Neulich in der Apotheke. Rezept vorgelegt. Die Antwort der Apothekerin: „Das Präparat haben wir leider nicht. Es kann auch nicht bestellt werden.“ Nächster Versuch. Die gleiche Antwort. Und ein spezieller Service. Die Apothekerin ruft bei der Vertriebsfirma an. Die Auskunft: „Wir können leider nicht sagen, wann wir das Medikament wieder liefern können.“ Da mir – und vielen anderen - das nicht zum ersten Mal passiert ist, drängt sich langsam die Frage auf: Steigt Deutschland auch in der Medizin-Versorgung still und leise zu den Entwicklungsländern ab?
Recherchen verschiedener Medien über den Medikamenten-Notstand haben ergeben, dass weit über zweihundert Produkte ganz oder vorübergehend vom Markt verschwunden sind. Es ist absehbar, dass der Mangel an Produkten bald die Dreihunderter-Marke erreichen wird. In meinem aktuellen Fall ging es um Antibiotika, einen einigermaßen verschmerzbaren Verlust. Ich versuch's halt mal mit Kräuter-Tee. Schlimmer sieht es bei Mitteln gegen Epilepsie und bei bestimmten Medikamenten gegen Depression aus. Auch an Narkose-Mitteln herrscht hier und da Mangel.
Wie bitte? Jahrzehnte lang ist es in unserem zivilisierten Land gelungen, Epileptiker einigermaßen vor den tückischen Folgen ihres Leidens zu bewahren. Und jetzt auf einmal nicht mehr? Und bei Depressionen? Da gibt es oft, aber keineswegs immer, Ersatzpräparate. Schauen wir also hilflos wie anno dazumal zu, wie unsere Bürger wieder von epileptischen Attacken heimgesucht oder unbehandelt in die Tiefen ihrer Depression absinken? Und wie sieht es bei Operationen in Zeiten mangelnder Narkose-Mittel aus? Soll eines Tages wieder 'ne Flasche Schnaps den Patienten auf den Eingriff vorbereiten? Ja, wo sind wir denn?
Im Zweifel hilft die Europa-Ausrede
Eigentlich hatten wir doch im Weltvergleich ein relativ gutes Gesundheitssystem, durchaus erschwinglich und mit der Zusage, dass jeder das bekommt, was er wirklich braucht. Wer hätte gedacht, dass auf einmal viele Medikamente bei uns so rar werden wie Bananen in der DDR. Wer ist verantwortlich? Und was unternimmt die Politik?
Die scheint mit wichtigeren Dingen beschäftigt zu sein. Zum Beispiel mit dem vor allem in Deutschland drohenden Weltuntergang durch Klimawandel. Und mit lebenserhaltenden Maßnahmen zur Rettung der moribunden GroKo. Im Zweifel hilft die Europa-Ausrede. Man müsse das Problem auf europäischer Ebene angehen, heißt es. Wunderbar. Da winkt der Sankt-Nimmerleins-Tag. Auch schwirrt die Idee herum, den Mangel durch konsequentere Warn-Listen transparenter zu machen. Tolle Idee. Das ist, als hätte man an den Läden der DDR-Schilder angebracht: Heute keine Bananen. Das Problem ist nicht der Mangel an Warnschildern, sondern der Mangel selber.
Und da haben wir leider das Problem, dass keiner verantwortlich ist. Die Krankenkassen waschen ihre Hände in Unschuld. Sie haben zwar durch ihre Erstattungssätze indirekten Einfluss auf die Preisgestaltung. Aber hallo, sie legen die Preise ja nicht fest.
Die Hersteller, die sich auch an den Vorgaben der Kassen orientieren, schauen – nicht nur deshalb – zu, dass sie ihre Ware so preisgünstig wie möglich herstellen. Und zwar möglichst weit draußen, wo es billig ist. Von Amerika über Indien bis China. Einige lassen bei der uninteressanten Preisgestaltung die Finger ganz von dem nicht lohnenden Geschäft. Wenn es dann mit der Lieferung nicht klappt: Kismet. In einigen Fällen gibt es ja Ersatzmedikamente, die den Erstattungsbetrag der Kassen weit überschreiten, also sauteuer sind. Aber einen Tod muss man wohl sterben. Oder findet da ein Preiskampf auf dem Rücken der Patienten statt? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Kurz und gut: Keiner will es gewesen sein, und der Politik fällt auch nichts rechtes ein. So sacken wir halt still und leise weiter ab. Wie weit? Man kann ganz schön runter rutschen, von der Profi-Liga bis in die Amateurklasse. Man muss sich nur nicht kümmern. Und das scheint immer noch die Devise zu sein. Denn noch gilt der Mangel offiziell nicht als bedrohlich. Also wird auch das nächste Medikament demnächst aus diesem Theater verschwinden.