Roger Letsch / 30.01.2019 / 13:35 / 14 / Seite ausdrucken

Schreck im egalitären Märchenland

Es war einmal eine nördliche Weltgegend, die sich wie keine andere der Herstellung gleicher Lebensbedingungen für ihre Bürger verpflichtet fühlte, wozu insbesondere die absolute Gleichstellung von Frauen und Männern gehörte. Nirgends ging es gerechter zu, nirgends auf der Welt war es selbstverständlicher, dass Mädchen und Jungen dieselben Chancen in Bildung, Studium und Beruf haben, nirgends beteiligen sich die Väter mehr an der Erziehung ihrer Kinder. Politiker, Pädagogen und Sozialwissenschaftler gaben sich die größte Mühe, geschlechterspezifische Stereotype abzubauen. Als stark galt nicht mehr, wer die Ellenbogen ausfuhr, skrupellos Karriere machte oder kräftig hinlangen konnte. „Weakness“ ist the new „strong“, oder „Dad can hug, Mom can lead” waren die neuen Erziehungsideale, und wer sein Töchterchen mit Puppen spielen ließ, stand schon fast im Verdacht, die alten Rollen des unterdrückerischen Patriarchats zu rezipieren.

Skandinavien, besonders Norwegen und Schweden, gelten bis heute in puncto Gleichstellung von Mann und Frau als weltweit beispielhaft. Doch führt dies dazu, dass „Frauen Holz hacken und die Männer stricken“, wie Monika Maron im Cicero die inzwischen gepflegten Gleichstellungsziele treffend karikierte? Nein! Im Gegenteil! Je liberaler eine Gesellschaft ist, also je freier Männer und Frauen in ihren Entscheidungen sind, umso größer sind die Unterschiede in den getroffenen Entscheidungen.

Das klingt zunächst wie ein Widerspruch, doch denkt man genau nach, ist es völlig logisch: Wenn nicht Kultur, Tribal-Strukturen, Politik oder Religion den Lebensweg eines Menschen vorzeichnen, bleiben vor allem persönliche Fähigkeiten, Neigungen und die Biologie als Antrieb übrig. Das ist allerdings nicht ganz das, was die Gleichstellungsideologen im Sinn hatten. Die gehen, um in Marons Bild zu bleiben, davon aus, dass Männer den Frauen das Holzhacken verbieten wollen und selbst zu faul seien, zu stricken – Patriarchat eben. Doch ausgerechnet in Skandinavien führt die Kindererziehung des „du kannst alles werden“ eben gerade nicht dazu, dass Frauen mehr Holz hacken und Männer stricken, wie die nachfolgend beschriebene Szene belegt.

Mama sagt, wo es lang geht

Zugetragen hat sie sich im Herbst 2018 im norwegisch/schwedischen TV-Talk „Skavlan“, Protagonisten waren Annie Lööf (Vorsitzende der liberal-grünen Centerpartiet und bis 2014 Wirtschaftsministerin Schwedens) sowie der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson, der Lööf einige gut belegte empirische Langzeitstudien zu den Präferenzen von Männern und Frauen weltweit und der Korrelation zum Grad der Freiheit einer Gesellschaft erläuterte.

Ich empfehle, das Video in Gänze zu schauen, denn nur selten sieht man Politiker, die von einem für sie völlig neuen Fakt so erschlagen werden wie Lööf, als sie gefragt wurde, ob sich Petersons Aussagen mit ihrer Erfahrung decken. Alles in ihr sträubte sich gegen eine Bestätigung, weshalb sie, um in die gewohnte ideologische Spur zurückzufinden, schnell alle Schlüsselworte aufzählte, die in der skandinavischen Gesellschaft Gültigkeit haben: Gleichheit der Chancen… Träume und Hoffnungen aller Kinder möglichst unterstützen – ob man das wolle, sei die Frage. Und schnell fügte sie hinzu: „Geschlechtergerechtigkeit ist sehr wichtig für mich“. 

Für Lööfs Tochter bedeute dies, etwas zugespitzt zusammengefasst, dass Mamma sagt, wo es lang geht und Pappa tröstet und Tränen trocknet. Interessant finde ich dabei, dass Lööf offenbar denkt, diese beiden Rollen seien doch irgendwie binär angelegt und auch verteilt, aber man müsse oder solle sie möglichst vertauschen, um Gerechtigkeit herzustellen. Es gibt natürlich gute Gründe, eine derartige Rollenverteilung prinzipiell offen zu gestalten. Wenn das Ergebnis jedoch ist, dass ein Fußballer im Schach antreten soll und der Schachmeister Fußball spielen muss, würde sicher etwas schief laufen.

