Manfred Haferburg / 17.10.2022 / 06:00 / Foto: Pixabay / 123 / Seite ausdrucken

Die Vorreiter haben sich vergaloppiert

Wann schauen diese Vorreiter das erste Mal entsetzt zurück, um festzustellen, dass niemand ihnen gefolgt ist? Die Grünen ziehen rote Linien beim Brennelemente-Kauf, als wäre der Winter 22/23 der letzte Winter der Geschichte.

Seit 20 Jahren gibt es eine neue Trendsportart in Deutschland, das Vorreiten. Auf breiter Front wird vorgeritten, egal ob es die grandiose Energiewende ist, die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen, die lebensrettende Effizienz der Coronamaßnahmen, sogar bei der Weltführung – überall sind die deutschen Vorreiter am Horizont zu sehen. Es wird auf hohem Ross vorgeritten, es werden statt Peitschen große Worte geschwungen und die staunende Welt kann nur noch hinterherreiten.

Um die Vorreiterrolle Deutschlands in der Energiepolitik ist es allerdings sehr still geworden. Es lohnt sich, mal ein paar Jahre zurückzuschauen und die Jubelmeldungen nachzulesen, mit denen grüne Politiker aller Parteien und grüne Journalisten aller Haupt-Medien die Gehirne der gutgläubigen Bürger verkleisterten. Aus allen Kanälen tönte es: Merkel hat gesagt, „…dass Deutschland weltweit Vorreiter im Strommarkt ist. Wir können als erstes Industrieland der Welt die Wende zum Zukunftsstrom schaffen“. Darauf ein dreifaches Helau!

Prognosen sind schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. So mancher Professor hat sich schon lächerlich gemacht, wenn er seine Wunschvorstellungen als Wissenschaft verkauft hat. So z.B. Prof. Dr. Schaltegger vom hochtrabend klingenden Centre for Sustainability Management (CSM), Leuphana Universität Lüneburg im Jahre 2013: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland ist ohne Zweifel bereits jetzt eine Erfolgsgeschichte.“ Prognosen sind gefährlich, wenn sie Zeiträume betreffen, welche für die Betroffenen erlebbar sind und die Protagonisten womöglich zur Verantwortung gezogen werden können für den Unfug, den sie verzapft haben. Doch so weit sind wir noch nicht, dazu ist es noch nicht schlimm genug. Aber wir sind auf dem Wege dorthin.

Die Deutschen haben es fast geschafft

Jetzt haben es die Deutschen auf ihrem Lieblingsvorreitergebiet schon fast geschafft. Die Zeit des erlebbaren Erfolgs der Energiewende ist gekommen. Die Realität hat die fest verschlossene Tür von Bullerbü eingetreten, und die vielen empört weggeleugneten Tatsachen sind über die Vorreiter hereingebrochen. Das große Framen hat begonnen: Stromsperre heißt jetzt „erzeugungsoptimiertes Lastmanagement“ und Blackout heißt „stundenhafte Strommängellage“. Die vielgepriesene Zeit der Versorgung mit ausschließlich erneuerbarer Energie und ihren absehbaren Folgen ist in greifbare Nähe gerückt. Der Energiewende-Protagonistenfrack saust mit Grundeis. Und die Vorreiter schauen nach 10 Jahren der Euphorie entsetzt das erste Mal zurück und müssen feststellen, dass niemand ihnen gefolgt ist, sondern sich die Anderen über sie lustig machen: „Deutschland: Die dümmste Energiepolitik der Welt“.

Die Vorreiter plumpsen vom hohen Ross und stehen bedeppert in ihrer kalten Wohnung mit einem Waschlappen in der Hand unter der Dusche, hoffend, dass niemand den Kaltwasserhahn aufdreht. Einige pfeifen im Wald und schwingen weiter große Reden, darauf vertrauend, dass die anderen Leute unter Amnesie leiden werden, wenn der große Dunkelflauten-Katzenjammer kommt.

