Marei Bestek, Gastautorin / 11.02.2022 / 16:00 / Foto: Achgut.com / 116 / Seite ausdrucken

Die Demo der anderen

Wie jede Woche verlasse ich auch an diesem Montag pünktlich um viertel nach fünf meine Wohnung. Doch dieses Mal bin ich aufgeregter. Normalerweise würde ich jetzt an dem Montagsspaziergang meiner Heimatstadt teilnehmen, von der Lokalpresse auch gerne mal als Fackelzug“ bezeichnet. Die letzten „Fackelzüge“ waren in jedem Fall sehr eindrucksvoll und erfolgreich, sowohl die Anzahl der Teilnehmer als auch die Zustimmung am Straßenrand nehmen zu.

Offenbar zu erfolgreich, denn nach dem letzten Spaziergang kündigte sich ein Gegenprotest an. Ich habe mir an diesem Montagabend vorgenommen, mir die Kundgebung gegen Leerdenken und rechte Hetze“ anzuschauen. „Audiatur et altera pars“ – man höre auch die andere Seite. Als Redner wurden eine Superintendentin der Evangelischen Kirche und der Chefvirologe des Universitätsklinikums angekündigt.

Leicht verschämt schleiche ich also nun zur Gegendemonstration und sende ein kleines Stoßgebet gen Himmel, dass mich dort bloß niemand erkennt. Gleichzeitig hält mich die Phantasie bei Laune, mir mitten während der Kundgebung mit großer Geste die Maske vom Gesicht zu reißen und laut „Ich bin ungeimpft!“ zu brüllen. Was wohl passieren würde?

Als ich an der Kundgebung ankomme, zieht es mich direkt hinein. Normalerweise würde ich eher den Seitenrand wählen, aber heute möchte ich eintauchen in die Welt der Guten und Korrekten und hoffen, dass ihr Abglanz für einen kurzen Moment auch auf mich fallen wird. Hinter einer Gruppe Frauen bleibe ich schließlich stehen. Jede von ihnen hat ein Plakat in der Hand, auf dem geschrieben steht: „Omas gegen rechts“.

Wird die Gegendemonstration nun von Ungeimpften unterwandert?

Wir werden vom Veranstalter begrüßt und auf die Einhaltung der Abstände und das Tragen der Maske hingewiesen (FFP2-Pflicht). Die Mikrofone werden desinfiziert, ein Prozess, der sich an diesem Abend des Öfteren wiederholen wird, auch wenn alle Redner beim Sprechen ihre Maske anbehalten. Im ersten Redebeitrag werden wir darüber informiert, dass der Montagsspaziergang, wortwörtlich die „Coronaleugner-Szene“, zwar harmlos erscheint, sich aber zunehmend radikalisiert. Ich erfahre von Telegram-Gruppen, in denen man sich vernetzen und über Verschwörungstheorien austauschen würde. Und da Verschwörungstheorien immer ein antisemitisches Motiv als Grundlage haben, beginnt nun „die langsame, aber stetige Unterwanderung von rechts“. Der kritische und mündige Bürger scheint den rechten Mächten dabei wehrlos ausgeliefert zu sein. Dafür braucht es schon Organisationen wie diese hier, die uns – Gott sei Dank – immer wieder auf die Gefahr von rechts hinweisen. 

Ich frage mich, was die Veranstalter dazu sagen würden, dass ich – unsolidarisch, ungeimpft und voll „Nazi“ – heute an der Kundgebung teilnehme? Heißt das, dass die Gegendemonstration nun von Ungeimpften unterwandert wird? Und kann man daraus schlussfolgern, dass nun auch die Bündnisse gegen Rechtsextremismus ein Nazi-Problem haben, wenn ich als „Rechte“ zu ihren Veranstaltungen komme?

Gespannt war ich trotz meiner generell niedrigen Erwartungen an den Gegenprotest auf den Chefvirologen des Universitätsklinikums in Essen, Prof. Dr. Ulf Dittmer. Er lässt die rund 400 Teilnehmer zwar zu Beginn seiner Rede wissen, dass Wissenschaft vom Diskurs unterschiedlicher, auf Studien basierender Positionen lebe, um dann später zu erklären, dass sich 99 Prozent „der Wissenschaft“ bereits einig seien. Zu Anfang hätte man sich widersprochen, aber nun sei der Diskurs beendet, so sei Wissenschaft nun mal. „Fakten in Frage zu stellen, ist keine Diskussionsgrundlage“, sagt Professor Doktor Dittmer.

