Der Rache-Prozess: 20 Jahre Lagerhaft für „Extremismus“?

Die russische Staatsanwaltschaft hat in einem absurden Prozess Alexej Nawalny unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen „Extremismus“ angeklagt – und nun eine Haftstrafe von 20 Jahren in einer Strafkolonie beantragt. Das Urteil soll am 4. August ausgesprochen werden. Nawalny zeigte sich in einem Schlusswort unerschrocken. 

Das Gerichtsverfahren begann unter Ausschuss der Öffentlichkeit bereits im Juni in einem Straflager in Melechowo, etwa 235 Kilometer östlich von Moskau, wo Nawalny einsitzt. Der Kremlkritiker wird beschuldigt, eine „extremistische“ Organisation gegründet und finanziert und zu extremistischen Aktivitäten aufgerufen zu haben. Seine Anwälte hatten lediglich zehn Tage Zeit erhalten, um die 196 Ordner mit der insgesamt 3.828 Seiten umfassenden Anklage zu sichten. Nun, gegen Ende eines absurden Prozesses, forderte der Staatsanwaltschaft eine weitere Strafe für den Regimegegner Nawalny: 20 Jahre. 

Seit mehr als zwei Jahren ist Nawalny bereits in Haft; wegen angeblicher Beleidigung eines Richters und „Veruntreuung von Staatsgeldern" ist er zu bereits insgesamt elfeinhalb Jahren Strafkolonie verurteilt worden. Nawalny weist alle Anschuldigungen als frei erfunden zurück und argumentiert, sie dienten nur dazu, ihn zum Schweigen zu bringen. 

Parallel zum Ende des neuerlichen Prozesses hatte Nawalnys Unterstützer-Team das Schlusswort des Kremlkritikers von russischen oppositionellen Künstlern, Aktivisten und Intellektuellen vortragen lassen und dieses als Video veröffentlicht. Darin wird das Vorgehen der russischen Judikative massiv kritisiert: „Jeder in Russland weiß, dass jemand, der vor Gericht um Gerechtigkeit bittet, völlig wehrlos ist“, heißt es. „Denn in einem Land, das von einem Kriminellen regiert wird, werden Streitigkeiten durch Verhandlungen, Macht, Bestechung, Betrug, Verrat und andere Mechanismen aus dem wirklichen Leben gelöst, nicht durch irgendein Gesetz“, so Nawalny weiter. Selbst wenn der Prozess hinter verschlossenen Türen stattfand, müsse man jede Gelegenheit nutzen, um seine Stimme zu erheben.

„Ohne Drama“

Nawalny sprach auch über den Krieg in der Ukraine: Russland dümpele „in einer Pfütze aus Schlamm oder Blut, mit gebrochenen Knochen, mit einer armen, ausgeraubten Bevölkerung, während um es herum Zehntausende von Toten liegen im dümmsten und sinnlosesten Krieg des 21. Jahrhunderts”, sagte er. „Aber früher oder später wird es sich natürlich wieder erheben. Und es liegt an uns, zu bestimmen, worauf sie sich in Zukunft stützen wird.”

Er mache genau das, was er selbst für konsequent halte, beteuerte Nawalny: „Ohne Drama." „Ich kämpfe weiter gegen das skrupellose Übel, das sich 'die Staatsmacht der Russischen Föderation' nennt", so Nawalny, denn er liebe sein Land: „Mein Verstand sagt mir, dass es besser ist, in einem freien und wohlhabenden Land zu leben als in einem korrupten und verarmten. Und während ich hier stehe und auf dieses Gericht schaue, sagt mir mein Gewissen, dass es in einem solchen Gericht weder für mich noch für irgendjemand anderen Gerechtigkeit geben wird. Ein Land ohne ein faires Verfahren wird niemals wohlhabend sein. Also – sagt jetzt wieder der Intellekt – wird es vernünftig und richtig von mir sein, für ein unabhängiges Gericht, faire Wahlen, gegen Korruption zu kämpfen, denn dann werde ich mein Ziel erreichen und in meinem freien, wohlhabenden Russland leben können."

Nawalny verglich die Geburt einer demokratischen Nation mit einer menschlichen Entbindung: „Ein neues, freies und reiches Land muss Eltern haben, damit es entstehen kann. Diejenigen, die es wollen. Die darauf warten und bereit sind, für die Geburt einige Opfer zu bringen. Die wissen, dass es die Opfer wert ist. Nicht jeder muss dafür ins Gefängnis gehen. Es ist eher wie eine Lotterie, und ich habe so ein Los gezogen. Aber jeder muss Opfer bringen und sich anstrengen." Er schüre keinen Hass, beteuerte Nawalny mit Blick auf das Plädoyer der Staatsanwaltschaft: „Wenn Sie es satt haben, dieser Macht nachzugeben, Ihren Verstand und Ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen, wenn Sie endlich verstehen, dass die Unterdrückung des Gewissens schließlich zum Verschwinden des Intellekts führen wird, dann werden Sie vielleicht eines Tages auf den beiden Beinen stehen, auf denen ein Mensch stehen sollte, und gemeinsam können wir das schöne Russland seiner Zukunft näher bringen."

