Die Deutschland-Mängelliste der EU

Was die EU-Kommission von Deutschland erwartet, steht im „Bericht des Europäischen Semesters für Deutschland“. Er enthält Empfehlungen – eher Anweisungen – für Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Industrie, zur digitalen Transformation in der Automobilindustrie, im Gesundheitssektor sowie in der Verwaltung und der Bildungspolitik.

Wenn Sie sich das nächste Mal über die Politik etwa von Wirtschaftsminister Habeck ärgern, könnte es sein, dass Sie sich in Wahrheit über die EU-Kommission oder den Europäischen Rat ärgern. Denn allzu oft wirken die Ausführungen deutscher Politiker lediglich wie ein musterknabenhafter Abklatsch von EU-Vorgaben. Was die EU-Kommission von Deutschland erwartet, ist aktuell nachzulesen im „Bericht des Europäischen Semesters für Deutschland“. Das Konzept des „Europäischen Semesters“ wurde im Juni 2010 vom Europäischen Rat beschlossen und 2011 erstmals umgesetzt. Es regelt die wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitische Koordinierung auf EU-Ebene. Das „Europäische Semester“ bezieht sich auf die ersten sechs Monate eines Jahres und endet formal mit der Annahme der „Länderspezifischen Empfehlungen“ durch die Mitgliedstaaten im Sommer. Außerdem umfasst es eine aktualisierte Berichterstattung über die Verwirklichung der von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 vorgegebenen Ziele für nachhaltige Entwicklung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die „Länderspezifischen Empfehlungen“ geben den Mitgliedstaaten bereits im Vorfeld ihrer nationalen Haushaltsverfahren politische Leitlinien zur Hand. Die Berichte und Empfehlungen lesen sich wie Schulzeugnisse und Hausaufgaben, die die EU-Kommission den einzelnen Staaten zuteilt. 

Zwischenbemerkung: Bevor ich auf den speziell an Deutschland adressierten Bericht samt den daraus resultierenden Empfehlungen eingehe, beleuchte ich noch die EU-Ebene. Wer daran nicht interessiert ist, kann die nächsten vier, fünf Absätze einfach überspringen. Hier also die Hintergründe: Am 16. Mai dieses Jahres nahm der Europäische Rat die „Empfehlung zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“ im Rahmen des Europäischen Semesters 2023 an. In dem Text, der bereits am 17. Januar 2023 vorbehaltlich der Überarbeitung durch die Rechts- und Sprachsachverständigen gebilligt worden war, heißt es wörtlich:

„Die wirtschaftliche Erholung des Euroraums in der Zeit nach der COVID-19-Pandemie wurde durch eine Reihe von externen Schocks unterbrochen. Insbesondere dank einer entschlossenen wirtschaftspolitischen Reaktion sowohl auf nationaler als auch auf Unionsebene und der Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen verzeichnete der Euroraum in den Jahren 2021 und 2022 ein solides BIP-Wachstum, nämlich 5,3% bzw. 3,5%. Auch der Arbeitsmarkt erwies sich als widerstandsfähig, und die Arbeitslosenquote erreichte 2022 einen Rekordtiefstand von 6,7%. Der Anstieg der weltweiten Energiepreise, die erhöhte Unsicherheit und die Unterbrechungen der Lieferketten – allesamt Ergebnis des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine – haben die Wirtschaftstätigkeit im zweiten Halbjahr 2022 jedoch klar verlangsamt. Aufgrund der Energiekrise wurden die Prognosen für 2023 nach unten korrigiert. 2023 wird sich das BIP-Wachstum im Euro-Währungsgebiet voraussichtlich auf nurmehr 0,3 % abschwächen, bevor 2024 wieder ein Wachstum von 1,5% verzeichnet werden könnte. Der Energiemarkt und andere Rohstoffmärkte befeuern die Inflation, die zwischenzeitlich auf andere Produkte übergegriffen hat und 2022 einen Wert von 8,4% erreicht hat. Die Inflationsrate dürfte in den kommenden Monaten auf hohem Stand verharren und 2023 noch 6,1% betragen, bevor sie sich 2024 wieder abschwächen dürfte.“ 

