Dirk Maxeiner / 30.01.2022 / 06:15 / 133 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Corona-Convoy

Die in Nordamerika wirkmächtige Ikonografie des „Convoy“ erlebt ein Revival in Kanada – fast so, als habe jemand in Hollywood sich ein Drehbuch dazu ausgedacht. Es geht um Schikanen gegen ungeimpfte Trucker.

Die Reiter der Apokalypse nähern sich in einer Staubwolke von Weitem dem Zuschauer. Immer wieder verschwimmt das Bild wegen der Luftspiegelungen, und das Teleobjektiv muss nachgeschärft werden. Diese typische Westernszenerie gehört zu den Klassikern des Genres und findet sich in diversen Filmen, beispielsweise in The Wild Horde.

Die Einstellung taucht aber auch in einem motorisierten Hollywood-Streifen auf. Diesmal reitet der Held, Kris Kristofferson, von ferne auf einer einsamen Wüstenstraße ins Kino ein – allerdings nicht auf einem Pferd, sondern einem Mack Truck RS 700. Das ist so ziemlich das stabilste alte Eisen, mit dem Mann Nordamerika durchqueren kann, wahlweise mit 30 Tonnen Tomaten, einer Ladung Viehfutter oder 30.000 Liter Sprit im Rücken. Und vorne ist ein Bullbar drangeschraubt, mit dem sich mühelos ein Einfamilienhaus verrücken lässt. Der Luftwiderstand einer solchen Fuhre entspricht in etwa dem Brandenburger Tor und der Durst einer Elefantenherde, die seit einer Woche kein Wasserloch mehr gesehen hat.

Das Roadmovie „Convoy“  gilt als leicht klamaukhaftes und gleichzeitig verzweifeltes Plädoyer für die bedrohten amerikanischen Ideale Freiheit und Unabhängigkeit. Mit jugendlichen 25 Jahren ließ ich mir den Titel „Konvoi" sogar mal für ein Zeitschriftenprojekt schützen, das Möchtegern-Trucker als Zielgruppe auserkoren hatte, dem aber leider der Treibstoff ausging, woraufhin es am Rande der Fahrbahn still verendete. Der Berufsstand war damit wieder auf Weiterbildung durch herkömmliche Pornos zurückgeworfen. Den Layout-Dummie bewahre ich sorgfältig als Zeugnis vergangenen Scheiterns auf, allerdings relativ weit unten in der Schublade. 

Auch die Handlung des Hollywood-Streifens mirt Kris Kristofferson ist eher schlicht: Die Trucker und ihr Anführer „Rubber Duck“ geraten mit der schikanösen Highway-Polizei aneinander, was in einer zünftigen Kneipenschlägerei mündet. Um den Häschern zu entkommen, schließen sie sich zusammen, um über die Staatsgrenze zu flüchten. Die halbe Nation fiebert bald mit dem Convoy.

Er wird zu einem politischen Statement und unterwegs gibt es allerhand Kleinholz. Gewalt ist kein Thema, sondern integraler Bestandteil einer besonderen Art von Humor. Sehr gut gefällt mir die Szene, in der sich eine Armada von schweren Trucks vor der Höhle des Sheriffs aufstellt. Die Motoren heulen auf, und aus den Auspuffrohren, die wie Schornsteine in den Himmel ragen, wird bedrohlich schwarzer Rauch ausgestoßen. So, als ob schlecht gelaunte Drachen ihren heißen Atem gen Himmel schicken. Und dann machen die Trucker die Hütte der Staatsmacht so platt wie einen leichtsinnigen Frosch auf der Insterstate 10. Immer, wenn ich den 27. Strafzettel der Berliner Parkraumbewirtschaftung unter dem Scheibenwischer finde, muss ich an diese Filmepisode denken. Dann geht es mir gleich besser. 