Die Einzigen, die den unüberhörbaren Knall überhaupt noch nicht gehört haben, sind die Grünen in ihrem Parteitagstunnel, allen voran der immergrüne Wirtschaftsminister. Die  scheinen allen Ernstes zu glauben, dass Deutschlands Energieprobleme im nächsten Herbst gelöst sein werden. Die Hinrichtung der letzten drei Kernkraftwerke wird daher nur um drei Monate verschoben. Die Grünen ziehen rote Linien beim Brennelemente-Kauf, als wäre der Winter 22/23 der letzte Winter der Geschichte. Und als wären sie allein an der Macht. Jetzt hat sogar die heilige Greta bei ihnen verschissen.

Robert Habeck hat über die Kernkraftwerke in der Einsatzreserve Folgendes gesagt: „Sie werden einsatzbereit gehalten, Kühlkreisläufe werden nicht unterbrochen und Sicherheitschecks werden weiter durchgeführt, das Personal wird auch gehalten. Aber sie produzieren keinen Strom mehr.“ Er scheint immer noch zu glauben, dass nicht pleitegeht, wer nicht produziert.

Die deutsche Bundesregierung beschäftigt etwa 26.000 Mitarbeiter. Da sollte es doch eigentlich an Fachkompetenz nicht mangeln. Robert Habeck führt zwei zusammengelegte Ministerien – Wirtschaft und Klimaschutz. Ein Blick auf das Organigramm dieses Monsterministeriums lohnt – wenn Sie über eine Großprojektionsfläche verfügen. Habeck ist Gebieter über vier Staatssekretäre, drei parlamentarische Staatssekretäre (allesamt von den Grünen), 130 hochbezahlte Bereichsleiter, hunderte persönliche Referenten und 2.200 Beamte.

Ist da kein Einziger dabei, der dem Wirtschaftsminister mal die Wirkung von „Gesetzen“ oder ein paar Grundzüge eines Kernreaktors für die Funktionsweise der „Kernkraftwerkseinsatzreserve“ im Falle einer „stundenhaften Strommangellage“ erklären könnte? Nein?

Eine Erklärung in leichter Sprache

Also opfere ich mich und erkläre den 2.200 BMWi-Männinnen und Mannen in einfacher Sprache, was sie jetzt unbedingt zur korrekten Ausführung ihrer Profession hinsichtlich der Energiepolitik wissen müssen. (Der Service ist kostenlos. Achse-Patenschaften sind als Kompensation hochwillkommen.)

Gesetze

  • Gesetze sind aufgeschriebene Vorschriften, die von der Regierung erlassen werden und an die jedermann (außer die Regierung) sich halten muss.
  • Wer sich als Nicht-Regierungsmitglied nicht an die Gesetze hält, kommt ins Kaschott.
  • Manche Gesetze haben seltsame Namen, wie „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG – 44 Seiten)“ oder „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ (27 Seiten), die beschreiben, was mit dem Gesetz irgendwie erreicht werden soll.
  • Mit dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz sollen böse Kohlekraftwerke verschrottet werden.
  • Mit dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz soll aufgehört werden, böse Kohlekraftwerke zu verschrotten.

Beide Gesetze sind gleichzeitig in Kraft. Liebe Grüne vom BMWi, merkt Ihr was? Fällt Euch was auf?

Kernkraftwerkseinsatzreserve

  • Kernkraftwerke sind böse. Sagt der Jürgen.
  • Kernkraftwerke sollen alle verschrottet werden, am besten in die Luft gesprengt. Vom Kretschmann.
  • Ist das Kernkraftwerk in Lingen noch böser als die anderen beiden in Philippsburg und Isar? Ich frage für einen Freund.
  • Im kommenden Winter wird es manchmal kalt, dann braucht man die Kernkraftwerke für die Heizlüfter.
  • Deshalb sollen vielleicht… womöglich… leider…  zwei der drei Kernkraftwerke drei Monate später verschrottet werden. Aber neuen Brennstoff für den längeren Betrieb darf man nicht kaufen. Sagen der Jürgen und die Ricarda.
  • Ohne neuen Brennstoff kann ein Kernkraftwerk nur noch ganz wenig Strom machen und ist auch nicht mehr regelbar. Dann verstopfen die Netze. Sagt der Omid.

Für die im Ministerium erkläre ich mal die Begriffe „Reaktivitätsreserve“ und „Xenonvergiftung“.