Harmonisierung der Insolvenzregelungen im Euroraum

Diese Zahlen wurden mittlerweile leicht korrigiert: Der Frühjahrsprognose 2023 zufolge, die die EU-Kommission am 15. Mai veröffentlicht hat, wird die EU-Wirtschaft im Jahr 2023 um 1,0 Prozent und im Jahr 2024 um 1,7 Prozent wachsen. Für 2023 wird eine Inflationsrate von 6,7 Prozent und für 2024 von 3,1 Prozent prognostiziert. Für 2023 wird ein Beschäftigungswachstum von 0,5 Prozent vermutet, das 2024 auf 0,4 Prozent sinken dürfte. Die Arbeitslosenquote wird wohl weiterhin bei knapp über 6 Prozent liegen. 

Zum Thema Inflation wird in der „Empfehlung zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“ ausgeführt: Angesichts der hohen Inflation müsse die Geld- und Finanzpolitik angemessen abgestimmt werden und kohärent sein. Der Durchschnittslohn habe 2022 nicht mit der Inflation Schritt gehalten. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe mit der Normalisierung der Geldpolitik begonnen, um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2 Prozent zu gewährleisten. Der jüngste Anstieg der Inflation sei zu einem wesentlichen Teil auf Lieferengpässe zurückzuführen. Die COVID-19-Pandemie habe im Euro-Währungsgebiet sehr hohe Schuldenstände hinterlassen.

Gleichzeitig bestehe die Notwendigkeit, die öffentlichen und privaten Investitionen für den grünen und den digitalen Wandel und für die Energieversorgungssicherheit auszuweiten. Der rasche und anhaltende Anstieg der Energiepreise setze die Geschäftsmodelle energieintensiver Industriezweige sowie kleiner und mittlerer Unternehmen unter Druck, was sich auf Arbeitsplätze und Humankapital auswirke. Effiziente Insolvenzregelungen könnten den Übergang fördern und die Umverteilung von Ressourcen erleichtern. Die Insolvenzregelungen im Euroraum seien jedoch immer noch sehr unterschiedlich. Eine größere Harmonisierung würde die wirtschaftliche Anpassung und den Binnenmarkt für Kapital fördern.

Es geht wieder mal um den „Green Deal“

Am 24. Mai veröffentlichte dann die EU-Kommission eine Pressemitteilung mit dem leicht sperrigen Titel: „Politische Leitlinien im Rahmen des Europäischen Semesters: Unterstützung von Reformen und Investitionen zur Sicherung von langfristigem Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit, Gerechtigkeit und Resilienz der EU“. Als Teil ihres sogenannten Frühjahrspakets gibt die Kommission den Mitgliedstaaten darin Vorgaben, „um in einem schwierigen geopolitischen Umfeld eine robuste und zukunftssichere Wirtschaft zu schaffen“. Es sei ein „integrierter Ansatz über alle Politikbereiche hinweg“ erforderlich, der „ökologische Nachhaltigkeit, Produktivität, Gerechtigkeit und makroökonomische Stabilität“ fördert. Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis wird zitiert mit den Worten:

„Die letzten drei Jahre waren eine große Herausforderung für die Menschen und Unternehmen in ganz Europa. Wenngleich die Energiepreise in jüngster Zeit rückläufig sind, stehen wir noch immer vor vielen Herausforderungen. Dazu zählt insbesondere die hohe Inflation, die die Kaufkraft der Menschen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schwächt. Es wird Zeit, sich auf eine umsichtige Haushaltspolitik zu konzentrieren, die besten Investitionen zur Unterstützung des künftigen Wachstums zu tätigen und die EU weltweit wettbewerbsfähig zu halten. Die heutigen Empfehlungen des Europäischen Semesters umfassen spezifische Haushaltsziele.“ 

Die Finanzierung der Haushaltspolitik erfolgt im Rahmen des mit 800 Milliarden Euro ausgestatteten EU-Aufbauplans NextGenerationEU. Wichtigstes Instrument ist dabei die Aufbau- und Resilienzfazilität (englisch: Recovery and Resilience Facility, kurz: RRF). Die finanziellen Mittel hierfür nimmt die EU-Kommission im Namen der EU durch die Ausgabe von Anleihen auf den Kapitalmärkten auf. Mit diesen Geldern können die EU-Länder dann „ehrgeizige Reformen und Investitionen“ finanzieren, um „den fairen und inklusiven ökologischen und digitalen Wandel“ zu beschleunigen und dadurch „die Resilienz der EU insgesamt zu stärken“. Mit anderen Worten: Es geht wieder einmal um den europäischen Green Deal, durch den die EU-Kommission Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen will.

