Gastautor / 19.04.2020 / 15:00 / Foto: Gerd Ehlerman / 18 / Seite ausdrucken

Deutschlands doppelbödige EU-Haftungspolitik

Von Justyna Schulz.

Das Finanzministertreffen am 9. April 2020 ist aus Sicht Deutschlands erfolgreich zu Ende gegangen. Man hat einem enormen moralischen Druck standgehalten, der vor allem seitens der südeuropäischen Länder in der gesamteuropäischen Öffentlichkeit aufgebaut wurde. Die gemeinsame Emission von Eurobonds wurde zunächst abgewehrt. Alle Hilfsmaßnahmen erfolgen in Form von Krediten, wodurch das in der deutschen Debatte vielbeschworene Prinzip der Einheit von Handlung und Haftung gewahrt wurde. Diese Lösung hätte man bereits am 26. März haben können, wären nicht die Illusionen vor allem seitens des italienischen Premiers Giuseppe Conte gewesen, Deutschland doch noch bezüglich der Corona-Bonds umstimmen zu können. Denn am Ende werde es doch sowieso auf Kredithilfen von ESM hinauslaufen, soll Angela Merkel laut ARD-Berichterstattung dem Premier Giuseppe Conte beim Verlassen des Raumes noch im März zugeflüstert haben.   

Offen bleibt die Frage, ob die beschlossenen Kredithilfen nicht ein Gift für die bereits stark verschuldeten südeuropäischen Länder sein werden, die um ihre Schuldentragfähigkeit bangen müssen. Eine vergleichbare, wenn auch anders gelagerte Sorge bewegte auch die deutschen Geschäftsbanken, als sie die bis zu 90 Prozent durch die staatliche Förderbank KfW abgesicherten Unternehmenskredite nur sehr zögerlich vergeben haben. Das restliche zehnprozentige Ausfallsrisiko war ihnen doch zu groß. Daraufhin hat die Bundesregierung schnell reagiert und bei der EU-Kommission die Erlaubnis erwirkt, eine 100 Prozent staatliche Haftung für diese Kredite übernehmen zu dürfen. Mit anderen Worten haften nun deutsche Steuerzahler gesamtschuldnerisch zu 100 Prozent für Kreditverträge, die zwischen Geschäftsbanken und Unternehmen abgeschlossen werden.   

Es gibt rationale Gründe dafür, warum man in dieser Ausnahmesituation von der Regel abweicht, dass Haftung und Handlung Hand in Hand gehen sollten. Umso weniger verständlich ist aber das Beharren Deutschlands auf diesem Prinzip in Bezug auf die hochverschuldeten südeuropäischen Länder, die man in Kredite zwingt, ohne einen Beistand bei der Haftung leisten zu wollen. Wie Giuseppe Conte in zahlreichen Auftritten in den deutschen Medien nicht müde wurde zuzusichern, geht es bei den Corona-Bonds ja letztendlich nicht darum, dass zusätzliches Geld nach Italien fließt oder gar eine gemeinsame Tilgung alter Schulden geschehen soll, sondern darum, einen Beistand bei der Haftung zu leisten, damit die betroffenen Länder ihre finanzielle Glaubwürdigkeit nicht verlieren, wenn sie ihre Unternehmen stützen wollen. 

Durch die Hintertür die Ideen seiner nationalen Industriestrategie

Eurobonds-Gegner werfen den Südländern vor, dass sie die Krise ausnutzen, um die alten Ideen der gemeinsamen Schuldenhaftung zu realisieren. In welchem Maße die Idee der Corona-Bonds tatsächlich ein Kalkül oder vielmehr Ausdruck einer Notlage ist, ist schwer abzuschätzen. Immerhin wurde auch vorgeschlagen, die Emission zeitlich beschränkt und zielgerichtet zu gestalten.  

