Peter Grimm / 09.12.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 73 / Seite ausdrucken

Kommt die große Verlierer-Koalition?

Die Ampel-Regierung ist am Ende. Kommt jetzt wieder eine „Große Koalition“? Hilft eine scheinbar starke CDU einer strauchelnden SPD auf die Beine, damit weiterregiert werden kann? Durch die alles überstrahlende katastrophale Bilanz der Ampel-SPD wird derzeit aber die Schwäche der CDU übersehen. Auch eine solche Regierung wäre eine Verlierer-Koalition.

Alle schauen gerade beeindruckt auf den SPD-Parteitag, weil die Genossen trotz katastrophaler Umfragen demonstrative Geschlossenheit in ihrer Wagenburg zeigten. Verglichen mit der Kanzlerpartei sind die Umfragewerte der CDU unverdient gut. Aber diese Erfolge stehen derzeit nur auf einem brüchigen Sprechblasen-Fundament und der stillen Hoffnung, die AfD-Konkurrenz vor entscheidenden Wahlen, wie in Sachsen, Thüringen und Brandenburg noch stärker als rechtsextrem zu brandmarken oder vielleicht sogar verbieten zu können. Und dann lauert als Elefant im Raum immer noch das ungeklärte Verhältnis zur einst übermächtigen Ex-Vorsitzenden und Ex-Kanzlerin.

Seit dem Ende der Amtszeit von Angela Merkel wird darüber geredet und geschrieben, dass sich die CDU von den inhaltlichen Fesseln befreien müsse, die ihr die einst „mächtigste Frau der Welt“ über die vielen Jahre ihrer Herrschaft angelegt hatte. Viel war dann von der nötigen Wiederentdeckung des Markenkerns, der Notwendigkeit unideologischer bürgerlicher Politik und dem nötigen Ende der Marginalisierung der Konservativen in Deutschland die Rede.

Aber allen Beobachtern wurde dann wiederholt gezeigt, dass die Macht der Merkel-Gefolgschaft in der Partei offenbar noch viel zu groß ist, um von den alten politischen Leitlinien der Kanzlerinnen-Alternativlosigkeit abweichen zu können. Stimmen, die eine klare Abkehr von der merkel-grünen Migrations-, „Klima“- und Energiewendepolitik forderten, verstummten rasch wieder angesichts des innerparteilichen Gegenwinds von den Merkelianern. Auch Merkels Nachfolger Friedrich Merz kippte mehrfach nach der Äußerung eigener Gedanken um und dementierte sich schnell selbst. Das war kein schönes Bild und brachte immer mehr Wahlberechtigte dazu, in ihrem Umfrage- und Stimmverhalten über Alternativen nachzudenken.

Manch ein Meinungsbildner sah den alsbaldigen Niedergang aller alten bundesrepublikanischen Parteien kommen. Denn die Ampel-Regierung stolperte von einem Desaster ins nächste, und CDU und CSU konnten nur eingeschränkt opponieren, denn die Ampelregierung setzte ja nur die Politik der letzten CDU-Kanzlerin konsequent fort.

Einigkeit in der Wagenburg

Inzwischen aber liefert die Bundesregierung eine so erbärmliche Vorstellung, dass auch die alte Kanzlerin-Partei wieder mehr Umfrage-Zuspruch erfährt, während die Regierungswerte in den Keller gehen und die Beliebtheitswerte des Kanzlers neue Rekordtiefpunkte erreichen.

Angesichts dieser desaströsen Lage der Regierung ist es nur zu verständlich, dass ein Großteil der Beobachter des politischen Geschehens seit Freitag ihren Blick auf den SPD-Parteitag richtete. Sie stellten – manchmal klang es regelrecht beeindruckt – fest, dass bei der Partei trotz des Sinkflugs der Umfrage-Werte keine Katastrophen-Stimmung vorherrschte, sondern dass sich die Genossen eher geschlossen in ihrer Wagenburg zu verschanzen scheinen.

