Die historische Fußnote zum Tage: Guttenberg ohne Bindestrich

An Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg sei heute und hier kurz erinnert, den bis auf den Bindestrich zwischen Karl und Theodor (die Gesamtvornamenliste ist, wie bei adeligen Herrschaften üblich, etwas länger), namensgleichen Großvater des nachmaligen Verteidigungsministers.

Guttenberg, geboren 1921, mit einer langen Vorfahrenreihe in der fränkischen Reichsritterschaft, widmete sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Politik. Für die CSU saß er ab 1957 im Deutschen Bundestag. Die Außenpolitik wurde schnell sein Thema. Westbindungsverteidiger war er und ein großer Warner vor dem imperialen Begehren der Sowjetunion. Das ganze Deutschland hatte er stets im Blick, mehr als der von ihm geschätzte Adenauer.

In Guttenberg hatte die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition, die Willy Brandt seit 1969 als Bundeskanzler führte, einen dezidierten Gegner. Obwohl er, abgesehen von einem Intermezzo als Parlamentarischer Staatssekretär, nie ein herausgehobenes Amt innehatte, galt er als prominenter Kalter Krieger – eine Zuschreibung die er nicht mochte, als „Fürsprecher der Unterdrückten“ verstand er sich. Durchaus nachlesenswert ist seine große, engagiert vorgetragene Bundestags-Rede vom 27. Mai 1970, die zugleich seine letzte sein sollte. (Das Plenarprotokoll der entsprechenden Sitzung ist hier zu finden.) Eingeprägt hat sich vielen Zeitgenossen die tragische Situation, dass Guttenberg, bei dem im Jahr zuvor ALS diagnostiziert worden war und der unbedingt im Stehen sprechen wollte, nach der Rede die Beine den Dienst versagten und er nur mit Hilfe zweier Fraktionskollegen zu seinem Platz gelangen konnte. Vor 50 Jahren, am 4. Oktober 1972, ist er gestorben.

Bemerkenswerte Fußnoten

Das hier nur sehr kurz angedeutete Wirken Guttenbergs, der Ost-West-Konflikt, die deutsche Teilung – all das gehört in eine andere Zeit. Spannend allenfalls für historisch Interessierte und Bewusste? Zumindest diese mögen etwas stutzen, wenn sie in Guttenbergs 1971 veröffentlichten Erinnerungs-Notizen blättern. Nein, nicht weil das kleine Buch tatsächlich den Titel „Fußnoten“ trägt, dafür kann der Enkel nun wirklich nichts. Sondern, weil sie auf Passagen stoßen wie:

Den nächsten Juso-Kongreß sollte man unter das Motto stellen: „Es ist uns lange genug gut gegangen; es muß alles anders werden.“

Oder:

Die Totalitären haben ein neues Schlagwort: Demokratisierung der Gesellschaft.

Oder:

Welche Absurdität zu behaupten, die Menschen seien gleich!... So kommt das Gleichheitsdogma einer Kriegserklärung an die Freiheit gleich – sofern und so lange Freiheit Selbstverwirklichung bedeutet.

Oder:

Mich schaudert jedesmal, wenn Professor Mitscherlich am Fernsehschirm aus politisch Andersdenkenden bedauernswerte Patienten eines Psychiaters zu machen sucht… Ob Professor Mitscherlich schon einmal von der sowjetischen Methode gehört hat, aufsässige Schriftsteller ins Irrenhaus zu stecken?

Beim letzten Zitat ersetze man den Namen Mitscherlich durch einen anderen und verzichte vielleicht noch auf das etwas antiquierte Wort Fernsehschirm – ansonsten: Nichts Neues unter der Sonne? Nun, das lässt sich so auch nicht sagen, zumindest kann man sich damit trösten, dass das Spektrum der Abgründe im Vergleich zu 1971 deutlich erweitert worden ist.

Foto: Bundesarchiv/ Detlef Gräfingholt CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Claudius Pappe / 04.10.2022

Da werden Gasleitungen gesprengt und ( fast ) keiner regt sich darüber auf.

