Peter Grimm / 01.12.2019 / 11:00 / 103 / Seite ausdrucken

Die SPD hat neue Sterbehelfer

Die halbe SPD-Mitgliedschaft hat sich für die passenden Sterbehelfer entschieden, die den bislang quälend langsamen, aber konstanten Niedergang nun entscheidend beschleunigen dürften. Es ist also eine gute Zeit, schon einmal mit den Nachrufen auf die einst stolze deutsche Sozialdemokratie zu beginnen. Daran erinnerten in der Partei schon einige Zeit nur noch schwindende Restbestände der alten Mitgliedschaft. Wenn sich die in jüngster Vergangenheit führenden Genossen wie Gabriel, Stegner, Schulz, Scholz oder Maas in die einst ehrwürdige Marke SPD kleiden, dann wirkt das längst so peinlich wie die Auftritte von abgehalfterten Heiratsschwindlern. Insofern ist die Entscheidung für das Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue Führung der SPD eine gute Nachricht, weil die Partei nun noch konsequenter als zuvor ihrem Ende entgegensteuert. Für die meisten Deutschen ist es allerdings noch unvorstellbar, dass eine einst große Partei wirklich vollkommen untergehen kann, einfach, weil es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht geschehen ist. In vielen anderen europäischen Ländern hat man diese Erfahrung schon machen dürfen.

Das neue Vorsitzendenpaar ist allem Jubel zum Trotz lediglich von etwas mehr als einem Viertel der stimmberechtigten Mitglieder gewählt worden, denn knapp die Hälfte der Genossen hat sich gar nicht mehr an der Abstimmung beteiligt. Aus Desinteresse? Oder weil sie unter dem Kandidatenangebot wirklich niemanden fanden, für den sich die Stimmabgabe lohnte? Von denen, die ihre Stimme abgaben, hat sich nur gut die Hälfte für das Paar Walter-Borjans/Esken entschieden. Dass die neuen Sterbehelfer von einer Mehrheit der Mitglieder getragen würden, kann man also nicht wirklich behaupten. Dennoch soll auf der dünnen Basis ein Parteitag diesem Votum folgen. Es ist ein Novum in der demokratischen deutschen Parteiengeschichte und widerspricht dem Geist des Parteiengesetzes, dass Parteitagsdelegierte von vornherein vom Parteiapparat unter den öffentlichen Erwartungsdruck gestellt werden, einen Beschluss, der völlig außerhalb satzungsmäßiger Gremien gefällt wurde, nur noch zu exekutieren. Eigentlich müsste das die politischen Beobachter maßlos aufregen, denn immerhin handelt es sich bei der SPD noch um eine Regierungspartei. Doch offenbar ist für die meisten Kollegen, die das politische Treiben hauptberuflich verfolgen müssen, die baldige Bedeutungslosigkeit der Partei schon so gewiss, dass deren Treiben am Rande der Legalität keine Aufregung mehr lohnt.

Weiterhin zäh und nervend

Ein wenig geht es dem Autor dieser Zeilen ja auch so. Lohnt es sich, hier nun ausführlich auf die Totengräber-Qualitäten des neuen Führungspärchens einzugehen? Auf die Milliarden zusätzlicher Schulden, die Norbert Walter-Borjans in seiner Zeit als NRW-Finanzminister dem Land aufgebürdet hat? Auf die von seinem Haus erarbeiten Haushaltspläne, die wegen ihrer handwerklichen Fehler vor dem Landesverfassungsgericht zerschellten? Muss man sich auf die Suche nach Qualifikationen von Saskia Esken begeben, die sich selbst vor allem durch ihre Zeit in einem Landeselternrat bestens auf die SPD-Führung vorbereitet sieht und nun im Bundestag offenbar vor allem damit auffiel, dass sie in Fraktionsämter, die sie anstrebte, nicht gewählt wurde? Nein, das alles kann man gerade überall nachlesen. Blicken wir stattdessen auf das bevorstehende Werk der Sterbehelfer.

Oder ist die Zuschreibung Sterbehelfer zu böse? Nein, denn dies wird die einzige Disziplin sein, in der Walter-Borjans und Esken nicht enttäuschen werden. Allen anderen Erwartungen werden die beiden nicht entsprechen können.

Beispielsweise denen ihrer Anhänger, dass es nun zu einem baldigen Ende der kleinsten „Großen Koalition“ kommen werde. Schon nach dem Abstimmungs-Sieg klangen die neuen Vorsitzenden da schon etwas gedämpfter. Man wolle natürlich erst einmal versuchen, den Koalitionsvertrag nachzuverhandeln. Ob das überhaupt geht, darüber wird sich eine über Wochen, wenn nicht gar Monate, laufende Debatte entspinnen, bis sich die Koalitionäre, nach einer dramatischen Nachtsitzung, darauf einigen werden, dass sie über ihre Inhalte noch einmal intensiv ergebnisoffen sprechen wollen, es sich dabei aber nicht um Nachverhandlungen handle.