Es gäbe Experten, so Dittmer, die die Fakten nach bestem Wissen und Gewissen erarbeitet hätten, es würde keinen Sinn ergeben, wenn Politiker oder andere Menschen andere Meinungen oder alternative Fakten äußern würden. Und ich dachte, es sei eine der Hauptaufgaben der Wissenschaft, Fakten immer wieder in Frage zu stellen und zu revidieren. Dass ein relativ neuartiges Virus und ein kaum untersuchter, bedingt zugelassener Impfstoff das sogar verlangen. Dittmer glaubt, dass man solidarisch auf den Coronavirus reagieren müsse und die Dinge auch nur so lösen könne: Beim nächsten großen Problem, dem Klimawandel, müssten wir nicht mehr nur in Deutschland, sondern „weltweit solidarisch zusammenstehen.“

Die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Essen sagt auch was

Marion Greve, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Essen, sagt in ihrer Rede, dass wir Verantwortung füreinander übernehmen müssten, die wir nur wahrnehmen, wenn wir uns auch impfen lassen. In der Impfung erkenne sie sogar ihre Christenpflicht. Wer dieser nicht nachkomme, der gefährde nicht nur andere, sondern ignoriere vor allem die erschöpften Helfer und die Angst der an Corona erkrankten Menschen. „Wer sich einreiht und gemeinsame Sache macht mit Coronaleugnern, stellt unsere Demokratie in Frage. (...) Wer sich dort einreiht, denkt nicht genug an die Angehörigen, die ihren Partner, ihre Mutter oder ihren Vater oder sogar ihr Kind aufgrund einer Coronainfektion verloren haben.“

Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass Jesus jemals gesagt hätte: „Kommet her zu mir, alle, aber nur wenn ihr rein seid.“ Oder an die Gegenwart angepasst: „Aber nur, wenn ihr geimpft seid.“ War Jesus es nicht, der zu den Sündern, Zöllnern, Kranken, Stummen, Alten, Lahmen, Aussätzigen, Krüppeln, also den Ausgestoßenen der Gesellschaft gegangen ist?

Doch die Forderung nach Solidarität umschmeichelt die Eitelkeit des Zuhörers und erweckt in ihm den Wunsch, sich als guter Mensch präsentieren zu wollen. Gleichzeitig wird ihm mit den bösen, unsolidarischen Menschen ein Sündenbock vorgesetzt, gegen den er fortan all seinen Ärger richten kann. Wohl die perfekte Ausgangslage für die Prediger, die sich um keine Antworten oder Argumente mehr bemühen müssen: „(…) Wir sind diejenigen, die für Solidarität einstehen. Wir sind diejenigen, die sich in der Pandemie eingeschränkt haben, um andere nicht zu gefährden. Denn wir sind auch diejenigen, die darauf achten, dass unsere Demokratie nicht zu Grunde geht. (...) Und gerade deshalb wollen wir, dass der Fokus (…) auf unsere bislang schweigende Mehrheit gelenkt wird. Auf diejenigen, die täglich zu Hunderttausenden auf die Straße gehen und sich impfen lassen. Die ihre Maske tragen, die Abstände und Hygieneregeln einhalten. Denn sie sind es, die ihren Teil zur Beendigung der Pandemie beitragen.“

„Solidarität“, „Herausforderung“, „Coronaleugner“, „AfD“

Immerhin setzt sich Frau Greve für einen gemeinsamen Dialog zwischen Geimpften und Ungeimpften ein. Sie nennt als Beispiel die „Goldene Regel“ der Bibel (vgl. Matthäus 7,12) und betont, dass jeder die Möglichkeit haben solle, seine Meinung einzubringen. Genauso müssten wir lernen, Meinungen auszuhalten, denen wir widersprechen. „Deutlich entgegentreten muss ich allen, die andere diffamieren, Ängste schüren oder sogar zu Gewalt aufrufen. Über Ängste und Sorgen müssen wir gemeinsam reden – offen, fair und gewaltfrei, Geimpfte und Ungeimpfte.“ Ich höre eine einzige Person hinter mir energisch klatschen. Ich drehe mich um. Meine Mutter. Ansonsten: absolute Stille.

Geklatscht wird dafür an anderen Stellen. Beinahe mechanisch und in vollkommener Konformität reagieren die Teilnehmer der Kundgebung auf bestimmte Schlüsselwörter, als wären sie auf diese Phrasensprache konditioniert worden: „Solidarität“, „Herausforderung“, „Coronaleugner“, „AfD“ „Schwurbler“, Antirassismus“, „Querdenker“ „Ungeimpfte“, „Antisemitismus“ und „Weltoffenheit“.

Im letzten Redebeitrag erfahre ich dann: „Freiheit ist nur ein Feigenblatt für Egoismus. Denn Freiheit ohne Solidarität ist nichts anderes als Egoismus.“ Es wird den „Querdenkern“ außerdem vorgeworfen, dass sie sich nur als „Freiheitskämpfer inszenieren“ würden. Handelt es sich hier vielleicht einmal mehr um eine Projektion? Ist nicht vielmehr der ganze „Kampf gegen rechts“ eine riesige Inszenierung?