Deutschland erfüllt das Defizitkriterium nicht

Mittlerweile sind alle nationalen Aufbau- und Resilienzpläne vorgelegt worden. Es wurden 24 Zahlungsanträge bearbeitet, und die Kommission hat mehr als 152 Milliarden Euro für die erfolgreiche Umsetzung wichtiger Reformen und Investitionen ausgezahlt. Die länderspezifischen Empfehlungen umfassen vier Teile: eine Empfehlung zur Haushaltspolitik, eine Empfehlung zur weiteren oder zügigeren Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne, eine aktualisierte und spezifischere Empfehlung zur Energiepolitik im Einklang mit den REPowerEU-Zielen (wir berichteten hier) sowie gegebenenfalls eine zusätzliche Empfehlung zu noch nicht bewältigten und/oder neu entstehenden strukturellen Herausforderungen. Wer sich noch detaillierter über die Hintergründe des Europäischen Semesters informieren will, findet hier diesbezügliche Dokumente seit 2014.

Was bedeutet der Plan im Frühjahrspaket der EU-Kommission nun also konkret für Deutschland? Kurz gesagt: Er enthält Empfehlungen – eher Anweisungen – für Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Industrie und zur digitalen Transformation in der Automobilindustrie, im Gesundheitssektor sowie in der Verwaltung, aber auch für Maßnahmen, die dazu dienen sollen, „Lernrückstände“ aufzuholen. Zunächst zum 98 Seiten umfassenden „Länderbericht Deutschland 2023“.

Eine der Kernaussagen darin ist: Deutschland erfüllt das Defizitkriterium nicht. Das heißt, dass das gesamtstaatliche Defizit Deutschlands den Referenzwert von 3 Prozent des BIP überschreitet. Für das Frühjahr 2023 hat die EU-Kommission zwar keine Defizitverfahren vorgeschlagen, jedoch ihre Absicht angekündigt, im Frühjahr 2024 auf Basis der Ist-Daten gegebenenfalls entsprechende Verfahren einzuleiten. Deutschland sei allerdings aufgrund seines Energiemixes in hohem Maße von der anhaltenden Energiekrise betroffen gewesen. Vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei Deutschland mit 65 bzw. 34 Prozent im Jahr 2021 sehr stark von russischem Gas und Öl abhängig gewesen. In den letzten Jahren habe es diese Abhängigkeit erheblich reduziert, und zwar auf Null bei Gas und auf unter 25 Prozent bei Öl. Dennoch seien etwa in den Bereichen Elektrizität und digitale Netzwerke, digitale öffentliche Dienste, grüne und digitale Kompetenzen, Energieeffizienz, natürliche CO2-Speicher und Kreislaufwirtschaft weitere Maßnahmen erforderlich.

Inflation in Deutschland höher als im EU-Durchschnitt

Zur Inflation in Deutschland wird festgestellt:

„Die Verbraucherpreisinflation erreichte im Oktober 2022 mit 11,6% einen Höchststand – eine Rate, die seit der Ölkrise in den 1970er Jahren nicht mehr erreicht wurde. Seitdem ist sie schrittweise auf 7,6% im April 2023 gesunken. Der Anstieg der Inflation wurde hauptsächlich durch die Energiepreise verursacht, die die Kosten für Produkte und Dienstleistungen in die Höhe trieben.“

Die Inflation in Deutschland liegt also eindeutig höher als im EU-Durchschnitt.

