Peter Grimm / 09.11.2018 / 14:30 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 15 / Seite ausdrucken

Der Jagdverbotstag

Der 9. November ist in seiner Rolle als mehrfacher Schicksals- und Gedenktag wirklich etwas Besonderes. Wer sich, wie deutsche Politiker, beruflich um die Pflege einer angemessenen Gedenkkultur bemühen muss, steht an einem solchen Tag vor einer besonderen Herausforderung. Zumal dann, wenn man das Gefühl hat, bisherige Gedenkrituale seien schon etwas abgenutzt und es brauche etwas Neues.

Wenn es um das Gedenken an den 9. November 1938 geht, war womöglich die Umbenennung der „Reichskristallnacht“ in „Reichspogromnacht“ die letzte Gedenkkultur-Innovation. Aber die brauchte auch einige Zeit, um sich durchzusetzen. Bereits im Jahr 1978 soll der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Thüsing vorgeschlagen haben, statt von „Reichskristallnacht“ besser von „Reichspogromnacht“ zu sprechen, um die sprachliche Verharmlosung dieser bis dato undenkbaren Welle des Staatsterrors, der mörderischen Gewalt und der zusätzlichen Entrechtung, die die Juden in Deutschland ab jenem Tag traf, zu vermeiden.

Durchgesetzt hatte sich dieser Begriff erst ab 1988 – zumindest in Deutschland. In anderen Ländern soll hingegen immer noch von „Crystal night“, „Nuit de Crystal“ oder der „Notte dei Cristalli“ gesprochen werden.

Am 80. Jahrestag der Novemberpogrome war es also an der Zeit, der pietätvollen Gedenkkultur des deutschen Staates eine neue Note hinzuzufügen. Und dabei hat sich der Freistaat Thüringen hervorgetan. Landesagrarministerin Birgit Keller (Linke) erließ für diesen Tag ein Jagdverbot in den Thüringer Landesforsten. „Als Zeichen der Pietät untersage ich Thüringenforst am 9. November jegliches Schießen und den Einsatz von Jagdhunden“, wird eine Verfügung von ihr zitiert: „Ich bin davon überzeugt, so gebietet es uns das Gedenken.“ Auch in den nächsten Jahren solle am 9. November „entsprechend verfahren“ werden.

Gegen mehr pietätvolles Gedenken an die Opfer der Pogromnacht kann niemand etwas einwenden, und wenn die Genossin Keller ein Jagdverbot damit begründet, versagt ihr auch die Konkurrenz die Zustimmung nicht. „Ich finde das richtig“, reagierte der Vorsitzende des Agrarausschusses im Thüringer Landtag, Egon Primas (CDU), nach Bekanntwerden des Verbots: „Frau Keller hat meine Unterstützung.“

Kommt eigentlich keiner auf die Idee, die Genossin Keller zu fragen, wieso nur die Jagd das Gedenken stört und nicht all die anderen profanen Dinge, die an diesem 9. November, aller Pietät zum Trotz, stattfinden? Warum nur die Jäger?

In Thüringen ist der 9. November, so konnte man es lesen, künftig wegen des Gedenkens an die Pogrome ein regelmäßiger Jagdverbotstag. Um das nun als Teil einer neuen Gedenkkultur würdigen zu können, bräuchte es von der Genossin Ministerin allerdings noch eine genauere Antwort auf die Frage, warum unter all den pietätlosen Verrichtungen dieses Tages die Jagd so besonders störend ist? Wegen derer besonderen Rolle im Nationalsozialismus? Irgend so etwas sollte den Jagdverbotstag schnell offiziell begründen, sonst ist zu befürchten, dass irgendwer laut ausspricht, dass doch an einem Tag, der in Verbindung mit dem Mord an so vielen unschuldigen Menschen steht, nicht auch noch unschuldige Tiere erschossen werden dürften.

Noch besser wäre es, die Landwirtschaftsministerin würde ihre Probleme, die sie mit der Jagd und den Jägern hat, vielleicht ohne die Ausnutzung von Gedenktagen regeln, als „Zeichen der Pietät“ gewissermaßen.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Jörg Werda / 09.11.2018

Vermutlich liegt es an mir, aber ich habe die Umbennung der “Reichskristallnacht” in “Reichsprogromnacht” nie verstanden, gerade weil mir letzteres immer als verharmlosend erschien. Progrome, besonders welche gegen Juden, gab es leider viele, die “Reichskristallnacht” war und ist einmalig. Als Kind konnte man Aufgrund der Beschreibung (die Straßen voller Glasscherben) auch gut den Schrecken dieser Nacht erkennen, dem “Progrom” fehlt es auch an dieser bildlichen Verständlichkeit.

Wilfried Cremer / 09.11.2018

Abtreibungen an dem Tag zu verbieten, würde ihr wahrscheinlich nicht einfallen.

Dr. Jesko Matthes / 09.11.2018

Vielleicht liegt diese “besondere Pietät” ja am “Reichsjägermeister” Hermann Göring und seinem Reichsjagdgesetz vom 4.7.1934 mit dem Zusatz vom 29.3.1939, unterzeichnet von Roland Freisler, nach dem Juden ab sofort nicht mehr jagen (aber alsbald gejagd werden) durften? Demnach wären also alle Jäger irgendwie “rechts”...

Gernot Radtke / 09.11.2018

Diese Analogie von „unschuldigen Menschen“ und „unschuldigen Tieren“ ist so lächerlich wie abgeschmackt. Die Hasen werden es der Genossin Jagdminister Keller gewiß danken, daß sie erst ab morgen wieder rechtmäßig abgeknallt werden dürfen. Auch die Juden wird’s beruhigen: An Gedenktagen erschießen die Deutschen keine Hasen und dann auch keine Juden. An Gedenktagen wird überhaupt nicht mehr erschossen. Geschlachtet und geschächtet schon. - In unserer Republik ist der seine ergreifenden Zeichen setzende Geist aber auch wirklich bis in den letzten Winkel, wie der Österreicher sagen würde, ‘am Oarsch’.

Thomas Schade / 09.11.2018

Ob Frau Keller es nun will oder nicht: sie bringt das Töten von Tieren in Verbindung mit der Verfolgung und dem Töten von Menschen und hält dies womöglich noch für den Ausdruck einer antifaschistischen Haltung.

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