Im Handumdrehen sieben Millionen Dollar Spenden

Nun erlebt die besonders in Nordamerika wirkmächtige Ikonografie des „Convoy“ ein Revival in Kanada – fast so, als habe jemand in Hollywood sich ein Drehbuch dazu ausgedacht. Die Regierung von Justin Trudeau übernimmt darin die Rolle des bösen Sheriffs, der die guten kanadischen Trucker schikaniert. Ungeimpfte Fahrer, die mit einem Transport aus USA heimkommen, sollen seit neuestem 14 Tage in Quarantäne schmoren. Dazu muss man wissen, dass es sich häufig um selbstständige Kleinunternehmer handelt, deren einziger Besitz ihr Mack- oder Kenworth-Truck ist. Nach 14 Tagen ohne Fuhre ist ihr Konto so leer wie die Mitte von Saskatchewan, und sie können die Raten für den Lastwagen nicht mehr bezahlen. Justin Trudeau hat schlicht ihre Pleite verfügt, was die Betroffenen dann doch ein wenig übelnehmen.

Also packten sie ein paar Unterhosen und ein frisches Hemd ein und machten sich aus dem ganzen Land über tausende von Meilen nach Ottawa auf, um dort beim Parlament mal freundlich anzuklopfen. Der Ausflug heißt „Freedom Convoy“. Da würde ich gerne mitfahren und mit dem Kälberstrick, der vom Kabinendach herunterhängt, die Hupe bedienen, die es mit dem Nebelhorn der USS Iowa aufnehmen kann.

Was den Deutschen ihr „Spaziergang“, den Franzosen ihr „Danser Encore“, das ist den Kanadiern seit letzter Woche ihr Freedom Convoy. Die Bilder und die Fantasien, die dabei in den Köpfen entstehen, macht Kinder froh und Erwachsene ebenso. Der Freedom Convoy hat ganz offensichtlich einen Nerv getroffen. Er ist längst mehr als ein Aufbegehren von Truckern, nämlich Kondensationskern einer breiten Bewegung und politisches Symbol. Da treffen sich plötzlich Menschen aller Couleur an der Straßenkreuzung und Rasthöfen, reden miteinander und entdecken ihre Gemeinsamkeiten. Sie tauschen Anekdoten über die Diskrepanz aus, die zwischen ihren Erfahrungen und der Berichterstattung in den großen Medien besteht. Das erwischt die herrschende Klasse wie ein Gewitter auf freiem Feld und sie suchen verzweifelt nach einem Blitzableiter.

Die Herrschaften müssen aber erschreckt erkennen: Die Anderen haben gerade das bessere Narrativ (um den neudeutschen Begriff für „Erzählung" zu bemühen). Auf dem Weg von Vancouver an der Westküste nach Ottawa an der Ostküste (Videos siehe hier) kamen unterwegs mehr und mehr Trucks hinzu, an den Kreuzungen im Niemandsland versammelten sich zahlreiche Landsleute mit den Landesfahnen, um den Truckern zuzujubeln, sangen die Nationalhymne und verteilten sogar Fresspakete. Auf Facebook formierten sich 300.000 Sympathisanten, auf Telegram 40.000. Als prominentester Freund der Aufständischen twitterte Milliardär Elon Musk: „Truckers rule Canada“. Die Organisatoren sammelten im Handumdrehen sieben Millionen kanadische Dollar als Spendengelder ein.

Gestern trafen die Konvois – insgesamt etwa 40 Meilen Stahl und Blech – nach tausenden von Kilometern in Ottawa ein. Aus Osten, Westen und Süden. Die Geräuschkulisse vor dem Parlament und in der Innenstadt entsprach der beim Schiffshornkonzert am Hamburger Hafengeburtstag.

