Dirk Maxeiner / 08.07.2018 / 06:25 / Foto: pixabay / 25 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Einer raucht immer

Ich habe in den siebziger Jahren eine Zeit lang in Stuttgart gelebt, jene Stadt mit der offenbar gefährlichsten Luft in Deutschland. Damals war die Luft sogar noch gefährlicher als heute. In Untertürkheim beim „Daimler“ purzelten absolut partikelfilterfreie Mercedes-Diesel-Limousinen vom Band, so temperamentvoll und feinstaubend wie ein Mähdrescher und in Geruch und Abgang einer Gauloise verwandt. Der Rauch der damals beliebten filterlosen französischen Zigarette wurde durch das Maispapier, mit dem die Zigaretten gedreht waren, noch einmal verstärkt. Meine damalige Stammkneipe, ein Spanier, war nicht weit vom berüchtigten Neckartor gelegen und verfügte über eine Terrasse in unmittelbarer Nähe einer vierspurigen Durchgangsstraße. Stinkende Gauloises und vorbeinagelnde Mähdrescher prägten die olfaktorische und akustische Kulisse. Wem das noch nicht gefährlich genug war, der orderte aus der Küche ein paar verbrannte Tintenfischringe. Nach heutigen Maßstäben hätten wir sofort vom Barhocker fallen müssen, was mitunter auch geschah, aber aus anderen Gründen und meist erst nach 24 Uhr. 

Neulich, auf einem Oldtimertreffen, drang der Geruch eines alten Strich-Acht-Mercedes-Diesel an meine Nasenschleimhäute, und ich fühlte mich sofort 30 Jahre jünger. Ein kleines medizinisches Wunder, das sich aber wissenschaftlich begründen lässt. Hanns Hatt, Professor für Zell-Biologie an der Universität Bochum und der deutsche „Geruchspapst“ schlechthin, sagt: „Lange war das Riechen von Wissenschaftlern und Philosophen als animalischer, triebhafter Sinn und als chemische Informationsquelle ohne Geist vernachlässigt worden“. Doch das habe sich inzwischen geändert: „Tatsächlich können Düfte uns stimulieren oder entspannen, erfrischen und freudig erregen oder auch manipulieren, vor allem aber sind Düfte Glücksboten." 

Ich roch also diesen alten Daimler, und sofort stieg das Glück in mir auf. Ich schmeckte verbrannte Tintenfischringe, spanischen Rotwein aus der Dreiliterflasche, qualmende Gauloises und das billige Heizöl, mit dem wir unseren Diesel des Nachts in der Garage befüllten. Aber der Fortschritt ist unaufhaltsam, in Stuttgart rücken die Fahrverbote näher, und die grünen Träume von unbefleckter ökologischer Reinheit werden endlich wahr. Und neue Zeiten werden von neuen Geruchserlebnissen begleitet.

Stuttgarts junge Leute von heute dürften sich dann in 30 Jahren begeistert an ihre Jugend erinnern, wenn der Geruch eines alten Fahrradsattels ihr Gemüt betört. Drei Kilometer Neue Weinsteige bergauf mit dem Lastenfahrrad, das ergibt einen unvergleichlichen Hautgout. Für die Nicht-Franzosen dazu ein bisschen sprachliche Nachhilfe bei Wikipedia: „Als Hautgout bezeichnet man in der Küchensprache den süßlichen, strengen und intensiven Geruch und Geschmack von überlang oder zu warm abgehangenem Wild oder auch anderen Fleischarten wie Rind- oder Lamm- und Hammelfleisch.“ 

Soviel zum Glücksgefühl für das späte 21. Jahrhundert in der Hometown of the Juchtenkäfer.

Kann denn Pollenflug böse sein?

Doch nun droht diesem stillen Glück ein furchtbares Ungemach. Nachdem teilweise imaginierte Juchtenkäfer den Bau des Stuttgarter Hauptbahnhofs erfolgreich blockierten, erweisen sich nun auch die Stuttgarter Feinstaubwerte als flüchtig. „Die zuständige Landesanstalt hat Feinstaub-Messergebnisse am Stuttgarter Neckartor zurückgenommen. Verstärkter Pollenflug könnte zu verfälschten Ergebnissen geführt haben“, berichtet der SWR. Womöglich müssten Werte nach unten korrigiert werden. "Die Intensität des Pollenflugs hat uns alle überrascht", erklärte der Stuttgarter Stadtklimatologe Rainer Kapp. Die Stuttgarter Luft könnte also auf wundersame Weise genesen, wobei sich natürlich ein paar delikate neue Fragen ergeben.

