Dirk Maxeiner / 29.12.2019 / 06:29 / Foto: Tim Maxeiner / 127 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Mercedes baut den teuersten Scherzartikel der Welt

Jeder hält sich ja für ein besonders helles Köpfchen. Ich natürlich auch, aber die Lebenserfahrung gemahnt mich zur Vorsicht. Ich habe mir deshalb im Eineuroshop eine warme Pudelmütze gekauft, die an der Stirn eine LED-Lampe trägt. Beim nächsten Blackout ziehe ich die im Bett an und kann dann nachts die Toilette finden, ohne mir sämtliche Knochen zu brechen. So etwas nennt man Fortschritt (ich meine jetzt meine Notbeleuchtung und nicht den Blackout). Die hübschen Mützchen kosten gerade mal fünf Euro und empfehlen sich übrigens auch als Dienstkleidung für die Spitzenkräfte der deutschen Autoindustrie, steuerlich absetzbar und am besten mit aufgesticktem Markenemblem.

Ein Blackout kann ja bekanntlich nicht nur durch den Ausfall von Kraftwerken entstehen, sondern auch durch die Fehlschaltung sämtlicher Synapsen, die das menschliche Oberstübchen zu bieten hat. Helmut Kohl beispielsweise widerfuhr 1986 ein solcher Blackout. Die "plötzliche vorübergehende Bewußtseinstrübung" führte zu gewissen Erinnerungslücken in der seinerzeitigen Parteispendenaffäre. Während Kohl der Blackout noch als individuelles Schicksal traf, tritt der nun als kollektives Phänomen auf, aktuell im Großraum Stuttgart, wo Mercedes seine Zentrale hat. Die Amnesie trifft das Unternehmen hart, denn man hat vergessen, wofür Autos eigentlich da sind. Während die Kundschaft in erster Linie damit fahren will, ist Mercedes der Ansicht, man müsse eine politische Botschaft transportieren.

Dafür schreibt man in Stuttgart ein neues Kapitel in dem Buch „Erfindungen, die kein Mensch braucht“ (außer Angela Merkel und die ihren). Die Erfinder des Autos haben einen grünen Seelentransporter namens EQC auf den Markt gebracht, den „Mercedes unter den Elektrischen“. Die Seelenreise sollte allerdings 200 Kilometer nicht überschreiten, dazu aber später. Seelenreisen sind ja in einigen Weltreligionen durchaus üblich, manchmal reisen Schamanen in ferne Gegenden und Geisterwelten und teilen danach wichtige Dinge mit, die für den normalen Menschen unerreichbar sind. 

Entfernte Geisterwelten

So versetzt der neue EQC die Mercedes-Werbetexter sogleich in Himmelfahrtslaune, denn noch nie wurde ein Mercedes so heilsbringend angepriesen: „Die Zukunft fährt elektrisch. Und ab jetzt Mercedes. Null lokale Emissionen, 100 % Fahrspaß... starten Sie mit dem neuen EQC in ein faszinierend neues Erlebnis von elektrischem Fahren“. Und gaaanz wichtig: „Viele Zierelemente, Polstermaterialien und Farben wurden exklusiv für den EQC entwickelt und unterstreichen seine Einzigartigkeit“. Das erinnert mich an eine großartige Vermarktungsidee der chemischen Industrie. Die beschloss seinerzeit, Chlorabfälle mit Duftspendern zu versehen und als sogenannte Toilettensteine zu vertreiben – und dafür auch noch Geld zu verlangen. 

Aber zurück zum Mercedes EQC, dem mit dem Duft von Sonnenblumen und Weihrauch. Nando Sommerfeldt, Redakteur bei DIE WELT, packte seine Familie in einen EQC-Testwagen und fuhr einfach los, allerdings ohne sich vorher vom Schamanen einweisen zu lassen. Nach zwei Tagen war er kuriert: „So wird Mercedes keinen einzigen skeptischen deutschen Autofahrer von Elektromobilität überzeugen“. 