Die Pointe hob sich Peterson bis zum Schluss auf, und es ist sehr aufschlussreich, zu beobachten, wie Lööf im Nebel stocherte, weil sie offenkundig nicht verstand, worin Petersons diagnostizierter „großer Unterschied zwischen Frauen und Männern in Skandinavien“ denn nun genau bestehe. Wie kann das auch sein? Ist nicht gerade Schweden in Sachen Gleichberechtigung ein Musterstaat? Das stimmt! Haben in Schweden Frauen und Männer vielleicht Probleme, miteinander in Kontakt zu kommen, miteinander zu reden? Sicher nicht!

Liberales Schlaraffenland?

Es gäbe, so Peterson, jedoch signifikante Unterschiede, welche Berufe Männer und Frauen ergreifen! Der psychologisch signifikanteste Unterschied zwischen den Geschlechtern sei die Frage, ob sich diese im Durchschnitt mehr für Dinge (Männer) oder Menschen (Frauen) interessierten. Diese biologische Präferenz werde überlagert von einer kulturellen Komponente, und wenn diese, wie in Skandinavien, sehr auf Gleichstellung und Angleichung auch der Einkommen angelegt sei, trete die biologische Komponente umso stärker hervor. Die Statistik für Schweden zum Beispiel zeige, dass die Präferenz von Frauen für medizinische Berufe und die der Männer für Ingenieurberufe signifikanter ausgeprägt ist, als irgendwo sonst auf der Welt. Gerade weil beide Geschlechter die denkbar freieste Wahl hätten, entschieden sie sich eben für das, was ihren Neigungen am besten entspräche. Maximiert man also die Chancengerechtigkeit, maximiert man automatisch die persönliche freie Wahl aus eben diesen Chancen und folglich auch die Unterschiede, die sich aus einer solchen Wahl ergeben. In dieser Hinsicht ist Schweden also liberales Schlaraffenland!

Unter dem Strich also eine gute Sache, möchte man meinen. Für Lööf war die Situation jedoch offensichtlich ein Albtraum, den man förmlich als Sprechblase über ihrem Kopf mitlesen konnte: „Unmöglich! Wenn mein Mann unsere Tochter umarmt und tröstet, wie kann die dann später Krankenschwester werden wollen? Menschen unterscheiden sich zwar biologisch, aber doch nicht in den Entscheidungen, die sie treffen! Das darf einfach nicht sein! Alle Menschen sind gleich, das haben wir unseren Kindern doch mühsam anerzogen!“ Letzteres sagte sie natürlich nicht laut, sondern umschrieb es wie folgt: „Die Wahl ist doch eher abhängig davon, wie die Kinder aufgewachsen sind, wie wir leben und erziehen…das formt doch den Menschen. Da spielt es keine Rolle, ob ein Kind Junge oder Mädchen ist. Wenn ich meine Tochter erziehe, eine Anführerin zu werden, selbstsicher zu sein, gebildet…“ Und hier schlug die nächste Peterson-Bombe ein:

„Das wäre so, wenn die Präferenzen der Kinder lediglich soziale Konstrukte wären, wie immer wieder behauptet wird. Die Praxis sagt aber das Gegenteil.“

Ketzerisch weitergedacht: Wenn das Geschlecht eines Menschen lediglich ein soziales Konstrukt wäre, träfe dies logischerweise auch auf jede Abweichung zu. Noch mehr sogar für jede Form der Erziehung und Indoktrination. Alles nur soziale Konstrukte. Daraus folgt, wer die absolute Gleichheit statt der Chancengleichheit der Geschlechter propagiert, muss langfristig den freien Willen und die Freiheit selbst abschaffen und den Menschen als eine Art leeren USB-Stick betrachten, den man beliebig mit Erziehungs- und Rollendaten füttern, löschen, neu formatieren und umbenennen kann. Kein angenehmer Gedanke, oder? Die in gewissen Kreisen der deutschen Politik populäre Meinung, die Regeln des Zusammenlebens müssten täglich neu ausgehandelt werden, geht übrigens genau in diese Richtung.

Eine längere Fassung dieses Beitrags erschien hier auf Roger Letschs unbesorgt.de

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Leserpost

netiquette:

Michael Lorenz / 30.01.2019

Das Schlimmste an dem Ganzen: solche Flachpfeif_*Innen leben kein Nischendasein in einer exotischen Fakultät einer entlegenen Universität, sondern schreiben einer kompletten Nation vor, wie sie zu leben haben (in letzter Zeit gerne auch vermehrt: wie sie zu sterben haben, nämlich vorzeitig und brutal!).