Und dann beginnen die Nachverhandlungen, die nicht so heißen dürfen. Sollten sie sich erinnern, wie lange die Koalitionsverhandlungen bis zu einer Regierungsbildung gedauert haben und die dann anberaumten Gespräche genau dieser Tagesordnung noch einmal folgen müssen, wissen sie, dass das erwartbare Scheitern der Gespräche beinahe bruchlos in den Wahlkampf 2021 übergehen kann. Ob die SPD dann die Koalition verlässt oder nicht, wird da schon keiner mehr bemerken.

Die Sehnsucht nach mehr Dramatik

Die Wähler des neuen Duos, die darauf setzen, es gäbe ein schnelles Koalitionsende und eine sich erneuernde Oppositions-SPD, werden sich abwenden. Es will schließlich kaum ein Amts- und Mandatsträger Neuwahlen riskieren, bei denen die Partei Ämter und Mandate zwangsläufig dramatisch verlieren würde. Zumal die Amtsträger wissen, dass sich nichts ändern würde, wenn sie die Koalition verließen. Angela Merkel würde eben als Kanzlerin einer Minderheitsregierung weitermachen wie bisher. Sie weiß, dass sie niemand stürzen kann, da sich keine Abgeordnetenmehrheit findet, die sie durch die Wahl eines anderen Kanzlers ersetzen könnte. Die Mandatsträger der SPD hätten in dieser Gemengelage kaum die Möglichkeit, sich als kraftvolle Opposition darzustellen, zumal auch kaum erkennbar ist, welche der Genossen im Bundestag überhaupt in der Lage sind, eine solche Rolle noch glaubhaft zu verkörpern.

Und bei dem, was Walter-Borjans und Esken als ideologische Begleitmusik zu bieten haben, werden immer mehr Noch-SPD-Wähler erkennen, dass sie weder eine Light-Version der Linkspartei noch Pseudo-Grüne brauchen. Wer will, wird das Original wählen, die Anderen werden lernen, sich neu zu orientieren.

Das alles ist so vorhersehbar, und auch unter den konsequenteren Sterbehelfern wird es sich noch so zäh und Nerv tötend anfühlen, dass man sich nach mehr Dramatik beim SPD-Untergang sehnen wird. Nicht nur um des eigenen Nervenkostüms willen, sondern auch wegen der guten, alten SPD, die Deutschland einstmals deutlich geprägt hat und der man für Vieles dankbar sein kann. Sie hat ein solch würdeloses Ende nicht verdient. Wie sollen sich denn Jüngere, die dieses Schauspiel sehen, vorstellen können, wie wichtig eigentlich eine richtige Sozialdemokratie für die deutsche Demokratie ist?

Foto: SPD.de

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Horst Kruse / 01.12.2019

De mortuis nil nisi bene !

Wolfgang Tröbner / 01.12.2019

Ja, die SPD ist mit dem von den Jusos vehement unterstützten Führungsduo dem Untergang geweiht. Die SPD wird nun so lange linke marxistische Politik betreiben, bis sich die letzten Wähler, so sie denn noch über eigenen Verstand verfügen, abgewidert abwenden werden. Die 5%-Hürde wird sehr schnell nahe rücken.  Die einzige verbleibende Alternative wird dann sein, mit den Linken zur Sozialistischen Einheitspartei zu verschmelzen. Wie wir das schon mal hatten. Ich hatte mir zwar schon immer einen Abgang der SPD gewünscht, weil ihre führenden Vertreter sich meist als inkompetent und raffgierig erwiesen (siehe Frankfurter Oberbürgermeister), aber so ein jämmerliches Ende habe ich mir nicht vorgestellt.

Frank Stricker / 01.12.2019

Passend zum Zustand der SPD die Präsentation des Wahlergebnisses von Malu Dreyer gestern um ca. 18.10 Uhr. Mehr Gestammel und Gestotter hat man selten erlebt. Offenbar konnte sie ihre eigene Schrift nicht mehr lesen und der etwas überraschende Wahlausgang hat sie aus dem nicht vorhandenen Konzept gebracht. Der kommende SPD-Parteitag dürfte damit zur Totenmesse einer einstigen Volkspartei werden.

Gert Köppe / 01.12.2019

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, wer ist das denn??? Könnte diese unsägliche SPD uns denn nicht solche “Possenspiele” ersparen und sich gleich auflösen? Damit hätten wir wenigstens ein Problem im Lande gelöst. Sicher stehen die Verteidigung von Pfründen und Pöstchen einer Auflösung im Wege. Aber bei einer Kosten/Nutzen-Rechnung ist der ganze SPD-Haufen doch nur noch ein Kosten-Verursacher mit einem Nutzen, der gegen Null läuft. “Bringt das noch was, oder kann das weg?”, die SPD kann weg!