Was war geschehen? Etwas im Prinzip sehr Schlichtes: Eine Autobahnfahrt über 180 Kilometer.

„Ich stelle das Auto am Abend bei vier Grad ab, während die Batterie noch zu 97 Prozent gefüllt ist“, schreibt der Tester, „als Reichweite werden mir 315 Kilometer angezeigt – am nächsten Morgen, es sind zwei Grad, liegt sie bei 309 Kilometern... auf dem Weg zum Ziel gibt es keine echte Möglichkeit zum Nachladen, der Reichweiten-Puffer beträgt laut Anzeige beim Start 123 Kilometer. 303 minus 180. Das sollte die Familie einigermaßen beruhigen“.

„Müssen wir wirklich so schleichen?“

Den Versuch, mit Tempo 150 zu fahren, bricht er nach wenigen Minuten ab: „Denn dabei sinkt die Reichweite so rapide, dass wir niemals am Ziel ankommen würden. Für jeden tatsächlich gefahrenen Kilometer verliert das Auto mindestens zwei Kilometer an Reichweite. Die ‚Parität‘ erreiche ich bei etwa 105 km/h“. Und das war gar nicht lustig: „Sogar meine Frau fragt immer wieder nach, ob wir wirklich so schleichen müssen“. 

In einem Gewerbegebiet lädt er die Batterie dann innerhalb von 43 Minuten von 16 auf 54 Prozent auf. Die theoretische Restreichweite steigt von 45 auf 179 Kilometer. Für die nächsten 50 Prozent würden noch knapp zwei Stunden benötigt. „Am Ziel suche ich mir eine klassische Hausstrom-Steckdose“, schreibt Sommerfeldt, „in etwa 24 Stunden wird das Auto bereit für die Rücktour sein. Ohne die Vorarbeit der Ladesäule im Gewerbegebiet hätte ein voller Ladezyklus ganze 41 Stunden gedauert“.

Das Fazit des Testers: „Wenn der technologische Primus nach extra langer Vorbereitungsphase endlich mit seiner E-Premiere aufwartet – dann müssen dabei Fortschritte entstehen. Schon Stagnation bedeutet Enttäuschung. Und der EQC liefert maximal Stagnation.“ Das ist sehr rücksichtsvoll ausgedrückt, Sommerfeldt will die zarten Stuttgarter Seelen bei ihrer Wanderung ins Nirvana offensichtlich nicht allzu sehr stören. 

Wie eine chinesische LED-Kerze

Es handelt sich hier nämlich nicht um Stagnation, sondern um den blanken Rückschritt. Man suche den nächsten Gebrauchtwagen-Höker an der Ecke auf und kaufe sich einen 20 Jahre alten Mercedes C 220 Diesel, Kostenpunkt um 2.000 Euro. Das Ding hat 170 PS, fährt, wenn‘s sein muss, Tempo 200, vor allem aber sehr weit. 1.100 Kilometer Reichweite sind allemal drin, bei Richtgeschwindigkeit schluckt er nicht mehr als sechseinhalb Liter. Das war vor 20 Jahren. Und was ist in 20 Jahren? Dann werden an den EQC allenfalls noch die giftigen Bestandteile seiner Batterie erinnern, als Exportgut nach Afrika oder Strandgut an den Ufern des Ganges.