Zwar beschloss der Parteitag erwartungsgemäß, den Bürgern – vor allem natürlich den „Reichen“ – mehr Abgaben abpressen zu wollen, aber die Berichterstatter vermerkten, dass es kaum laute Vorwürfe an die Genossen Regierenden gab, weil die sich gerade nicht noch um zusätzliche ideologische Traumwelten kümmern können. Geschlossenheit wurde auch in Wahlergebnissen demonstriert: Als erster Spitzengenosse konnte sich Kevin Kühnert über 92,55 Prozent Zustimmung zu seiner Wiederwahl freuen. Und das Vorsitzenden-Paar Saskia Esken und Lars Klingbeil musste auch nicht um seine Wiederwahl fürchten.

Während alle auf die gerade schwächelnde SPD blicken, ist der schwierige innere Zustand der aktuell in Umfragen erstarkenden CDU eher kein Thema. Aber ihr ungeklärter Richtungsstreit ist nicht erledigt, sondern wird irgendwann aufbrechen. So sehr es sich viele Christdemokraten auch wünschen, die langen Merkel-Jahre wiegen zu schwer, als dass sie sich einfach still und leise abstreifen lassen.

Während sich die Partei zu demonstrativer Abkehr vom Merkel-Kurs unfähig zeigt, kassierte sie gerade wieder einen Affront ihrer Ex-Vorsitzenden. „Angela Merkel tritt aus der Konrad-Adenauer-Stiftung aus“, titelte welt.de am Freitag. Sie soll den Medienberichten zufolge ihre Mitgliedschaft in der CDU-nahen Stiftung in dem Moment aufgegeben haben, in dem Friedrich Merz als Mitglied des Stiftungsvereins aufgenommen wurde.

Dieser Stiftungsverein ist ein exklusiver Club alter und neuer Parteigrößen und darf satzungsgemäß maximal 55 Mitglieder haben, wie es heißt. Wenn eine Frau von dem politischen Gewicht einer Angela Merkel diesen Kreis verlässt, dann ist das deutlich mehr als ein Affront. Man könnte nun fragen, ob die Ex-Vorsitzende jetzt Friedrich Merz eine Entscheidung abnehmen will, nach dem Motto: Wenn der nicht klar mit dem Merkel-Kurs brechen will, dann bricht sie eben mit seiner Partei. Aber was machen die ganzen Merkelianer dann? Und welche Wirkung hat das auf die, die gern kurz mal Widerworte gaben, aber dann schnell wieder einknickten?

Der schwankende Ministerpräsident

Einer von den Letzteren ist bekanntlich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der Mann darf zwar den Freistaat Sachsen regieren, ist aber nicht allzu ruhmreich in dieses Amt gelangt. Bei der Wahl 2017 verlor er sein Bundestagsmandat an den in seinem Wahlkreis siegreichen und damals überregional noch recht unbekannten AfD-Kandidaten Tino Chrupalla. Einige Wochen später erklärte ihn der zu dieser Zeit ebenfalls recht glücklos agierende sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich bei seinem Rücktritt zum Wunsch-Nachfolger. Da der damalige Rücktritt zu überraschend für die Suche nach einer Nachfolger-Alternative kam, gelangte Kretschmer schnell ins Amt. Mit ihm an der Spitze verlor die CDU dann 2019 bei der Landtagswahl mehr als sieben Prozentpunkte, doch in einer Alle-gegen-die-AfD-Koalitionsregierung mit SPD und Grünen durfte er weiter den Ministerpräsidenten geben.

Mittlerweile rangiert seine CDU in Umfragen meist auf Platz zwei, hinter der AfD. Eigentlich weiß er, warum. Manchmal äußerte er sich auch entsprechend, um sich sogleich wieder von sich selbst zu distanzieren. Ähnlich wechselhaft war auch sein Umgang mit dem Corona-Ausnahmezustand. Erst sprach er mit Demonstranten gegen die Corona-Politik, weil man doch miteinander reden müsse, dann wieder verurteilte er die Proteste gegen Grundrechtseinschränkungen energisch. Mal verwies er jeden Gedanken an einen Impfzwang ins Reich der Verschwörungstheorien, um dann eifrig daran mitzuwirken, die Sachsen zum Impfen zu nötigen und zu zwingen.