Zwar möchten die Teilnehmer und Veranstalter der Kundgebung „Zusammen gegen Leerdenken und rechte Hetze“ für Solidarität, Offenheit und Zusammenhalt eintreten, mit Symbolen und Schildern wie „Masken auf! Nazis raus!“, „Pandemie und trotzdem da, durchgeimpfte Antifa“, „Lasst euch nicht von Nazis vor den Karren spannen!“, „Querdenken ist Quatsch! Halte dein Gehirn sauber“ zeigen sie aber viel mehr ihre Freude am Verurteilen und Spalten. Mich erstaunt diese Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit. So fällt an diesem Abend beispielsweise der Satz, dass wir, die „Coronaleugner“, „buchstäblich auf den Gräbern von 117.000 Verstorbenen tanzen würden“. 

Am Ende bleibt der fromme Wunsch, trotz alledem zusammenzufinden und verstanden zu werden, bei gleichzeitiger Gewissheit, dass das nicht passieren wird. 

Marei Bestek ist Jahrgang 1990 und hat Medienkommunikation & Journalismus studiert.

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Leserpost

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Peter Wagner / 11.02.2022

Danke Marei, für den Mut ... ich wäre dort explodiert. Das ist genau der - sorry - verschissene und verlogene Diktaturstil der DDR, den ich genau wegen seiner Unfreiheit und grenzenloser Dämlichkeit gehasst und aktiv bekämpft habe. Auch jetzt werde ich mich allen Mitteln wehren, solchen ideologisch-idiotischen Mist mitzumachen, oder auch nur zu dulden. Dafür haben diese Spinner aber meine uneingeschränkte Verachtung.

Helmut Jäger / 11.02.2022

Die Fronten des kommenden Bürgerkrieges zeichnen sich nun immer klarer ab.

Günter H. Probst / 11.02.2022

Von einem, der sich zu einer von den Herrschenden einberufenen “Gegendemonstration” versammelt, ist nicht viel zu halten. Gefahr geht nur von den Hetzern, hier Wissenschaft und Kirche, und den Schlägerbanden der Antifa aus. Ich erinner mich immer mit Abscheu an den SPD-Bürgermeister, der in den 60ger Jahren in Berlin die Anständigen zu einer Senatsdemonstration gegen die aufmüpfigen Studenten aufrief. Wer die entscheidenden staatlichen Positionen besetzt, muß nicht demonstrieren lassen. Wer es tut, hetzt. Bei den Omas gegen Rechts fiel mir die Begegnung mit diesen bei einer Offenen Tür des Theaters ein. Ich fragte die Omas an ihrem Stand, wo der Stand der Omas gegen Links sei. Allein deren Mimik hat mich für ihren Un -Sinn entschädigt.

Okko tom Brok / 11.02.2022

Die “Mehrheit der Wissenschaftler” dachte auch einst, dass Galilei und Kopernikus quasi “Verschwörungstheoretiker” seien… Auch bei anderen bahnbrechenden Erkenntnissen oder Erfindungen ist Ähnliches überliefert. Schlimm finde ich, dass solches “Kreuzworträtsel-Wissen der 80er/90er Jahre” inzwischen revolutionär sein soll.

Eberhardt Feldhahn / 11.02.2022

„Beinahe mechanisch und in vollkommener Konformität reagieren die Teilnehmer der Kundgebung auf bestimmte Schlüsselwörter, als wären sie auf diese Phrasensprache konditioniert worden“ Was soll der Konjunktiv?

Paul Ehrlich / 11.02.2022

Wenn Mäuse verstehen würden, warum der Käse gratis ist.

Wilfried Cremer / 11.02.2022

Hallo Frau Bestek, vor knapp 80 Jahren war die Mehrheit der Gelehrten für die deutsche Wissenschaft und Mitglied in der richtigen Partei. Die Menschen haben sich nicht sehr geändert, außer dass die woke letzte Ölung heute noch dazugehört und subkutan gespendet wird.

Rolf Lindner / 11.02.2022

WIR, DIE DEMOKRATEN - Nur wir allein sind Demokraten, dröhnt es von den Impfparteien. Zu Widerworten wir nicht raten, wir werden die niemals verzeihen. - Sollt’ jemand and’rer Meinung sein, ob Corona und was auch immer, dem heizen wir gar mächtig ein, nennen ihn Nazi oder schlimmer. - Meist fehlt uns zwar ein Argument, Realität ist uns zuwider, ersetzen Fakten vehement durch Diffamierung immer wieder. - Stattdessen appellieren wir an etwas, was seit Jahrmillionen im Kopfe ist von jedem Tier, im Stammhirn, wo Gefühle wohnen. - Menschenverstand wir gar nicht mögen, den möchten wir total ersetzen, sollte der sich doch mal regen, wir die Gedankenschere wetzen. - Doch wir nicht nur Gedanken schneiden, gebraucht jemand ein falsches Wort, von dem wir uns sehr hurtig scheiden, nehmen ihm Amt und Würde fort. - Wehe dem, der widerspricht zeitgeistlichem Gedankengut, steht bald vor dem Moralgericht, wird Zielscheibe unserer Wut. - Das heißt, wir dulden keine Zweifel, was ein jeder muss einsehen, Freigeist ist für uns der Teufel, wie wir Demokratie verstehen.

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