Von Michael Kubina.
Vor genau 40 Jahren wurde über Polen das Kriegsrecht verhängt. Die SED-Führung fürchtete, dass eine erfolgreiche Freiheitsbewegung auch auf die von ihnen Regierten ansteckend wirken könnte und drängte auf ein Eingreifen. Doch auch der Westen fürchtete Unruhe im Osten.
Dass die SED-Führung die Entwicklung in ihrem östlichen Nachbar- und Bruderland nicht gerade mit Wohlwollen begleitete, dürfte kaum überraschen. Aber auch in der Bundesrepublik herrschte damals wenig Begeisterung darüber, dass in einem ost-mitteleuropäischen kommunistischen Staat die Machthaber von einem Bündnis von Arbeitern, Intellektuellen und katholischer Kirche massiv herausgefordert wurden. Die weltpolitische Lage war ohnehin schon auf das äußerste gespannt.
1975 erreichte der Entspannungsprozess mit der Schlussakte von Helsinki ihren Höhepunkt. Wie jedoch fast jeder historische Prozess, war auch dieser der Dialektik der Geschichte unterworfen. Die Wirkung der Schlussakte war durchaus zwiespältig. Einerseits zementierte die Schlussakte scheinbar den Status quo in Europa. Andererseits bot Helsinki mit dem sogenannten Korb III wichtige Bezugspunkte für die sich entwickelnde Menschen- und Bürgerrechtsbewegung im sowjetischen Machtbereich.
Auch die deutsch-deutschen Beziehungen machten in diesem Rahmen kleine Fortschritte. Die der SED-Führung abgerungenen "menschlichen Erleichterungen" zeigten aber politische Wirkungen, die zumindest seitens der SED nicht gewollt waren. Hier nur einige Stichworte für Entwicklungen, die nicht nur auf Helsinki zurückzuführen waren, aber doch in einem Zusammenhang mit dem Entspannungsprozess in Europa und auf deutsch-deutscher Ebene standen und für die sich verstärkenden gesellschaftlichen Widersprüche in der DDR stehen mögen: die Biermann-Ausbürgerung mitsamt ihren Folgen, die Selbstverbrennung von Pastor Brüsewitz aus Protest gegen die SED-Kirchenpolitik und die Haltung der eigenen Kirchenleitung, der sich formierende Widerstand gegen die Einführung des Wehrkundeunterrichts an den Schulen der DDR etc.
Solche und ähnliche Nebenwirkungen von Helsinki waren aber auch von der sozialliberalen Bundesregierung nicht angestrebt worden. Jedenfalls wurde nicht versucht, solche Entwicklungen zu forcieren. Die kommunistischen Diktatoren sollten zwar zur Gewährung "menschlicher Erleichterungen" ermuntert werden. Wir, der Westen, sind an Destabilisierung bei Euch aber überhaupt nicht interessiert, wurde dem Osten immer wieder signalisiert. Anfangs geschah dies sicherlich, um die unsicheren Ostblockführer zur Gewährung von mehr Freiheiten zu "ermutigen". Mit der Zeit mutierte aber das Mittel, nämlich die westliche Zusicherung von Sicherheit, um im Innern mehr Freiheiten zu ermöglichen, zum Ziel: Stabilität, um den Entspannungsprozess - was immer er auch bedeutete - auf keinen Fall ins Stocken kommen zu lassen. Jedenfalls war im Konzept der Ostpolitik nicht vorgesehen, dass die kommunistischen Diktaturen durch die ihre Unmündigkeit ablegende Bürger zu Zugeständnissen genötigt werden.
"Verhängnisvolle Fehleinschätzung"
1978, ein gutes Jahr nach der Biermann-Ausbürgerung, als sich in Zusammenhang mit der Einführung des Wehrkundeunterrichtes an allgemeinbildenden Schulen der DDR neues Unruhepotential bildete und eine unabhängige Friedensbewegung und Strukturen einer politischen Opposition sich zu entwickeln begannen, warnte Bundeskanzler Helmut Schmidt offen vor den Folgen einer solchen Entwicklung.