  • Reaktivitätsreserve ist, wenn noch genug Brennstoff im Reaktor zum Strom machen vorhanden ist.
  • Xenonvergiftung ist, wenn nach dem Runterfahren des Reaktors ohne Reaktivitätsreserve der Reaktor ein paar Tage nicht mehr angefahren werden kann, weil das Xenon die Neutronen frisst und erst satt sein muss.
  • Deshalb weiß keiner so richtig, wie die zwei Kernkraftwerke die Kernkraftwerkseinsatzreserve ab 1. Januar denn machen sollen: einfach böse weiter Strom machen oder doch sicherheitshalber abgeschaltet auf die stundenhafte Mängellage warten?
  • Wenn sie abgeschaltet warten, sollen sie dann heiß in Reserve bleiben oder mit abgekühltem Reaktor warten?
  • Wenn sie heiß in Reserve bleiben, dann könnten sie eigentlich auch weiter Strom machen. Das soll aber nicht sein, weil sonst der Jürgen und die Ricarda ärgerlich werden.
  • Wenn sie mit abgekühltem Reaktor auf die stundenhafte Strommängellage warten, dann dauert es ein paar Tage, bis sie heiß sind und Strom machen können. Dann ist die stundenhafte Strommängellage aber schon wieder vorbei.
  • Oder der Strom ist ganz ausgefallen und wir haben Blackout. Dann machen wir Kerzen an.

Der Jürgen und die Ricarda sagen dann: „Siehste, Kernkraftwerke sind doch böse“. Der Robert und der Christian sagen dann: „Das war der böse Putin“. Der Friedrich sagt dann: „Die Ampel trägt die volle Verantwortung für den bösen Mist.“ Dann entschuldigt er sich bei den Grünen und verurteilt das Verhalten der AfD.

Dann lobt die Tagesschau den Jürgen, die Ricarda, den Robert, den Omid und die Annalena. Dann steigen sie alle auf ihre Rösser und reiten wieder voran. Und dann ist Wahl und sie werden wiedergewählt.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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A. Kaltenhauser / 17.10.2022

Würde eine kleine Gruppe Kraftwerksmitarbeiter androhen, ihr KKW einfach herunterzufahren und damit womöglich Menschen in Notlagen oder gar Lebensgefahr bringen, wäre sofort die Staatsanwaltschaft mit Polizei/SEK vor Ort um dieses zu unterbinden. Was dieser Grünen-Parteitag so veranstaltet, grenzt an Sabotage mit ebenfalls starker Gefährdung der Bevölkerung, ist aber scheinbar nicht strafbewehrt. Diese Null-Lösung mit roter Linie wurde hauptsächlich von Trittin entschieden und seine Parteimitglieder bekunden, sie stünden dabei geschlossen hinter ihm. Dann sollten die besser aufpassen, dass ich nicht hinter ihm stehe und dem Jürgen die berichtigte Anzahl an Kugeln Speiseeis zwangsweise verabreiche, welche seiner Meinung nach die erneuerbare Energie an Mehrkosten pro Person verursacht. Dann platzt ihm nicht nur der Kragen sondern auch der Magen, nicht zu vergessen seine feucht grünen Träume. Grün ist inzwischen ein Synonym für gemeingefährliche Schwachköpfe.

W.Schneider / 17.10.2022

Tja, der letzte Satz dieses Beitrages beschreibt die eigentliche Katastrophe in Deutschland!

Kurt Schrader / 17.10.2022

Lieber Herr Haferburg, wieder einer dieser glänzenden Artikel, in denen Sie in leichter Sprache die komplexen Zusammenhänge von Kernphysik und Alltagsleben “zu Papier” bringen…. Leider werden Sie aber in Bullerby nicht gelesen…(wenn man es täte, würden es auch die Bullerbyer und Bullerbyerinnen raffen können - aber eben das wollen die gar nicht..), Darum ist Ihr letzter Absatz leider der wirkmächtigste….

S.Bahr / 17.10.2022

Ja, der letzte Satz ist am aufschlussreichsten, um über die Schwarmintelligenz der deutschen Wähler zu urteilen. Diese Regierung (plus CDU) kann ihr Unwesen nur treiben, weil eben die Wähler sie lassen. Das perfekte Volk mal wieder bis zum Untergang.