Am 4. August soll das Urteil verkündet werden. Es gilt als hochwahrscheinlich, dass bei dem Urteil die Forderung der Staatsanwaltschaft bestätigt wird. Eine juristische Farce findet das gewünschte Ergebnis. Putins Rache-Justiz wird liefern.

 

Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt.

Foto: Evgenyfeldman CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Henri Brunner / 22.07.2023

Oh - es ist Samstag, nciht Montag, und es ist nicht Osthold, sondern Ortner. Weitere Unterschiede sind mir nicht aufs Erste aufgefallen. Jaja, der Nawalny, der neue Held am wetlichen Horizont, nachdem der alte Stern, also der Selensky, bös am abstürzen ist. Wer ist denn dieser Navalny eigentlich? Nun, die einen sagen, er sei ein Betrüger, denn er wurde wegen Betrugs angezeigt und verurteilt. Weitere sagen, er sei Teil einer von ausserhalb Russland finanzierten Opposition, was in Russland, genauso wie in den USA, verboten ist - in den USA gibts dafür hohe Gefängnisstrafen. Ganz viele ussen sehen das aber eine ganze Stufe einfacher: sie sagen, der Navalny sei ein ganz normaler Krimineller. Tja, was nun ? Wem soll man glauben? Einem Mediun, welches die 2014 begonnene ununterbrochene Beschiessung der Ostukraine durch ukrainische Artillerie bis heute leugnet, würde ich da wenig Glaubwürdigkeit entgegenbringen.

Georg Dobler / 22.07.2023

Genau so absurd wie der Prozess ist der Verurteilte selber auch. Er weilte in Deutschland, sagte dass der Dienst Russland ihn ermorden wollte, wusste dass in Russland ein Haftbefehlt und ein absurder Prozess wartet und setzte sich ohne Not und völlig freiwillig in ein Flugzeug und flog in das Land seiner Wahl. Bei mir kann kein Mitleid aufkommen.

Danier Wirth / 22.07.2023

Hat der Autor schon mal etwas von Julian Assange gehört? Ohne Strafprozess sitzt er seit Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis in Isolationshaft (=Folter!!).

Stefan Riedel / 22.07.2023

Doch lupenreiner Stalinismus? Und der lupenreine “Wertewesten”? Genossen Faeser, Wanderwitz, Kretschmann (zuständig für die Kulturrevolution),... müssen es wissen?

Peter Holschke / 22.07.2023

Diese Geschichte habe ich schon in einer ganz anderen Version gehört. Gottseidank leben wir in einem tollen Rechtsstaat, sogar in einem toll gewordenen Rechtsstaat. Ganz ohne Gesinnungsjustiz. Mit ehrenwerten Motiven bei Zerschlagen von Gelenken und Ärzten in Fussfesseln.

Walter Ebert / 22.07.2023

Es gibt sicherlich viel zu kritisieren an Russland Warum man dazu ein korruptes, kriminelles, Homophobie, sexistisches und vor allem rassistisches Arschloch braucht, erschließt sich mir nicht. Zumal man mit dieser Wahl seine Kritik diskreditiert. Lassen sich unter 160 Millionen Russen wirklich nur Oppositionelle wir Pussy Riot, Nawalny oder der Mafioso Chodokowski finden? Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch Kriminelle wie Nawalny haben ein Recht auf ein faires Verfahren. Aber Verteidiger unserer Werte sind sie nicht.

T. Schneegaß / 22.07.2023

@S. Malm: Die deutsche Justiz ist von Putin unabhängig.

Christoph Schriever / 22.07.2023

Das Nawalny überhaupt noch lebt zeigt, dass er nur kontrollierte Opposition ist. Alles an und um Nawalny ist Schauspielerei und russische Theaterbühnenbaukunst. Nawalny ist der russische Zelensky in spe, für den Fall das Zar Putin plötzlich und unerwartet aus rein biologischen Gründen das zeitliche segnet. Dann braucht man einen Dummy, gegen den man einen neuen Zar installieren kann. Einen „starken“ Zaren, weil er sich gegen „Robin“ (Hood) Nawalny „durchzusetzen“ vermag. Nawalny kann so gelassen auf seine Haft blicken - weil er in Wahrheit gar nicht in Haft ist. The Show Must Go On!

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