Zum Beispiel: Kann denn Pollenflug böse sein? Als Diesel unter den Bäumen tat sich in diesem Jahr mengenmäßig die Fichte hervor, die Birke zeichnete sich hingegen durch besonders gesundheitsgefährdende Umtriebe aus. Ein Aufenthalt in blühender Vegetation oder gar in den eigenen vier Wänden ist jedenfalls eine verdammt riskante Angelegenheit: Etwa jeder fünfte Deutsche hat zumindest zeitweise mit Heuschnupfen zu kämpfen – Tendenz seit Jahren steigend. Navigator-Medizin schreibt: „Wobei hier auch der allergische Schnupfen mit hinzugerechnet wird, der nicht auf Pollen, sondern zum Beispiel auf eine Hausstauballergie zurückzuführen ist“. Der bekannte ökologische Visionär Ronald Reagan stellte bereits 1980 fest: „Bäume verursachen mehr Luftverschmutzung als Autos“. Das kam damals ungefähr so gut an wie heute ein Trump-Tweet zum Klima („Vielleicht könnten wir ein bisschen von dieser guten alten Erderwärmung gebrauchen“).

Was tun? Der gefährlichen Pollenflug-Problematik könnte Stuttgart wirksam durch ein allgemeines-Baumfäll-Gebot begegnen, wobei allerdings der geschützte Juchtenkäfer im Wege steht, der diese Bäume besetzt hat. Schwierige Lage, vielleicht könnte man die Juchtenkäfer in einer feuchten Bodenmatte von Diesel-Fahrzeugen ansiedeln, einem Habitat, sehr ähnlich dem zwischen Baum und Borke. Dann könnten die Diesel nicht mehr abgesägt werden und die Juchtenkäfer kämen schneller zur Arbeit.

Das Auto ist ja bekanntermaßen ein Hort des Artenschutzes. Bei einer Bestandsaufnahme in Frankfurt stellte sich jedenfalls einmal ein Gebrauchtwagenmarkt an der Borsigallee als wertvollstes Insektenbiotop der Mainmetropole heraus. Den zweiten Platz verdient, da bin ich mir ganz sicher, die Küche meiner spanischen Stammkneipe am Stuttgarter Neckartor. 

Foto: pixabay

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Leserpost

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Anders Dairie / 08.07.2018

So entschwinden einige Dinge wie Schall und Rauch.  Wie auch wir entschwinden zu unserem (höchsten) Gläubiger. Amen !

Katharina Münz / 08.07.2018

So ein „Wort zum Sonntag“ lasse ich mir doch gerne gefallen. Herzlich gelacht - danke dafür!

Hans-Jörg Jacobsen / 08.07.2018

Da könnte was dran sein: ich war 1968/69 nach Meinung des damaligen Ministers für Verteidigung für 18 Monate an der Nordflanke der NATO unentbehrlich und fuhr ein Jahr als Funker auf einer Korvette der Bundesmarine (TRV Najade). Der „Duft“, der an einem haftete war eine Melange aus Diesel, Schweiss, Kombüsengeruch und Zigaretten (1 Schachtel Gouloises nach meiner Erinnerung 50Pfg, da zollfrei). Manchmal wurde auf See die Luft auch nur im Schiff umgewälzt, was den Geruch nachhaltig so auf der Oberfläche fixierte, dass man ihn auch durch intensiveres Duschen nicht wegbekam. An Bord war duschen übrigen nch 2-3 Seetagen mangels nicht genügender Wasseraufbereitungskapazitäten untersagt.  Hat uns aber nicht gestört, man konnte ja nach dem Einlaufen im Stützpunkt duschen. Noch heute fühle ich einen wohligen Schauer, wenn ich auf einem Schiff bin, Atemwegsprobleme oder Allergien kenne ich nicht, obwohl ich in dieser Zeit wohl erheblichen Konzentrationen an Feinstaub und Stickoxiden ausgesetzt war und auch danach viele Jahre als Molekularbiologe viel Laborluft mit allem Möglichen geschnuppert habe. Hinzu kamen viele Aufenthalte in Luftkurorten wie New Delhi, Hanoi, Kairo oder Yogyakarta. Ich habe aber vor 30 jahren sicherheitshalber das Rauchen eingestellt.