Das Ganze ballt sich aber jetzt schon zu einer Image-Katastrophe, vergleichbar in etwa der 1997 beim Elchtest umkippenden Mercedes-A-Klasse, respektive der Niederlage von Napoleon bei Waterloo. Da kommt man also mit einem fast 100.000 Euro teuren Mercedes mit knapper Not 180 Kilometer weit (offizielle Reichweite „bis zu“ 450 Kilometern), bedrängt von moldawischen Bananenlastern und genervt von den Kindern, die auf den Rücksitzen nach Haferschleim rufen und endlich ankommen wollen. Der Mann am Steuer schleppt sich auf den Hof, gedemütigt wie ein Kreuzritter, dem man das Pferd geklaut hat. Nach einer solchen Erfahrung strahlt der aus Blitzsymbolen stilisierte Stern des EQC in etwa so wie eine chinesische LED-Kerze aus dem Eineuroshop. Obwohl: Die strahlt heller und vor allem länger. Genau wie meine neue Mütze.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Tim Maxeiner

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Horst Kruse / 29.12.2019

Der Vergleich des EQC mit einem 20 Jahre alten Merserdiesel ist natürlich unfair . Passender wäre der Vergleich mit einer Postkutsche . Allerdings hatten Postkutschen ein dickes Plus in puncto Sicherheit : Sie wurden regelmäßig von Riesenschnauzern begleitet . Dass diese bewährte Schutzhundrasse schon mal mit Batman verwechselt wurde , ist auf Maxeiners ” Hilfe, mein Hund überholt mich rechts ” nachzulesen .

Dr. M. von Rehmstack / 29.12.2019

Aus (original) Mini Zeiten stammt noch der Spruch über Lucas (der Zulieferer der Elektrik): Lucas, der Erfinder der Dunkelheit! Über Mercedes wird man sagen: Mercedes, der Erfinder des Stillstands. Nb. In Norwegen sollen doch laut Presse alle schon im tiefsten Winter nur noch elektrisch über die hardanger vidda rauschen, erzählt man uns vielleicht nur die Hälfte?

Robert Korn / 29.12.2019

Werter Herr Dr Borkner Delcarlo. Offenbar haben Sie mit Ihrem Tesla eine sehr gute Batterie ausgeliefert bekommen. Ich hatte auch mal so ein Glück: Die Erstausrüster Qualität der Batterie in meinem Pickup aus 98 war großartig,  das Ding hat 11 Jahre gemacht. Und die Karre hatte nie eine Garage von innen gesehen, viel Winterbetrieb. Sowas gibts… Aber ich kenne inzwischen mehrere Teslafahrer, die machen ganz andere Erfahrungen. Jede Reise ein Abenteuer. Hat ja auch was…

jochen Winter / 29.12.2019

...habe ich da was von einem Kaufpreis um die 90.000 Euro gelesen? Da gibt es wahrscheinlich tatsächlich noch ein oder zwei Deutsche die sich diesen Mercedes nicht leisten können!!!!! Ich bleibe lieber bei meinem uralten Honda Insight (mit einer im Vergleich zum Mercedes winzigen Hybrid-Batterie )

A. Ostrovsky / 29.12.2019

Bisher war die Grundregel deutscher Konzerne etwa so: Die Führungselite hat keine Ahnung von den Kernkompetenzen, mit denen die Beschäftigten die Gewinne erwirtschaften. Also die Idee, ein Chef könnte im Notfall auch mal für einen Techniker oder Facharbeiter einspringen, vielleicht mit etwas geringerer Leistung, wäre reine Illusion. Das bedeutet, die Erfahrung in der Sparte ist nicht un der “unverzichtbaren” Führungsebene der Konzerne, sondern in der unteren Ebene. Die Elite kann deshalb auch ohne Reibungsverluste von einem Vorstand in den anderen wechseln, oder morgen in ein Ministerium und übermorgen zurück. Die neue Situation ist nun bei einem strategischen Umbruch der Kompetenzen durch einen Technologiewandel, dass auch die untere Ebene keine Erfahrung und keine Kompetenzen hat. Die HR-Abteilungen hatten noch nie Ahnung vom Kerngeschäft und lassen sich deshalb Tests für Küchenpsychologen einreden, weil sie sonst gar nichts machen könnten. Die Unfähigkeit großer Firmen, technologische Erneuerung zu meistern ist ihre Formalisierung, ihre intellektuelle Rückscrittlichkeit und ihre mangelnde Personal-Herausbildung. Entwickler, Facharbeiter für eine revolutionäre Technologie kann man nur einkaufen, wenn man entweder der Entwicklung hinterherrennt, oder wenn man wenigstens ein HR-Management hat, das einen Esel von einem Laternenmast unterscheiden kann. Andernfalls müßte man selbst die neuen Technologien entscheidend mitentwickeln. Früher war das die Starke deutscher Firmen. Aber dafür müßte ein Vorstand , der weder die alte Technologie noch die neue auch nur ansatzweise versteht, Geld frei machen, rechtzeitig und mit klarer Zielvorstellung. Konzerne sind nicht mehr in der Lage die Technologie weiterzuentwickeln. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Sie müssen Geld machen und an das Management und die Investoren verteilen. Das muss reichen.