Zur gesamtwirtschaftlichen Lage Deutschlands ist in dem Bericht zu lesen: „Die Produktivität hat in den letzten fünf Jahren stagniert. Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität hat sich weitgehend auf das Niveau vor der Pandemie erholt, aber die Produktivität wird wohl weiterhin nur schleppend wachsen. Die deutsche Wirtschaft weist strukturelle Schwächen auf, wie z.B. geringe Investitionen in immaterielle Vermögenswerte (einschließlich Forschung und Innovation), einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und einen Rückgang der Unternehmensdynamik. Der Zugang zu bestimmten Unternehmensdienstleistungen und deren Ausübung ist stärker reglementiert als im EU-Durchschnitt, was zu weniger Wettbewerb, höheren Durchschnittskosten und geringerer Wettbewerbsfähigkeit führt. Entlassungen werden vermieden, da die Unternehmen mit einem Aufschwung rechnen und versuchen, den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu beheben.“

Auch zu anderen Themen stehen ungeschminkte Wahrheiten in dem Bericht wie beispielsweise:

„Im krassen Gegensatz zum EU-weiten Trend hat sich die Schulabbrecherquote in Deutschland in den letzten zehn Jahren deutlich verschlechtert (12,2% gegenüber einem EU-Durchschnitt von 9,6% im Jahr 2022). Bei Personen, die nicht in der EU geboren sind, liegt die Quote bei 28,8%, was auch die Herausforderung der Integration der großen Zahl von Neuankömmlingen in den letzten Jahren widerspiegelt. Der Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds einer Person auf ihre Bildungsergebnisse hat zugenommen, und etwa ein Fünftel der 10-Jährigen erfüllt nicht die grundlegenden Standards in Deutsch und Mathematik, was die Gefahr einer Verschärfung des Qualifikationsdefizits birgt. (…) Der Anteil der Menschen, die in Haushalten leben, in denen die Wohnkosten mehr als 40% des Gesamteinkommens ausmachen (11 % im Jahr 2021), liegt über dem EU-Durchschnitt (8,3%) und steigt weiter an (von 9% im Jahr 2020), was die Herausforderung des erschwinglichen Wohnraums widerspiegelt.“

Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung

Der Steuermix in Deutschland setze sich in hohem Maße aus Steuern auf den Faktor Arbeit zusammen, während der Anteil der Umweltsteuern unter dem EU-Gesamtwert liege und Deutschland weiterhin umweltschädliche Subventionen gewähre. Die Steuern auf den Faktor Arbeit gehören in Deutschland demnach zu den höchsten in der EU, so dass das Steuer- und Transfersystem für Gering- und Zweitverdiener nur geringe Anreize zur Erhöhung der Arbeitsstunden biete. Die niedrige Umweltsteuerquote in Deutschland sei auf die Energie- und Verkehrssteuern zurückzuführen, die beide unter dem EU-Durchschnitt liegen. Umweltschädliche Subventionen, die den grünen Übergang behindern, seien nach wie vor erheblich. Obwohl die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-jährigen Arbeitnehmer zu den höchsten in der EU gehöre (73,3 Prozent gegenüber einem EU-Durchschnitt von 62,3 Prozent), habe sich der Anstieg des effektiven Renteneintrittsalters im Laufe der Zeit verlangsamt, und die Beschäftigung in der Altersgruppe der über 65-Jährigen bleibe hinter den Spitzenreitern in der EU zurück. 

Die staatlich geförderte private Altersvorsorge (private Rentenversicherungen der dritten Säule, Riester-Rente) werde bisher nicht ausreichend genutzt und sei für Geringverdiener und Personen mit unsicherer Beschäftigung weniger attraktiv. Trotz der Bemühungen, die Nutzung der betrieblichen Altersversorgung (zweite Säule) zu erhöhen, liege der Deckungsgrad weiterhin bei etwa 56 Prozent. Daher soll das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise angehoben und im Jahr 2031 bei 67 Jahre liegen. Der Personal- und Fachkräftemangel werde dennoch angesichts der raschen Bevölkerungsalterung weiter zunehmen. Mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge werde die Erwerbsbevölkerung in den 2020er-Jahren voraussichtlich um 3,7 Millionen schrumpfen. Dies werde den Finanzierungsbedarf des umlagefinanzierten gesetzlichen Systems (erste Säule des Rentensystems) signifikant erhöhen und möglicherweise die Angemessenheit der Renten infrage stellen. Um den Rückgang der potenziellen Erwerbsbevölkerung auszugleichen, würde es einer Nettozuwanderung von rund 400.000 Personen jährlich bedürfen.