Zugleich muss man aber den Eindruck gewinnen, dass auch Deutschland die Coronakrise durchaus ausnutzt, um durch die Hintertür die Ideen seiner nationalen Industriestrategie in die Praxis umzusetzen. Dieses Konzept der aktiven Unterstützung des Staates für die nationalen Unternehmen, das mehr dem französischen Dirigismus als der ordo-liberalen Steuerungspolitik ähnelt, birgt große Gefahren für den europäischen Binnenmarkt. Betrachtet man die Fiskalkapazität einzelner Länder, die sowohl für die Fähigkeit entscheidend ist, EU-Hilfskredite in Anspruch zu nehmen als auch einen Schutz und Garantien für die heimischen Unternehmen anzubieten, sieht man, zu welchen Wettbewerbsverwerfungen es kommt, wenn jedes Land nach eigener Fiskalkraft Beihilfen leisten darf. Es ist fraglich, ob nach der Krise weiterhin eine breite gesellschaftliche Akzeptanz bestehen wird, wenn die durch staatliche Hilfen aufgepäppelten deutschen Firmen die Marktanteile ihrer europäischen Konkurrenten übernehmen. Auf jeden Fall wird es schwer, zu argumentieren, dass die Stärke der deutschen Unternehmen ihrer Marktwettbewerbsfähigkeit zu verdanken sei.  

Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass die staatlich garantierten Kredite für die, die deutschen Geschäftsbanken nicht einmal 10 Prozent des Ausfallsrisikos übernehmen wollten, nun im Rahmen des am 17. März 2020 beschlossenen Ankaufsprogramm auch als Sicherheiten bei der Europäischen Zentralbank akzeptiert werden, wird ersichtlich, wie stark das Prinzip der Haftung als ökonomisches Steuerungsprinzip in der Tat gefährdet ist. 

Bundesverfassungsgericht: Am 5. Mai 2020 wird es spannend

Mit Spannung ist daher das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, das am 5. Mai 2020 über die Verfassungsbeschwerden bezüglich der Haftung bei den EZB-Anleihekäufen entscheiden soll. Die Kläger haben moniert, dass die EZB-Anleihekäufe zum einen eine vertraglich verbotene Staatsfinanzierung und zum anderen eine Ermächtigung gegenüber dem Hoheitsrecht des Bundestages, über die Verwendung des Haushalts zu entscheiden, darstellten. Der Europäische Gerichtshof hat im Dezember 2018 dem Vorwurf der Staatsfinanzierung widersprochen, und zwar mit dem Verweis auf die im Ankaufsprogramm eingebauten Haftungsbarrieren.

Gerade diese Barrieren wurden aber in dem durch die Europäische Zentralbank am 17. März 2020 gestarteten und 750 Milliarden Euro schweren Ankaufsprogramm eliminiert. So gilt bei diesem Anleiheankauf kein Kapitalschlüssel mehr, der laut der damaligen Begründung des Europäischen Gerichtshofs als objektives und von der Wirtschaftslage unabhängiges Kriterium für die Verteilung der Anleihekäufe auf einzelne Länder gemäß ihrer Haftung für das Gesamtsystem verwendet wurde. Man hat auch die 33-Prozent-Grenze für das Halten von Wertpapieren einer einzelnen Emission aufgehoben sowie die Qualitätsanforderungen an Sicherheiten gesenkt. Wenn der Klage stattgeben würde, müsste die Bundesbank das Urteil in der Ausübung ihrer Geldpolitik berücksichtigen, was schwer zu schätzende Folgen für den gesamten Euroraum hätte.  

Das Einstehen für die klaren Haftungsregeln ist rühmlich, zumal die Bundesrepublik damit gute Erfahrungen seit dem Zweiten Weltkrieg gemacht hat. Nur dann auf Prinzipienfestigkeit zu beharren, wenn es anderen weh tut, ist scheinheilig und zersetzend für jede Gemeinschaft. 

 

Dr. Justyna Schulz, promoviert in den Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen, seit 2017 Leiterin des West-Instituts in Poznań, einem Think-tank mit Schwerpunkt deutsche und europäische Politik.