Wilfried Cremer / 17.10.2022

Lieber Herr Haferburg, wir werden von den größten Armleuchtern der Welt regiert. Das zweite A-Wort kam nicht vor in meiner Kinderzeit. Das dritte A-Wort ist die Angst. Und daran werden die Regierenden plus Fuckfunker krepieren, in der 3-tägigen Finsternis. Soweit die momentan noch lächerliche Hoffnung.

Rudhart M.H. / 17.10.2022

Hervorragender Text, leider passiert das nicht irgendwo, nein es passiert hier, wo ich lebe! Es betrifft also mich und Dich und uns alle. Richtig geschlußfolgert , kann das aber nur heißen, daß die Vorreiter endlich und zwar zackig vom Pferd geholt werden müssen, weil andernfalls nicht nur stundenweise das Licht ausgeht. Wie aber soll das geschehen, wenn die Mehrheit des Landes, bereits durch Indoktrination so verblödet ist, daß sie eine wirklich wissenschaftliche Diskussion und Erklärung der Zusammenhänge, selbst auch in sogenannter “einfachen Sprache” , dies weder lesen kann , denn verstehen könnte. Das dies so ist beweisen die Wahlergebnisse im Ahrtal und in Niedersachsen. SO blöd kann keiner sein, - und doch ist es so: allgemeine Volksverblödung , herbeigeführt durch ein Bildungs- und Erziehungssystem, das seiner Bezeichnung Hohn spottet, durch Medien, die völlig außer Rand und Band eine dermaßen Schlagseite haben, daß es ein Wunder ist, daß sie noch nicht untergegangen sind und durch Parteien , die sich eine Führungsrolle einbilden, die selbst im verbogenen Wahlergebnis keinerlei Begründung findet. In der DDR hieß es immer: “der Letzte macht das Licht aus”, jetzt passiert dies von allein, nur das alle noch da sind und dann eben im Dunkeln sitzen , mit nur noch rülpsenden Wasserhöhnen und bis zum Rand gefüllten Kloschüsseln, abgetauten Kühl- und Gefrierschränken und das alles in langsam auskühlenden Wohnungen. Und die ungelernte Küchenhilfe, die hier sogar BT-Vice spielen und in allen Qualitätsmedien herumquaken darf , obwohl das geistigen Potential weder zu einem Studienabschluß noch zu einem Berufsabschluß langte, aber dies ist ja der heutige Standard im Parlament und Kabinett, die freut sich drauf ! Ich nicht, ich seh’ da eher schwarz , sehr schwarz. Aber wir wissen ja, der Teelicht-Ofen ist das Lichtlein, das die Erlösung bringt.

G. Lohhoff / 17.10.2022

Wem fällt außer “Energieleugner” und “Stromnazi” noch was schön diskriminierend Plakatives ein? Damit mal die Vernunft als ausgrenzende Retourkutsche in diesem Land vorangehen kann.

Bernd Michalski / 17.10.2022

Das mit der einfachen Sprache nutzt sich leider recht schnell ab. Gut gemeint, auch als Ironie, aber … bitte nicht zur Angewohnheit machen. _ Nicht wirklich wichtig, aber: “Persönlicher Referent” heißen im Ministerium nur die Adjutanten im direkten Umfeld der Hausleitung, davon gibt es sicher keine dreistellige Zahl, nicht mal im Habeck-Haus. ___ So langsam sollte man mal über die Sabotage sogar der “Reserve”-Funktion von vielleicht 2 AKW hinausblicken. Wir müssten uns ein Beispiel an Frankreich nehmen, was Umfang und Bedeutung der Kernenergie angeht. Allerdings bräuchten wir auch dann noch für viele Jahre ungeheuer viel “fossile” Energieträger, für Strom und Heizung, und dann noch als Rohstoff für diverse Industrien. Das wird ohne russisches Gas kaum funktionieren. Auch insoweit muss mal wieder Rationalität einkehren. ___ Könnte es sein, dass die “roten Linien” des grünen Parteitagszaubers dazu dienen, von Kanzler Scholz aus der Regierung entlassen zu werden, damit man das Ende der “Wende” nicht verantworten muss? Den Gefallen sollte man diesen Typen tun, ASAP.

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