Das Wachstum im Baugewerbe sei durch Material- und Arbeitskräftemangel, steigende Materialkosten und administrative Beschränkungen gebremst worden. Wegen der schwachen Investitionen in den Wohnungsbau könne das Wohnungsangebot nicht mit der Nachfrage Schritt halten, was das anhaltende Risiko einer Überbewertung verschärfen könnte. Der Beschäftigungszuwachs in arbeitsintensiven Bereichen des öffentlichen Sektors wie dem Gesundheitswesen, den sozialen Diensten, dem Bildungswesen und der öffentlichen Verwaltung habe das Produktivitätswachstum ebenfalls gebremst. Deutschland könne jedoch den grünen und digitalen Wandel als Chance nutzen, um Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen mittel- bis langfristig zu steigern. Der grüne Wandel biete einzigartige Möglichkeiten, die Wirtschaft im Sinne einer wettbewerbsfähigen Nachhaltigkeit zu gestalten. Strom aus erneuerbaren Energien sei für die erfolgreiche Umsetzung der deutschen Pläne für eine grüne Transformation (erneuerbare Wasserstofferzeugung, Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen usw.) und für die mittelfristige Energiesicherheit aufgrund der hohen Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen von entscheidender Bedeutung. Außerdem verfügten nur 19,3 Prozent der privaten Haushalte über einen Glasfaseranschluss, womit Deutschland zu den Mitgliedstaaten mit der geringsten Verbreitung von Glasfaseranschlüssen zähle.

Nicht kompetent genug für die grüne Transformation

Das bis 2025 anvisierte Ziel, 50 Prozent der Haushalte und Unternehmen mit Glasfaseranschluss auszustatten (100 Prozent bis 2030), drohe verfehlt zu werden. Für die erfolgreiche Realisierung der deutschen Pläne für den ökologischen Wandel, unter anderem für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff, für Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen sowie für die mittelfristige Energieversorgungssicherheit, sei Strom aus erneuerbaren Energiequellen von entscheidender Bedeutung. Um die nationalen Ziele zu erreichen, müsste das Umsetzungstempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien allerdings verdreifacht werden (von +67 Prozent in den vergangenen acht Jahren auf +196 Prozent in den kommenden acht Jahren). Komplexe und langwierige Genehmigungsverfahren hätten jedoch den Ausbau der Erneuerbaren und darüber hinaus auch anderer klimaneutraler Technologien gebremst.

Die Energiepreise seien zwar gesunken, blieben aber auf einem historisch hohen Niveau, und die Ungewissheit bezüglich des nächsten Winters bleibe bestehen, was weitere Anstrengungen zur strukturellen Senkung der Gasnachfrage erfordere. Trotz verschiedener Entlastungs- und Schutzmaßnahmen, einschließlich freiwilliger Maßnahmen zur Verringerung der Energienachfrage, müssten Verkehr und Industrie ihre Energieintensität daher strukturell verringern, um die anhaltend hohen Energiekosten in den Griff zu bekommen. Das derzeitige Konjunkturprogramm umfasse deswegen Investitionen in die Dekarbonisierung der Industrie und in die energetische Sanierung von Gebäuden. Die Ökologisierung des Wärmenetzes und die Beschleunigung der Einführung von Wärmepumpen zu erschwinglichen Preisen könnten dazu beitragen, die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Brennstoffen zu verringern. Um die deutschen Energie- und Klimaziele zu erreichen, sei es von entscheidender Bedeutung, Kompetenzen für die grüne Transformation zu entwickeln (z.B. für die Installation von Wärmepumpen und Solarzellen sowie für die Verbesserung der Energieeffizienz).

Allerdings verfügten in Deutschland nur 49 Prozent der Bevölkerung im Alter von 16 bis 74 Jahren zumindest über grundlegende digitale Kenntnisse, was unter dem EU-Durchschnitt von 54 Prozent liege. Die Förderung der Teilnahme an Programmen der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zur Unterstützung des grünen Übergangs würde dem deutschen Ziel entsprechen, dass bis 2030 jedes Jahr 65 Prozent der Erwachsenen an einer Weiterbildung teilnehmen. Trotz der Engpässe auf dem Arbeitsmarkt sei der Anteil der Studenten, die im ersten Semester ein MINT-Studium absolvieren, von 40,5 Prozent im Jahr 2015 auf 37,7 Prozent im Jahr 2021 gesunken. Eine Verbesserung der frühkindlichen Bildung und Betreuung sowie der Ganztagsschule könnte sowohl die Bildungsergebnisse als auch den Anteil der vollzeitbeschäftigten Eltern erhöhen.