Und jetzt? Er ist einerseits Getriebener von der AfD und der eigenen Parteibasis, die klaren eigenen Kurs mit eigenen Inhalten statt Abgrenzungsübungen wünscht. Aber er ist wiederum auch nicht Manns genug, einen offenen Konflikt mit der Berliner Parteiführung und seinen rot-grünen Koalitionspartnern auszuhalten. Auch deshalb hören sich wahrscheinlich selbst jene seiner Sprechblasen falsch an, denen man eigentlich inhaltlich kaum widersprechen könnte.

Dass seine Landesregierung nun darauf setzt, die größte Oppositionspartei, die Spitzenreiter in den Umfragen ist, vom eigenen Verfassungsschutz für „gesichert rechtsextrem“ erklären zu lassen, hat da schon ein ziemliches Geschmäckle, zumal sich das Landesamt nicht bemüßigt fühlt, der Öffentlichkeit auch ein paar konkrete Beweise für diese Einstufung zu präsentieren.

Die Thüringer Kollegen hatte ja im Sommer bekanntlich mit dieser Einstufung vor dem Verwaltungsgericht in Gera Schiffbruch erlitten. Die Richter sahen die vom Amt dafür vorgelegten Belege als nicht hinreichend an, um den gesamten Landesverband für rechtsextrem zu erklären.

Wer muss sich in die Mitte bewegen?

Kretschmer selbst glaubt sicher nicht ernsthaft daran, dass ihm das hilft, aber er lässt es dennoch so laufen. All das Widersprüchliche zeigt sich auch in einem Interview, das er der Welt am Sonntag gegeben hat. Zunächst antwortet er auf die Frage „Wie kann man verhindern, dass die AfD weiteren Zulauf erhält?“:

„Gut regieren, gut kommunizieren. Ich finde es schon frappierend, dass nach dem Sieg des AfD-Kandidaten im ersten Wahlgang bei der Landratswahl im thüringischen Sonneberg die Medien exakt die Gründe dafür beschrieben haben: die Kritik an der Migrations- und Energiepolitik, am Heizungsgesetz, am Kurs Deutschlands im Ukraine-Krieg, an einer übergriffigen Politik, die die Menschen bevormundet. Dazu kommt die Tatsache, dass der ländliche Raum keine Rolle für die Ampel-Koalition spielt.

Nach der großen Aufregung wird in Berlin weiterregiert, als wäre nichts passiert."

Stimmt. Nur, auch der sächsische Ministerpräsident regiert weiter, als wäre nichts passiert. Wo sind die lauten Gegenstimmen des Freistaats Sachsen?

Im Interview kann er Dinge sagen, die durchaus richtig sind, beispielsweise zur Haushaltsnotlage, die die Bundesregierung erklären will:

„Das Grundgesetz sieht vor, dass eine Notlage beispielsweise bei einer Flut wie im Ahrtal oder anderen Naturkatastrophen erklärt werden kann. Die jetzige Situation ist allerdings keine Naturkatastrophe, sondern sie ist politisch verschuldet. Die Bundesregierung hat zwei Jahre eine falsche Wirtschaftspolitik betrieben. Nun schmieren die Unternehmen ab, und die Sozialkosten explodieren. Dadurch ist der gesamte Bundeshaushalt in einer Schieflage.

Wenn wir jetzt die wirtschafts- und finanzpolitische Richtung nicht grundlegend ändern, ist jeder Euro, den wir in den Haushaltstopf werfen, sinnlos und erzeugt nichts anderes als immer höhere Schulden."

Nur ist diese falsche Wirtschaftspolitik, ebenso wie die falsche Energiepolitik oder die sogenannte Klima-Politik, nicht erst in den letzten zwei Jahren betrieben worden, sondern auch bereits von der sogenannten „Großen Koalition“ von CDU und SPD unter Kanzlerin Merkel. Und ein Michael Kretschmer hat ihr als Bundestagsabgeordneter und als Ministerpräsident auch zugestimmt und ist mitverantwortlich. Dieser Verantwortung möchte er sich, wie die meisten seiner Politiker-Kollegen auch, gegenüber den Bürgern ungern stellen und gibt lieber den verständnisvollen Volkserzieher gegenüber bockigen Protestwählern:

„Die Leute, die jetzt AfD wählen oder sagen, dass sie es tun würden, sind nicht alle Rechtsextreme. Die meisten sind Protestwähler aus dem Mittelstand, die wir wieder in die demokratische Mitte holen müssen."