Man muss bei den im folgenden zitierten Ausführungen des Bundeskanzlers vor dem Bundestag sicherlich berücksichtigen, dass die Erinnerung an die sowjetische Intervention in der Tschechoslowakei 1968, die gewaltsame Niederschlagung des "Prager Frühlings", noch frisch war. Andererseits war der Entspannungsprozess zu dem Zeitpunkt weder von Afghanistan noch von Polen belastet. Schmidt führte damals aus, dass "eine schwere innere Krise in der DDR, auf die offenbar manche gerne spekulieren möchten, besonders in der Opposition [der Bundesrepublik, M.K.], [uns] der staatlichen Einheit unseres Volkes keinen Zentimeter näherbringt[ ...] Erwartungen einer krisenhaften inneren Entwicklung in der DDR, etwa mit der Folge eines politischen Umschwungs, entspringen einer verhängnisvollen Fehleinschätzung der dort bestehenden tatsächlichen Gegebenheiten und Machtverhältnisse. Niemand sollte die Opfer an Menschenleben vergessen, die eine derartige Fehleinschätzung schon gekostet hat." Gemeint waren ja von Schmidt wohl Prag 1968, Ungarn 1956 und der 17. Juni 1953 in der DDR. Wenn wir der Jahrestage dieser Aufstände gedenken, gedenken wir dann einer "Fehleinschätzung" oder des Mutes von Menschen, die für ihre Freiheit kämpften, auch unter Inkaufnahme von erheblichen Risiken für sie persönlich?
Schmidts Äußerungen lassen auch eine Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und Entspannungspolitik deutlich werden, die sich in den 80er Jahren noch verstärkte: Der Freiheitswert drohte immer mehr vom Sicherheitswert erdrückt zu werden, der damals als Friedenswert daher kam, wie er heute als Klimarettung oder Schutz vor „Corona“ daher kommt.
Das Zitat verweist auch auf ein allgemein menschliches Handycap, das allerdings bei Politikern zuweilen besonders folgenschwer sein kann: Der eigene, meist stark generationsspezifische, manchmal traumatisch wirkende Erfahrungshorizont wird nicht als subjektiver Faktor im historischen Prozess begriffen, sondern mutiert in der eigenen Vorstellung zum objektiv Gegebenen, wird Maßstab für das, was unter "Realismus" zu verstehen ist. Dieser vermeintliche Realismus führte in den achtziger Jahren dazu, dass von der bundesdeutschen Elite, vor allem der politischen und der intellektuellen und vor allem auch (aber nicht nur) der linken und sozialdemokratischen, die sich wandelnden Realitäten im kommunistischen Machtbereich kaum oder nicht richtig wahrgenommen werden konnten.
Verkennung der Realtitäten im Ostblock
Imponderabilien der Geschichte haben es an sich, dass man sie schwer ins Kalkül mit einbeziehen kann. Aber mit etwas mehr historischem Bewusstsein über die eigenen Generationserfahrungen hinaus und etwas mehr politischer Fantasie hätten allzu große Fehleinschätzungen wohl doch vermieden werden können. Hilfreich wäre sicherlich auch das Gespräch mit Oppositionellen im kommunistischen Machtbereich gewesen. Bundeskanzler Schmidt sagte in den neunziger Jahren vor der Enquete-Kommission des Bundestages, sein oppositioneller Gesprächspartner sei die evangelische Kirche gewesen. Die evangelische Kirche in der DDR kann sich viel zugute halten, zur Opposition in der DDR gehörte sie aber sicherlich nicht.
Bei den kommunistischen Führungen im Osten waren es der historische Determinismus des Marxismus-Leninismus und dessen unilineares Geschichtsbild, die die kommunistischen Machthaber daran hinderten, neue Subjekte im historischen Prozess zu erkennen. Im Westen war es der Jalta- bzw. Stabilitätsfetechismus, um es zugespitzt zu formulieren, der die Entwicklung von Neuem für undenkbar hielt bzw. als störend und "unrealistisch" begriff. Ein weiteres Moment war, dass bei vielen im linken Spektrum im Westen durchaus ein mehr oder weniger geschichtsphilosophisch überhöhtes Bild akzeptiert wurde, in dem die kommunistischen Staaten im Osten irgendwie eine höhere Stufe im Prozess des historischen Fortschritts darstellten. Die dortigen Regime wurden nur noch von wenigen als das gesehen, was sie waren: politische Diktaturen auf Zeit, Statthalter einer imperialistischen Großmacht.