J. Schad / 01.12.2019

Doch, Herr Grimm, die SPD hat dieses “würdelose Ende” verdient! Die SPD war und ist eine Partei der Verantwortungslosigkeit, der Selbstüberschätzung und der Selbstüberhöhung. Schon 1893 konnte der vom “sozialistischen Zukunftsstaat” schwallende, ideologievernebelte August Bebel dem klar denkenden und klar fragenden Eugen Richter im Reichstag keine Antwort geben, was das denn genau sei (worauf ihm E. Richter darlegte, dass dies nur ein autoritärer Staat sein könne). 1919 schasste die SPD ihren eigenen Kanzler Scheidemann, indem sie ihn mit ihrer Anti-Versailler-Vertrag-Haltung zu martialischen Sprüchen trieb, dann allerdings umkippte und ihrem Kanzler nur den Rücktritt ließ. 1923 schasste die SPD den wohl erfolgreichsten Kanzler der deutschen Geschichte. Niemals zuvor hat ein Kanzler solch schwere Probleme (Inflation, Teilbesetzung, drohender Zerfall des Staates) in solch kurzer Zeit bewältigen müssen. Aber nach 100 Tagen ließ die SPD die Koalition platzen und beendete damit die Kanzlerschaft Stresemanns. 1930 ließ die SPD in schwierigen Zeiten (die Weltwirtschaftskrise hatte Deutschland erreicht) aus lächerlich lapidarem Grund die Koalition platzen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Danach kamen nur noch Präsidialkabinette, inklusive Hitler. Dann 1933 die “große” Zeit der SPD: Jetzt, wo alles verloren war, hielten die “Großen” der Partei anlässlich des Ermächtigungsgesetzes “bewegende” Reden - Schwall ins All. In den 1950er-Jahren dann der angeblich endgültige Abschied von der Linksideologie; die SPD wollte Volkspartei werden; alles hätte gut werden können, auch wenn der SPD-Kanzler Brandt mit seiner neuen Ostpolitik schon sein politisches Pulver verschossen hatte. Aber schon der rational agierende Schmidt erntete nur Unmut in seiner SPD und die Politik von Schröder wird gerade von der SPD abgewickelt. Jetzt sind sie wieder da, wo sie angefangen haben, vernebelt von der Linksideologie und verharrend in schwallender, inkompetenter Verantwortungslosigkeit.

Anders Dairie / 01.12.2019

ICH glaube nicht, dass für die beiden Ehrenwerten sich eine Junggenossin,  in die Partei frenetisch eingetreten unter Kanzlerkandidat SCHULZ, sich nun nach einem Hungerstreik für das Klima, , sich anschließend in die Spree stürzen würde,  um ein Zeichen für die Zukunft zu setzen.  Ein SACHSE dazu:  Alles GÄSE !

Peter Thomas / 01.12.2019

Was die Ausstrahlung dieses Spitzenpaares angeht - eine leutselige Molluske als modisches Gerade-noch-Maskulinum und eine beinharte Exekutorin die, wenn sie redet, die Stare von den Drähten fallen macht - so scheinen mir nicht nur Zuckerbrot und Peitsche optimal verkörpert, sondern mehr noch das desaströse Niveau unserer politischen “Elite”, und zwar in ästhetischer, intellektueller und moralischer Hinsicht.

U. Unger / 01.12.2019

Nein Herr Grimm, Sterbehelfer sind es definitiv nicht. Sie stehen ja nicht außerhalb, um Gift oder Pistole anzureichen. Es sind zwei Personen innerhalb einer zielosen, zerstrittenen Organisation ohne Regeln. Der parteiinterne Minimalkonsens ist soweit abgeschmolzen, dass jeder der möchte, sein eigenes Ding macht. Die Funktionäre spielen verstecken in Ihren Mandaten. Eine Mischung aus Hilflosigkeit, Risikoaversion und persönlicher Disziplinlosigkeit wird abstrakt in Kampf gegen Rechts umgedeutet. Man hat keine Definition für Räääächts, weil man die eigenen Anschauungen, die früher wenige und simpel waren auch nicht mehr überblickt und einfach definieren kann. Es sind die inneren Vibrationen der SPD, die das Bauwerk zerbröseln. Die vielen unentdeckten moralischen Entgleisungen und Selbstbedienungen, die weitaus mehr bewirken als z.B. ein offensichtliches persönliches Fehlverhalten in der causa Feldmann. Die SPD hat nicht mal mehr Einzelkarrieristen, die es riskieren einen Feldmann schnell zu entsorgen. Ein integrer moralischer Mahner, komplette Fehlanzeige. Von Leuten, die in der Hierarchie weit von der möglichen Nachfolge weg sind, brauchen wir gar nicht zu reden. Das einzig posditive an den gewählten neuen Vorsitzenden ist, dass Sie meiner Aufzählung noch nicht in allen Belangen voll zurechenbar sind. Sie hätten eine Chance, die SPD zu retten, wenn…...... Dänemark lässt grüßen.

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