Der Mittelstand wird leiden

Entsprechend fällt auch die „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zum nationalen Reformprogramm Deutschlands 2023“ (hier) der EU-Kommission vom 24. Mai dieses Jahres aus, die allerdings nur 17 Seiten umfasst. Für Deutschland ergeben sich vor allem folgende zentrale Empfehlungen für 2023 und 2024: Zum einen soll der Bereich Haushalt durch Auslaufen der Entlastungsmaßnahmen im Energiebereich, einer umsichtigen Fiskalpolitik und einer Verbesserung des Steuermixes zur Erhöhung der Arbeitszeit gestärkt werden. Die öffentlichen Investitionsausgaben sollen dabei hoch bleiben, um insbesondere den ökologischen und digitalen Wandel zu fördern.

Zum anderen soll Deutschland die Umsetzung seines geänderten Aufbau- und Resilienzplans erheblich beschleunigen und ausreichende Ressourcen bereitstellen. Außerdem sollen die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ausgebaut sowie die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung verbessert werden. Schließlich soll die Abhängigkeit von fossilen Energien weiter abgebaut werden. Dies könne durch eine Beschleunigung der Investitionen in erneuerbare Energien und Stromnetze gewährleistet werden. Insbesondere in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Industrie müsse die Energieeffizienz verbessert werden.

Vor allem der erste Punkt kommt der Bundesregierung nun nicht gerade gelegen: Da alle Mitgliedstaaten bis Ende 2023 die geltenden Entlastungsmaßnahmen im Energiebereich auslaufen lassen sollen, sind auch die Entlastungspakete (Strom- und Gaspreisbremse, Heizkostenzuschuss u.a.), die die Bundesregierung geschnürt hat, nun infrage gestellt. Ohne staatliche Hilfen werden die Verbraucher im kommenden Jahr jedoch die volle Wucht der steigenden Preise zu spüren bekommen. Dennoch muss Deutschland jetzt die Entlastungsmaßnahmen im Energiebereich zurückfahren und die dadurch erzielten Einsparungen zum Abbau des öffentlichen Defizits nutzen.

Für den Fall, dass neuerliche Energiepreisanstiege Entlastungsmaßnahmen erforderlich machen sollten, sei laut EU-Kommission sicherzustellen, dass diese Maßnahmen gezielt auf den Schutz schwächer aufgestellter Haushalte und Unternehmen abzielen und weiterhin Anreize zum Energiesparen enthalten würden sowie für die öffentlichen Haushalte tragbar wären. Es ist also davon auszugehen, dass im kommenden Jahr die Energiekosten vor allem für den Mittelstand spürbar in die Höhe schnellen werden. Wirtschaftsminister Habeck wird sich dadurch sicher nicht beliebter machen. Letztlich setzt er jedoch lediglich die EU-Vorgaben um.

 

Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.

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P. Schulze / 13.06.2023

Pfff… sowas von shiceegal, wem die Schuld am deutschen Versagen aufgebrummt werden soll. Das kenn wa schon… Schuld ist einzig und allein Schland. Basta. Wer es sich leisten kann, macht hier die Biege. Wer sich das nicht leisten kann, sollte sich mit seiner Vernichtung, seinem Tod abfinden. Oder… *StaSchu ick hör dir klopfen*... Ich kann mir das nicht leisten und habe mich bereits mit meinem Untergang abgefunden. Bin leider zu alt, zu langsam und zu schwach geworden. Aber immerhin durfte ich vor Jahrzehnten ein paar geile Jahre in Westdeutschland erleben - ist ja immerhin mehr als so ein Kindersklave in den zur Gewinnung der Rohstoffe der Besserwelt der Bessermenschen, also in den dafür betriebenen Bergwerken erdulden muß. Oder als Kindersoldat oder Sexsklave in ebendiesen “Facharbeiter”-Brutöfen, welche der besserverdienende Bessermensch doch so gerne für seine “hochqualifizierten” Einwanderungsphantasien bemüßigt…