Dass sich die Welt veränderte, die Verhältnisse im sowjetischen Imperium und in dessen Kern sich veränderten (ideologisch, ökonomisch), generationsspezifische historische Erfahrungen ihre prägende Kraft verloren und durch neue ersetzt wurden, dass eine junge Generation im Osten sich nicht mit dem Status als historische Objekte auf Lebenszeit abfinden wollte, dass sie immer mehr bereit sein würde, für die eigene Freiheit einen Preis zu zahlen, da ihnen die Kosten der Unfreiheit immer unerträglicher wurden und die (vermeintliche) Gegenleistung, die Sicherheit an Bedeutung verlor bzw. als selbstverständlich erfahren wurde, all dies war offenbar außerhalb des Vorstellungsvermögens eines Großteils der politischen und intellektuellen Elite in Deutschland. Um es kurz zu machen: Die Konflikte zwischen (Partei-)Staat und Gesellschaft im kommunistischen Machtbereich wurden nicht ernst genommen.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt doch wiederkehrende Muster. Die Basis für eine solche immer eklatanter werdende Verkennung der Realitäten im Ostblock und in der DDR seit den 60er Jahren wurde nicht zuletzt durch Wissenschaftler und Journalisten gelegt. Am Anfang waren es durchaus genuin wissenschaftliche Impulse, die einen Paradigmenwechsel in der DDR-Forschung notwendig erscheinen ließen - vom Totalitarismus-Konzept zur sogenannten systemimmanenten DDR-Forschung, die die DDR aus sich selbst heraus verstehen und an eigenen Maßstäben messen zu müssen glaubte. Der Mauerbau stand scheinbar für das endgültige Scheitern einer Politik der Stärke. Mit der sozialliberalen Ostpolitik kamen in den 70er Jahren starke Impulse aus der Politik hinzu, etwa für die richtige Richtung reichlich fließende Fördermittel aus dem innerdeutschen Ministerium oder eine stärkere Verflechtung von Politik und Medien. Exemplarisch sei hier Günter Gaus erwähnt, der vom Spiegel-Chefredakteur direkt ins Bundeskanzleramt wechselte und kurz darauf erster Leiter der Ständigen Vertretung Bonns in der DDR wurde.
Allerdings gab es stets auch andere Stimmen, nur wurde auf sie im Laufe der 70er und vor allem 80er Jahre immer weniger gehört. Für Schmidt war Honecker jemand, der sich ein "Gefühl für die Nöte der Menschen bewahrt hatte", der im Rahmen seiner Möglichkeiten zu einer vernünftigen Politik bereit war. Der neue katholische Bischof von Berlin, Joachim Meissner, hatte da mit seinen, wie es schien vorurteilshaften bzw. antiquierten Vorstellungen keine Chance. Er stufte Honecker im Juni 1981 in einem Gespräch mit Schmidt "vor allem als einen Erfüllungsgehilfen des sowjetischen Imperialismus" ein. Der Bundeskanzler hielt dem Bischof aus dem Osten im Gespräch entgegen, dass nach seiner Einschätzung Honecker "auf dem Fundament seiner Ideologie und im Rahmen seiner Abhängigkeit von Moskau um eine 'gute Regierung' bemüht sei." Als von Honecker so gut regierter Bürger hatte Meissner in Schmidts Augen wahrscheinlich inzwischen die richtigen Maßstäbe verloren und neigte daher zu solchen, wie Schmidt meinte, „Fehleinschätzungen“.
Deutsch-deutsche Absagen
In beiden deutschen Staaten war man, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, in dieser Zeit bemüht, die innerdeutschen Beziehungen aus den wachsenden internationalen Spannungen möglichst herauszuhalten. Honecker hatte dabei ganz handfeste Interessen. Er brauchte eine deutsch-deutsche „Sonderentspannung", um seine Volkswirtschaft am Leben zu halten. Sein angeblich zu den zehn stärksten Industriestaaten zählendes Land war wirtschaftlich kurz vor dem Kollaps. Um die Wirtschaft seiner "Schutzmacht" Sowjetunion stand es noch schlechter.