Als Parlaments-Poeten nur bedingt einsatzfähig 

Die Regierung Trudeau reagiert, wie Regierungen das überall auf der Welt tun, wenn das Volk vorlaut wird und sie Angst haben, das oppositionelle Virus könne sich ausbreiten: Sie reden den Protest klein und diskreditieren ihn. Justin Trudeau, dessen Reputation sich ohnehin unterhalb des Meeresspiegels befindet, bezeichnete die protestierenden Trucker als „kleine Randgruppe", die „inakzeptable Ansichten" habe. Ich kann diese Vorwürfe nicht überprüfen, aber die Mediengülle, die ausgegossen wurde, gehört auch hierzulande zur gewohnten amtlichen Rezeptur: Es seien antisemitische, islamophobe und rassistische Kräfte am Werk, die von finsteren Gesellen im Ausland unterstützt würden. Befragte Sympathisanten hätten gar einen „Sturz der Regierung“ gefordert. 

Das führt nun doch zu der grundsätzlichen Frage, die sich ja auch hierzulande aufdrängt: Ja, was sollen sie denn sonst fordern? Was machst du, wenn deine Regierung dich nach Gutdünken schikaniert, dein Geschäft schließt, deine Existenzgrundlage vernichtet oder ein Berufsverbot über dich verhängt? Glauben die verantwortlichen Schlafwandler, dafür gibt’s Applaus? Zugegeben: Optisch entsprechen die Trucker nicht dem Ideal des veganen Metropolen-Hipsters, rhetorisch sind sie möglicherweise etwas minderbegabt und als Parlaments-Poeten nur bedingt einsatzfähig. Deshalb kann man nur mit dem Kopf schütteln wie diejenigen, die den ganzen Schlamassel angerichtet haben, sofort anfangen zu weinen, wenn sie etwas rustikaler angesprochen werden.

In Ottawa ziehen sie deshalb die Zugbrücken hoch, und man könnte aus ihren Reaktionen den Eindruck gewinnen, der Freedom-Convoy sei so etwas wie der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze. Ministerpräsident Trudeau und seine Familie wurden an einen geheimen Ort gebracht. Jedoch: Bis gestern Abend unserer Ortszeit bestanden die Regelverstöße des Freedom Convoy höchstens aus Barbecues auf dem Bürgersteig. Je nachdem, wie sich die Sache weiterentwickelt, wird es aber bald an Steaks mangeln. Der Impfstreit sei nur Teil eines „perfekten Sturms" sagen Logistik-Experten, es gebe ohnehin schon zu wenig Truckfahrer, um die Regale der kanadischen Supermärkte zuverlässig zu füllen. 

 

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Barbara Steiner / 30.01.2022

Bitte entschuldigen diese drastische Aussage, aber Traudeau hat die Hosen voll, und das zu Recht. An seiner Stelle würde ich mich nicht mehr aus seinem Versteck heraus trauen. Vielleicht könnten die Deutschen sich ein bisschen von den kanadischen Bürgern abschauen ,soviel Solidarität wäre hier auch angebracht

Sabine Schönfelder / 30.01.2022

Esther@Braun, köstlich, hahaha, das sind seeehhhrrrr lange Trucks bei 70km LÄNGE !  Ja, ja, man kann lügen bis sich die Balken biegen, aber nicht ständig und überall. Die Realität ist Realität ist Realität ist Realität….

Dirk Ahlbrecht / 30.01.2022

Das Transparent “Arrest them all”, das dort von einer Brücke hing, hat mir besonders gut gefallen… Das sollte das Ziel sein.

Sabine Schönfelder / 30.01.2022

Werner@Liebisch, „ 90 % der Trucker sind geimpft, habe ich gehört,..“. Ich frage Sie, FÜR WIE LANGE ???

Hjalmar Kreutzer / 30.01.2022

Gänsehaut. Laut in dubio soll der kleine schikanöse Schei…nriese Trudeau auf einer PK ja fast geheult haben. Recht so! Jetzt müssten aber auch die französischen Trucker, Feuerwehrleute, Polizisten, Rettungssanitäter, Soldaten, Ärzte und Schwestern dem kleinen halben gallischen Hähnchen Macron Feuer unterm Bürzel machen, analog natürlich auch in A, D, I. Bei Tucholsky geklaut: „Küsst die (Impf-)Faschisten, wo Ihr sie trefft!