Bernhard Freiling / 29.12.2019

Warum, @Dr. Olaf Borgner-Delcarlo, sollten Sie hier Ihre Meinung nicht sagen und Ihre Erfahrung nicht preisgeben können? +++ Wie könnte man Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Tesla anzweifeln? Wie könnte man bezweifeln, daß der Tesla ein großartiges Auto ist? Kann ich nicht und werde ich nicht. Glückwunsch dazu.+++ Anzweifeln kann man die Massentauglichkeit der mit Batterie angetriebenen Fahrzeuge. Bezweifeln kann man deren Tauglichkeit unter marktwirtschaftlichen Kosten/Nutzen-Verhältnissen. Bezweifeln kann man deren Umweltüberlegenheit von “well to wheel” unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren. Bezweifeln kann man den Erfolg der “Elektromobilität” unter sämtlichen relevanten Gesichtspunkten. Von Umwelt über Versorgungssicherheit bis zum Recycling. +++ Es bleibt m.E. dabei: Das batterieelektrisch angetriebene Fahrzeug hat den Wettbewerb mit dem durch Verbrennungsmotor angetriebenen bereits vor 100 Jahren verloren. Und nichts spricht dafür, daß es heute die Verhältnisse umkehren könnte. Zu deutlich ist der Vorsprung - in der Summe aller Eigenschaften - des mittels Verbrennungsmotor angetriebenen Automobils. Dem können auch einige herausragende Vorteile des Batterievehikels, die unbestreitbar vorhanden sind, nicht abhelfen. Ohne Planwirtschaft wird das batterieelektrisch angetriebene Auto ein Nischenprodukt bleiben. Gut geeignet für lokale, emissionsarme Transportaufgaben in Ballungsgebieten. Ansonsten bleibt es m.E. , insbesondere auch für den Schwerlastverkehr, eine Totgeburt. Oder sehen Sie es als Fortschritt an, 2 1/2 Tonnen Auto in Bewegung zu setzen um 75kg Mensch zu transportieren? +++ Die Zukunft sehe ich in intelligenten Verkehrsleitsystemen die mit autonom fahrenden Autos kommunizieren können. Durch den Entfall von Knautschzonen und sonstiger Sicherheitstechnik könnten wieder Fahrzeuggewichte von unter 1 t erreicht werden. Die liessen sich dann unfall- und staufrei mit 3 oder weniger Litern bei konstant 120 km/h betreiben.

j.Moennig / 29.12.2019

Am   !6. 12.19 fand ein Seminar von Dr.Dr…..Hans Werner Sinn in München statt. Dort erklärte er so einiges über die Energiewende, auch wieso ein E-Auto eine deutlich schlechtere Umweltbilanz hat als ein moderner Diesel. Wer’s noch nicht kennt kann mal bei YouTube nachschauen. Viel Spass.

Gerhard Rachor / 29.12.2019

@Dr. Olaf Borkner-Delcarlo Diese Geschichte haben Sie doch hier auf Achgut oder war es auf TE schon einmal erzählt, oder? Auch in der Wiederholung wird sie nicht glaubhafter.

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