Ein für Februar/März 1980 von Honecker einen Tag nach dem NATO-Doppelbeschluss angekündigtes Treffen mit Schmidt in der DDR musste wegen des Vetos aus Moskau von Honecker bald wieder abgesagt werden. Ein Treffen Honecker-Schmidt könne als Versuch der Isolierung der Sowjetunion missverstanden werden, hieß es aus Moskau. Im Sommer 1980 besuchten Bundeskanzler Schmidt und Außenminister Genscher Breschnew. Zwar blieb der Besuch relativ folgenlos, er machte jedoch den Weg frei für einen Besuch Schmidts in der DDR. Das Treffen sollte noch im selben Jahr am 28. und 29. August stattfinden, und zwar in einem ostdeutschen Ostseebad. Bereits bis ins Detail vorbereitet, kam nun aber die Entwicklung in Polen Honecker und Schmidt in die Quere.
Das "West-Fernsehen" schickte Abend für Abend die Bilder von den bestreikten Werften an der polnischen Ostseeküste in die DDR-Wohnstuben. Honecker befürchtete jetzt offenbar ein Übergreifen der Streikwelle auf die ostdeutschen Ostseestädte, möglicherweise noch forciert durch innerdeutsche Hoffnungen, ausgelöst durch einen Besuch des westdeutschen Kanzlers in der DDR. Er wollte jetzt das Treffen nicht mehr, wie verabredet, in einem Ostseebad stattfinden lassen, sondern abgeschirmt im märkischen Wald, am Werbellinsee.
Schmidt wollte sich dem nicht beugen. Vor allem wurde aber auch ihm die Sache jetzt zu heiß. Im Oktober stand die Wahl eines neuen Bundestages an und der Westen sah immer deutlicher die Gefahr einer sowjetischen Intervention in Polen aufkommen. Ein großangelegtes Manöver des Warschauer Paktes in der DDR und an der Ostsseeküste war zwar lange vorher geplant, wurde jetzt aber als Drohung gegen Polen inszeniert. Es bestand die reale Gefahr, dass, während Schmidt als Gast Honeckers in der DDR war, die Truppen des Warschauer Paktes in Polen einmarschieren würden, auch von deutschem Boden aus und auch mit deutschen Soldaten. Der in einem solchen Fall unumgängliche Abbruch des Besuchs durch Schmidt hätte die deutsch-deutschen Beziehungen wahrscheinlich um Jahre zurückgeworfen, ganz zu schweigen von den Folgen einer solchen Intervention für die weltpolitische Lage. Am 22. August, also knapp eine Woche vor dem geplanten Treffen, rief Schmidt Honecker an und sagte den Besuch ab.
Abgrenzung nach West und Ost
Die sozialliberale Koalition konnte am 5. Oktober ihre Mehrheit in den Bundestagswahlen ausbauen. Noch am Wahlabend verfasste Schmidt eine Botschaft an Honecker. Bonns Ständiger Vertreter in Ost-Berlin, Günter Gaus, überbrachte sie am nächsten Tag: Auch die neue Bundesregierung werde die "Bemühungen um den Ausbau bilateraler Beziehungen aktiv fortsetzen und weiterhin Vereinbarungen anstreben, die für die Menschen in beiden deutschen Staaten nützlich sind." Ein Treffen könne kurzfristig vorbereitet werden.
Doch in Ost-Berlin waren nun in enger Abstimmung mit Moskau schon Wochen zuvor die Weichen in Richtung einer verschärften "Abgrenzungspolitik" gefallen. Nur die Bundestagswahlen sollten noch abgewartet und der sozialdemokratische Wahlsieg nicht gefährdet werden. Vier Tage nach der Wahl erhöhte Ostberlin den Zwangsumtausch für Besucher aus dem Westen drastisch. Wenige Tage darauf forderte Honecker in einer Grundsatzrede in Gera faktisch die Revision des Grundlagenvertrages als Voraussetzung für Fortschritte in den deutsch-deutschen Beziehungen. Die Problemfelder waren nicht neu. Neu war aber, dass ihre Lösung zur conditio sine qua non erhoben wurde. Gleichzeitig wurden die Möglichkeiten der Berichterstattung westlicher Journalisten aus der DDR stark eingeschränkt. Hiermit waren, soweit es in den Händen der SED-Führung lag, die Rahmenbedingungen für die deutsch-deutschen Beziehungen für die nächsten Monate gesetzt.