Delion Delos / 30.01.2022

Meinen herzlichsten Dank, Herr Maxeiner, für diesen BRILLIANT geschriebenen Artikel! Es ist gut, dass Ihnen trotz der eigentlich recht angespannten Lage der Humor nicht vergeht. Das Lesen hat mir gerade einen RIESEN-Spaß bereitet!

Sabine Schönfelder / 30.01.2022

Sabine@Heinrich, 126 Milliarden Unterstützung für die „coronagecancelte“ Wirtschaft verschaffen auch der Gastronomie Einnahmen ohne Arbeit. „Geldgewaschene“ Pizzerien verdienen wahrscheinlich jetzt mehr als jemals zuvor….ohne größeren Aufwand. Wir befinden uns (fast) alle in dem Stadium des ewigen „FROHSEINS“. Jeder kann froh sein, wenn er ü b e r h a u p t aus dem Haus darf. Jeder kann froh sein, wenn er überhaupt alle drei Monate aus dem globalen Gifttopf der Pharmaindustrie abgeboostert wird. Hinein in das Tal der gesundheitlichen Bedrohung und des fakultativen Todes. Wenn Sie den dritten „Schutz“ überleben, hahaha, dann dürfen Sie schon w i e d e r froh sein. Demnächst geht es, nach unserer einstigen Gesundheit, an unser Geld. Hier besteht abermals großes „Frohsein“- Potential. Wir werden froh sein, wenn uns vom Ersparten ein paar Euronen bleiben. Und noch froher sein, wenn wir auf unser endlich abgespartes Häuschen einen Eigentums-Strafzins bezahlen dürfen. Nahezu oberfroh werden wir, wenn wir diese skrupellose Ausbeute des Staates für absolutistische Vollflaschen auch noch irgendwie bezahlen können….hör jetzt auf. Bin froh, daß ich jetzt nicht kotzen muß.

Terence B. Pickens / 30.01.2022

Ein US-Highway-Erlebnis von Ende 1990:  Ein nur zwischen Los Angeles & Nevada nie auf nasser Straße gefahrener Sportwagen,  sollte in dem Zustand in Houston / Texas per Containerverschiffung nach Europa verbracht werden. Ich holte die Wettervoraussagen, Hurrican-Warnungen für Arizona & Texas ein. Dann ging ich auf den Interstate 10 East. In Arizona achtete ich besonders auf die die Geschwindigkeitsmessungen vornehmende Luftpatrouille der State Trooper. Ich näherte mich Phoenix. Im Spiegel sah ich einen Pulk Sportwagen aufkommen, angeführt von einem gelben Dodge Viper. Die Fahrer hupten, ich hängte mich an. Es schienen die Teilnehmer am Cannonball Run zu sein, dem illegalen Straßenrennen von Küste zu Küste: New York nach Redondo Beach, California & zurück. Wir brausten mit etwa 100 m.p.h. dahin, als der Viper-Pilot in die Eisen ging & wir Schrittempo fuhren. Dann sahen wir ihn auf dem Mittelstreifen hinter Gebüsch:  “Smokey Bear”, ein sich an Dunkin’s Donuts gütlich tuender State Trooper. Er drohte uns mit der Faust. Der Viper-Fahrer legte als Erster und wir danach - heftig qualmend -  Gummi auf die Fahrbahn & stoben davon, die 55 m.p.h.  korrekt einhaltend. Die Meute bog dann nach Süden   ab auf den I-19 Richtung Méjico. Ich schaffte es trocken nach Houston in den Container.  Danach rief ich täglich die mexikanische Schiffahrtsgesellschaft an & fragte, ob der Frachter es heil durch die Karibik geschafft habe, weil es ja dort Piraten gibt . . .

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