Foto: Gerd Ehlerman

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Reinhart Max / 19.04.2020

Aus dem Artikel werde ich nicht Schlau ? Sind sie jetzt für oder gegen Coronabonds ? Für mich liest sich der Artikel wie ein lavieren zwischen beiden Seiten, ja eigentlich wäre sie gut, aber anderseits ist es auch wieder nicht gut und eigentlich sollten wir den Süden helfen, aber anderseit besteht die Gefahr gemeinsamer Schulden, aber einerseits machen wir das ja bei den eigenen Firmen, die ja eigentlich sowieso eher europäische Firmen sind. (Was für mich allerdings bedeuten würde, wenn eine “Deutsche” Firma in Deutschland einen Kredit bekommt. Wo steht geschrieben, das sie den in der deutschen Niederlassung investiert und nicht im rentableren, billigeren Polnischen Werk ?? Oder Asiatischen oder Amerikanischen Werk ? Ist da ein Riegel vorgeschoben ? Die Frage stellt irgendwie keiner ? Und bei unseren Politikleuchten hab ich da so meine Zweifel und damit haben wir doch eigentlich eh schon Weltweite Wirtschaftscoronabonds, nur die Staaten können eben nicht direkt kassieren.)

Steffen Huebner / 19.04.2020

Nichts gegen Solidarität… endlich mehr Solidarität der wohlhabenden EU- Staaten - insbesonder im EuroSystem - mit den bettelarmen ausgepressten Steuerdeutschen (siehe EZB- Vermögens- Studie) und deren flaschensammelnden Altersrentnern in Deutschland. Schickt wenigstens eure leeren Rotweinflaschen nach Deutschland!

Arthur Dent / 19.04.2020

“Umso weniger verständlich ist aber das Beharren Deutschlands auf diesem Prinzip in Bezug auf die hochverschuldeten südeuropäischen Länder, die man in Kredite zwingt, ohne einen Beistand bei der Haftung leisten zu wollen” a) Deutschland ist nicht schuld an der hohen Verschuldung südeuropäischen Länder, das haben die ganz allein geschafft b) Man (Deutschland) zwingt sie nicht in Kredite. Dies kann man nur so sehen, wenn die Alternative die Übernahme bzw. der Erlass der Schulden heißen soll. Doch da sind wir wieder bei Punkt a) c) Bei alledem wird Target2 vergessen. Deutschlands Exportüberschuss wird doch seit vielen Jahren nicht bezahlt, sondern angeschrieben.

Winfried Jäger / 19.04.2020

Man kann durchaus geteilter Meinung sein, ob es richtig ist, daß der deutsche Steuerzahler für Kredite von Banken an deutsche Unternehmen bürgt. Geradezu abenteuerlich ist es aber vom deutschen Steuerzahler deswegen zu verlangen, daß er daher auch noch für ausländische Staatskredite bürgen soll, auf deren Verwendung er keinerlei Einfluß hat. Wenn sich die Sozialisten im Club Med zu einer Agenda 2030 durchringen könnten, wären sie wesentlich kreditwürdiger. Man kann und soll sie nicht dazu zwingen, aber ein weiter wurschteln auf Kosten der deutschen Steuerzahler darf es nicht geben.

Gerhard Rachor / 19.04.2020

„Alles Geschwafel von Solidarität, Gemeinsamkeit, Hilfe in Notzeiten, Schlimmeres verhüten: nutzt nix. Wer in ein Gläubigerverhältnis mit einem Schuldner tritt, über dessen Umgang mit Geld er keinerlei Kontrolle hat, ist mit dem Klammerbeutel gepudert.“ (René Zeyer hier auf Achgut). Dieser Aussage ist nichts hinzuzufügen! Deshalb wird es in der EU auch keIne gemeinsame Haftung ohne Kontrolle des Schuldners geben, wenn überhaupt. Die Kontrolle wird an Brüssel abgegeben. Mit den Coronabonds verliert Italien seine Selbständigkeit. Das sieht auch die Lega so und hat im Europäischen Parlament gegen die Bonds gestimmt.