Heiko Stadler / 13.06.2023

“Um den Rückgang der potenziellen Erwerbsbevölkerung auszugleichen, würde es einer >>Nettozuwanderung<< von rund 400.000 Personen jährlich bedürfen.” Anders formuliert: “Wenn die Hütte brennt, muss man das Feuer mit Benzin löschen.” Durch die illegale Masseneinwanderung der überwiegend ungebildeten Leistungsbeansprucher haben wir einen massiven Arbeitskräftemangel bei gleichzeitigen Absturz des Bildungsniveaus. Aufgrund der geringen Bildung und des niedrigen Leistungswillens und der Lendenstärke der überwiegend männlichen Hereinspazierten sieht die Zukunft noch viel düsterer aus. 1945 war Deutschland zerstört, aber in den Köpfen der Deutschen war ein unbändiger Aufbau- und Leistungswillen. Heute stehen die Werke der alten weißen Männer noch da. Es sieht alles noch recht hübsch aus, aber die Köpfe der umgevolkten “Deutschen” sind lustlos und leer.

Gerhard Schmidt / 13.06.2023

Gut, dass es “Historische Musikwissenschaftlerinnen” wie Frau Binnig gibt - Man muss wohl so etwas Ausgefallenes beherrschen, um EU-Verlautbarungen “ins Menschliche übersetzen” zu können…

S. Andersson / 13.06.2023

Na wenn das mal nicht von Polit Genossen mit Bankster Freunden/ Investoren verfasst wurde. Sollte Habeck der Hilfsgehilfe C sein der das ganze jetzt nur noch vor tragen darf, dann darf der ganz sicher nicht mehr Wirtschaftsminister sein. Das der Michel immer noch die EU Nummer mit macht ist mir schleierhaft. Die AFD wird es freuen und die % Punkte werden steigen. Sollte auch nur ein Teil von dem umgesetzt werden (können) - “....Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Industrie und zur digitalen Transformation in der Automobilindustrie, im Gesundheitssektor sowie in der Verwaltung ...” - dann wird es einige sehr, sehr reich bzw noch reicher machen und die Masse hat die Ars….karte. Und nur als Anmerkung: Angriffskrieg von Russland .... das sollten Polit Genossen die älter als 18 sind wissen das es so nicht stattgefunden hat.

Nico Schmidt / 13.06.2023

Sehr geehrte Frau Binning, da stellt ein Haufen überbezahlter und unterbeschäftigter, teilweise korrupten, Politiker fest, was ich zu tun und zu lassen habe. Das ist das beste Deutschland aller Zeiten….... Mfg Nico Schmidt

Andreas Mertens / 13.06.2023

Meine persönliche Tube Senf: EWG Ja, EU Nein! Erstere war eine vernünftige Idee mit moderater Bürokratie, Letztere ist ein sozialistisches Monster das unbedingt auf ein gesundes Maß (EWG) zurückgeführt gehört.

A. Smentek / 13.06.2023

Es ist hohe Zeit für den D-Exit. Das Monster EU saugt uns aus und ruiniert uns mit seinen absurden Vorschriften. Schluss damit! RAUS AUS   D I E S E R UNSÄGLICHEN   E U !!!

Dr. Joachim Lucas / 13.06.2023

Die EU ist ein antidemokratisches, zentralistisches, planwirtschaftliches Monstrum mit Planungsvorgaben im luftleeren Raum. Diese am Reissbrett entworfenen utopischen Vorgaben haben nichts mit den Realitäten und Möglichkeiten der Menschen zu tun. Große Teile der Bevölkerung werden verarmen. Die Welt-und Klima"rettungspläne” sind der totale Blödsinn, ein einziger Ausdruck einer sektenhaften Religion. Es wird alles keinen Bestand haben. Der Kern und die Richtung dieser ganzen Wahnsinnsidee ist falsch und alles, was daraus folgt oder ständig korrigiert, nachjustiert, “verbessert” wird ebenfalls. Es ist ein ständiges Spiel über Bande, jeder schiebt am Ende den Murks auf den anderen. V.d.Leyen ist hierbei die schlimmste Treiberin und Zerstörerin, denn am Ende wird nur Zerstörung rauskommen und sicher keine Schumpetertsche schöpferische. Und die Welt lacht sich tot über diese EUdSSR.

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