K.H. Münter / 08.07.2018

Ein sehr guter Beitrag! Aber so viel Genauigkeit muß dann doch sein: Schon vor 30 Jahren liefen die Mercedes-Diesel in Sindelfingen vom Band. In Untertürkheim wurden z.B. die Motoren produziert oder auch Fahrwerksteile aber dort gab es schon lange keine PKW-Produktion mehr, allein schon aus Platzgründen. Und die Meßstation in der Nähe des Neckartors steht laut EU-Regularien an der falschen Stelle. Nämlich direkt an der rechten Fahrspur der beiden Bundesstraßen B 14 und B 29 unmittelbar vor einer Ampel. Allein durch Bremsen und Anfahren dort kommt ordentlich was an Absonderungen zusammen. Saubere Messungen sehen anders aus. Aber das nur als Ergänzung.

Claudia Diel / 08.07.2018

Schönes Bild vom Juchtenkäfer morgens auf dem Weg zur Arbeit ins Territorium der S21 im 220 cdi Blue Efficiency. :-) Der Juchtenkäfer wird dann auch nach den Bestrebungen der grün-linken Bundesregierung der neuen DDR der einzige sein, der dann noch Arbeit hat. Niemand spricht auch davon, dass die Messgeräte zur Feinstaub-Messung oft viel zu nah an den Ausfallstraßen montiert sind, und darüberhinaus gerade in Stuttgart noch sehr viele Erdöl-Heizungen in Gebrauch sind. Was die ebenfalls ausstossen ist Feinstaub. Nicht zu vergessen die Kamine. Und natürlich nicht die natürliche Meteoration des Homo sapiens Deutschlandis, der dann vielleicht noch irgendwann nächtens einen Schlauch zuhinterst…. Jedenfalls schön, dass es die Achse gibt, die uns immer wieder mit so schönen Erinnerungen erfreut.

Rudolf George / 08.07.2018

Ausgerechnet die Fichte. Oder ist es gar jene, hinter welche uns die Autohasser seit Jahren führen wollen?

Rudolf Dietze / 08.07.2018

Dieses Jahr ist ein extremes Dürrejahr. Von den Meteorologen werden weitere auf Grund des Klimawandels prognostiziert. In alten Kirchenliedern werden Dürre, Mehltau und Wassernot besungen, diese stammen aus vorindustrieller Zeit. Die Dürre dieses Jahr ist die schlimmste seit den Aufzeichnungen. Unsere Luft hat, abgesehen von einigen Gasen, die Qualität von vorindustrieller Zeit erreicht. Es sind keine braunen Schleier mehr an Horizont erkennbar. Jetzt die Fragen: Könnte es nicht sein, dass unseren ganzen Filterbemühungen auch zum Klimawandel beitragen, denn die Kondensationskeime sprich der Kohlenruß fehlen? Werden nicht im Voralpenland Wolken direkt geimpft um Hagel auszuschließen? Hat der Kohlenruß zu gleichmäßigeren Regen beigetragen? Es muss nicht gleich eine Dampflok sein. Pollen steigen auch nicht so hoch.

Heiko Stadler / 08.07.2018

Vielleicht haben die Grünen doch Recht, wenn sie die modernen feinstaubminimierten Dieselmotoren verdammen. Nachweislich lebt die Landbevölkerung länger als die Stadtbevölkerung und auf dem Land gibt es Getreidefelder, die beim Dreschen in eine Feinstaubwolke eingehüllt werden. Auf dem Land gibt es noch viele Bäume mit Pollenflug. Auf dem Land fahren noch viele Bauern mit ihren qualmenden Traktoren aus der Nachkriegszeit. Der Feinstaub scheint die Medizin zu sein, die die Leute länger leben lässt. Genau diese Medizin wird bei den modernen schadstoffarmen Motoren rausgefiltert. Lasst uns also zu den qualmenden Dieselmotoren zurückkehren und Fahrverbote für Elektroautos verhängen!

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