Thomin Weller / 04.10.2022

“...Warner vor dem imperialen Begehren der Sowjetunion” Der Joke ist super. Noch Lichtjahre besser “„Fürsprecher der Unterdrückten“ ” Korrekt müsste es Fürsprecher des unterdrückten Adels heissen. Es gruselt in der Achse. PS Geschichtsrevisionismus, passt wunderbar “Der Adel und die traditionellen Eliten in den Ansprachen von Papst Pius XII. an das Patriziat und an den Adel von Rom” Pius XII ist der Pacelli.

Ludwig Luhmann / 04.10.2022

Die Anhänger aller Marxismusvarianten verströmen eben immer dasselbe Odeur.

ACKnappmeyer / 04.10.2022

Danke für den Hinweis aufs Buch »Fußnoten«, ad hoc gekauft. Der Mann war mir unbekannt. Grandiose Fußnote: »Die Totalitären haben ein neues Schlagwort: Demokratisierung der Gesellschaft.« Wenn ich’s sagen dürfte: exakt meine Worte resp. eine Einschätzung.

Arne Ausländer / 04.10.2022

Dieser Guttenberg ist mir - altersbedingt - entgangen. Aber die Entspannungspolitik der 1970er hatte für uns im Osten spürbare positive Folgen: unkompliziertes Reisen wenigstens über die östlichen Grenzen, deutliche Entkrampfung des internen ideologischen Drucks unter Honecker, Verbesserung des materiellen Lebensstandards. Ob die heutige neomaoistische Weltrevolution direkte Folge dieser Enstspannung ist? Die Freiräume für Opposition und selbstbestimmteres Leben in der DDR der 1980er waren es gewiß, und ich bezahle dafür heute gern den Preis (wenn es denn sein sollte, wobei ich eben die Logik der Rechnung anzweifle).—Warum sollte es nur die zwei Möglichkeiten geben: kompromißlose Ost-West-Konfrontation mit Kriegsrisiko oder aber Entspannung unter Aufgabe intellektueller Klarheit? Hätte es die Entspannung damals etwa nicht gegeben, wenn man im Westen gleichzeitig all die pro-sowjetischen subversiven Netzwerke ausgehoben hätte? Hat man das nicht eher deshalb unterlassen, weil diese eben nicht nur vom Ostblock, sondern auch (und vielleicht weit effektiver) von interessierten “elitären” Kreisen im Westen gestützt wurden? Eben den Kreisen hinter heutigem Woke-ismus und Reset? Warum stand die authentische DDR-Opposition Ende 1989 so verlassen da, wurde überrollt von der neuen (?) Kooperation alter Ostkader mit dem früheren vorgeblichen Klassenfeind? Weil die wirklich Mächtigen immer darauf sahen, daß ja nirgends wirklich Neues, Besseres entstünde? Dies war mein Eindruck damals - und ist es bis heute. Ob der alte Herr Guttenberg da wirklich anderes gewollt hatte? Nach den Zitaten zu urteilen, wohl kaum. Wer wirklich Politik für Land und Leute anstrebt (statt elitärer Order zu dienen), wird kaum je hoch gelassen, auch nicht im alten (relativ) freien Westen.

janblank / 04.10.2022

Tja - Opa war eben im Krieg. Und diese Sozialisationsinstanz bringt eben - abseits aller Genetik- notwendigerweise andere Talente hervor, als gut auszusehen und weniger gut abschreiben zu können. Man merkt es überdeutlich an der jetzigen Politikergeneration: Realität ist die Summe der Sinneseindrücke. Und da macht es schon einen gewaltigen Unterschied zu wissen, wie sich der anfühlt- und zwar nicht im Kinosessel. Die Generation heute, welcher bis zum Wischi Waschi Diplom ein immerwährendes “Wie schön, dass Du geboren bist” vorgesungen wurde, macht jetzt eben das, was sie für Politik hält. Und wenn der gemeine Bürger die Folgen dieses illusionistischen Spektakels in Zweifel zieht, ist er Nazi. Und so geht die dichotomische Kinderdenke ( schwarz-weiß/ gut- böse) bestens verkörpert durch Asperger - Patientin G. Thunberg weiter voran.  Bis ein Krieg kommt. Fragt mal Opa.

Arthur Sonnenschein / 04.10.2022

Zu spät für Reue.

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