer gern aus der Mottenkiste gekramt, um den Deutschen ein “Schuldgefühl” einzureden. Dass andere Länder auch keine Heiligen waren, wird geflissentlich “übersehen”; gutes Bespiel: Amerika, aber auch zum Beispiel Spanien und Portugal. Deren Bevölkerung macht nicht einen solchen Fackeltanz um ihre Vergangenheit! Oder, wenn es um “Hilfe” für die afrikanischen Völker geht, denen die lange zurückliegende Kolonialzeit angeblich heute noch zu schaffen macht. Um da ein bisschen Licht in’s Dunkel zu bringen: man vergleiche mal unvoreingenommen die Situation der Afrikaner nach der Abschaffung der Sklaverei in Amerika. Das war wie 1989, als Kohl herumposaunte, dass es keinem DDR-Bürger schlechter als zu DDR-Zeiten gehe! Die Realität sah ganz anders aus! Beiderseits.
Wie Noam Chomsky in seinem Propagandamodell schon feststellte: Es gibt halt “würdige”, für die Propaganda nützliche und “unwürdige”, für die Propaganda schädliche Opfer. Die Armenier gehören offenbar, wie die Toten der Vendée, zu den “unwürdigen”.
Es ist doch ganz einfach: manche Völkermorde der Geschichte lassen sich politisch nutzen, andere sind dafür weniger geeignet oder man müsste gar über Verantwortliche sprechen, deren politische Gefährten, wenn nicht sogar sie selbst, noch heute hochangesehen sind. Der Holocaust wird von fast allen Seiten hemmungslos instrumentalisiert und missbraucht. Der Völkermord an den Indianern beider Amerika, der dort außer in Kanada überall jahrhundertelang betrieben wurde, wird seltener missbraucht, ist aber durchaus noch in Erinnerung. Der an den Armeniern war einerseits Gegenstand einer Bundestagsresolution, die Erdogan so missfiel, dass er herausfinden wollte, welches “minderwertige” Blut in Cem Özdemirs Adern fließe, andererseits ist seine Erwähnung irgendwie “islamophob”. Eben deshalb findet man ok., dass die DITIB ohne jedes kritische Wort die Gräber hochrangiger Völkermörder ehrt. Und diverse, weitere Völkermorde, etwa der an den Tutsi (?) im Ruanda der 1990-er Jahren, berühren nicht die Interessen unserer Politiker und der Wirtschaft. Es sind diese vergessenen Völkermorde, die am traurigsten machen sollten. Das Vergessen zeigt mehr als deutlich, dass auch das betonte und öffentliche Gedenken des Holocausts gegenwärtige Interessen verfolgt, und sonst nichts.
Zur Einordnung fehlen ein paar Zahlen: “Bei Massakern und Todesmärschen, die im Wesentlichen in den Jahren 1915 und 1916 stattfanden, kamen je nach Schätzung zwischen 300.000 und mehr als 1,5 Millionen Menschen zu Tode. Die Schätzungen zur Zahl der Armenier, die während der Verfolgungen in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten getötet wurden, variieren zwischen 80.000 und 300.000.” (Wikipedia)
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