Da hat der Herr Ministerpräsident offenbar etwas verwechselt. Nicht er muss den Mittelstand in die Mitte zurückholen, sondern er muss zum Mittelstand in die Mitte zurückkehren und dessen Interessen vertreten, wenn er aus dessen Reihen gewählt werden will. Und nicht nur Kretschmer leidet unter dem Denkfehler, dass die Wähler heutzutage dazu gebracht werden sollten, der Parteilinie zu folgen, statt dass die Parteien demokratisch damit um Wähler werben, dass sie ganz praktisch deren Interessen vertreten.

Es ist diese Selbstanmaßung, die aus solchen Politiker-Sätzen spricht, die immer mehr Bürger abstößt und dann auch die Parteien in eine Krise stürzt. Den beiden ehemals deutschen Volksparteien ist das Schicksal der italienischen Democrazia Cristiana oder der französischen Sozialisten bislang erspart geblieben. Doch sie steuern darauf zu; auch wenn die einen noch regieren und Geschlossenheit zeigen und sich die anderen in einem temporären Umfragehoch gut aufgehoben fühlen, könnten sie sich schneller als gedacht in einer großen Verlierer-Koalition wiederfinden.

 

Peter Grimm, geboren 1965 in Ost-Berlin, war bis 1989 aktiv in der DDR-Opposition und arbeitet seitdem als Journalist, Autor und Dokumentarfilm-Regisseur. Betreibt u.a. den Blog sichtplatz.de.

Foto: Pixabay

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Wolfgang Richter / 09.12.2023

Diese Art Parteienstaat hat abgewirtschaftet. Und “CDU” hilft ja nichts, denn diese Truppe hat die Basis für den Ist-Zustand mit 16 Jahren überwiegend GoKo unter Murxel gelegt. Und als Grundrechteabschaffer im “Corona-Regime” hat sich diese Truppe selbst eigentlich unwählbar gemacht.

Horst Girmann / 09.12.2023

Danke, sehr geehrter Herr Grimm, Klasse Beitrag.

Jochen Lindt / 09.12.2023

Wenn CDUCSUSPD gemeinsam regieren sind sie keineswegs Verlierer.  Der Verlierer ist nur das deutsche Volk.

Mathias Rudek / 09.12.2023

Diese Idioten sind am Ende, zu dumm die Konsequenzen zu ziehen. Jedermann fragt sich, wie solch’ ein Personal nur sich durchsetzen konnte im politischen Betrieb? Müßig!

W. Renner / 09.12.2023

Ginge es nach dem Mehrheitswillen des Volkes, würde jetzt eine Koalition aus CDU und AFD Olafs Resterampe aufräumen. Da die CDU ihre Grundwerte aber schon längst gegen einen Hosenanzug Modell Grössenwahn vom Kombinat verbrannte Erde eingetauscht hat, wird dies wohl nicht geschehen.

Roland Müller / 09.12.2023

Die Einigkeit in der Wagenburg sorgt im Wesentlichen für infantile Fürze.

Hans Bendix / 09.12.2023

Nun, sicher plant Merz eine Koalition mit den Trümmern der Ampel. Wer würde daran noch zweifeln, da sie ja schon signalisiert haben, daß sie bei den neuen Haushaltstricksereien mitmachen werden, um sich künftig nicht selbst die Hände zu binden. Aber das geht wohl nur noch eine Legislaturperiode gut ...

Gert Köppe / 09.12.2023

@Hans Walter Müller: Die Gewerkschaften sind ein Totalausfall, weil sie systematisch von SPD Genossen unterwandert, oder gar gekapert wurden. Die Funktionäre kungeln fast alle mit den Sozen und unterstützen deren Politik. Sie haben die kleinen Arbeitnehmer verraten und verkauft. Darum hilft nur noch Austreten. Das habe ich bereits getan und bereue es nicht. Wir brauchen wieder die Gründung wirklich unabhängiger Gewerkschaften.

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