Doch Honecker betrieb "Abgrenzung" nicht nur gen Westen. Gegen den Einspruch des polnischen Nachbarn wurde der pass- und visafreie Reiseverkehr mit Polen abgeschafft. Die Reiseerleichterungen hatte Honecker neun Jahre zuvor mit dem polnischen Parteichef Edward Gierek vereinbart. Sie sollten damals ein Zeichen für die neue Qualität der Beziehungen zwischen beiden Ländern setzen. Das, wie es jetzt euphemistisch hieß, "zeitweilige Aussetzen" der Reisefreiheit setzte aber faktisch den Schlusspunkt unter die Bemühungen, zwischen Polen und der DDR eine ähnliche, auch von der Bevölkerung getragene Aussöhnung wie etwa zwischen der Bundesrepublik und Frankreich, herbeizuführen. Die Reisebeschränkungen wurden bis zum Ende der SED-Herrschaft nicht mehr aufgehoben. Ein noch im Frühjahr des Jahres mit Polen unterzeichneter "Vertrag über die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit" kam in der Praxis nicht mehr zum Tragen.
"Die Meinung, man müsse 'polnisch lernen', bestehe nicht."
Als flankierende Maßnahme zur inneren Sicherheit galt es aus Sicht der SED-Führung, die Loyalität der Kirche in der DDR sicherzustellen. Die Führung des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK), insbesondere der leitende Bischof Schönherr und der Sekretär des BEK, Manfred Stolpe, kamen der entsprechenden Aufforderung der SED sofort nach. Schon Mitte September 1980 konnte das MfS unter Berufung auf den IMB "Sekretär" melden, alle leitenden Personen in der evangelischen Kirche in der DDR seien übereinstimmend der Meinung, dass "man sich diese polnische Jacke nicht anziehen wird". Stolpe habe die Bischöfe in "individuellen Gesprächen vor Leuten aus dem kirchlichen Raum [gewarnt], die als ständige Nörgler bekannt sind und keine Gelegenheit auslassen, ihre Antihaltung zu politischen und gesellschaftlichen Fragen zu artikulieren". Die Kirche wolle sich "den derzeitigen Stand der Beziehungen zwischen Staat und Kirche [...] nicht kaputt machen lassen". Ähnlich äußerte sich Bischof Schönherr im Oktober gegenüber dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Gysi. Am 15. Dezember 1980 schließlich versicherte Stolpe dem Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK, Rudi Bellmann, nochmals ausdrücklich, die "evangelische Kirche werde sich durch niemanden in die Rolle einer politischen Opposition drängen lassen". Mitverantwortung könne von der Kirche "nur im Interesse der inneren Stabilisierung der DDR verstanden und praktiziert werden". Zu Polen hätten sich die Bischöfe eine klare Position erarbeitet. Das wichtigste, was Stolpe in diesem Zusammenhang nach der Information von Bellmann zu melden wusste, war die Position der Bischöfe zur Frage kirchlicher Reaktionen auf eine eventuelle militärische Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in Polen: "Probleme in der Kirche wären unvermeidbar, wenn die NVA militärisch eingreifen müsse. Es sei ein Unterschied, wenn so etwas von Seiten der Sowjetunion geschehe oder von der DDR." Wir erinnern uns, Bundeskanzler Schmidt sah in der evangelischen Kirche seine „oppositionellen Gesprächspartner“.
Fortsetzung folgt
Teil 1 finden Sie hier.
Dr. Michael Kubina, Jahrgang 1958, Studium der Theologie in Ost-Berlin sowie der Ost- und Südosteuropäischen Geschichte, Politikwissenschaft und Slawistik an der Freien Universität in West-Berlin.