W.Schneider / 30.01.2019

Realität kollidiert mit Ideologie. Herrlich!

Emma W. in Broakulla / 30.01.2019

Das in Schweden der Feminismus gross geschrieben wird kann ich nur bestätigen, da ich dort lebe. Vor ein paar Jahren wurde durch eine Krankheit mehrere längere Krankenhausaufenthalte nötig. Der Patient war mein Mann. Das Pflegepersonal in der Klinik bestand fasst ausschliesslich aus sehr gut ausgebildeten Krankenschwestern. Wir leben auf dem Land - und dort ist die Welt in sehr vielen Dingen noch in (alter) Ordnung. Ich bin im “Husmorkomitte” ( Hausmuttervorstand) des Heimatvereins. Dieser Vorstand besteht nur aus Frauen die fürs Kochen, Backen und alle damit zusammenhängenden Arbeiten zuständig sind. Die Männer übernehmen Auf- und Abbauarbeiten bei Festen und sind für Reparaturen zuständig. Jedes Jahr vor Weihnachten gibt es einen grossen Bastelabend im Gemeindehaus des Ortes an dem jeder der will teilnehmen kann. Dieser Abend ist immer sehr gut besucht - nur von Frauen! Werden Feste organisiert oder Kinderbetreuung - machen das die Frauen. Überwiegend ist es die ältere Generation welche die alte Rollenverteilung handhabt aber auch zunehmend junge Leute wirken mit. Bei Veranstaltungen mit Kindern sind auch oft junge Väter mit ihren Kindern dabei, ohne die Mütter. Aber die Rollenverteilung ist,  ja man könnte sagen,  zu 99%, so wie sie schon immer war. Das Interessante für mich ist , dass Frauen und Männer hier wirklich die freie Wahl haben und trotzdem -  wenn man sie lässt - in die alte Rollenverteilung fallen. Man bemüht sich schon im “Dagis” ( Kita) die Kinder zur absoluten Gleichstellung zu erziehen. Vielleicht gelingt es ja irgendwann. Ich hoffe es dauert noch sehr lange! Wie gesagt ich lebe auf dem Lande. So wie es hier bei uns ist geht es aber in den meisten Dörfern und Kleinstädten zu. Für die Städte kann ich nicht sprechen. Die Universitätsklinik mit den vielen Krankenschwestern liegt allerdings in einer grossen Stadt. Also auch dort besteht eine gewisse “Normalität”

Martin Landvoigt / 30.01.2019

Bei der Beurteilung, ob nun Geschlechtergerechtigkeit, freie Entfaltung, biologische Unterschiede und Präferenzen wichtig sind, sollte zuerst der Grundlagen des Wertesystems anstelle eines Sentiments Bezug genommen werden. Ist es das persönliche Lebensglück, dass auch bei unterdrückten Muslimas zu finden ist? Ist es eine abstrakte Gerechtigkeit, unter der dann letztlich alle leiden? Sicher, die Frage nach der realen Welt im Gegensatz zum ideologischen Weltbild spielt auch eine wesentliche Rolle. Dennoch erscheint es mir, dass die Diskussion sich oftmals von seinen Grundlagen entfernt.

R. Gremli / 30.01.2019

“Wenn nicht Kultur, Tribal-Strukturen, Politik oder Religion den Lebensweg eines Menschen vorzeichnen, bleiben vor allem persönliche Fähigkeiten, Neigungen und die Biologie als Antrieb übrig. Das ist allerdings nicht ganz das, was die Gleichstellungsideologen im Sinn hatten.” Ein Augenöffner sondergleichen! “Daraus folgt, wer die absolute Gleichheit statt der Chancengleichheit der Geschlechter propagiert, muss langfristig den freien Willen und die Freiheit selbst abschaffen und den Menschen als eine Art leeren USB-Stick betrachten, den man beliebig mit Erziehungs- und Rollendaten füttern, löschen, neu formatieren und umbenennen kann. Kein angenehmer Gedanke, oder?“ Genau so ein Augenöffner diese zwingend logische Konsequenz!

Emmanuel Precht / 30.01.2019

Im Interview sieht man die Dame, zumeist mit verkniffenem Gesicht, abgeneigt zu Hören, zuhören. Peterson dagegen offen und interessiert daran das Gegenüber zu vestehen. Wohlan…

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