Silas Loy / 19.04.2020

Es gilt in der EU nach wie vor auch das Prinzip der Subsidarität, also der eigenen Verantwortung. Die Subsidarität ist unverzichtbarer Teil des Souveränitätsanspruchs gerade auch der Italiener und Franzosen bei ihren Entscheidungen. Und schon die Subsidarität schliesst eine gemeinsame Haftung aus, weil sie keine gemeinsame Entscheidung zur Voraussetzung hat.  Im Übrigen gelten eben immer die zwei einfachen Regeln: Risiko und Haftung gehören in eine Hand und verschiedene Hände können keine gemeinsame Haftung haben. Nicht einmal in der Bundesrepublik Deutschland (mit ihrem ansonsten schon fragwürdigen Länderfinanzausgleich) gibt es gemeinsame Anleihen der Bundesländer. Es gibt auch keine gemeinsamen Anleihen von Ländern und Bund. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat man solche Gemeinschaftsanleihen der Bundesstaaten im Neunzehnten Jahrhundert mal ausprobiert und dieses Experiment nach einem schweren Desaster gleich wieder beendet. Die EU ist aber nicht einmal ein Bundestaat, sondern lediglich ein Staatenbund, eine Vertragsunion, in der die Verträge mit Füssen getreten werden. Deshalb sind die Forderungen aus Rom und auch aus Paris nicht nur würde- und schamlos, sondern auch höchst unprofessionell. Man darf die Autorin Schulz hier zudem fragen, wer denn in der EU eigentlich in der Vergangenheit solch eine Riesenleistung wie die Wiedervereinigung ganz allein hat schultern müssen? Italien oder Frankreich? Und wie ist es um die Vermögen der privaten Haushalte bestellt, in Deutschland, Italien und Frankreich? Wie sieht der Vergleich aus bei Renten und Lebensarbeitszeit? Und ist eigentlich die mangelnde Wettberwerbsfähigkeit gewisser Länder eher ein Vorteil für die deutsche oder für die chinesische Exportwirtschaft? Mehr Kenntnisse und weniger Moralismus, bitte sehr!

Jakob Mendel / 19.04.2020

„Mit anderen Worten haften nun deutsche Steuerzahler gesamtschuldnerisch zu 100 Prozent für Kreditverträge, die zwischen Geschäftsbanken und Unternehmen abgeschlossen werden. Es gibt rationale Gründe dafür, warum man in dieser Ausnahmesituation von der Regel abweicht, dass Haftung und Handlung Hand in Hand gehen sollten. Umso weniger verständlich ist aber das Beharren Deutschlands auf diesem Prinzip in Bezug auf die hochverschuldeten südeuropäischen Länder, die man in Kredite zwingt, ohne einen Beistand bei der Haftung leisten zu wollen.“ Das Beharren Deutschlands auf diesem Prinzip ist – hier sachdienlich kurz dargestellt – leicht zu verstehen: 1. Deutsche Geschäftsbanken und Unternehmen zahlen in Deutschland die Steuern, aus denen die Kreditausfälle anderer deutsche Geschäftsbanken und Unternehmen finanziert werden. 2. Deutsche Geschäftsbanken und Unternehmen beschäftigen in Deutschland die Arbeitnehmer, von deren Steuern die genannten Kreditausfälle finanziert werden.

Bernhard Idler / 19.04.2020

“Es ist fraglich, ob nach der Krise weiterhin eine breite gesellschaftliche Akzeptanz bestehen wird, wenn die durch staatliche Hilfen aufgepäppelten deutschen Firmen die Marktanteile ihrer europäischen Konkurrenten übernehmen. Auf jeden Fall wird es schwer, zu argumentieren, dass die Stärke der deutschen Unternehmen ihrer Marktwettbewerbsfähigkeit zu verdanken sei.” Danke für diesen Einblick in das EU-Denken. So verquer könnte man sich das gar nicht ausdenken. Mit solchen Strategen am Werk haben kluge Unternehmer ein Standbein außerhalb der EU und einen Exit-Plan. Am besten alle haftenden Steuerpflichtigen der Nettozahler.

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